Protokoll der Sitzung vom 30.05.2017

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 105. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

In der vergangenen Woche haben einmal mehr Menschen durch fürchterliche Terroranschläge ihr Leben verloren. In Ägypten wurden über 20 Frauen und Männer getötet und etliche weitere verletzt. Wenige Tage zuvor war Großbritannien erneut Ziel eines entsetzlichen Terrorakts. Der Anschlag von Manchester hat uns deshalb ganz besonders erschüttert, weil er offenbar gezielt Jugendlichen und Kindern galt. 22 Menschen wurden getötet, mehr als 100 zum Teil schwer verletzt.

Der Bayerische Landtag verurteilt diese barbarischen Gewalttaten aufs Schärfste. Wir stehen weiterhin fest und entschlossen an der Seite derer, die für ein friedliches Miteinander in Freiheit eintreten. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien, über die entsetzliches Leid hereingebrochen ist. Allen Verletzten wünschen wir von Herzen möglichst rasche Genesung und alles Gute. – Ich danke Ihnen, dass Sie sich von Ihren Plätzen erhoben haben.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, begrüße ich auf unserer Ehrentribüne Studentinnen und Studenten von Herrn Prof. Burgi. Ich freue mich, dass Sie heute da sind, um zu sehen, wie sich das Parlamentsleben darstellt. Herzlich willkommen, natürlich auch allen unseren anderen Gästen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Tödlicher Lebensmittel-Skandal: Hat der Verbraucherschutz bei Sieber erneut versagt?"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Hat eine Fraktion das Benennungsrecht für mehrere Rednerinnen und Redner, kann auf Wunsch der jeweiligen Fraktion eine ihrer Rednerinnen bzw. einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit erhalten. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktionen angerechnet. Die fraktionslose Abgeordnete

Claudia Stamm kann bis zu zwei Minuten sprechen. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.

Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner ist Herr Kollege von Brunn.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der größte bekannte Listeriose-Ausbruch in Deutschland bisher hat nicht nur nach Medienberichten, sondern auch nach Angaben der zuständigen bayerischen Behörden vor dem Verwaltungsgericht München seit 2012 mindestens acht Todesopfer gefordert, vier davon in Bayern. Mindestens zwei schwangere Frauen haben ihr ungeborenes Kind durch Fehlgeburt verloren, und mindestens 76 Menschen sind im Laufe des Ausbruchs des Geschehens erkrankt. Das wirft drängende Fragen nach dem Handeln und der Zuverlässigkeit des Verbraucherschutzes in Bayern auf, allein schon deswegen, weil die Firma Sieber, die offensichtlich der Verursacher ist, nur durch puren Zufall in das Visier der bayerischen Behörden geraten ist. Es war keine Kontrolle am Produktionsstandort in Geretsried im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, die zur Aufdeckung der Zusammenhänge führte; es war ein Glückstreffer bei einer Routinekontrolle einer Ladentheke im Landkreis Nürnberger Land.

Was wir allerdings bisher noch nicht wussten und was erst durch das Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Geschäftsführer der inzwischen insolventen Firma ans Tageslicht gekommen ist: Entgegen den bisherigen Behauptungen der Staatsregierung hat die Firma Sieber im September 2013 und im Oktober 2015 bei Eigenkontrollen Listerien gefunden. Im ersten Fall wurde der Grenzwert um das Fünffache und im zweiten Fall um das Dreihundertfache überschritten. Aber im Bericht des Umweltministeriums vom 1. September 2016 an den Bayerischen Landtag, persönlich unterzeichnet von der verantwortlichen Staatsministerin Ulrike Scharf, steht das Gegenteil. Da heißt es wörtlich: Die vorgelegten Befunde geben in ihrer Gesamtschau keinen Hinweis darauf, dass der Lebensmittelunternehmer seiner Sorgfaltspflicht gemäß den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 nicht nachgekommen ist, also der Verordnung der Europäischen Kommission über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel.

Noch am 20. Oktober letzten Jahres hat ein Vertreter dieses Ministeriums im Umweltausschuss, nachzulesen im Protokoll, behauptet, "bei den Eigenkontrollen durch die sechs beauftragten Labore seien keine

Grenzwertüberschreitungen zutage getreten, was durchaus der Fall sein könne". Das lässt nur zwei alternative Schlussfolgerungen zu: Entweder haben es die zuständigen Behörden versäumt, sich nach dem Zufallstreffer am 24. März letzten Jahres die Eigenkontrollen und die dazugehörigen Rückstellproben genauer anzuschauen, oder das Staatsministerium hat den Landtag und die Öffentlichkeit falsch informiert. Das wäre ja nicht neu; das kennen wir bereits aus dem Fall Bayern-Ei.

Frau Staatsministerin Scharf, ich habe Sie hier im Plenum am 1. Juni 2016 gefragt, wie es sein kann, dass es seit 2012, also vier Jahre lang, immer wieder Listeriose-Fälle in Deutschland und Bayern gab, die auf die Firma Sieber zurückzuführen sind, ohne dass von amtlichen Kontrolleuren in Bayern in diesen Jahren jemals Listerien bei Sieber festgestellt wurden. Ich möchte diese Frage heute aus gegebenem Anlass erweitern: Frau Staatsministerin, wie kann es sein, dass es seit 2012 durch Sieber zu einem tödlichen Listeriose-Ausbruch in Deutschland und Bayern kam, die zuständigen bayerischen Behörden aber jahrelang nichts gefunden haben, obwohl die Firma selbst bei Eigenkontrollen hohe Listerienbelastungen in ihren Produkten festgestellt hat, die sie, obwohl rechtlich dazu verpflichtet, nicht gemeldet hat?

Wir sprechen hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Zuverlässigkeit und die Wirksamkeit amtlicher Kontrollen in Bayern, und zwar in einem Fall, in dem acht Menschen gestorben sind und viele weitere Menschen anderweitig Schaden genommen haben. Bemerkenswert ist auch, dass die oberste zuständige Behörde, das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, im November 2015 bereits wissen musste, dass Fisch- und Käseprodukte als Verursacher für den Listeriose-Ausbruch mutmaßlich auszuschließen sind und dass das Verbreitungsgebiet und das Erscheinungsbild des Ausbruchs nahelegen, dass die Quelle für die Listerien Produkte sein müssen, die in süddeutschen Supermärkten verkauft werden. Diese Erkenntnisse erschienen nämlich in einem Fachartikel in der Zeitschrift "Eurosurveillance" Ende 2015, an dem auch ein Mitarbeiter des Landesamts selbst als Autor mitgewirkt hatte.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Hört, hört!)

Nachdem ebenfalls bekannt war, zum Beispiel durch eine aktuelle Studie des Robert-Koch-Instituts, dass bestimmte Fleisch- und Wurstprodukte wie Cooked Sausage ein besonderes Risiko für Listerien darstellen, wäre es doch naheliegend gewesen, zumindest darüber nachzudenken, ob die Ursache entsprechende Fleischprodukte in süddeutschen Supermärkten sein könnten. Man hätte vielleicht auch ein entspre

chendes Kontrollprogramm in Betracht ziehen können. Das wäre unserer Auffassung nach angesichts eines derart fatalen lebensmittelbedingten Krankheitsausbruchs wohl angemessen gewesen, war aber nach Darstellung des Ministeriums im Umweltausschuss im Nachhinein natürlich völlig undenkbar.

(Beifall bei der SPD)

Nicht undenkbar dagegen war es, dass die Spezialeinheit Lebensmittelsicherheit, die Taskforce des Landesamtes, vor dem G-7-Gipfel in Elmau im Jahre 2015 mit der Kontrolle aller im Landkreis Garmisch-Partenkirchen beheimateten Gastronomiebetriebe beauftragt wurde. In diesem Fall ging es auch um das Image des Freistaates Bayern in aller Welt, und im anderen Fall ging es nur um den einfachen Verbraucher und die einfache Verbraucherin, insbesondere also um Menschen mit schmalem Geldbeutel, die bei Lidl, Netto oder Penny einkaufen, also dort, wo die Sieber-Produkte unter anderem vertrieben wurden. Aber das sind eben Menschen, sehr geehrte Damen und Herren, für die der Staat eine Schutz- und Fürsorgepflicht hat. Dieser Fürsorgepflicht ist die Staatsregierung ganz offensichtlich nicht ausreichend nachgekommen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man diese ihre Bilanz nüchtern betrachtet, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Menschen in Bayern nicht sicher sein können, von dieser Staatsregierung wirksam vor solchen Gefahren geschützt zu werden.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): So ist es!)

Das zeigt auch Ihr Vorgehen nach dem Listerienfund im März 2016. Es ist unverständlich, warum Sie die Spezialeinheit Lebensmittelsicherheit erst am 20. Mai zur Firma Sieber geschickt hat. Sie haben acht Wochen lang das zuständige Landratsamt weitermachen lassen, ohne ihm die interdisziplinäre Taskforce des Landesamtes an die Seite zu stellen.

Zumindest erklärungsbedürftig ist es auch, warum die zuständigen Behörden ebenfalls acht Wochen gebraucht haben, um einen Zusammenhang zwischen der Firma Sieber und dem deutschlandweiten Listeriose-Ausbruch herzustellen. Anscheinend – so zumindest die Information, die wir dem Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom Juni 2016 entnehmen – haben sie diese Information auch nicht direkt erhalten, sondern sie wurden vom zuständigen Ministerium in Baden-Württemberg über den Zusammenhang informiert. Erst eine Woche später sollen sie die Informationen offiziell von den zuständigen Bundesbehörden erhalten haben. Das alles sind Merkwürdigkeiten,

die Sie, Frau Ministerin, uns erklären sollten. Wenn das so war, wirft das kein gutes Licht auf die Abläufe in diesem Fall.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt aber durchaus noch weitere kritische Fragen in diesem Zusammenhang. Wir haben erst durch den schon erwähnten Prozess gegen den Geschäftsführer davon erfahren, dass es offensichtlich eine stille Beteiligung des Freistaats Bayern an der Firma Sieber gab.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Oh, oh!)

Diese Tatsache ist dem Bayerischen Landtag bisher vorenthalten worden und wurde auch bei dem Bericht zu Sieber im Umweltausschuss mit keiner Silbe erwähnt.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Aha!)

Vielleicht können Sie uns heute darüber aufklären, Frau Ministerin, was es mit dieser Beteiligung auf sich hat, wann diese Beteiligung aus welchen Gründen eingegangen wurde und wer sie initiiert hat. Ich bin überzeugt, das interessiert auch die Öffentlichkeit in Bayern brennend.

(Beifall bei der SPD)

Einen Rat möchte ich Ihnen abschließend noch mit auf den Weg geben: Verweisen Sie im Zusammenhang mit dem Fall Sieber nicht auf die Schaffung der neuen Kontrollbehörde. Denn wenn es nach Ihnen gegangen wäre – siehe die ganzen Abläufe im Fall Bayern-Ei –, dann gäbe es bis heute keine Reform des Verbraucherschutzes in Bayern. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Beißwenger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Listerien sind in der Natur nahezu überall verbreitet. Es handelt sich – leider, muss ich sagen – um sehr widerstandsfähige Bakterien. Besonders häufig kommen sie auf verschiedenen Lebensmitteln vor, vor allem auf rohen Lebensmitteln wie Fleisch, Geflügel und Meerestieren. Aber sie kommen auch auf Rohmilchprodukten vor, wie beispielsweise auf Rohmilchkäse. Auch gibt es keine Entwarnung für die Vegetarier und die Veganer unter uns. Auch auf pflanzlichen Lebensmitteln wie Salaten und Sprossen – vor allem auf vorge

schnittenen, abgepackten Salaten – können Listerien sitzen.

Sie sind zwar für gesunde Menschen in der Regel eher harmlos; zu Infektionen kommt es selten. Bei Risikogruppen wie Schwangeren, Kindern oder älteren Menschen – insbesondere bei Personen mit einer verminderten Immunabwehr – können sie allerdings zu Erbrechen, Durchfall oder im schlimmsten Falle auch zum Tode führen.

Im speziellen Fall der Firma Sieber wurde die Öffentlichkeit am 27.05.2016 informiert. Es wurde empfohlen, keine Schinken- und keine Wurstprodukte der Firma Sieber mehr zu konsumieren. Das war wichtig für die Verbraucher. Es wurde eine öffentliche Warnung ausgesprochen. Schließlich bedeutet Verbraucherschutz, dass man den Verbraucher auch wirklich schützt und im Zweifel warnt. Die Verbraucher in Bayern haben meiner Meinung nach ein Anrecht auf sichere Lebensmittel.

(Beifall bei der CSU)

Alle Erzeugnisse aus der Produktionsanlage wurden dann auch tatsächlich zurückgerufen. Die Staatsanwaltschaft hat Klage gegen den Lebensmittelunternehmer wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln erhoben. In erster Instanz wurde der Lebensmittelunternehmer wegen des fahrlässigen Inverkehrbringens von gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln verurteilt. Der Vorwurf des Vorsatzes konnte nach Ansicht des Gerichtes nicht nachgewiesen werden. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig; es wurde schließlich Berufung eingelegt.

Mittlerweile ist hier ein Insolvenzverwalter tätig. Der Insolvenzverwalter der Firma Sieber erhebt in der Presse fortgesetzt schwere Vorwürfe gegen die Behörden und bereitet anscheinend eine Schadensersatzklage über zwölf Millionen Euro vor. Die Einreichung der Klage wurde vom Insolvenzverwalter avisiert. Das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz hat aber im Schreiben an Herrn Dr. Josef Hingerl vom 01.03.2017 einen Vergleich abgelehnt. Bei allen amtlichen Kontrollen wurden keine oder nur geringgradige Mängel festgestellt. Das vorweg.

Wenn allerdings ein Lebensmittelunternehmer – wer auch immer – bereits seit 2013 von Bakterienverunreinigung, von Listerienproblematik in seinem eigenen Betrieb wusste und entgegen der gesetzlichen Verpflichtung die Nachweise in den Eigenkontrollen nicht meldet, fehlt ihm nicht nur die Verantwortung gegenüber dem Verbraucher, sondern es könnte auch eine gewisse kriminelle Neigung vorliegen oder eine Be

reitschaft, gewisse Vorgänge zu verschleiern. Von den Laboren lagen auch keine Informationen vor.

Dass die Veterinär- und Lebensmittelüberwachung neu strukturiert wird, steht nun schon einmal fest. Die neue, dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit nachgeordnete Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen wird am 01.01.2018 ihre Arbeit aufnehmen.

Die Erste Lesung zu dem Gesetzentwurf zur Reform der staatlichen Veterinärverwaltung und Lebensmittelüberwachung hat am 29.03.2017 stattgefunden. Im Vorfeld hat der ORH in seinem Gutachten eine Bestandsaufnahme der Veterinärverwaltung und Lebensmittelüberwachung gemacht. Er hat überprüft, ob die Struktur und die Organisation in diesem Bereich verbessert werden könnten, auch im Hinblick auf die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Anforderungen der Überwachungstätigkeit.

Der gesundheitliche Verbraucherschutz gehört zu unseren zentralen Verpflichtungen. In Bayern soll ein bestmögliches Maß an Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit und Verbraucherschutz gewährleistet werden. Das ist unser aller Ziel.