Protokoll der Sitzung vom 19.07.2017

Für uns ist die Forderung nach einer übergreifenden Stelle nach wie vor aktuell. Es ist auch notwendig zu hinterfragen, wo der Freistaat vielleicht falsche Wege geht. Dazu gehört für mich ganz eindeutig, dass der Verfassungsschutz für die Beratung von Unternehmen zuständig ist. Gerade bei den Cyberattacken in den letzten Monaten sind Geheimdienste zunehmend in die Kritik geraten, diese teilweise unterstützt zu haben. Man kann sie an dieser Stelle schon aufgrund der Gewaltenteilung nicht gleichwertig zur Beratungs stelle machen. Das einzige Amt, das mir einfällt, das in dieser Hinsicht noch mehr in der Kritik steht als der Verfassungsschutz, ist fraglos die Lebensmittelüber wachung. Dort möchte ich die ITSicherheit auch nicht angesiedelt wissen. Wenn wir gleichzeitig hören, dass mit dem LSI das digitale Fort Knox gegründet werden soll, muss ich sagen: Die einzige Gemeinsamkeit, die ich an dieser Stelle sehe, besteht darin, dass auch das LSI dem Finanzministerium unterstellt wird. Si cherlich ist es schön für Sie, alle Fäden in der Hand zu behalten. Wir brauchen aber eine offene und zu

gängliche Behörde, die mit offenen Standards arbeitet und die Bürgerinnen und Bürger und die Unterneh men beraten kann, damit es nicht so wie beim Buch binder Wanninger geht,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

dass man von der einen Stelle zur anderen laufen muss. Wir müssen die gesamte ITArchitektur des Freistaats an dieser Stelle strategisch durchplanen. Das sehe ich momentan nicht. Mir fehlt die übergrei fende Strategie. Wir fordern nach wie vor ein Digital ministerium, das die Strategie entwickeln und in Ab stimmung mit allen anderen Ressorts umsetzen kann. Wir haben an dieser Stelle tatsächlich noch viele Fra gen. Wir sehen es genauso wie die Kolleginnen und Kollegen: Wir brauchen eigentlich eine unabhängige Stelle. Herr Gantzer, ich glaube, letztlich war wahr scheinlich der Knackpunkt in Ihrem Antrag, dass es um eine unabhängige Stelle ging. Darauf werden wir weiter pochen.

Ich freue mich auf die Beratung in den Ausschüssen. Wir wünschen dem LSI alles Glück, sehen aber auch, dass da noch nicht das Ende der Fahnenstange er reicht ist und wir vor allem mehr Transparenz und mehr Bürgerfreundlichkeit und mehr demokratische Kontrolle in den Parlamenten brauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Weitere Wortmeldungen lie gen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlos sen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Aus schuss für Staatshaushalt und Finanzfragen als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 d auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Kerstin Celina u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Wahlrechtsänderung zur Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention (Drs. 17/17576) Erste Lesung

Zur Begründung des Gesetzentwurfs stehen fünf Mi nuten zur Verfügung. Die Gesamtredezeit der Fraktio nen im Rahmen der Aussprache beträgt nach der Ge schäftsordnung 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich an der Redezeit der stärksten Fraktion. Begründung und Aussprache wer den miteinander verbunden. Damit hat BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eine Redezeit von zehn Minuten. Erste

Rednerin ist die Frau Kollegin Celina. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Es geht heute wieder mal um ein Thema, das wir seit Jahren in regelmäßigen Abständen immer wieder diskutieren. Ich hoffe wirklich, dass wir es rechtzeitig vor der nächsten Landtagswahl in Bayern, also vor 2018, endgültig zu Ende diskutiert haben werden, und zwar mit einem Gesetzentwurf, dem alle Fraktionen zustim men, mit einem Gesetzentwurf, der eine seit Langem bekannte Ungleichbehandlung unserer Bürger endlich abschafft, mit einem Gesetzentwurf, der statt eines pauschalen Wahlrechtsentzugs für bestimmte Grup pen das Wahlrecht individuell durch Richterentschei dungen entzieht. Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, gehört zu den Grundfesten unserer Demo kratie. Es kann kaum hoch genug bewertet werden. Es steht auch Menschen mit Behinderungen zu, es sei denn, sie sind nicht entscheidungsfähig. Spätes tens seit der UNBehindertenrechtskonvention werden wir mit der Nase darauf gestoßen und wissen alle, dass das jetzige Wahlrecht nicht mit der individuellen Bewertung der Entscheidungsfähigkeit und damit des Wahlrechts konform geht.

Worum geht es genau? – Die Teilnahme an der Wahl setzt als Akt demokratischer Selbstbestimmung Ent scheidungsfähigkeit voraus. Wie wird aktuell beurteilt, wer diese Entscheidungsfähigkeit hat? – Derzeit gilt: Wer unter Betreuung steht oder im Maßregelvollzug sitzt, dem wird die Entscheidungsfähigkeit pauschal aberkannt. Wer bei gleichem Krankheitsbild durch eine Vorsorgeverfügung selbst geregelt hat, wie die Betreuung ablaufen soll, wer sich wegen psychischer Erkrankungen selbst in eine Behandlung begibt oder wer mit schwersten behinderungsbedingten Beein trächtigungen in einer Einrichtung lebt, der behält da gegen sein Wahlrecht. Das steht so in § 13 Num mern 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes, in denen die Wahlrechtsausschlüsse geregelt sind. Das trifft viele in Deutschland. Bundesweit sind es 81.000 dauerhaft unter Vollbetreuung stehende Menschen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Dabei gibt es starke regionale Unterschiede. In Hamburg und in Bremen gibt es auf 100.000 Bürger weniger als zehn Wahl rechtsausschlüsse. In Bayern dagegen sind es 204 Wahlausschlüsse pro 100.000 Bürger. Die Höhe der Wahrscheinlichkeit, wählen zu dürfen, hängt somit vom Wohnort ab. Das können wir nicht länger akzep tieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will Ihnen das anhand einiger konkreter Beispiele erläutern. Stellen Sie sich vor, Sie begegnen folgen

den fiktiven Bürgern in Bayern. Bei jedem Einzelnen bitte ich Sie zu überlegen, wer von den Bürgern ent scheidungsfähig ist und wer nach unserer Rechtslage tatsächlich wählen darf; denn das sind zwei Paar Stie fel. Walter, sehr dement, 85 Jahre alt, wohnt bei sei ner Familie, die ihn versorgt. So hat er es frühzeitig geregelt. – Hans ist ebenso dement wie Walter, steht aber unter Betreuung. Hier gilt ein anderes Wahlrecht. – Der seit vielen Jahren Drogenabhängige ist immer wieder im Gefängnis, wurde schon mehrfach verur teilt, war bei seinen Straftaten aber immer zurech nungsfähig; er unterliegt einem anderen Wahlrecht als derjenige, der wegen seiner Straftaten im Drogen rausch zurzeit im Maßregelvollzug behandelt wird. – Es gibt den Wachkomapatienten, der von seiner Fa milie gepflegt wird, jemanden, der von Geburt an taub ist und nichts mehr sieht und seine Versorgung früh zeitig geregelt hat, jemanden, der krebskrank ist und aufgrund der Schmerzen hohe Dosen an Morphium bekommt und sehr verwirrt wird, jemanden, der bewe gungslos im Rollstuhl sitzt und keinen Wahlzettel mehr ausfüllen kann, oder jemanden, der das Down Syndrom hat und deswegen unter Betreuung steht, sich aber für Politik interessiert und gerne diskutiert. – All diese Bürger findet man in Bayern. Wer von diesen darf nun wählen? – Unser Wahlrecht regelt das nicht zufriedenstellend. Wir entscheiden nämlich aktuell nach der Rasenmähermethode. Wer unter Betreuung steht und im Maßregelvollzug ist, darf nicht wählen. Das Wahlrecht wird pauschal niedergemäht. Alle an deren dürfen wählen. Die pauschale Aberkennung dieses Grundrechts ist schon längst als Unrecht er kannt. Die zufällige Zugehörigkeit zu einer dieser bei den Gruppen bestimmt, ob jemandem das grundle gende Bürgerrecht zusteht, in der Demokratie wählen zu dürfen oder eben nicht. Das – ich sage es ganz deutlich – ist der Betroffenen und der Demokratie un würdig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht ist unser Gesetzentwurf endlich der Auslö ser für Sie, liebe Kollegen von der CSU und der SPD, sich mit uns auf Landesebene auf eine Änderung des Wahlgesetzes gegen den Fortbestand einer antiquier ten Regelung von anno dazumal, die noch auf die Weimarer Reichsverfassung zurückgeht, zu einigen.

Liebe Kollegen von der SPD, kürzlich hat Ihr Kollege Matthias Bartke, Bundestagsmitglied und Justiziar, in der Wochenzeitung "Die Zeit" einen Artikel mit dem Titel "Ungleiche Wahl – Menschen, die Betreuung brauchen, dürfen nicht wählen. Das muss sich än dern." geschrieben. – Genau, das muss sich ändern. Aber warum haben Sie es denn im Bundestag nicht schon längst geändert?

(Markus Rinderspacher (SPD): Weil die Union nicht mitmacht! Das wissen Sie, Frau Celina!)

CDU und CSU haben zum Wahlrechtsausschluss die Lebenshilfe schriftlich befragt und die Antwort veröf fentlicht. Da heißt es:

Für die CDU und CSU gehört das aktive und pas sive Wahlrecht zu den wesentlichen Elementen der Demokratie. Leider sind nicht alle Wahlbe rechtigten in der Lage, dieses ihnen zustehende Recht gänzlich selbstständig und eigenverant wortlich auszuüben. Soweit es einem Bürger möglich ist, seinen Wählerwillen bei klarem Be wusstsein und deutlich erkennbar... zu äußern, sollte der Ausübung des Wahlrechtes nichts im Wege stehen.

Und Sie, liebe Kollegen von der CSU, wissen genau, was dem entgegensteht: eine pauschale Regelung im Wahlgesetz, die Sie in Ihrer Zeit an der Bundesregie rung nicht verändert haben. Die Zeit ist reif, um diese seit Jahren klaffende Lücke im Gesetz endlich zu schließen.

Wir haben hier vor zwei Jahren schon einmal einen Gesetzentwurf der SPD zum gleichen Thema disku tiert. Damals hat Staatsminister Herrmann in der De batte gesagt, er halte es für wichtig und richtig, sich mit der Frage zu befassen; der Bundesrat habe, so Staatsminister Herrmann, in einer von der Baye rischen Staatsregierung ausdrücklich unterstützten und inhaltlich mitformulierten Entschließung im Jahr 2013 geregelt, dass der Ausschluss vom Wahl recht aufgrund einer Betreuung in allen Angelegenhei ten oder aufgrund einer Unterbringung in einem psy chiatrischen Krankenhaus dringend einer politischen Überprüfung bedarf. Deswegen, so hat der Staatsmi nister gesagt, hat sich die Bundesebene darauf ver ständigt, hier eine Studie abzuwarten, die schon längst erschienen ist und 315 Seiten hat. Sie haben gesagt, Kollegen von der CSU: Sobald diese Studie vorliegt, werden Sie die Problematik bundespolitisch lösen, sodass die Regelung rechtzeitig vor der Wahl in Bayern übernommen werden kann. – Wir sind jetzt kurz vor der Bundestagswahl, und nichts ist passiert. Wir haben seit Jahren immer wieder über dieses Thema diskutiert. Sie sind jetzt am Zug, endlich das einzulösen, was Sie hier auf bayerischer und auf Bun desebene schon lange versprochen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage es noch einmal klar und deutlich: Die Bun desregierung hat es verschlafen, verzögert und ver hindert, hier eine Regelung zu treffen. Und Sie sind mit Ihrer CSUFraktion jetzt am Zug, den Vorschlägen endlich zuzustimmen, die schon seit Jahren hier im

Landtag von der Opposition immer wieder einge bracht werden, oder einen eigenen Vorschlag zu brin gen, um die Versprechen, die Sie gegeben haben, endlich einzulösen.

Aber Ihr Nichtstun in diesem Bereich ist symptoma tisch für das, was ich hier seit Jahren im Bayerischen Landtag bei Ihnen erlebe. Auch beim PsychischKran kenHilfeGesetz mit dem Krisendienst, das Sie seit Jahren versprochen haben, tut sich nichts. Wir haben noch nicht einmal Eckpunkte vorliegen. Ihr Minister hat hier versprochen, diese gesetzliche Regelung ein zubringen, und es ist nichts, nichts da – außer der 315 Seiten langen Studie. Sie turnen in Berlin herum, kriegen aber Ihre Hausaufgaben hier nicht erledigt.

Diskutieren Sie mit uns im Ausschuss, stimmen Sie in der Zweiten Lesung einem Gesetzesvorschlag zu, der den pauschalen Wahlrechtsausschluss einer ganzen Gruppe unserer Bevölkerung endlich ad acta legt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Lorenz von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

(Vom Redner nicht autori siert) Sehr geehrter Herr Landtagsvizepräsident, sehr geehrte Damen und Herren! Um das hier mal ganz deutlich zu sagen: Wahlrechtsausschlüsse von Men schen mit Behinderung kennt das deutsche Wahlrecht nicht. Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 des Bundes wahlgesetzes und selbstverständlich auch nach den entsprechenden bayerischen Regelungen knüpfen nicht an das Vorliegen einer Behinderung an. Die Bundesregierung hat bereits in der Begründung zum Vertragsgesetz zur UNBehindertenrechtskonvention festgestellt, dass das aktive und passive Wahlrecht in Deutschland nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl selbstverständ lich auch Menschen mit Behinderung zusteht und dass die gesetzlichen Wahlrechtsausschlüsse selbst verständlich im Einklang mit der Behindertenrechts konvention stehen.

Wir haben, wie Sie richtig erwähnt haben, dieses Thema schon des Öfteren diskutiert, zuletzt vor zwei Jahren. Bereits damals haben wir gesagt, dass es sinnvoll ist, auf die Expertenstudie hinzuweisen. Ihre Vorwürfe und Behauptungen sind natürlich schwer wiegend; insofern ist es gut, dass das umfassend ge prüft wurde. Die Studie liegt vor, und ich hab‘ ein biss chen das Gefühl, dass Sie die Studie überhaupt nicht gelesen haben. Sie schreiben in Ihrem Gesetzent wurf, alle Personen, die unter Betreuung stehen, seien vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das ist natür

lich schon mal bewusst verzerrend; das gilt für alle Menschen, die in allen Angelegenheiten betreut wer den. Das macht allein schon einen semantischen Un terschied.

Sie werden, wenn ich Ihnen jetzt erzähle, warum das so ist, und die Ergebnisse der Studie vortrage, mögli cherweise zu einem anderen Schluss kommen. Des wegen lese ich Ihnen jetzt einfach das Ergebnis die ser über 300 Seiten langen Studie vor. Da haben sich Experten der Bundesregierung intensiv mit diesem Thema in sowohl medizinischer als auch verfassungs rechtlicher Hinsicht befasst. Ich lese Ihnen jetzt das Ergebnis dieser Studie vor. Auf Seite 289 heißt es in Abschnitt 9.1:

Handlungsoptionen. 9. 1.

Vollständige Streichung. Eine ersatzlose Strei chung des § 13 Nr. 2 BWG ist nicht zu empfeh len. Sie führte dazu, dass eine Teilnahme an der Wahl auch durch solche Personen erfolgen könn te, die aufgrund gerichtlicher Entscheidung als entscheidungsunfähig anzusehen sind. Damit würden die oben erläuterten Zentralfunktionen der Wahl gefährdet geführt. Eine solche Freigabe würde auch die Frage nach der (künftigen) Be rechtigung des Art. 38 Abs. 2 GG aufwerfen. Es erscheint jedenfalls wenig plausibel, u. U. voll ständig entscheidungsfähige Minderjährige etwa im Alter von 17 Jahren aufgrund der in der Ver fassung zum Ausdruck gebrachten über das Le bensalter vertypten Vermutung fehlender Ent scheidungsfähigkeit von der Wahlteilnahme auszuschließen, gleichzeitig aber eine Teilnahme an der Wahl durch solche Personen zuzulassen, deren Entscheidungsunfähigkeit zuvor im gericht lichen Betreuungsverfahren – und wie in Erinne rung gerufen sei – aufgrund einer sachverständi gen Begutachtung ausdrücklich festgestellt wurde.

Ich überspringe jetzt die Punkte 9.2 und 9.3 und komme zum Punkt 9.4 – Richterliche Ermessensent scheidungen bei Mitteilungspflichten –, zum Ergebnis und lese den Expertenbericht vor:

Vor allem unter Berücksichtigung der BRK und der Rechtsprechung des EGMR wird in völker rechtszentrierten Debatte unter Berufung auf die Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses … für Wahlrechtsausschlüsse eine (besondere) richterliche Einzelfallentscheidung gefordert. Das deutsche Recht wird dem durch die im betreu ungs und strafgerichtlichen Verfahren getroffe nen Einzelfallentscheidungen gerecht.

Das ist nicht meine Bewertung, nicht mein Ergebnis, sondern das Ergebnis der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Expertenkommission. Vor diesem Hintergrund und nachdem Sie hoffentlich diesen Be richt gelesen haben, finde ich Ihre Unterstellung oder Behauptung, dass die Praxis nach wie vor der Behin dertenrechtskonvention widerspricht, geradezu infam und böswillig. Ich glaube, dass man so ein Thema völ lig sachlich und neutral bewerten muss. Wir haben in diesem Fall diese Studie, und wenn es da Bedarf an gewissen Änderungen gibt, sind die Regelungen selbstverständlich anzupassen. Aber es macht keinen Sinn, dass der Bundesgesetzgeber andere Regelun gen schafft als der Landesgesetzgeber. Natürlich ist es ein bisschen ungut, dass verschiedene Bundeslän der bereits eigene Regelungen haben. Aber wenn die Übereinkunft auf Bundesebene besteht, dass Ände rungen vorzunehmen sind, möglicherweise im Detail, nicht so pauschal, wie Sie das wollen, kann man das gerne machen. Dann übernehmen wir das selbstver ständlich auch. Aber so pauschal, wie Sie das hier vorschlagen, ist das nicht das Richtige. Die Unterstel lung, dass Menschen mit Behinderung pauschal aus geschlossen werden, ist infam und böswillig; die weise ich aufs Entschiedenste zurück.

Herr Kolle ge Lorenz, bleiben Sie bitte am Rednerpult; Frau Kol legin Celina hat sich zu einer Zwischenbemerkung ge meldet.

Herr Kollege Lorenz, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich die 315 Seiten nicht durchgelesen habe, bevor ich hier meine Rede gehalten habe.

(Andreas Lorenz (CSU): Doch. Wie kommen Sie sonst dazu, einen solchen Antrag zu stellen?)

Sie haben, glaube ich, unseren Gesetzentwurf nicht gelesen, obwohl er so kurz ist. Da steht nämlich nicht, dass wir den Artikel ersatzlos streichen wollen, son dern wir wollen ihn ersetzen durch die Formulierung: "Ausgeschlossen vom Stimmrecht ist, wer infolge Richterspruchs das Stimmrecht nicht besitzt." Genau das habe ich in meiner Rede auch sehr deutlich ge sagt. Uns jetzt vorzuwerfen, wir wollten die ersatzlose Streichung, halte ich absolut nicht für sinnvoll. Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass in der Studie steht, dass genau das nicht sinnvoll ist. Unser Ge setzentwurf ist so kurz, und da steht genau das drin.

Das Nächste. Sie haben gesagt, es stehe nicht drin, Menschen mit Behinderung bekämen pauschal das Wahlrecht entzogen. Da haben Sie recht. Aber Men schen mit Behinderung sind davon betroffen. Ich habe auch die Zahl der Menschen genannt, die unter Voll

betreuung stehen: 81.000 in Deutschland. Ich habe außerdem gesagt, dass in Bayern 204 von 100.000 Bürgern davon betroffen sind. Diese 81.000 in Deutschland, diese 204 von 100.000 in Bayern sind vom Entzug des Wahlrechts betroffen, weil sie unter schweren körperlichen und geistigen Einschränkun gen leiden, die eine Vollbetreuung notwendig machen. Genau das bedeutet aber nicht, dass sie nicht mehr in der Lage sind zu wählen. Die Tatsache, dass jemand vielleicht nicht die Möglichkeit haben sollte, sein gan zes Geld bei einem Einkauf auszugeben, heißt noch lange nicht, dass derjenige nicht eine verantwortliche Wahlentscheidung treffen können soll. Außerdem soll der Entzug des Wahlrechts durch einen Richter und nicht pauschal erfolgen. Genau das hat Ihr Innenmi nister Herrmann in seiner Rede vor zwei Jahren auch gesagt, nämlich dass das überdacht werden muss. Wir geben Ihnen jetzt die Chance, dies zu überden ken, aber Sie lehnen das schon wieder in der Ersten Lesung von vornherein ab. Das ist nicht in Ordnung und entspricht nicht demokratischen Prinzipien.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Celina. – Herr Kollege Lorenz, Sie haben das Wort.

(Vom Redner nicht autori siert) Noch einmal: Sie fordern die ersatzlose Strei chung der Nummern 2 und 3 – das werden Sie wohl nicht abstreiten. Die Expertenkommission hat sich selbstverständlich auch damit befasst, ob man oder wie man dies anders lösen könnte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass eine andere Lösung eben nicht sinn voll ist. Nehmen Sie das doch bitte einmal zur Kennt nis. Das ist nicht mein Ergebnis, meine Conclusio, sondern ich übernehme das Ergebnis der bundeswei ten Expertenkommission. Wäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen, würden wir hier wahrscheinlich auch anders diskutieren. Ich bitte Sie, wissenschaftli che Erkenntnisse einer unabhängigen Expertenkom mission einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen. Selbstverständlich maße ich mir nicht Entscheidungen über medizinische Sachverhalte an. Dafür gibt es ent sprechende Gutachter. Diese werden im Übrigen auch bei einer richterlichen Entscheidung herangezo gen. Sie fordern, dass das im Verfahren geprüft wird. Natürlich wird das im Rahmen der anderen Verfahren auch geprüft. Dies wird durch ein einzelnes Wahl rechtsverfahren, das Sie wollen, nicht besser. Des halb spricht sich die Expertenkommission – ich habe Ihnen Abschnitt 9.4 ja vorgelesen – auch gegen die sen Weg aus. Nehmen Sie das bitte einfach einmal zur Kenntnis.

Wenn die Kommission zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, würden wir natürlich eine Anpas sung vornehmen. Nachdem Wissenschaftler zu dem Ergebnis kommen, dass eine Änderung nicht notwen dig ist, sehen wir für eine Änderung auch keine Not wendigkeit. So einfach ist das.

(Beifall bei der CSU)