Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 116. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen: Am 11. November feierte Frau Kollegin Christine Haderthauer einen halbrunden Geburtstag. Ich wünsche ihr im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für ihre parlamentarischen Aufgaben.
Ich darf noch ausländische Gäste bei uns begrüßen, und zwar: Frau Kazuko Yamakawa aus Japan mit Begleitung. Sie ist in Oberfranken als Stifterin erfolgreich tätig gewesen.
Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Artenreichtum statt Armut durch Ackergifte. Für eine neue Landwirtschaftspolitik"
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Die Regeln für die Aktuelle Stunde sind bekannt. Die fraktionslosen Abgeordneten Claudia Stamm, Günther Felbinger und Alexander Muthmann können jeweils bis zu zwei Minuten sprechen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Sengl von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! "Artenreichtum statt Armut durch Ackergifte. Für eine neue Landwirtschaftspolitik" – das ist der ganze Titel unserer Aktuellen Stunde.
Wie sieht denn unsere Kulturlandschaft inzwischen aus? – Die Felder werden immer größer. Es gibt immer weniger Hecken und Feldgehölze. Es gibt keine Tümpel mehr, weil sie einfach zugeschüttet werden. Nasse Wiesen werden drainiert. Es gibt keine Feldraine und keine Straßensäume mehr. Gepflügt wird bis zum Bankett. Auf unseren maschinengerechten Äckern wachsen die Monokulturen für Biogas, Weltmarktmilch und Exportfleisch. Unsere Landschaft
Fangen wir beim Ackerboden an: Bodenlebewesen sind für die Fruchtbarkeit unserer Böden, für den Humusaufbau und den Wasserrückhalt extrem wichtig. Ackerboden ist die Lebensgrundlage unseres Daseins. Der Boden ist ein lebendiger und empfindlicher Organismus, und obwohl wir heute wissen, wie ausgelaugt, verödet und erodiert er ist, beuten wir ihn weiter aus. Der größte Helfershelfer dabei sind die Ackergifte.
Unserem ländlichen Raum fehlt das Leben. In den letzten Jahrzehnten verschwand die Hälfte des Bestandes von Motten, Wildbienen und Schmetterlingen. Diese Armutsentwicklung wird durch zahlreiche Erhebungen genauso belegt wie durch einen Blick auf die Windschutzscheibe. Dort gibt es nicht mehr viel zu sehen. Noch vor 15 Jahren musste man tatsächlich ab und zu stehen bleiben und die Windschutzscheibe händisch saubermachen, weil es die Scheibenwischer nicht mehr geschafft hatten. Davon kann heute keine Rede mehr sein.
Ganz allgemein sind Insekten nicht unsere Lieblingsspezies. Bienen und Schmetterlinge haben es zwar geschafft und inzwischen ein ganz positives Image. Spinnen aber finden wir eklig, Asseln grauslig, Stechmücken und Fliegen sowieso ganz furchtbar, und vor Wespen haben wir Angst. Ihr Verschwinden hat einen sehr bedrohlichen Hintergrund.
Nach einer kürzlich veröffentlichen wissenschaftlichen Langzeitstudie ist die Menge an Insekten um bis zu vier Fünftel zurückgegangen. Warum? – Insekten finden keinen Lebensraum und keine Nahrung mehr. Ackerwildkräuter sind der Lebensraum und die Nahrungsgrundlage von Insekten. Insekten wiederum sind die Nahrungsgrundlage von vielen anderen Tieren, vor allem von Amphibien und Vögeln. Diese Insektenstudie gilt in der Fachwelt als handfester, repräsentativer Beleg für das Ausmaß des Insektensterbens. Doch die Reaktionen der landwirtschaftlichen Meinungsbildner sind verblüffend.
Vor Kurzem gab es in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Artikel, in dem der Autor schreibt: Es ist ein veritables Problem, wenn Leute, die für das Insektensterben Mitverantwortung tragen, sich geistig derart abschotten, dass sie zum Lernen und Umdenken völlig unfähig geworden zu sein scheinen. – Woher kommt eigentlich dieses Verdrehen sachlichwissenschaftlicher Argumente, und woher kommt das Beharren auf einem naturschädigenden Wirtschaftssystem? Warum liegt den Akteuren der Landwirtschaft
Als Hauptverursacher für das Artensterben gilt der Einsatz von Ackergiften. Ackergifte machen keine Ausnahme. Sie bringen alles um – außer der einen Pflanze, die sie schützen sollen. Wenn wir weiterhin so bedenkenlos und in so großen Mengen Herbizide und Insektizide verwenden, vernichten wir über kurz oder lang unsere Lebensgrundlagen.
Wenn wir die Art der Landwirtschaft nicht verändern, wird das Artensterben nicht aufhören. Wir brauchen eine Ökologisierung der gesamten Landwirtschaft. Wir müssen es der konventionellen Landwirtschaft ermöglichen, umwelt- und tierfreundlicher zu arbeiten.
Aber auf allen politischen Ebenen weigert man sich, eindeutige Rahmenbedingungen zu schaffen. Besonders der CSU-Weg "Freiwilligkeit vor Ordnungsrecht" hat komplett versagt, auf Bundesebene und auch bei uns auf Landesebene.
Wir müssen uns quasi von der freien Wirtschaft sagen lassen, wohin der Weg gehen soll. Molkereien wie die Berchtesgadener Milchwerke in Piding – das ist eine Genossenschaftsmolkerei – beschließen einstimmig, dass sie ihren konventionellen Bauern den Einsatz von Glyphosat verbieten. Eine Molkerei bekommt das hin und wir in der Politik nicht. Das ist ein Armutszeugnis für uns in der Politik.
Wir GRÜNE wollen das verändern. Wir brauchen ganz klare Rahmenrichtlinien. Selbst Carl-Albrecht Bartmer, der DLG-Präsident, hat inzwischen schon zugegeben, dass es sicherlich möglich wäre, auf die Hälfte des Glyphosateinsatzes zu verzichten. Wenn schon ein Glyphosat-Befürworter wie Bartmer von einer Halbierung spricht, gibt es offensichtlich Lösungen für die konventionelle Landwirtschaft, um den Einsatz von Ackergiften deutlich zu reduzieren.
Wir GRÜNE habe dafür eine Pestizidminimierungsstrategie für Bayern erarbeitet. Eine Landwirtschaft der Zukunft, wie wir sie wollen, arbeitet mit den natürlichen Grundlagen und nicht gegen die Natur.
Unsere Pestizidminimierungsstrategie ist ein Angebot an die konventionelle Landwirtschaft. Wir wollen Landwirte und Landwirtinnen bei der Umstellung auf
eine pestizidfreie Landwirtschaft finanziell unterstützen. Wir wollen eine flächendeckende Beratung einrichten, die Bäuerinnen und Bauern dazu befähigt, mit weniger Pestiziden zu arbeiten. Wir wollen ein Verbot des Totalherbizids Glyphosat und der bienengefährlichen Neonicotinoide. Wir wollen die Forschung zur Agrarökologie deutlich ausbauen und an der Landesanstalt für Landwirtschaft Bewirtschaftungsmodelle zur Minimierung des Pestizideinsatzes einführen.
Unter anderem mit diesen Punkten – wir haben noch viele andere – wollen wir es schaffen, den Pestizidverbrauch deutlich zu reduzieren. Es geht um eine Reduktion um 50 % bis zum Jahr 2030. Das Ziel soll auf lange Sicht eine giftfreie Landwirtschaft sein.
Damit befinden wir uns übrigens im Einklang mit 80 % der Verbraucher. Das sollten sich alle Politiker einmal zu Herzen nehmen und nicht nur Lobbyarbeit für große, finanzstarke Konzerne betreiben, sondern Lobbyarbeit für uns, für unsere Bevölkerung und für unsere Bäuerinnen und Bauern.
Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat Herr Kollege Schöffel von der CSU das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich wirklich, warum die Kollegin Sengl im Bayerischen Landtag solche Reden hält und vom leblosen Boden spricht. Ich frage mich, ob Sie diese Reden schon einmal vor ihren grünen Agrarkollegen in Niedersachsen und NordrheinWestfalen gehalten haben, dort, wo eine ganz andere Agrarstruktur herrscht, dort, wo ein ganz anderer Gewässerzustand herrscht, dort, wo die GRÜNEN bis vor Kurzem – in beiden Ländern – regiert und den Agrarminister gestellt haben.
Und da beziehen Sie sich auf die Hobbyforscher von Krefeld, die in Bayern überhaupt keine Untersuchung gemacht haben.
Wir können in Bayern darauf verweisen, dass wir die kleinste, vielfältigste Agrarstruktur haben. Wir haben die meisten landwirtschaftlichen Betriebe, die beste Bioförderung und die meisten Biobetriebe sowie das beste Agrarumweltprogramm.
Darum müssen wir uns mit diesen Dingen schon etwas detaillierter auseinandersetzen, als es die Kollegin hier im Plenum und in irgendwelchen Filmchen im Internet macht.
Ich möchte darauf hinweisen: So wenig wie möglich Pflanzenschutzmittel einzusetzen, ist das Ziel jedes Landwirts. Daran zu forschen, wie es weniger werden kann, ist die Aufgabe vieler Fachleute in unserer Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, in den Hochschulen und auch in den Landwirtschaftsschulen.
Man muss immer wieder daran erinnern: Jede Überfahrt über den Acker kostet Geld. Das macht der Landwirt nur, wenn es unbedingt sein muss; denn sonst würde er sich selbst am meisten schaden. Unsere Landwirte bewirtschaften ihre Äcker nachhaltig, nach bestem Wissen und Gewissen. Sie denken auch an das Bodenleben, an Rückstände und an ihre Gesundheit.
Wir haben im Hinblick auf das, was unsere Bauern tun, in besonderer Weise Erfolge vorzuweisen. Wir fördern den ökologischen Landbau wie kein anderes Bundesland: 8.400 Betriebe, 270.000 Hektar Fläche. Allein im letzten Jahr haben 1.000 Betriebe umgestellt. Forschung und Förderung in diesem Bereich finden mit unserem Programm "BioRegio Bayern 2020" wie in keinem anderen Bundesland statt.
Jeder Landwirt, der Direktzahlungen beantragt, erbringt ökologische Leistungen durch alles, was man unter dem Thema Greening subsumiert: Fruchtfolgen, Stilllegungen, Zwischenfrüchte, Pufferstreifen, Erhalt des Dauergrünlandes, um nur wenige zu nennen, sind gute fachliche Praxis. Aber jeder zweite Betrieb geht darüber weit hinaus und leistet freiwillig einen Beitrag zur mehr Agrarökologie, was wir im Rahmen unseres Agrarumweltprogramms KULAP fördern, über 1 Million Hektar, fast 300 Millionen jährlich. Viele Maßnahmen werden ergriffen: Verzicht auf Düngung und/oder Pflanzenschutzmittel, Verzicht auf Intensivfrüchte, Anlage von Blühflächen, Wildsaaten, Hecken, Feldgehölzen, Beweidung von Grünland. Wir werden unseren Einsatz in diesem Bereich, für Blühflächen, für Pufferstreifen und Gewässerstreifen, auch noch erhöhen. Nur, ich war gestern erst bei einem Landwirt, der mir sagte, selbst beratende Einrichtungen sagten ihm, damit habe er sehr viel Ärger. Er hat nämlich eine Anlastung bekommen, weil der Pufferstreifen zu groß war. Auch das möchte die EU sanktionieren.
Wir müssen in diesem Bereich entbürokratisieren und die Dinge einfacher gestalten. Dann sind die Landwirte auch zu vielen Maßnahmen bereit. Aber wenn der Pufferstreifen sanktioniert wird, weil er zu groß angelegt ist, dann ist das doch Absurdistan, liebe Kolleginnen und Kollegen.
In der Zukunft werden wir in der Landwirtschaft noch vieles Innovatives bekommen. Derzeit erproben wir in der Ökosystemforschung und mithilfe der Digitalisierung neue Verfahren, wie zum Beispiel die teilflächenspezifische Bewirtschaftung und selbstfahrende automatische Hackroboter statt Herbizide. Vieles wird sich von selbst einstellen.
Ich frage Sie aber: Ist es ethisch vertretbar, dass wir geprüfte, zugelassene Pflanzenschutzmittel verteufeln und damit extreme Pflanzenverluste in Kauf nehmen, dass Pflanzen ganz oder teilweise absterben, dass weniger geerntet werden kann, und das, wo doch eine Milliarde Menschen weltweit hungert?