Protokoll der Sitzung vom 13.12.2017

Haben Sie es schon einmal versucht?

(Zurufe von der CSU: Ja!)

Haben Sie jemals schon einmal in dieses Infoblatt hineingeschaut? Nie im Leben!

(Zurufe der Abgeordneten Karl Straub (CSU) und Ernst Weidenbusch (CSU))

Herr Straub, wollen Sie von mir jetzt eine Antwort haben oder nicht?

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Dann erklären Sie Ihren Fraktionskollegen, dass ich jetzt entweder antworten oder mich durch Zwischenrufe stören lassen kann – wie Sie möchten.

In der "Bayerischen Staatszeitung" vom Juli 2017 können Sie die Namen der Vertreter der IHKs genau nachlesen, die davon gesprochen haben, welch eine Betteltour das ist und wie das verhindert wird. Dort steht, welche Schwierigkeiten den IHKs und den Betrieben im Hinblick auf die Arbeitsverträge zum Teil in den Weg gelegt werden.

Es ist völlig sinnlos, jetzt darauf zu verweisen, dass soundso viele Fälle genehmigt worden sind. Ich sage: Es könnten viel mehr Fälle genehmigt werden. Das wird aus der mittelständischen Wirtschaft berichtet. Das entspricht im Übrigen auch Ihrer und meiner Erfahrung im Petitionsausschuss.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER und der GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Herr Kollege Weidenbusch, Sie sind jetzt nicht dran.

(Markus Rinderspacher (SPD): Zum Glück nicht!)

Frau Kollegin, wir haben noch eine Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Kamm.

Sehr geehrte Kollegin Hiersemann, sicherlich stimmen Sie mir zu, dass es einige Fälle gibt, in denen das einfach geht, insbesondere wenn entsprechende Verwandte vorhanden sind, aber auch andere Fälle, in denen es sehr, sehr schwierig ist. Können Sie sich vorstellen, dass mir ein Ehrenamtlicher berichtet hat, dass er 10.000 Euro ausgegeben habe, um die Tazkira letztendlich zu beschaffen und die entsprechenden Verfahren für die Ausbildungsduldung in die Wege zu leiten?

Liebe Frau Kollegin Kamm, ich stimme Ihnen zu, dass in diesem Leben manches einfach und manches schwierig ist bzw. dass manches weniger kompliziert ist und anderes komplizierter, insbesondere Debatten über diese Thematik in diesem Hause.

Ich muss mir das nicht vorstellen können. Ich weiß, dass viele Ehrenamtliche ungeheuer viel Zeit und zum Teil auch private Mittel investieren. Das weiß ich auch von den Pflegeeltern aus Erlangen, die auf den Innenminister gehofft haben. Viele Ehrenamtliche verbinden sich eben auch emotional ungeheuer stark mit den jungen Leuten, für die sie sich einzusetzen versuchen. Deshalb kann ich mir den von Ihnen geschilderten Fall vorstellen.

Aber es ist unerheblich, ob ich mir das vorstellen kann. Erheblich ist, dass wir diese Praxis hier in Bayern endlich ändern.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER und der GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hiersemann. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Dr. Fahn. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Straub hat es heute zweimal gesagt, er hat es auch im Verfassungsausschuss gesagt: Es geht um Recht und Gesetz. Er sagt auch immer, Asylverfahren müssten in Prozesse der Arbeitsmigration überführt werden. Dazu sage ich Folgendes: Wir brauchen in Deutschland ein Einwanderungsgesetz. Nur weil wir kein Einwanderungsgesetz haben, ist das in dieser Form eben nicht möglich. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Deswegen bleibt trotzdem noch die Hoffnung auf die Bundesregierung, damit endlich auch in Deutschland ein Einwanderungsgesetz, zum Beispiel nach kanadischem Vorbild, entsteht. Dann müssen wir in diesem Zusammenhang eben Recht und Gesetze im Hinblick auf ein Einwanderungsgesetz ändern. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Dazu haben wir im Bayerischen Landtag auch schon einen Antrag gestellt, den Sie leider abgelehnt haben.

Kommen wir zum Antrag zurück. Der Antrag enthält drei Spiegelstriche. Unter dem ersten Spiegelstrich wird gefordert, Geduldeten, die nicht abgeschoben werden, einen vorläufigen Ausbildungsbeginn zu ermöglichen, auch wenn die Beschaffung von Pass-, Geburts- oder Abstammungsurkunden aus manchen Ländern mehrere Monate in Anspruch nimmt.

Wir wissen natürlich, dass ein gesetzliches Erwerbstätigkeitsverbot gilt – mit einem Erlaubnisvorbehalt. Wir wissen auch, dass Asylbewerber und Geduldete hierzu grundsätzlich die Erlaubnis durch die zuständige Ausländerbehörde benötigen. Für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis spricht die geklärte Identität, dagegen spricht die ungeklärte Identität.

Leider, das haben wir immer wieder festgestellt, dauert diese Prüfung eine sehr lange Zeit. Außerdem gibt es in Bayern – das wurde schon gesagt – unterschiedlichste Auslegungspraktiken der Ausländerbehörden. Deswegen ist es für uns FREIE WÄHLER wichtig, dass wir uns nicht trotzdem dagegenstellen, weil das in diesem Rahmen eben eine Ermessensentscheidung ist. Auch andere Punkte müssen noch geklärt werden. Deshalb ist diese Forderung im Dringlichkeitsantrag aus unserer Sicht richtig und nachvollziehbar, weil das insgesamt einfach zu lange dauert.

Die unter dem zweiten Spiegelstrich genannte Forderung, auf die Passbeschaffung von Geflüchteten im Asylverfahren zu verzichten, ist gestrichen – das ist richtig. Hierzu sagen wir ebenfalls Nein; denn die Passbeschaffung ist ein zentraler Punkt, um die Identität festzustellen. Eine Streichung dieser Pflicht wäre den Bürgern in Bayern, für die die Ausweispflicht weiterhin gilt, nicht zu vermitteln. Daher begrüßen wir natürlich, dass die GRÜNEN diese zweite Forderung gestrichen haben.

Kommen wir zum dritten Spiegelstrich, dem Aufzeigen praktikabler Wege zur Identitätsklärung für nicht in Afghanistan geborene Afghaninnen und Afghanen sowie für Afghaninnen und Afghanen ohne männliche Verwandte in Afghanistan. Es ist tatsächlich so: Ohne

die Tazkira ist es nicht möglich, bei den Behörden einen Pass zu erhalten. Das ist ein loses Blatt mit angetackerten Fotos und mit Stempeln, das häufig als Ersatz für eine Geburtsurkunde dient und einen Nachweis des Familienstammbaums darstellt.

Nun komme ich zu einem Problem, das Frau Hiersemann schon richtig eingeschätzt und dargestellt hat. Die Beschaffung einer Tazkira und damit der Erhalt eines Passes ist oft nicht möglich oder unzumutbar. Dazu nur zwei Beispiele.

Die Tazkira muss in Afghanistan persönlich – wie soll das für Geflüchtete möglich sein? – oder durch Verwandte vor Ort abgeholt werden. Für die Ausstellung zuständig sind die Behörden am letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort und auf Distriktebene. In einem Land, in dem kein Krieg herrscht, ist das vielleicht möglich, aber in einem Land wie Afghanistan oft nicht. Deswegen ist das relativ unpraktikabel und viel zu bürokratisch.

Ein zweites Beispiel: Haben Frauen keinen männlichen Verwandten oder wollen diese nicht, dass die betreffende Frau eine Tazkira erhält, dann kann die Betroffene die Tazkira nicht bekommen. Das ist eben Realität.

Das Ganze ist höchst kompliziert. Die bürokratischen Hemmnisse, die ich hier aufgeführt habe, sind ein konkretes Problem. Wir sehen hier konkreten Handlungsbedarf für die Staatsregierung, neue und praktikable Wege aufzuzeigen.

Leider gelingt das in den Ausschusssitzungen oft auch deshalb nicht, weil dann immer Herr Ministerialrat Sommer anwesend ist, der stets versucht, Sachverhalte sehr kompliziert zu erläutern, sodass man am Ende oft gar nicht weiß, was er am Anfang gesagt hat, aber das nur am Rande.

Ein Beispiel noch: Gut 3.000 junge Geflüchtete hätten in diesem Sommer eine Ausbildung beginnen können, aber nur in einem Drittel der Fälle gab es die Genehmigung. Es geht nicht, nur auf positive Erfolge zu verweisen, sondern man muss auch sagen, wo es Probleme gab. Wir meinen, dass wir hier neue praktikable Wege finden müssen. Im nächsten Jahr werden beispielsweise rund 110.000 Schüler aus den Berufsintegrationsklassen kommen. Die meisten sind bestens geeignet für unsere offenen Ausbildungsstellen.

Fazit: Die aktuelle Situation ist sowohl für Afghanen als auch für die heimische Wirtschaft, die auf der Suche nach dringend benötigten Lehrlingen ist, unzumutbar. Daher muss die Genehmigungspraxis – das ist unser Wunsch – der bayerischen Behörden verein

facht und realitätsnah gestaltet werden. Deshalb geht der Antrag der GRÜNEN in die richtige Richtung. Wir stimmen ihm zu.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Herr Kollege Fahn, einen Moment. – Der Herr Straub hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet.

Herr Kollege Dr. Fahn, Sie wollen also die Flüchtlingsproblematik mit dem Einwanderungsgesetz à la Kanada lösen. Da habe ich doch eine Frage an Sie: Wissen Sie eigentlich, wie viele Leute nach Kanada einwandern und wie viele Flüchtlinge darunter sind? Wenn Sie das immer so als Patentlösung beschreiben, müssen Sie doch eigentlich die konkrete Zahl sagen können, wie viele Flüchtlinge nach Kanada einwandern dürfen und wie viele da bleiben dürfen. Das müssen Sie dann eigentlich sagen können.

Und wenn Sie dann irgendwann eine Lösung gefunden haben, vergleichen Sie sie doch bitte einmal mit den 86.000 Flüchtlingen, die in Bayern anerkannt sind und den 49.000, die wir seit zwei Jahren in Arbeit gebracht haben. Ich vermute, Sie werden darauf keine Antwort geben können.

(Beifall bei der CSU)

Diese genaue Zahl aus Kanada kann ich Ihnen jetzt im Detail nicht nennen.

(Zurufe von der CSU)

Sie können ruhig Zwischenrufe machen. Ich kann Ihnen immerhin mindestens 20 bis 40 anerkannte Wissenschaftler nennen, die das kanadische Modell insgesamt geprüft haben.

(Zurufe von der CSU: Konkrete Zahlen, bitte!)

Es gibt auch noch andere Modelle, die ganz klar aufzeigen, dass ohne ein Einwanderungsgesetz die Lösung dieses Problems nicht möglich ist.

(Anhaltende Zurufe von der CSU)

Vielen Dank, Kollege Dr. Fahn. – Jetzt hat die Kollegin Claudia Stamm das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist von vorn bis hinten richtig und hat deshalb meine volle Unterstüt

zung. Allerdings ist für mich die Begründung etwas ergänzungswürdig. Es ist nämlich nicht so, dass die Staatsregierung versucht, Geflüchtete ohne gute Bleibeperspektive auszugrenzen, nein, sie grenzt auch Geflüchtete mit guter bis sehr guter Bleibeperspektive aus. Man muss nur einmal deren Bemühungen betrachten.