Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich eröffne die 129. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen Samstag wurden in der Stadt Münster bei einer Amokfahrt zwei Menschen getötet, über 20 wurden verletzt, einige darunter schwer. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und den Angehörigen, die ihre Nächsten auf so tragische Weise verloren haben. Ihnen wünschen wir Kraft und Beistand. Ebenso denken wir heute an die zahlreichen Verletzten, denen wir eine baldige und möglichst vollständige Genesung wünschen.
Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch drei Geburtstagsglückwünsche aussprechen: Am 28. März feierte Herr Kollege Berthold Rüth einen runden Geburtstag, am 5. April feierte Herr I. Vizepräsident Reinhold Bocklet einen halbrunden Geburtstag, und heute feiert unser Kollege Florian Streibl einen halbrunden Geburtstag. Ich wünsche Ihnen im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg, aber vor allem viel Gesundheit – herzlichen Glückwunsch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat einen Antrag zur Geschäftsordnung eingereicht. Wir bitten beim Tagesordnungspunkt 2 d – das ist der Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Wassergesetzes, Schutz der Gewässerrandstreifen – auch um die Aufnahme und Beratung eines Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion für ein Bayerisches Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gewässerrandstreifen und zur Änderung von Artikel 21 Bayerisches Wassergesetz. Im Grunde ist es parlamentsökonomisch sinnvoll, beide Gesetzentwürfe heute gemeinsam zu beraten. Ansonsten müssten wir nächste Woche im Plenum noch einmal darüber reden. Im Ausschuss werden beide Gesetzentwürfe miteinander beraten. Daher bitte ich Sie, der Aufnahme dieses Tagesordnungspunktes zuzustimmen.
Gibt es zu diesem Antrag noch eine weitere Wortmeldung? – Gibt es nicht. Dann können wir gleich über den Antrag abstimmen. Wer dem Geschäftsordnungsantrag zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. – Das sind die CSU-Fraktion, die SPD-Fraktion, die Fraktion der FREIEN WÄHLER, die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und Frau Kollegin Stamm (fraktions- los). Gibt es Gegenstimmen? – Keine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? – Keine Stimmenthaltung. Dann ist das einstimmig so beschlossen. Die Tagesordnung wird entsprechend ergänzt.
Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Freiheit verteidigen - Bürgerrechte schützen - Überwachungsgesetz stoppen"
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema "Freiheit verteidigen – Bürgerrechte schützen – Überwachungsgesetz stoppen" beantragt. Im Rahmen der Aktuellen Stunde dürfen die Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Hat eine Fraktion ein Benennungsrecht für mehrere Rednerinnen und Redner, kann auf Wunsch der jeweiligen Fraktion eine ihrer Rednerinnen bzw. einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit erhalten. Die fraktionslosen Abgeordneten Claudia Stamm, Günther Felbinger und Alexander Muthmann können hierbei jeweils bis zu zwei Minuten sprechen. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen. – Nun bitte ich als erste Rednerin Frau Kollegin Schulze ans Rednerpult.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Die Freiheit stirbt scheibchenweise. Sie von der CSU sind gerade im Begriff, eine große Scheibe von unserer Freiheit abzuschneiden.
Was Sie planen, führt nicht unbedingt dazu, dass Bayern sicherer wird. Aber es führt mit Sicherheit dazu, dass unsere Freiheits- und Bürgerrechte beschnitten werden. In der letzten Umfrage haben sich fast 60 % der Bayerinnen und Bayern gegen das CSU-Überwachungsgesetz ausgesprochen. Mich macht es persönlich froh, dass die Menschen laut werden und klar sagen: Nicht mit uns!
Wir lassen nicht zu, dass die CSU an unserem Rechtstaat rüttelt und unsere Freiheit einschränkt. Hier im Landtag halten wir GRÜNE seit Jahren die Fahne der Bürgerrechte hoch. Der Überwachungswahn der CSU hat schon vor längerer Zeit begonnen. Ich möchte daran erinnern: Die CSU hat 2016 das Verfassungsschutzgesetz verändert. Wir GRÜNE haben dagegen gestimmt und sind vor Gericht gezogen. Das Polizeiaufgabengesetz wurde letzten Sommer zum ersten Mal verschärft. Wir GRÜNE haben als einzige Fraktion dagegen gestimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den FREIEN WÄHLERN, ehrlich gesagt bin ich heute immer noch entsetzt, dass Sie sich im Sommer nur enthalten haben.
Auch gegen diese erste Novellierung sind wir vor Gericht gezogen. Ich kann die Opposition beruhigen. Die CSU sollte gut zuhören. Bisher steht es bei den Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof 1 : 0 für uns GRÜNE.
Kolleginnen und Kollegen, damit das Gericht aber nicht immer als letzte Instanz nacharbeiten muss, ist es doch unsere Aufgabe, hier im Bayerischen Landtag dafür zu sorgen, dass die Gesetze verfassungskonform verabschiedet werden. Dieser Aufgabe kommen Sie, liebe CSU, bei der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes eben nicht nach. Für uns ist klar: Die Polizei darf kein zweiter Nachrichtendienst werden. Das wurde auch in der Expertenanhörung vor zwei Wochen deutlich. Auch die Deutsche Vereinigung für Datenschutz warnt vor der Totalüberwachung durch die Verschärfung des bayerischen Polizeirechts. Allein mit dem schwammigen Verweis auf eine "drohende Gefahr" soll die Polizei künftig noch mehr Eingriffsbefugnisse bekommen, und das rein vorsorglich, also noch bevor eine Straftat begangen oder konkret geplant worden ist.
Jetzt fragt man sich vielleicht, was das im Einzelnen bedeutet. Das bedeutet, dass die Überwachung der Telekommunikation ausgeweitet wird. Sprich: Die CSU möchte, dass die Polizei schon bei der unscharfen "drohenden Gefahr" Handys abhören kann. Auch will die CSU, dass die Polizei direkten Zugriff auf private Computer bekommt und dazu auch heimlich die Wohnung von Betroffenen betreten darf, um etwa Cloud-Dienste und Speichermedien auszulesen.
Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Angriff auf unsere Privatsphäre, ein staatlich verpackter Spähmechanismus, den man nur mit der Brille der Macht, der Angst und der Engstirnigkeit erdenken und planen kann.
Wenn jetzt der eine oder andere fragt: "War es das schon?", dann muss ich antworten: Das war es noch nicht! Die CSU möchte auch die automatisierte Gesichtserkennung per Video einführen. Dabei ist Gesichtserkennung der Schlüssel zur Totalüberwachung. Bei der Gesichtserkennung ist es doch gerade das Ziel, immer in Echtzeit von jedem und jeder zu wissen – und zu speichern –, wo er bzw. sie gerade ist. Was passiert dann? Die Antwort ist einfach: Wer Daten hat, wertet diese auch aus. Das ist wirklich kein großes Geheimnis. Man weiß aus anderen Ländern, wohin so etwas führt.
Ich will nicht, dass in Bayern plötzlich Menschen mit irgendwelchen Algorithmen ermittelt werden können, die "wahrscheinlich" Verbrechen begehen werden. Soll künftig jemand, der zufällig einmal in der Nähe eines Terroristen aufgetaucht ist, auch verdächtig sein? Ganz ehrlich: Diesem Ansinnen müssen wir einen Riegel vorschieben!
Entscheidend ist bei der Auswertung von Videoaufnahmen immer: Sie muss im Einzelfall geschehen. Sie muss im Nachhinein geschehen. Sie braucht einen spezifischen Grund, das heißt, Voraussetzung ist ein spezifischer Verdacht. Anderenfalls ist dieser Eingriff in unsere Freiheit nicht zu rechtfertigen, erst recht nicht, weil die automatisierte Gesichtserkennung per Video noch enorm fehleranfällig ist.
Außerdem möchte die CSU buchstäblich in den Kern eines jeden einzelnen Menschen eindringen: Sie möchte die DNA-Analyse ausweiten. In Zukunft soll man auch die Augen-, die Haar- und die Hautfarbe, das biologische Alter sowie die biogeografische Herkunft des Spurenverursachers feststellen können. Ganz ehrlich: Das geht gar nicht.
Auch Deutschlands bekanntester Datenschützer, Dr. Thilo Weichert, kann über solche Ideen nur den Kopf schütteln. Ich zitiere ihn:
DNA-Daten sind besonders schutzbedürftig, weil sie höchst sensible Informationen über einen Menschen und seine Familie preisgeben und weil sie praktisch nicht anonymisierbar sind.
Ja, auch wir GRÜNE möchten, dass alle Menschen in unserem schönen Bayern frei und sicher leben können. Ehrlich gesagt möchten das auch die Menschen, die jetzt gegen das Polizeiaufgabengesetz auf die Straße gehen; denn beide Forderungen schließen sich nicht aus.
Ja, wir brauchen mehr Polizistinnen und Polizisten, damit die Polizei ihren Job weiterhin gut machen kann, damit sie ihren Überstundenberg abbauen kann und damit die Folgen der Pensionswelle aufgefangen werden können.
Und ja, wir wollen auch eine bessere europäische Zusammenarbeit; denn die Herausforderungen in den Bereichen Terrorismus, Gewalt und sonstige Kriminalität machen nicht an Landesgrenzen halt.
Ja, auch wir GRÜNE wollen in Demokratiebildung, Deradikalisierung und die Stärkung der Zivilgesellschaft investieren; denn gute Innenpolitik, Herr Herrmann, kümmert sich nicht nur um Repression, sondern auch um Prävention.
Da der andere Herr Herrmann auf der Regierungsbank gerade den Kopf schüttelt, kann ich Ihnen gleich einmal sagen, was wir nicht brauchen: Wir brauchen keine Einschränkung der Bürger- und der Freiheitsrechte.
Vielleicht haben auch beide mit dem Kopf geschüttelt. Für beide Herrmanns gilt: Einschränkungen der Bürgerrechte gibt es mit uns GRÜNEN nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, ich erwarte von Ihnen, dass Sie die verfassungswidrigen Eingriffsbefugnisse für die Polizei aus dem Polizeiaufgabengesetz zurückziehen.
Ich erwarte auch, dass Sie den Protest aus der Bevölkerung und die mahnenden Worte der Expertinnen und Experten ernst nehmen.
Ich kündige schon hier und heute massiven Widerstand an. Am 14. April wird in Erlangen eine große Demonstration stattfinden. Weitere Demonstrationen werden am 20. April in Nürnberg, am 21. April in Würzburg, am 25. April in Regensburg und am 10. Mai in München folgen. Ich sage Ihnen: Die Bürgerinnen und Bürger werden weiterhin auf die Straße
Kolleginnen und Kollegen, wir verteidigen unsere Freiheit gegen alle, die sie beschneiden wollen: gegen religiöse Fundamentalisten, gegen antidemokratische Autokraten – und in diesem Falle auch gegen die CSU.
Ich ende mit den Worten von Benjamin Franklin: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. – Das lassen wir GRÜNE nicht zu, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Vielen Dank.