Protokoll der Sitzung vom 18.04.2018

(Widerspruch bei der SPD und den FREIEN WÄHLERN)

Wir legen gesetzliche Grundlagen. Wir legen institutionelle Grundlagen. Wir setzen die Maßnahmen um, wo es geht. Dazu nehmen wir für den Nachtragshaushalt eine Milliarde Euro aus der Rücklage des Freistaates. Bei steigenden Reserven von über sechs Milliarden Euro ist dies mehr als solide und gut finanziert. Es gilt übrigens auch für die künftige Finanzpolitik, dass ein ausgeglichener Haushalt und die Schuldentilgung oberste Maxime bleiben. Wenn hier Kritik geübt wird, dann möchte ich eines klar äußern – ich habe das in den Medien schon gelesen –: Wie kaum ein anderes Land haben wir in den letzten Jahren Integration, Migration und Asyl massiv unterstützt und finanziert. Andere Bundesländer haben Kommunen alleingelassen. Andere Bundesländer haben weniger gezahlt. Wir leisten jedes Jahr einen großen Beitrag, auch jetzt wieder zwei Milliarden Euro. Wenn wir jetzt eine Milliarde Euro auflegen, ist es nur gerecht, nach der Hilfe für andere den Schwerpunkt wieder auf die einheimische Bevölkerung zu legen. Sie hat es verdient und erwartet es von uns.

(Beifall bei der CSU – Margit Wild (SPD): So separiert man!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bayern ist mehr als ein Bundesland. Bayern ist ein Lebensgefühl. Bayern ist ein Land, das Technik, Fortschritt und Tradition tatsächlich in gleicher Weise verbindet. Das macht uns ein Stück weit singulär. Viele andere tun sich schwer, Zukunft zu generieren und den Charakter zu behalten. Bei uns funktioniert das ganz natürlich. Bei uns ist es kein Gegensatz, dass der Kosmopolit im Trachtenverein, der Spitzenforscher im Kirchenchor oder der Pfarrer sogar auf Instagram ist. Meine Damen und Herren, das ist bayerisch. Das gibt es nur bei uns. Ich möchte, dass das auch so bleibt. Ich möchte nicht, dass wir von Berlin aus irgendeine Variante werden. Ich möchte nicht, dass wir irgendein

Bundesland werden. Wir sind Bayern. Wir Bayern sind ein Stück weit auch stolz darauf.

Dies ist nicht nur eine Regierungserklärung, sondern – das hat mir vorhin jemand zugerufen – eine Liebeserklärung an Land und Leute in unserem Land. Das gibt es nirgendwo sonst.

(Lebhafter Beifall bei der CSU – Zurufe von der CSU: Bravo!)

Wir wissen, dass wir nicht auf der Insel der Seligen leben. Wir wissen, dass sich die Welt verändert. Wir wissen, dass es manche Herausforderungen gibt. Wir müssen nicht wissen, woher die Winde wehen, sondern wir müssen wissen, wie wir die Segel setzen müssen. Das Programm, das wir vorlegen, baut auf hervorragenden Jahrzehnten guter bayerischer Politik auf. Politik wird jedoch jeden Tag weiterentwickelt. Jeden Tag gibt es neue Herausforderungen. Man muss sich jeden Tag anstrengen, um Bayern besser zu machen. Wir wollen, dass jeder in Bayern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat. Optimismus darf kein Privileg der Erfolgreichen sein. Alle sollen die Chance haben teilzuhaben.

Wir alle im Hohen Haus dürfen stolz und dankbar sein, Bayern und seinen Menschen dienen zu dürfen. Unser Ziel ist nicht einfach das Maximale, sondern das Beste für Bayern. Meine Damen und Herren, wir reden, schreien und streiten nicht nur darüber, sondern machen es auch. Wann? – Jetzt und heute. Das ist der Anspruch der Bayerischen Staatsregierung. – Herzlichen Dank!

(Zurufe von der CSU: Bravo! – Standing Ovations bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Aussprache. Die Redezeiten wurden im Ältestenrat vereinbart. Bevor jetzt Fragen entstehen, weise ich darauf hin, dass jede Fraktion natürlich sechs Minuten mehr Redezeit zur Verfügung hat. Damit hätten wir das auch geklärt. Jetzt darf ich die Aussprache eröffnen. Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Kohnen das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Anlässlich der Wahl des Ministerpräsidenten habe ich vor ein paar Wochen darüber gesprochen, was einen guten Ministerpräsidenten ausmacht. Heute möchte ich noch einen Punkt hinzu

fügen. Ein guter Ministerpräsident tritt souverän auf – auch im Umgang mit dem Parlament.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Ein souveräner Ministerpräsident stellt der Opposition den Text seiner Regierungserklärung am Vorabend zur Verfügung.

(Beifall bei der SPD)

Finden Sie das zum Lachen? – Für eine demokratische Auseinandersetzung über Themen ist das in allen anderen Bundesländern Brauch. So haben es andere bayerische Ministerpräsidenten früher auch gemacht. Der neue Bayerische Ministerpräsident tut das nicht.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN – Prof. Dr. Peter Paul Gantzer (SPD): Buh!)

Souveränität im Umgang mit dem Parlament sieht definitiv anders aus, Herr Söder.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Staatsregierung hat nur noch für sechs Monate das Mandat, die bayerische Politik zu bestimmen. Trotzdem ist es wichtig, heute nicht nur den Blick auf das halbe Jahr, das vor uns liegt, zu richten. Die Menschen in Bayern erwarten zu Recht, dass wir darstellen, was wir vor allem langfristig für Bayern erreichen wollen. Darüber sind wir uns alle einig.

Wir müssen uns zu Beginn dieser Debatte eine grundlegende Frage stellen: Welche Politik brauchen wir in Bayern? – In meinen Augen brauchen wir eine Politik, die die Menschen wirklich ernst nimmt, ihnen auf Augenhöhe begegnet und geprägt ist von Ehrlichkeit, Geradlinigkeit und Ernsthaftigkeit. Wir brauchen eine Politik des offenen Ohres. Wir brauchen aber vor allem eine Politik, die die Menschen in unserem Land stark macht.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung viel von Stärke gesprochen. Ich habe aber den Eindruck, dass wir von ganz unterschiedlichen Dingen sprechen. Es geht nicht um Kraftmeierei, Superlative oder Muskelspiele. Es geht um einen Freistaat, der sich für die Menschen stark macht.

(Beifall bei der SPD)

Es geht um eine Politik, die Menschen in ihrem alltäglichen Leben stark macht; denn wenn die Menschen stark sind, formen sie auch eine starke Gesellschaft, eine Gesellschaft, die auch diejenigen mitnimmt,

denen die Kraft einmal fehlt. Das ist eine Gesellschaft, in der jeder einen sicheren Platz und die Gewissheit hat, auch an seinem Platz bleiben zu können, wenn er das möchte.

(Beifall bei der SPD)

Eine starke Gesellschaft ist eine Gesellschaft des Zusammenhalts, aber auch der Offenheit, der Modernität und der Neugier. Herr Ministerpräsident, eine starke Gesellschaft hat keine Angst vor Neuem, Unbekanntem oder dem Anderen. Eine starke Gesellschaft gibt jedem echte Chancen und die Unterstützung, diese Chancen auch zu nutzen. In einer starken Gesellschaft können alle den Herausforderungen des Lebens und der Zukunft mit Zuversicht begegnen, und das von Anfang an.

Wer nicht von selbst auf starken Beinen steht, dem müssen wir als politisch Verantwortliche helfen. In Schweinfurt und Hof ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht. In ganz Bayern sind es 245.000 Kinder, eine Viertelmillion. Für diese Kinder, Herr Ministerpräsident, ist es unglaublich schwierig, die Zuversicht und das Selbstvertrauen zu gewinnen, um später fest und sicher im Leben zu stehen. Genau hier muss ein starker Staat ran.

(Beifall bei der SPD)

Für uns ist eine eigenständige Grundsicherung für Kinder genau der Weg dahin. Damit können wir nicht nur das Existenzminimum sichern, sondern auch ermöglichen, dass jedes Kind am sozialen und kulturellen Leben teilhaben kann. Dadurch wird die Familienförderung endlich sozial, wirklich gerechter und nebenbei übrigens auch unbürokratischer. Eine Kindergrundsicherung muss für einen wohlhabenden Staat wie unseren eine Selbstverständlichkeit sein. Sie, Herr Ministerpräsident, gehen an den Schwächsten einfach vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Eine Kindergrundsicherung gibt es also nur mit der SPD.

Ein Zeichen der Stärke und der Zuversicht ist es auch, jedem Kind in unserem Land die gleichen Startchancen zu geben. Wir müssen genau dies tun. Dafür brauchen wir nicht nur ausreichend Kitas. Im Moment fehlen 53.000 Krippenplätze. Wir brauchen auch Kitas, die nichts kosten. Die Devise für uns in Bayern darf eben nicht lauten "Kitaausbau mit hoher Qualität oder Kostenfreiheit", sondern "Kitaausbau mit hoher Qualität und Kostenfreiheit";

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Bravo!)

denn nur wenn beides gegeben ist, profitieren Kinder von Anfang an von bester Bildung. Das müssen wir möglich machen. Klar ist doch: Kostenfreie Kinderbetreuung macht Bayern stark. Dazu fehlt Ihnen aber anscheinend die Kraft. Die kostenfreie Kinderbetreuung in der Kita gibt es also nur mit der SPD.

Das wollen wir in den Schulen direkt fortsetzen mit einem guten Ganztag, und guter Ganztag heißt eben pädagogische Betreuung und nicht Verwahrung. Den guten Ganztag brauchen wir für alle Kinder, nicht nur für die, deren Eltern das bezahlen können und die dann wieder einen Vorsprung haben vor denjenigen, deren Eltern das nicht können. Die Staatsregierung kümmert das wenig. Sie geht weiter den Weg, auf dem Kinder aus Familien, die weniger Geld haben, selbst schauen müssen, wie sie klarkommen. Der Weg der SPD gibt allen Kindern die gleiche Unterstützung und macht sie stark; denn gute kostenfreie Kinderbetreuung und gute kostenfreie Ganztagsschulen machen Kinder heute stark.

(Beifall bei der SPD)

Sie helfen aber – jetzt kommt der Punkt – auch den Eltern; denn dadurch können Alleinerziehende so viel arbeiten, wie sie möchten und wie sie auch müssen. Dadurch können beide Partner in einer Beziehung arbeiten, und keiner gerät in die Abhängigkeit des anderen und in die Gefahr – darüber haben Sie kein Wort verloren –, dass im Alter die Rente nicht reicht.

(Beifall bei der SPD)

Für Hunderttausende Frauen in unserem Land ist aber genau das die Wirklichkeit; denn Frauen, die heute in Bayern in Rente gehen, bekommen im Durchschnitt nur 570 Euro aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei Männern ist es genau das Doppelte. Kein Wort dazu von Ihnen. Die Zahlen sprechen doch für sich. Altersarmut ist in Bayern weiblich, und ein Mann, Herr Söder, ist schlicht keine Altersversorgung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Ein starker Staat muss also alles dafür tun, dass die Menschen in unserem Land den Spagat zwischen Beruf und Kindern oder auch Pflege von Angehörigen bewältigen können, dass dieser Spagat kein gewaltiger Kraftakt wird und dass niemand, weder Frauen noch Männer, dafür im Alter Armut in Kauf nehmen muss. Wenn also eine Frau oder ein Mann die Arbeitszeit reduzieren will oder muss, um mehr Zeit für

die Kinder zu haben, Herr Ministerpräsident, oder um Angehörige zu pflegen, muss sie oder er genau in dieser Zeit Unterstützung bekommen. Ein bayerisches Familiengeld muss genau in dieser Zeit ansetzen. Damit wird der Unterschied deutlich, Herr Ministerpräsident. Nur das Paket aus einer eigenständigen Grundsicherung für Kinder, guter kostenfreier Kinderbetreuung, guten kostenfreien Ganztagsschulen und einem sozial gesteuerten Familiengeld gibt allen unseren Kindern die besten Chancen für die Zukunft und – das ist der Punkt – tritt der Altersarmut von morgen entschieden entgegen. Dieses Paket gibt es nur mit der SPD.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit komme ich zu der Sorge, die immer mehr Menschen in unserem Land umtreibt, sie schier verzweifeln lässt. Ich komme zur größten gesellschaftlichen Herausforderung, vor der wir heute als Freistaat stehen. Es ist die Frage nach einer bezahlbaren Wohnung, die in meinen Augen zur sozialen Frage der nächsten Jahre und Jahrzehnte in Bayern wird; denn landauf, landab, egal, wo man inzwischen hinkommt, fürchten Menschen, dass sie sich ihr Dach über dem Kopf nicht mehr leisten können, dass sie dort nicht leben können, wo sie leben möchten oder wo sie schon seit Jahrzehnten leben, dass sie ihre Heimat verlieren. Das betrifft Jung und Alt gleichermaßen.

Wenn Sie immer von Eigentum sprechen, Herr Söder: Diese Menschen haben nicht die Sorge, dass sie sich selbst kein Eigentum aufbauen können. Sie haben Angst, ihr Dach über dem Kopf zu verlieren. Das betrifft die Rentnerin in München, die mir kürzlich erzählt hat, dass ihr Haus luxussaniert wird, dass sie sich die Miete nicht mehr leisten kann und dass sie jetzt wegziehen muss. Sie zieht nicht ein paar Straßen weiter, nein, weil sie dort nichts finden wird, was sie bezahlen kann. Sie verliert das, was sie ihr Leben lang kannte: ihre sozialen Bindungen und ihre Heimat, nicht mehr und nicht weniger. Aber das ist so gut wie alles.

Das betrifft aber auch junge Studentinnen und Studenten. Ich habe kürzlich in Regensburg einen jungen Mann gesprochen, der zu mir sagte: Ich würde so wahnsinnig gerne mit meiner Freundin zusammenziehen. Ich kann das nicht, weil ich nichts finde, was ich mir leisten kann. – Diese Menschen, Herr Ministerpräsident, verlieren ihre Zuversicht und ihr Vertrauen in die Zukunft, in unser Land und auch in die Politik, weil sie eine Entwicklung sehen, die sie als ungerecht empfinden, und das zu Recht. Das schwächt unsere Gesellschaft.

Deshalb müssen wir in unserem Land die Wohnungsnot mit aller Kraft bekämpfen, und zwar gemeinsam; denn anders schaffen wir es nicht: also Kommunen, Bund und auch das Land. Die Kommunen bauen. Sie tun es. Städtische Wohnbaugesellschaften und Genossenschaften schaffen überall in Bayern bezahlbaren Wohnraum. Auch der Bund baut. Dafür haben wir Sozialdemokraten gesorgt. Der Bund wird auch in den nächsten Jahren bauen; denn die dafür notwendige Grundgesetzänderung wird kommen. Ich kann Ihnen eines sagen: Wir mussten das im Koalitionsvertrag in Berlin mit aller Härte durchsetzen; denn Ihre Kolleginnen und Kollegen in Berlin von der Union wollten diese Grundgesetzänderung definitiv nicht.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)