Protokoll der Sitzung vom 18.09.2018

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 139. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Ich darf Sie alle nach der Sommerpause mit auch gelegentlichem Durch

schnaufen sehr, sehr herzlich willkommen heißen. Wir gehen jetzt in den Endspurt und haben noch zwei Sitzungswochen mit Ausschuss- und Plenarsitzungen. Wie immer haben Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, darf ich Sie bitten, zweier verstorbener ehemaliger Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 13. Juli verstarb in Neumarkt im Alter von 75 Jahren Herr Dr. Josef Hierl. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1974 bis 1978 an und vertrat für die CSU den Wahlkreis Oberpfalz. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen arbeitete der Verstorbene als selbstständiger Anwalt. Von 1972 bis 1984 war er Mitglied des Kreistags von Neumarkt in der Oberpfalz. Im Bayerischen Landtag gehörte er den Ausschüssen für Fragen des öffentlichen Dienstes sowie für Sozial- und Gesundheitspolitik an, deren Arbeit er mit großem persönlichem Engagement prägte. Dr. Josef Hierl hat sich um den Parlamentarismus, um seine oberpfälzische Heimat, in der er eine Instanz war, und um ihre Bürgerinnen und Bürger große Verdienste erworben.

Am 2. September verstarb in Traunstein im Alter von 87 Jahren Herr Bruno Ponnath. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1982 bis 1994 an und vertrat für die CSU den Stimmkreis Tirschenreuth in der Oberpfalz. Von 1970 bis zum Inkrafttreten der Gebietsreform 1972 war er Landrat des Altlandkreises Kemnath. Im neuen Großlandkreis Tirschenreuth hatte er das Amt des stellvertretenden Landrats inne. Nach seinem Einzug in das Landesparlament machte er sich als verlässlicher Anwalt seiner oberpfälzischen Heimat und ihrer Menschen einen Namen. Er vertrat ihre Interessen in den Ausschüssen für Grenzlandfragen, für Landesentwicklung und Umweltfragen sowie für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik. Bruno Ponnath war ein Mann des Ausgleichs, der mit seiner menschlichen Art und seiner persönlichen Ausstrahlung überzeugte. Der Staat hat seine Verdienste mit hohen Auszeichnungen gewürdigt, unter anderem mit der Kommunalen Verdienstmedaille und dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse.

Der Bayerische Landtag trauert mit den Familien der Verstorbenen und wird ihnen ein ehrendes Gedenken bewahren. – Ich bedanke mich bei Ihnen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den zurückliegenden Wochen hatten einige Kolleginnen und Kollegen einen runden oder einen halbrunden Geburtstag. Hier darf ich als Erstem Herrn Kollegen Ludwig Hartmann zu seinem runden Geburtstag am 20. Juli gratulieren. Am 27. Juli feierte Herr Kollege Thomas Gehring, am 12. August Frau Kollegin Angelika Schorer und am 23. August Herr Kollege Tobias Reiß einen runden Geburtstag. Den Kolleginnen und Kollegen einen herzlichen Glückwunsch. Ich wünsche ihnen alles Gute, viel Gesundheit und weiterhin ein gutes Gelingen.

(Allgemeiner Beifall)

Nun darf ich zu halbrunden Geburtstagen gratulieren, als Erstem Herrn Kollegen Anton Kreitmair – er feierte am 14. Juli –; Herr Kollege Ernst Weidenbusch feierte am 19. Juli und Herr Kollege Klaus Stöttner am 11. September Geburtstag. Auch diesen Kollegen einen herzlichen Glückwunsch. Ich wünsche ihnen alles, alles Gute, viel Gesundheit und weiterhin ein erfolgreiches Arbeiten.

(Allgemeiner Beifall)

Nun beginnen wir mit der Tagesordnung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Verkehrswende jetzt! ÖPNV in Bayern stärken und in der Zukunft kostenfrei machen: Bürger entlasten, Stau bekämpfen, Luft reinhalten."

Ich darf Frau Kollegin Kohnen als erster Rednerin für die SPD-Fraktion das Wort erteilen. Zehn Minuten. – Bitte, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ein paar Wochen war ich in Maroldsweisach. Für diejenigen unter uns, die diesen Ort nicht kennen: Der Ort hat ein bisschen mehr als 3.000 Einwohner. Er befindet sich im weit nördlich gelegenen Landkreis Haßberge an der thüringischen Grenze. Bei meinem Besuch dort habe ich gesagt: Es darf nicht sein, dass Busse nur morgens und abends fahren. Bei dieser Aussage haben viele genickt, und ein paar fingen zu lachen an. Ich habe gefragt: Warum lachen Sie denn? – Die Antwort war: Die Forderung ist schon richtig, aber in Maroldsweisach gibt es keinen Bus. Es gibt überhaupt keine ÖPNV-Anbin

dung. Die Menschen im Landkreis Haßberge sind schlichtweg abgeschnitten und völlig abgehängt. Im Landkreis Haßberge gibt es keine Alternative zum Auto.

Schauen wir uns nun den Landkreis München an. Meine Kinder, die jetzt 18 und 21 Jahre alt sind, sind etwa 15 km außerhalb der Großstadt aufgewachsen. Sie haben keinen Führerschein. Sie haben aber auch überhaupt kein Bedürfnis, einen Führerschein zu machen. Ihre Einstellung ist: Wozu denn? – Wir brauchen keinen Führerschein. Ihre Freunde haben auch keinen Führerschein. In München haben bis zu 30 % der jungen Menschen keinen Führerschein. Das Auto ist in München keine Alternative; denn es wird nicht benötigt.

In Bayern existieren also schlichtweg zwei Welten. Für die einen ist der öffentliche Nahverkehr eine Selbstverständlichkeit, und für die anderen ist er praktisch nicht existent. Viele junge Leute ziehen aus dem Landkreis Haßberge weg. Sie verlassen ihre Heimat. Viele von diesen jungen Leuten fragen sich: Finde ich hier alles, was ich zum Leben brauche? – Einen Job, eine Schule am Ort, eine Gesundheitsversorgung und schnelles Internet. Sie fragen sich: Wie komme ich ohne Auto in die nächste Stadt? – Das alles hängt zusammen. Die ländlichen Regionen Bayerns haben nur dann eine Chance, wenn wir dort schnelles Internet schaffen, die Schulen in den Dörfern belassen und die Gesundheitsversorgung flächendeckend einrichten. Das Stichwort sind Pflegestützpunkte. Wir müssen vor allem für die öffentliche Verkehrsanbindung sorgen. Nur dann siedeln sich Unternehmen in den ländlichen Räumen an und schaffen Jobs.

(Beifall bei der SPD)

Die Mobilität ist der entscheidende Faktor für die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Regionen. Deshalb fordern wir, die SPD: In jedem Ort Bayerns muss tagsüber mindestens einmal die Stunde ein öffentliches Verkehrsmittel fahren, mindestens! Dieses Ziel, das muss klipp und klar gesagt werden, wurde von der bisherigen Regierung nie ins Auge gefasst. Für die Menschen in Maroldsweisach hat der Ministerpräsident eine Erklärung geliefert, als er kürzlich beim Wahlkampfauftakt in München sagte, Oberbayern sei das Herzstück Bayerns. Ich sage Ihnen aber eines: Die Menschen oben im Landkreis Haßberge ziehen ihre Schlüsse aus so einer Aussage. Das garantiere ich Ihnen. Wir, die SPD, sagen klipp und klar: Jeder Winkel Bayerns ist das Herzstück Bayerns. Vor allen Dingen aber ist jeder Mensch Bayerns das Herzstück Bayerns.

(Beifall bei der SPD)

Wer logisch denken kann, weiß doch, dass eine konsequente Politik für die ländlichen Räume auch den Städten hilft. Die Städte gehen nämlich unter dem Wachstumsdruck in die Knie. Das sehen wir beispielsweise an den Wohnungspreisen, an den Kita-Gebühren und auch am ÖPNV, der inzwischen aus allen Nähten platzt. Die direkten Auswirkungen des schlechten ÖPNV-Angebots wie die schlechte Luftqualität in den Städten sind in aller Munde.

Im Übrigen bekommt der Bundesverkehrsminister beim Thema Dieselgate den Mund nicht auf. Dabei ist es doch klar: Ein Autohersteller, der betrügt, muss dafür sorgen, dass die Autos jetzt wieder in Ordnung gebracht werden.

(Beifall bei der SPD)

Helfen Sie Ihrem Bundesverkehrsminister einmal auf die Beine, damit er endlich ein klares Bekenntnis zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern und zur Luftreinhaltung abgibt.

Daraus wird eines klar: Bayern braucht eine Verkehrswende. Wir brauchen sie, um das Klima zu schützen. Wir brauchen sie aber auch, damit Menschen in Bayern nicht mehr täglich im Stau stehen. Wir brauchen sie, um die Menschen unabhängig von ihrem Einkommen und ihrem Gesundheitszustand mobil zu machen. Verkehrswende heißt für uns: Niemand darf abgehängt werden. Die Menschen im Landkreis Haßberge dürfen nicht abgehängt werden. Die Menschen in München dürfen auch nicht abgehängt werden, indem sie sich das Ticket nicht mehr leisten können. Menschen mit gesundheitlichen

Einschränkungen dürfen nicht abgehängt werden, indem sie nicht einmal mehr den Einstieg in eine Bahn schaffen. Diese drei Herausforderungen müssen wir angehen.

Erstens. Wir müssen endlich ausreichend in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Der Anteil der Ausgaben für den Nahverkehr im Landeshaushalt ist über Jahre hinweg nicht so gestiegen wie der Gesamthaushalt. So geht es nicht. Nur wenn wir beständig investieren und das Angebot verbessern, bringen wir die Menschen endlich dazu, vom Individualverkehr auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist ein großes und zielgerichtetes Investitionsprogramm für den öffentlichen Nahverkehr notwendig. Dazu gehört ein Ausbau der S-Bahn im Großraum München und im Großraum Nürnberg-FürthErlangen. Dazu gehört die Weiterentwicklung der Tram zur Stadt-Umland-Bahn in Augsburg. Dazu gehört aber auch die Elektrifizierung des bayerischen

Bahnnetzes. Bisher ist nur etwa die Hälfte der Strecken elektrifiziert. In unserem Bundesland ist das eigentlich unvorstellbar.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört die dauerhafte Erhöhung der Zuschüsse für Fahrzeuge im Nahverkehr. Der Ministerpräsident hat das in seiner Regierungserklärung versprochen. Im Haushalt findet sich dieses Thema aber nicht. Das funktioniert nicht. Die Anbindung der ländlichen Regionen durch den öffentlichen Personennahverkehr darf nicht an den Landkreisgrenzen haltmachen. Wir brauchen auch einen vernünftigen Takt.

Zweitens. Mobilität ist ein Grundbedürfnis. Wer nicht von A nach B kommt, ist vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten. Öffentlicher Personennahverkehr muss daher bezahlbar sein. Unser Ziel als SPD ist es, den öffentlichen Personennahverkehr kostenfrei zu gestalten. Das wäre der stärkste Hebel bei der Verkehrswende: Einfach einsteigen und losfahren.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU)

Der kostenfreie Nahverkehr lässt sich nicht von heute auf morgen einrichten und organisieren. Das geht nur Schritt für Schritt. Der erste und wichtigste Schritt ist das kostenfreie Bildungsticket für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende.

(Beifall bei der SPD – Dr. Paul Wengert (SPD): Höchste Zeit!)

Bildung darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Kostenfreier Nahverkehr ist ein wesentlicher Beitrag zur Bildung für alle. Das gilt sowohl für die berufliche Ausbildung als auch für Studierende. Inzwischen können weder Auszubildende noch Studierende das Unternehmen bzw. den Studienort wirklich frei wählen, weil die Wahl von den nicht mehr zu bezahlenden Wohnpreisen bestimmt wird. Deswegen brauchen wir ein Bildungsticket. Der Zugang zu Bildung muss kostenfrei sein.

(Beifall bei der SPD)

Das sagt übrigens auch das Handwerk. Genau da würde ein Ticket helfen, so Franz Xaver Peteranderl, der Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern.

Ich komme noch einmal auf die Situation im Landkreis Haßberge zurück. Genau dort würde ein solches Bildungsticket ganz stark greifen. Deswegen brauchen wir es. Es ist spannend, wenn der Ministerpräsident für sich kurz vor der Landtagswahl plötzlich das 365Euro-Ticket entdeckt. Im Gegensatz zu seinen sonsti

gen Initiativen vor der Landtagswahl – das ist das Interessante daran – soll dieses nicht noch schnell vor der Landtagswahl eingeführt werden, sondern erst – man höre und staune – im Jahr 2030. Das ist in zwölf Jahren. Es soll nur in den städtischen Regionen eingeführt werden. Genau darum geht es bei dieser Landtagswahl: Bildungsticket mit der SPD jetzt oder erst unter Söders Nach-Nachfolgerin oder NachNachfolger? – Diese Entscheidung muss getroffen werden. Wir sagen klipp und klar: Wir brauchen den Einstieg in den kostenfreien ÖPNV jetzt und nicht irgendwann am Sankt-Nimmerleins-Tag. Dafür stehen wir.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Bravo!)

Schließlich müssen wir den Verkehr in Bayern endlich barrierefrei machen. Nah- und Fernverkehr auf der Schiene müssen für alle Bürgerinnen und Bürger nutzbar sein. Die Staatsregierung verspricht das seit Jahren. Aber Tatsache ist, dass nur 40 % der bayerischen Bahnhöfe für Menschen mit Behinderung uneingeschränkt nutzbar sind, 60 % sind es nicht. Das ist für den Lebensalltag eines Menschen mit Einschränkungen nicht erträglich und dient auch nicht unserem Zusammenhalt. In seiner Regierungserklärung zum Amtsantritt hat der momentane Ministerpräsident von Flugtaxis und Hyperloops gesprochen, aber nicht davon, wie Menschen mit Behinderung in unsere Bahnen kommen sollen.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Politik heißt vor allen Dingen, Prioritäten zu setzen. Zuerst sollte das getan werden, was den Alltag der Menschen tatsächlich verbessert. Die verkehrspolitischen Prioritäten der Staatsregierung heißen: Flugtaxis, Hyperloop und dritte Startbahn. Ein Flugtaxi mag eine hübsche Idee sein. Wer von uns stand in Bayern noch nicht im Stau und dachte sich: Jetzt einfach mal abheben? – Stellt man alle technischen und planerischen Fragen aber einmal beiseite, müssen wir uns fragen: Wer könnte ein Flugtaxi nehmen? Der Azubi auf dem Weg zur Ausbildungsstätte? Der alleinerziehende Vater zwischen Wohnung, Kinderkrippe und Arbeit? Die Rentnerin auf dem Weg zum Einkaufen oder zum Arzt? – Das zeigt doch klipp und klar, dass Sie die falschen Prioritäten setzen. Es geht nicht darum, die Geschäftsleute im Flugtaxi zu transportieren. Stattdessen geht es um das tagtägliche Leben der Menschen und darum, was jeder Einzelne als Herzstück Bayerns braucht. Die Menschen brauchen einen kostenfreien öffentlichen Personennahverkehr. Gehen wir endlich die ersten Schritte dorthin mit einem Bildungsticket, mit einem Seniorenticket und mit einem Sozialticket. Das ist der Weg.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Für die CSU-Fraktion darf ich jetzt Herrn Kollegen Rotter das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende der SPD, ich freue mich, dass Sie sich jetzt auch endlich für die Mobilitätsthemen interessieren.

(Widerspruch bei der SPD – Beifall bei der CSU)

Bisher stand das nicht in Ihrem Fokus. Ich kann das deswegen sagen, weil wir lange genug im Wirtschafts- und Verkehrsausschuss zusammengearbeitet haben. Ich weiß nicht, wie oft Sie schon in Maroldsweisach waren, vielleicht das erste Mal. Es ist nicht unbedingt gut, wenn Sie dann darüber sprechen. Zudem widersprechen Sie sich. Sie sagen, Maroldsweisach würde ein Bildungsticket wesentlich helfen. Vorher haben Sie gesagt, dort gebe es überhaupt kein Angebot. Sollen sich die Menschen das Bildungsticket hinter die Autoscheibe klemmen? – In diesem Punkt sollte man schon konsequent sein.