Protokoll der Sitzung vom 15.10.2014

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Natascha Kohnen, Inge Aures u. a. und Fraktion (SPD) Mit einem "humanitären Masterplan" für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik in Bayern sorgen. (Drs. 17/3362)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Gabi Schmidt u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Ein schlüssiges Gesamtkonzept in der bayerischen Asylpolitik voranbringen: Ein Bett für jeden Asylbewerber - Fluchtursachen angehen! (Drs. 17/3389)

Bevor ich die gemeinsame Aussprache mit dem Redebeitrag der Kollegin Kamm eröffne, gebe ich noch bekannt, dass die SPD in ihrem Antrag auf Drucksache 17/3362 zwei kleine Textänderungen vorgenommen hat.

Unter Punkt 2 dieses Antrages soll Satz 1 folgendermaßen heißen:

Weil die Flüchtlingsbewegungen … verschärfen werden,

und Punkt 8 soll folgenden Wortlaut erhalten:

Bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird eine bayernweite Verteilung und Betreuung sofort sichergestellt.

Der Antrag wird später mit diesen beiden Ergänzungen bzw. Änderungen zur Abstimmung gestellt werden.

Nun hat die Kollegin Kamm das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine Situation, die wir so schnell wie möglich beendet wissen wollen. Es ist eine Situation, bei der in Bayerns Asylpolitik Chaos herrscht, wo Flüchtlinge im Freien nächtigen, in Zelten, in irgendwelchen Außenlagern und wo Bezirksregierungen nicht mehr wis

sen, wo welche und wie viele Asylsuchende untergebracht sind. Wir haben eine Situation, in der Schutzsuchende ohne medizinische Erstuntersuchung in irgendwelche Schlafsäle mit Massenbetten verlegt werden und so nicht vor Ansteckungen geschützt werden können. Die Erstbefragung der Flüchtlinge, die eigentlich in der Erstaufnahme erfolgen soll, erfolgt oft erst nach Wochen oder Monaten, und die Flüchtlinge werden dann von den sogenannten Dependancen wieder zur Erstaufnahmeeinrichtung gefahren. Wir erleben Chaos und unwürdige Zustände in Bayern. Wir wollen diese so schnell wie möglich beendet wissen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Dieser Zielsetzung dient unser Antrag. Unser Antrag auf Drucksache 17/3356 wäre so nicht nötig gewesen, wenn die von den Oppositionsfraktionen bereits früher gestellten Anträge berücksichtigt und ernst genommen worden wären.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber nicht nur die Warnungen der Oppositionsfraktionen hätten ernst genommen werden müssen, sondern auch die Warnungen der Ehrenamtlichen, der Flüchtlingsinitiativen, der Wohlfahrtsverbände und der Kommunen. Gerade die Kommunen wissen sehr gut, was los ist. Sie sagen: So geht es nicht weiter. Es herrscht Chaos. Die Kommunen springen oft ein, sie managen, sie organisieren Hilfeleistungen und versuchen das Notwendigste, weil die Bezirksregierungen dazu nicht in der Lage sind.

Unser Dringlichkeitsantrag zielt in erster Linie darauf ab, die Bezirksregierungen wieder in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben sachgerecht zu erledigen. Sie müssen mehr Personal bekommen, und vielleicht muss auch Personal aus anderen Dienststellen sehr kurzfristig und schnell abgerufen werden.

Wir kritisieren, dass der Asylgipfel vom 9. September überhaupt nichts gebracht hat. Der Gipfel ging vorüber, ohne dass wesentliche Schritte gemacht wurden, um die anstehenden Aufgaben sachgerecht zu erfüllen. Das gibt zu denken. Insofern befürchten wir, dass weitere Katastrophenstäbe oder Krisenmodi nicht weiterhelfen. Vielmehr muss ein Umdenken bei den Rahmenbedingungen erfolgen. Die Rahmenbedingungen für unsere Asylpolitik müssen von bürokratischen Hemmnissen sowie engstirnigen Vorstellungen und Vorschriften vor allen Dingen vonseiten des Innenministeriums entlastet werden, bei denen die Flüchtlinge gezwungen werden, sehr lange in Gemeinschaftsunterkünften zu leben. Nicht zuletzt deshalb entsteht in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Überfüllung, weil

die Flüchtlinge nicht zeitnah weiterverlegt werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir wollen ein Ende des Jonglierens mit veralteten und menschenverachtenden Instrumenten in der Flüchtlingspolitik. Wir fordern eine Entbürokratisierung unsinniger Regelungen, und wir wollen, dass die Notunterbringung in Zelten bzw. im Freien insbesondere im Winter in unzumutbaren Unterkünften vermieden wird. Es ist höchste Eisenbahn, hier sachgerecht zu handeln.

Wir wollen auch eine Dezentralisierung des Erstaufnahmeverfahrens. So wie es jetzt gehandhabt wird, funktioniert es keine Stunde länger. 4.000 Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung sind zu viele. Das funktioniert nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen, dass auch die Ankündigung vom Asylgipfel umgesetzt wird, nämlich dass ein Betreuungsverhältnis von 1 : 100 bei der Asylsozialarbeit geschaffen wird. Wir fordern, dass diese Stellen bei der Erstaufnahme zu 100 % von der Regierung übernommen werden. Es ist gut, wenn die Wohlfahrtsverbände bei der weiteren Betreuung der Flüchtlinge einspringen, aber ich denke, bei der Erstaufnahme sollte der Staat seine Aufgaben erledigen. Wir wollen, dass er diese sehr schnell erledigt.

Woran es in den letzten Wochen sehr gekrankt hat, ist die umfassende Information der Kommunen, in denen Erstaufnahmeeinrichtungen vorhanden oder geplant sind. Es muss wesentlich mehr passieren, und es muss eine sachgerechte Information geben. Eine Kommunikation auf Augenhöhe statt eines Krisengipfels wäre hilfreicher und sinnvoll.

Es gibt an allen Ecken und Enden Menschen, die helfen wollen. Wir sollten sie einbinden und sollten sie nicht durch irgendwelche Sicherheitswachen daran hindern. Es war ein Beispiel in der "Süddeutschen Zeitung", wonach jemand Decken an diejenigen verteilen wollte, die keine bekommen hatten. Die Sicherheitswache hatte nichts Besseres zu tun, als die Polizei zu holen. Das spricht geradezu Bände. Wir brauchen eine Einbindung der Ehrenamtlichen, die helfen wollen; denn es gibt in Bayern viele Menschen, die helfen wollen und die nicht wollen, dass es so weitergeht, wie es derzeit getrieben wird. In diesem Sinn wünschen wir uns die Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke. Ich bitte jetzt den Kollegen Pfaffmann ans Rednerpult.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre besser, wir müssten über dieses Thema in diesem Hause nicht diskutieren. Das will ich vielleicht einmal an den Anfang stellen. Es wäre besser, wenn alles in Ordnung wäre. Es ist traurig, dass die Lage der Flüchtlinge in Bayern in diesem Hause eine Rolle spielen muss. Das sage ich zu Beginn meiner Rede.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einen Punkt am Anfang aufgreifen: Die Staatsregierung in Bayern für die Flüchtlingsbewegung, für Kriege und für die Katastrophen in der ganzen Welt verantwortlich zu machen, ginge mir auch zu weit. Ich will aber betonen: Für die Folge, dass Leute auf der Straße schlafen müssen, für die Folge, dass katastrophale Zustände herrschen und dass wir keinen Überblick mehr über die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen haben, für die Folge, dass die gesundheitliche Versorgung schlecht ist, für die Folge, dass Kinder nicht ausreichend betreut werden, sind ganz allein Sie verantwortlich und sonst niemand.

(Beifall bei der SPD)

Ohne die Wohlfahrtsverbände und die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer wäre die Lage noch viel dramatischer. Sie, lieber Herr Ministerpräsident, haben damit, dass es vielleicht noch einigermaßen geht, gar nichts zu tun. Sie stehen vor dem Scherbenhaufen Ihrer bewusst gewollten Flüchtlingspolitik der letzten Jahre.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Was haben wir und was sehen wir? – Wir sehen eine entmachtete Ministerin, die offensichtlich völlig unfähig ist, das Problem der Flüchtlingsbewegung in München und in anderen Städten zu lösen. Warum denn sonst, lieber Herr Ministerpräsident, hätten Sie sie entmachtet und ihr einen Aufpasser an die Seite gestellt?

(Beifall bei der SPD)

Wir sehen kein Konzept und keinen Plan, wie mit den steigenden Flüchtlingszahlen und der Zuwanderung umgegangen werden soll. Wir sehen die Berichterstattung in der Presse, die von chaotischen Zuständen spricht. Wir hören die Äußerungen der Spitzenverbände, zum Beispiel des BRK. Sie sprechen von einer humanitären Katastrophe. Wir lesen davon, dass wir einen Ministerpräsidenten haben, der angesichts der Lage nichts tut. Wir hören in diesem Parla

ment, dass der gleiche Ministerpräsident auf andere Länder mit den Fingern zeigt, während er im eigenen Land völlig versagt hat.

(Beifall bei der SPD)

Lieber Herr Seehofer, Sie haben das Recht, andere Länder in ihrer Flüchtlingspolitik zu kritisieren – so geschehen mit Italien –, komplett verloren. Ich gebe Ihnen den guten Rat: Lösen Sie ihre eigenen Probleme, bevor Sie auf andere schauen.

(Beifall bei der SPD)

Das Erste, was Menschen in Not, die zu uns kommen und Hilfe erhoffen, von Bayern sehen, ist möglicherweise eine Isomatte auf der Straße, und das im Vorzeigeland Bayern. Wir hören in diesem Plenum immer wieder, wie super, super, super wir doch sind. Wir hören immer wieder, wie toll wir doch sind, und das erste, was Menschen in Not von Bayern sehen, ist eine Isomatte auf der Straße, auf der sie dann übernachten müssen, und zwar ohne Betreuung und möglicherweise ohne Hilfe. Ist das das Beispiel in der Welt, das wir abliefern wollen? - Herr Seehofer, Sie sollten etwas demütiger werden, wenn es darum geht, die Vorbildfunktion Bayerns zu postulieren, und sich an Ihre Flüchtlingspolitik erinnern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Diese ach so christliche Partei nimmt seit Jahren – entgegen den Warnungen aller; nicht nur der politischen Parteien in Kauf, dass diese Lage so eingetreten ist. Sie haben das in Kauf genommen; anders kann man das nicht werten. Ich gebe Ihnen einen guten Rat – ich weiß nicht, ob Sie ihn annehmen wollen –: Gehen Sie in sich! Ein Zeichen von Größe wäre es, wenn Sie sich bei den Menschen, die auf der Straße schlafen müssen, entschuldigen würden. Sie sind verantwortlich dafür, dass sie auf der Straße schlafen müssen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Keiner traut Ihnen mehr zu, dass Sie dieses Problem in Bayern lösen. Wie anders ist es zu interpretieren, dass der Oberbürgermeister von München die Sache selbst in die Hand genommen hat? Die Kommunen nehmen Ihnen das Heft des Handelns aus der Hand, weil Sie nicht in der Lage sind, dieses politisch wichtige Problem dieses Jahrzehnts zu lösen.

Was wirklich dramatisch und was wirklich ärgerlich ist, und was Sie sich wirklich durch den Kopf gehen lassen sollten, ist, dass man nachweisen kann, dass Sie daran selbst schuld sind. Es ist schon angesprochen worden: Wie viele Anträge haben wir gestellt! Jedes

Jahr - 2009, 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 – haben wir mehrere Anträge gestellt, die alle das gleiche Ziel hatten, nämlich die Erweiterung der Erstaufnahmeeinrichtungen, die Erweiterung der Gemeinschaftsunterkünfte, die Verbesserung der Betreuungssituation und die Verbesserung der Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Jedes Jahr hat die Statistik parallel dazu ergeben, dass die Flüchtlingsquote steigt und steigt und steigt. Bei jeder Begründung dieser Anträge haben Sie erklärt, es gebe keine Veranlassung für eine Erweiterung der Betreuungsplätze. Das muss man Ihnen vorwerfen. Für diese gescheiterte Politik der letzten Jahre tragen Sie Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Wer erinnert sich nicht an das eiskalte Zitat Ihrer Ministerin, Herr Ministerpräsident, an das eiskalte Haderthauer-Zitat: Wem es hier nicht passt, der kann ja gehen. So viel Zynismus bei der derzeitigen Lage ist unerträglich, und auch das müssen Sie sich anhören. Ich darf Ihnen vielleicht noch in Erinnerung rufen, dass über Jahre ihr erklärtes Politikziel war: Abschreckung, Abschottung und Rückführung. Das Wort Hilfe ist nicht vorgekommen. Ich sage es ganz pointiert: Das Ziel war nicht Hilfe, sondern das Ziel Ihrer Flüchtlingspolitik war aus wahltaktischen Gründen das Bedienen populistischer Tendenzen in dieser Gesellschaft.