Protokoll der Sitzung vom 02.12.2014

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 31. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie die Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese ist - wie immer - vorab erteilt worden.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, weise ich darauf hin, dass der Tagesordnungspunkt 11 entfällt, da der Antrag im letzten Plenum am 27. November noch abschließend beraten werden konnte.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Mindestlohn in Bayern konsequent umsetzen: Guter Lohn für gute Arbeit!"

Ich bitte Sie, die entsprechenden Redezeiten einzuhalten, und darf als Erste für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Weikert bitten. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben für die heutige Aktuelle Stunde das Thema gewählt: Mindestlohn ab 01.01.2015 konsequent auch in Bayern einhalten. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ab 1. Januar 2015 ist eine der größten sozialpolitischen Reformen unserer Zeit.

(Beifall bei der SPD)

Es ist gut, dass die SPD dies im Koalitionsvertrag durchgesetzt hat und dass dieses Gesetz nach schneller Aktivität unserer Arbeitsministerin Andrea Nahles bereits am 01.01.2015 in Kraft tritt.

Aber wir alle wissen: Durch die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt ist noch lange nicht sichergestellt, dass der Mindestlohn auch tatsächlich bei den Menschen im Lande ankommt. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns findet zwar breite gesellschaftspolitische Akzeptanz, allerdings noch nicht bei allen Arbeitgebern und Wirtschaftsverbänden. Ich sage ausdrücklich: noch nicht bei allen. Es gibt zwar viele, die der Einführung wohlgesonnen sind, aber es gibt auch noch viele Zweifler, was die Diskussion in den letzten Wochen deutlich gemacht hat. Deshalb erfordert die konsequente Umsetzung eine aktive Gestaltung durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das zeigen auch die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern.

Konkret bedeutet dies, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nicht als Selbstläufer be

trachtet werden kann, sondern aktives Handeln erfordert.

(Beifall bei der SPD)

Worum geht es? – Zunächst geht es darum, dass jeder und jede ab 01.01.2015 seine bzw. ihre persönlichen Rechte kennen muss: unter 8,50 Euro darf keine Arbeitsstunde mehr abgerechnet werden. Dazu erwarten wir auch von der Bayerischen Staatsregierung, dass sie eine Informationskampagne in Gang setzt. Gegenwärtig ist noch viel zu wenig in Bewegung. Es gibt eine Hotline beim Bundesarbeitsministerium – auch mit einem hinterlegten Rechner -, durch die alle damit zusammenhängenden Fragen geklärt werden können. Bei der Bayerischen Staatsregierung ist weder im Internet noch durch Publikationen irgendetwas sichtbar. Im Grunde genommen müsste ab 1. Januar nächsten Jahres an jeder staatlichen Behörde – kommunal oder beim Freistaat Bayern – eine Broschüre ausliegen, ähnlich wie die vom DGB, etwa mit der Überschrift: Nutzt ihr eure Rechte? Kein Lohn unter 8,50 Euro.

(Beifall bei der SPD)

Es geht auch darum, dass die Vertreter der Staatsregierung bei all ihren Diskussionen, die reichlich geführt werden, deutlich machen – auch bei den Arbeitgebern -, dass kein Verstoß geduldet wird und dass das Gesetz nicht nur in Kraft tritt, sondern auch Realität wird.

Das Nächste ist genauso wichtig. Es bedarf einer effektiven Kontrolle, damit die Vorgabe des Mindestlohns tatsächlich eingehalten wird. Wir wissen, dass die Hauptzuständigkeit bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls liegt. Wir haben in den letzten Tagen gehört, dass – ich sage das an dieser Stelle ausdrücklich, weil es eine Berliner Entscheidung ist – die Personalstärke beim Zoll nicht so aufgebaut wird, dass tatsächlich eine effektive Kontrolle durchgeführt werden kann.

(Thomas Kreuzer (CSU): 1.600 Zollbeamte!)

Wir als Sozialdemokraten werden unseren Einfluss in Berlin geltend machen. Es kann so nicht bleiben. Die endgültige Personalstärke – jetzt nicht maulen – soll erst bis zum Jahr 2018 aufgebaut sein. Kollege Kreuzer, der Finanzminister gehört zum Unionslager, und deshalb fordern wir auch Sie auf, Ihren Einfluss in Berlin geltend zu machen. Dabei sind Sie genauso gefordert wie wir.

(Beifall bei der SPD)

Auch das Land Bayern kann sich nicht gänzlich aus der Kontrolle stehlen. Zum Beispiel sind die Gewerbeaufsichtsämter für die Kontrolle der Einhaltung von Arbeitszeiten zuständig, was gerade für Berufskraftfahrer ganz wichtig ist und wonach letztlich auch der Lohn berechnet wird.

Um was geht es? - Dazu ein kurzer Problemabriss. Laut Sozialbericht der Staatsregierung vom Mai 2014 arbeiten in Bayern fast 18 % der Vollbeschäftigten im Niedriglohnbereich. Das heißt umgekehrt, 18 % aller Vollbeschäftigten könnten von der Einführung des Mindestlohns profitieren. Es gibt also ein großes Betätigungsfeld in Bayern. In Bayern gab es übrigens im Jahr 2013 über 1,3 Millionen Arbeitsverhältnisse im Minijobbereich. Davon arbeiten über 800.000 ausschließlich im Minijobsektor. Hier gilt es insbesondere, die Arbeitszeit, die diesem Lohn zugrunde liegt, zu prüfen. Auch hier darf keine Arbeitsstunde unter 8,50 Euro entlohnt werden.

(Beifall bei der SPD)

Das wichtigste Betätigungsfeld hat aber der Freistaat Bayern als Arbeitgeber. Bayern hat im Haushalt, den wir nächste Woche verabschieden werden, eine Investitionsquote von 12,1 % festgeschrieben. Das sind 6,2 Milliarden Euro jährlich. Das ist eine hohe Summe, die direkt in den Wirtschaftskreislauf fließt. Da muss sichergestellt werden, dass alle Arbeitnehmer, die in Firmen arbeiten, die direkt vom Freistaat beauftragt werden, aber auch Arbeitnehmer bei Subunternehmen, die wiederum für Firmen arbeiten, die vom Freistaat beauftragt wurden, nicht für einen Betrag unter 8,50 Euro pro Stunde arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Bei öffentlichen Aufträgen darf es keinen Verstoß gegen den gesetzlichen Mindestlohn geben. Schließlich ist der Freistaat Bayern selbst Gesetzgeber und muss dafür sorgen, dass alle Gesetze eingehalten werden. Diese 6,2 Milliarden sind aber nur die direkten Investitionen. Unabhängig davon sind im Haushalt viele Millionen veranschlagt, mit denen eine direkte oder indirekte Förderung von einzelnen Projekten erfolgt. Mit einer solchen Projektförderung sind auch Personalkosten verbunden. Selbstverständlich gilt auch hier der gesetzliche Mindestlohn. Deshalb ist zu prüfen, ob die jeweilige Projektförderung – das geht hinunter bis zum Fahrdienst in Pflegeeinrichtungen – ausreicht, damit die Träger den Mindestlohn zahlen können.

(Beifall bei der SPD)

Auch bei jedem Caterer, bei jedem Hausmeister, bei jeder Reinigungskraft und auch bei Fremdvergaben

muss der Mindestlohn ankommen. Das gilt auch für Unternehmen, an denen der Freistaat Bayern beteiligt ist.

Leider ist es uns, der SPD, trotz mehrmaliger Versuche nicht gelungen, ein Tariftreuegesetz auf bayerischer Ebene zu installieren. Sachsen und Bayern sind die einzigen Bundesländer, die noch nicht über ein solches Gesetz verfügen und daher im Umkehrschluss keine Tariftreueerklärung bei öffentlichen Aufträgen verlangen müssen. Vor diesem Hintergrund hat der Freistaat Bayern als öffentlicher Auftraggeber wenig bis keine Erfahrung mit der Einhaltung des Mindestlohns. Mit der Verabschiedung eines Tariftreuegesetzes in den anderen Bundesländern wurden gleichzeitig landesspezifische Regeln und Verfahren festgelegt, die die Einhaltung solcher Standards bei solchen Aufträgen gewährleisten. Leider haben wir hier in Bayern wenig Erfahrung. Ich appelliere an die Staatsregierung, von anderen Bundesländern zu lernen. Die haben gute Kontrollsysteme aufgebaut, die sehr wirkungsvoll sind.

(Beifall bei der SPD)

Fakt ist allerdings, dass für den Freistaat Bayern ab 1. Januar 2015 Folgendes gelten muss: Als Arbeitgeber, als Auftraggeber, bei Abschluss von Werkverträgen, bei der Genehmigung von Fördergeldern für Projekte, bei Investitionszuschüssen und bei jedem Kleinstauftrag muss jede Arbeitnehmerleistung mit mindestens 8,50 Euro pro Stunde vergütet werden. Die öffentliche Auftragsvergabe ist eines der wichtigsten Mittel, um die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren. Man könnte bei öffentlichen Aufträgen Anbieter vom Bieterverfahren ausschließen. Das spricht sich in der Szene schnell herum. Hier müssen wir bei jedem Auftrag darauf schauen.

Zusammengefasst will ich sagen: Wir brauchen die Informationen, wir brauchen eine Kampagne. Jeder muss seine Rechte kennen. Im Anschluss daran muss effizient kontrolliert werden. Der Freistaat Bayern als Arbeitgeber muss seiner Verpflichtung nachkommen und tatsächlich bei allen öffentlichen Aufträgen – ich habe es ausgeführt – dafür sorgen, dass für keine Arbeitsstunde weniger als 8,50 Euro bezahlt werden. Dafür bitten wir um Ihr Engagement in den nächsten Wochen und Monaten.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. Für die Fraktion der CSU darf ich jetzt Herrn Kollegen Unterländer das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Liebe Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CSU

Landtagsfraktion steht nicht nur zu dieser Bundesregierung und zur Koalitionsvereinbarung. Sie steht auch ausdrücklich zum gesetzlichen Mindestlohn. Es ist eine gesellschaftspolitisch, arbeitsmarkt- und sozialpolitisch klare Feststellung und Aussage: Die Menschen müssen von ihrer Erwerbsarbeit auch leben können. Dazu gehört ein gesetzlicher Mindestlohn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings muss ich feststellen, dass wir im Freistaat Bayern weniger Branchen haben, die in besonderer Weise negativ vom Niedriglohn betroffen sind als in anderen Bereichen. Frau Kollegin Weikert, Sie haben von 18 % gesprochen. Ich stelle aber fest, dass es auch Bereiche gibt, in denen wesentlich mehr betroffen sind. Es muss alles getan werden. Wir befinden uns nicht nur in einer Koalition, sondern wir stimmen auch inhaltlich überein, dass die Vorgabe des Mindestlohns so vollzogen wird, wie es der gesetzgeberische und der politische Wille ist.

In dem Zusammenhang möchte ich vorab eines feststellen, Kollege Freller wird darauf hernach noch intensiver eingehen: Wie es in unserem Land nicht unüblich ist, wird bei gesetzgeberischen Maßnahmen häufig ein großer bürokratischer Aufwand geschaffen. Es war von 1.600 zusätzlichen Stellen in der Zollverwaltung und in der Finanzverwaltung die Rede. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mich schaudert ein bisschen bei der Überlegung, dass man eine ganze Armada dafür aufbaut, während auf der anderen Seite das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration zu wenig Stellen hat, um die Anträge schnell bearbeiten zu können.

(Beifall bei der CSU – Markus Rinderspacher (SPD): Die Stellen hat doch die Große Koalition geschaffen!)

Ich sage ausdrücklich: Ich will beides nicht gegeneinander ausspielen. Aber wenn wir Prioritäten setzen, ist es notwendig, auf diese Situation hinzuweisen.

(Zuruf von der SPD: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!)

Der Mindestlohn hat natürlich eine Auswirkung auf den Arbeitsmarkt. Ich denke zum Beispiel, dass die im Bundesgesetz vorgesehenen Ausnahmen im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit angewandt werden müssen. Wir wissen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit und die strukturelle Arbeitslosigkeit nicht allein durch konjunkturelle Maßnahmen bekämpft werden können, sondern dass es notwendig ist, gezielt zu fördern. Der Mindestlohn darf nicht zur Barriere bei der Anstellung Langzeitarbeitsloser werden. Wir wissen, dass es hierzu im Jahr 2016 eine Überprüfung geben wird,

und dabei wird – das gehört zur ganzen Wahrheit – sehr kritisch untersucht werden müssen, welche Auswirkungen der Mindestlohn auf den Arbeitsmarkt insgesamt hat. Ich sage das ausdrücklich als Befürworter der Regelung.

Man kann das bewerten, wie man will. Wenn jetzt, wie man hört, im Taxi-Gewerbe Probleme entstehen und es auch in anderen Branchen zu Schwierigkeiten kommt, fragt man sich, ob wir tatsächlich die richtigen Instrumente haben.

(Zuruf von der SPD: Die Taxifahrer wollen auch essen und trinken!)

Ich möchte ausdrücklich feststellen, dass es keinen Beruf geben darf, in dem man – ich habe das vorhin schon gesagt – von seiner Erwerbstätigkeit nicht existieren kann.

In diesem Zusammenhang ist mir auch noch wichtig festzustellen, dass die Allgemeinverbindlichkeit, bei der es bezüglich des Mindestlohns Ausnahmen oder Sonderregelungen gibt, ein ganz wichtiges Instrument ist. Ich wünsche mir – ich glaube, da sind wir uns eigentlich auch alle einig –, dass die Erleichterungen hinsichtlich der Verbindlichkeit von Tarifverträgen, wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, offensiv wahrgenommen werden müssen. Wenn das 50-Prozent-Quorum fällt und ein konkretisiertes öffentliches Interesse besteht, muss das aus meiner Sicht auch konkret umgesetzt und realisiert werden können. Das ist ein Appell an alle Verantwortlichen.

Über eines, Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns klar sein: Der Mindestlohn von 8,50 Euro ist eine Untergrenze.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Wie wahr!)

Wir sollten nicht einer Entwicklung Vorschub leisten, die die 8,50 Euro zu einer Regel werden lässt.