Protokoll der Sitzung vom 10.12.2014

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Herr Kollege Dr. Sepp Dürr von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir können von Glück sagen, dass wir in einem Rechtsstaat leben, der meist zu unserer Zufriedenheit funktioniert. Das ist natürlich nicht nur Glück, sondern sehr viel Arbeit aller daran beruflich Beteiligter. Dafür bedanken auch wir uns natürlich ganz herzlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ebenso verdanken wir das aber all denen, die immer wieder Kritik geübt haben und auf Missstände aufmerksam machen oder gemacht haben. Denen ist es genauso zu verdanken, dass sich unser Rechtsstaat weiterentwickelt. Das ist auch dringend nötig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Rechtsstaat ist kein glückseliger Zustand, der ein für alle Mal erreicht wird, sondern darum müssen wir immer wieder neu kämpfen in der juristischen Praxis wie in der Rechtspolitik. Nur wenn wir uns alle darauf einlassen, ständig neu nachzujustieren, bleibt unsere Justiz demokratisch auf der Höhe unserer Zeit. Da haben wir in Bayern alle Hände voll zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will nur ein paar Punkte benennen, wo wir dringend nachbessern müssen. Da ist zuallererst und am leichtesten die fehlende Fehlerkultur zu ändern, die das System einer veralteten Bürokratie ist. Beunruhigend und außergewöhnlich ist nicht, dass Richterinnen, Richter und Staatsanwaltschaften Fehler machen, sondern dass sie in Bayern offenbar besonders ungern dafür Verantwortung übernehmen und diese Fehler nicht korrigieren.

Ich nenne das ganz aktuelle Beispiel eines Mannes aus dem Oberallgäu, über den die "Zeit" kürzlich berichtet hat. Er saß sieben Jahre lang unschuldig im Gefängnis und muss sich jetzt mit der Justizbürokratie auch noch wegen einer Entschädigung herumschlagen. Auch in anderen Fällen falscher Verdächtigungen, grundloser Ermittlungen und schuldlos Eingesperrter findet niemand die Stärke, auch Sie nicht, Herr Minister, wenigstens um Entschuldigung zu bitten und zu versuchen, das Unrecht wiedergutzumachen. Wie gesagt, das ist leicht zu ändern und kostet fast nichts. Da müsste nur der Chef einmal mit gutem Beispiel vorangehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst der Papst hält sich heute nicht mehr für unfehlbar,

(Heiterkeit der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE))

aber die bayerische Justiz hält immer noch am Unfehlbarkeitsdogma fest.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Selbst dann, wenn Richter und Staatsanwälte mir ihrer Rechtsauffassung krachend Schiffbruch erleiden oder Ermittlungsverfahren kleinlaut einstellen müssen, wie beispielsweise in den Fällen Mollath, des Journalisten Denk und des BR-Reporters Bendixen, behaupten unsere Behörden hinterher, sie hätten nicht anders handeln können und alles richtig gemacht. Allein das ist schon unglaublich. Aber mindestens ebenso absurd ist, dass Sie, Herr Minister, diese abstruse Auffassung jeweils verteidigen und sich zu eigen machen. Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie doch viel mehr versprochen. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" haben Sie erklärt, zur Unabhängigkeit der Justiz gehöre auch die Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit, und zu einem Justizsystem gehöre, dass man zu Fehlern stehe. Dieser Satz ist richtig. Es muss Ihnen aber doch auch selbst einmal auffallen, dass Sie unter all diesen strittigen Fällen noch keinen einzigen Fall gefunden haben, bei dem Sie

das in die Praxis hätten umsetzen können. Warum denn, Herr Minister? Das kann doch nicht an den Fällen liegen. Es liegt daran, dass Sie mit dieser Fehlerkultur immer noch nicht angefangen haben. Fangen Sie endlich damit an; geben Sie ein Beispiel.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn mit Ihrer sturen Haltung bringen Sie die Menschen in Bayern erst richtig gegen unsere Justiz auf. Ihnen ist offenbar auch egal, wie viele Menschen hierzulande zu Unrecht festgenommen oder verurteilt wurden. Sie haben noch nicht einmal eine systematische Statistik zum Umfang der Haftentschädigung. Das ist blamabel. Sie wissen gar nicht, was passiert.

(Thomas Kreuzer (CSU): Ruhig bleiben!)

Anders als im Verfassungsausschuss hat jetzt im Haushaltsausschuss niemand mehr bestritten, dass es sogar in Bayern, in diesem gelobten Land, Justizopfer gibt. Aber wir sollten allen Menschen helfen können, deren Leben ohne eigenes Verschulden durch die Justiz aus der Bahn geworfen wurde. Das können wir noch nicht in allen Fällen greifen, was die vorhandenen Möglichkeiten zur Entschädigung angeht. Wir wollen auch in solchen Härtefällen unbürokratisch helfen können; wir wollen, dass Sie, Herr Minister, unbürokratisch helfen können. Zum Beispiel ist gerade heute in der Zeitung wieder von einem Mann zu lesen, dem eine Wiedergutmachung allein aus formellen Gründen verweigert wird. Da geht es nicht nur um Geld, da geht es darum, diese Menschen wieder einigermaßen mit dem Rechtsstaat zu versöhnen. Da fehlt oft nur eine kleine Geste. Warum ist diese Geste so schwer?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Insgesamt gibt es in Bayern einfach immer noch zu viele – und man fürchtet, es werden mehr – dubiose Vorgänge. Es gibt immer wieder Vorfälle, die den Eindruck verstärken, in Bayern werde mit zweierlei Maß gemessen, ganz nach dem Motto: Die Großen lässt man laufen. Ein Beispiel dafür ist der Fall Schottdorf, in dem es um viele Hunderte, wenn nicht Tausende betrügerische Ärzte geht, die Bayerns Justiz einfach so davonkommen lässt.

(Lachen der Abgeordneten Petra Guttenberger (CSU))

Wir haben dazu einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, der viel Arbeit hat. Ich habe dazu auch verschiedene Anfragen gestellt, und Sie haben mir neulich geantwortet. Ich verstehe das wirklich nicht, Herr Minister, wenn Sie behaupten, dass Sie diese Ärzte auch deswegen laufen lassen, weil sie sich vor dem

BGH-Urteil von 2012 auf eine unklare Rechtslage berufen könnten. Die Rechtslage war schon immer klar.

(Zuruf von der CSU: Quatsch!)

Natürlich, es war immer schon klar, dass dies Verstöße gegen die Gebührenordnung und gegen das Berufsrecht sind. Diese Rechtslage war immer schon klar. Außerdem heißt es ja, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Wenn dieser Leitsatz gilt, dann gilt er doch wohl auch, wenn die Ignoranz aufseiten der Behörde liegt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Höchst dubios sind die Vorgänge auch im Fall Bendixen. Die Vorwürfe gegen diesen BR-Journalisten sowie zwei LKA-Beamte waren völlig aus der Luft gegriffen, aber die Staatsanwaltschaft hat trotzdem erhebliche Grundrechtseingriffe auch im Fall des Journalisten beabsichtigt. Darüber werden wir noch gesondert sprechen; wir haben einen Bericht gefordert. Deswegen will ich in diesem Zusammenhang jetzt nur einen Aspekt aufgreifen: Die beiden überwachten LKA-Beamten haben nach Ihrer Auskunft, Herr Minister, "die ihnen nach dem Gesetz zustehende Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahme durch ein Gericht prüfen zu lassen, nicht wahrgenommen". Das stimmt. Warum haben sie das nicht gemacht? - Sie haben darauf verzichtet, weil man ihnen in Aussicht gestellt hat, dass die Wahrnehmung ihrer Rechte ihren unbescholtenen Ruf beschädigen würde und ihre Zuverlässigkeit in Zweifel stellen könnte, weil ihr Name dann bekannt würde und weil doch immer etwas hängen bleibe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das heißt, die Beschwerderechte der zu Unrecht Beschuldigten werden sogar hinterher noch systematisch untergraben. Das kann doch wirklich nicht Ihre Unterstützung finden, Herr Minister.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben bei Ihrem Amtsantritt erklärt, Sie wollten verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Das ist ehrenwert, aber so, wie Sie das jetzt machen, funktioniert das sicher nicht.

Schließlich machen wir uns auch Sorgen wegen der Überlastung der Justiz. Die beiden Vorredner haben es schon angesprochen. Die Justiz in Bayern ist seit Jahren chronisch unterfinanziert. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Ich habe nach dem Personalstand gefragt; für die Antwort haben Sie drei Monate lang gebraucht, sodass ich das jetzt leider nicht mehr in die Haushaltsberatungen einfließen lassen konnte.

Immerhin geht aus Ihrer Antwort aber hervor, dass die Arbeitsbelastung von Richtern und Staatsanwälten seit Jahren zu hoch ist und auch noch über dem schon zu hohen Bundesdurchschnitt liegt.

Das heißt, wir sind ganz weit vorne, wenn es darum geht, unsere Richter und Staatsanwälte zu überfordern. Aber Sie stellen das fest und begnügen sich dann mit ein paar neuen Stellen. Sagen Sie uns doch einmal, wie viel Prozent mehr Staatsanwälte und Richter das bedeutet. Das ist eine ganz bescheidene Summe, die deutlich unter dem bisherigen Aufwuchs insgesamt liegt. Das heißt, was Sie da jetzt neu einstellen, ist wirklich bescheiden. Und dann berufen Sie sich auf die Haushaltsdisziplin. Nachhaltig ist das nicht, dass wissen Sie doch selbst.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Allein schon finanziell kann es erhebliche Folgen nach sich ziehen, wenn unsere Justiz derart unterbesetzt ist. So kann das Vertrauen der Bevölkerung nicht wirklich wachsen; denn – auch das ist angesprochen worden – immer wieder werden Verdächtige auch bei schwerwiegenden Vorwürfen wie Vergewaltigung aus der Untersuchungshaft entlassen, und zwar nur, weil ihr Verfahren zu lange dauert und weil die Gerichte über zu wenig Personal verfügen. Das ist in den letzten fünf Jahren – eine neue Zahl – in Bayern 52-mal passiert, sagt der Minister. Das ist nicht wenig. Solche Missstände, Herr Minister, können Sie doch nicht einfach so hinnehmen und sagen: Das ist Haushaltsdisziplin. Da müssen Sie sich doch etwas überlegen!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie schon nicht mehr Personal durchsetzen können, warum versuchen Sie es dann nicht einmal mit einer längst überfälligen Aufgabenkritik? Auch dazu habe ich verschiedene Anfragen gestellt, um zu erfahren, wie es denn ausschaut und ob man manche Arbeiten nicht verringern könnte, indem man einige Tatbestände neu justiert. Aber da bewegt sich bei Ihnen offensichtlich gar nichts. Das ist aber dringend nötig.

Nur ein Beispiel: Am Wochenende hat die "Süddeutsche Zeitung" ausführlich über einen Patienten berichtet, der sich großem staatlichem Verfolgungseifer ausgesetzt sieht. Er darf, schreibt die "Süddeutsche Zeitung", legal Marihuana konsumieren, weil er nach einer Tumoroperation unter chronischen Schmerzen leidet. Trotzdem ist er jetzt den Schikanen der Augsburger Polizei ausgesetzt. Jetzt ermittelt auch noch die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Warum müssen bayerische Behörden solchen Menschen das Leben auch noch zusätzlich schwer machen? Das verstehe ich einfach nicht. Das ist mir nicht begreiflich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hat denn da niemand mehr ein Gespür für Menschlichkeit, für Verhältnismäßigkeit und dafür, was wirklich wichtig ist? Die haben dort doch genügend Arbeit; sollen sie sich doch um das Wichtige kümmern und nicht dauernd einen armen Kranken verfolgen. Was soll denn so etwas?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch in vielen anderen Bereichen könnte eine moderne Rechtspolitik eine Entkriminalisierung und somit eine Entlastung der Gerichte und der Staatsanwälte bringen. Das sind Maßnahmen, Herr Minister, die Sie in Ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich durchführen könnten, um unsere Gerichte zu entlasten. Packen Sie das doch endlich an!

Als Sie vor gut einem Jahr Ihr Amt übernommen haben, gab es zu Recht viel Kritik an der damaligen Amtsinhaberin und der bayerischen Justiz generell. Sie haben damals viel versprochen; Sie haben große Hoffnungen geweckt. Jetzt wird es wirklich langsam Zeit, dass Sie anfangen, diese Versprechen auch einzulösen. Gehen Sie einmal richtig an die Arbeit. Wir werden Ihnen schon helfen.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Guttenberger. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Wort zur Klarstellung: Wir reden im Moment über den Haushalt der Justiz. Ich kann verstehen, dass sich das nicht jeder ganz vergegenwärtigt, da man Haushalt ja auch im Gesamtgefüge sehen muss. Da geht es darum, dass wir keine Neuverschuldung mehr wollen und unsere Schulden zurückzahlen wollen. Die Ausgaben im Gesamthaushalt sollen die 3-%-Grenze nicht überschreiten, und gleichzeitig soll die Personalquote stabilisiert werden. Das ist der eine Eckpunkt.

Der andere Eckpunkt geht dahin, sich bewusst zu machen, wie wichtig eine leistungsfähige Justiz für Bayern für jeden einzelnen Bürger wie auch für jedes Unternehmen ist. Damit kommt der dritten Gewalt, wie Kollege Schindler so schön formuliert hat, eine besondere Bedeutung zu. – Aber, Kollege Schindler, eines vorweg: Sie sagten an Kollegen Rudrof gewandt: Wo sind wir denn? – Kollege Schindler, wir sind Gott sei Dank in Bayern. Ihre Aussage, dass die Justiz so schlecht arbeitet, dass man lange Verfahrenszeiten hat, stimmt nicht.