Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 35. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde wie immer vorab erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nach der sitzungsfreien Zeit sind wir heute für die Vollversammlung das erste Mal zusammengekommen. Ich darf Sie deshalb alle ganz besonders herzlich begrüßen. Ich freue mich, dass Sie Ihre Parlamentsarbeit gesund aufnehmen konnten und durften. Einige Kolleginnen und Kollegen von uns sind krank. Ihnen wünschen wir auf diesem Wege gute Besserung.

In diesem Jahr haben wir wieder viel Arbeit vor uns – packen wir es an. Dafür wünsche ich uns viel Mut, viel Optimismus und viel Tatkraft. Angesichts der aktuellen politischen Situation weltweit müssen wir im Parlament trotz der Meinungsverschiedenheiten bei Sachthemen und Zielen immer wieder deutlich machen, dass wir als verantwortliche demokratische Parteien im Parlament zusammenstehen müssen. Das muss den Menschen draußen deutlich und klar werden. In diesem Sinne bitte ich um eine gute Zusammenarbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich Sie bitten, sich zu erheben, damit wir einem ehemaligen Kollegen gedenken können.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 7. Januar verstarb im Alter von 89 Jahren Herr Dr. Eberhard Puntsch. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1978 bis 1982 an und vertrat für die FDP den Wahlkreis Oberbayern. Im Landesparlament engagierte er sich in den Ausschüssen für Eingaben und Beschwerden und zur Information über Bundesangelegenheiten. Von 1991 bis 1999 diente er der Thomas-Dehler-Stiftung in München als Vorstandsmitglied und Präsident.

Herr Dr. Puntsch war freier Schriftsteller. In seinen Werken setzte er sich immer wieder mit grundlegenden Fragen einer liberalen Gesellschaft auseinander, so zum Beispiel in dem Buch "Politik und Menschenwürde", das Mitte der Achtzigerjahre erschien. Sein wohl bekanntestes Werk ist eine mehrfach aufgelegte, umfassende Zitatensammlung, die noch heute im Präsenzbestand unserer Landtagsbibliothek steht.

Herr Dr. Puntsch war kein lautstarker, sondern ein feinsinniger Politiker; er bevorzugte die leisen Töne.

Sein Humor und seine profunde Bildung waren über die Fraktionsgrenzen hinweg geschätzt. Sein Rat war gefragt, sein Wort hatte Gewicht. Wir werden dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren und trauern mit seiner Familie. – Ich danke Ihnen.

Ich darf noch zwei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Einen halbrunden Geburtstag feierte am 13. Januar Frau Kollegin Annette Karl. Herzlichen Glückwunsch! Wir wünschen Ihnen alles Gute, vor allen Dingen Gesundheit.

(Allgemeiner Beifall)

Am 24. Januar hat Herr Staatssekretär Gerhard Eck ebenfalls einen halbrunden Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch! Wir wünschen Ihnen alles Gute und viel Gesundheit.

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darauf hinweisen, dass unsere Beratungen live im Internet in Gebärdensprache übertragen werden. Mich freut es ganz besonders, dass wir so weit sind. Unsere Aufgabe ist es, die Barrierefreiheit auch im Internet voranzubringen. Ich darf den Kolleginnen und Kollegen im Präsidium ganz herzlich für den Beschluss danken, dass unsere Beratungen nun auf Dauer live in Gebärdensprache übertragen werden. Wir hatten einen Versuch laufen, der sehr gut angekommen ist. Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher, die über das Internet zugeschaltet sind, übermitteln im Web-TV des Bayerischen Landtags live die Redebeiträge aus dem Plenarsaal. Mit diesem Angebot gehen wir mit gutem Beispiel voran, und wir wollen das gemeinsam miteinander ausbauen. Jetzt werden die Reden also nicht nur live, sondern auch in Gebärdensprache übertragen. In diesem Zusammenhang darf ich auch einmal wieder darauf hinweisen, dass wir damit streng unter Beobachtung stehen. Das ist für den Verlauf unserer Sitzungen ganz entscheidend.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion FREIE WÄHLER "Unternehmer nicht zu Bürokraten degradieren Runden Tisch 'Mindestlohn' einrichten"

Ich darf für die Fraktion der FREIEN WÄHLER Herrn Kollegen Glauber das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, verehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte Ihnen persönlich zur ersten Sitzung im neuen Jahr ein gesundes Neues Jahr

wünschen. Meine Großeltern haben mir beigebracht, dass man bis Mariä Lichtmess "ein gesundes Neues Jahr" wünschen darf und soll. So wünsche ich Ihnen für das neue Jahr Kraft und Gesundheit.

Die Debatte um den Mindestlohn beziehungsweise die Bürokratie für Mittelstand, Handwerk und Industrie ist aus unserer Sicht in der Aktuellen Stunde wichtig und richtig. Der Bayerische Landtag ist ebenso wie der Bundestag angehalten, gute Gesetze für Deutschland beziehungsweise für Bayern zu machen. Den Anspruch, gute Gesetze zu machen, sehen wir im Mindestlohngesetz als nicht erfüllt an. Um es gleich vorweg zu sagen: Es geht uns nicht darum, eine Debatte über die Höhe des Mindestlohns von 8,50 Euro aufzumachen. Es geht nicht darum, ob ein Lohn von 1.470 Euro im Monat gezahlt werden muss. Diese Frage ist entschieden. Ich glaube auch, es ist in unserer Gesellschaft wichtig, dass die Menschen einen Lohn von mindestens 1.470 Euro im Monat verdienen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Entscheidend ist, wie das Instrument des Mindestlohns umgesetzt wird. Ich möchte Ihnen aufzeigen, wie es Unternehmern und Freiberuflern wie mir als Architekten mit der Umsetzung dieser neuen Regelung ergeht.

Fangen wir mit den Dokumentationspflichten an. Wir haben in neun Branchen - mit dem Minijob in 10 Branchen -, die vom Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz erfasst sind, eine Dokumentationspflicht bis zu einem Umfang von 2.958 Euro Monatseinkommen. Sie müssen sich einmal überlegen, was das bedeutet. Gerade die Baubranche ist ein gutes Beispiel. Für sie gilt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Wir haben in Westdeutschland einen Mindestlohn von 10,53 Euro und in Ostdeutschland in einigen Bundesländern von 10,15 Euro. Der Mindestlohn im Baubereich übertrifft den Mindestlohn von 8,50 Euro. Wie kann man nun aber sicherstellen, dass dieser Mindestlohn eingehalten wird? Dazu wurde die SOKA-BAU eingerichtet. Ein Unternehmer kann sie bitten, die Nachunternehmer zu überprüfen. Wie Sie als Abgeordnete in Ihren Büros oder ich als Architekt die Minijobs überwachen sollen, müssen Sie mir später einmal erklären. Für mich ist es nicht so einfach nachzuweisen, wie viele Stunden der Mitarbeiter täglich geleistet hat.

(Zurufe)

- Wir werden Ihnen aufzeigen, warum das nicht geht.

Wir haben in unserem Architekturbüro Vertrauensarbeitszeit. Ich habe also weder eine Stechuhr noch eine elektronische Zeiterfassung. Ich halte es für gut, dass unsere Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbst erfas

sen. Wenn ich allerdings für die Zahlung des Mindestlohns haftbar bin, muss ich die Zeiterfassung letztlich selbst machen. Insofern müssten alle Mittelständler und Handwerker mit elektronischen Zeiterfassungssystemen ausgerüstet werden. Wenn das wirklich Ihr Ziel ist, haben Sie eine Bürokratie geschaffen, die aus meiner Sicht völlig falsch ist und die letztendlich Mittelstand und Handwerk belasten wird.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der CSU)

Damit wird das gute Instrument des Minijobs, der gerne angenommen wird und den ich begrüße, konterkariert. Damit wird nicht das Ziel erreicht, das wir erreichen wollen.

Ein weiteres Problem besteht in der Nachunternehmerhaftung. Die Nachunternehmerhaftung kann über die SOKA-BAU geregelt werden. In dem Gesetz ist aber die Situation nicht geregelt, wenn ich als Architekt als Generalplaner auftrete. Wenn ich als Generalplaner gegenüber einem Landkreis oder einer Kommune auftrete, muss ich mir Leistungen dazukaufen. Ich kaufe mir zum Beispiel die Statikleistung und die Tragwerksplanung dazu. Außerdem kaufe ich mir die Elektroplanung dazu. Daneben kaufe ich mir Planungen für Heizung- und Sanitärtechnik dazu. Wie soll ich nun feststellen, ob die Ingenieurbüros, die diese zugekauften Leistungen erbringen, auch wirklich den Mindestlohn von 8,50 Euro bezahlen? Sind diese Ingenieurbüros später nicht mehr auf dem Markt, bin ich für die Sozialversicherungsbeiträge haftbar und bin als Generalunternehmer verantwortlich, dass der Heizungsplaner oder der Elektroplaner seine Verpflichtungen erfüllt. Das kann doch nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, dass ich mich in die Gefahr begebe, später haftbar gemacht zu werden, wenn ich als Architekt eine Leistung zukaufe. Aus unserer Sicht sind das Verfehlungen, die sofort eliminiert werden müssen.

Ein weiteres Problem stellt sich beim Sport. –

Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?

– Das Beispiel des Sports muss ich noch bringen.

(Heiterkeit)

Der semiprofessionelle Sport ist mir wichtig. Ich habe als Student über den Landesligafußball ein bisschen Geld dazuverdienen können, indem ich als Jugendtrainer tätig war. Wenn heute jemand als Jugendtrainer tätig ist und mit der Mannschaft Fußball spielt, kommt er locker im Monat auf 90 oder 100 Stunden.

Diese 90 bis 100 Stunden werden häufig über einen Minijob entlohnt, was positiv ist, weil auf diese Weise Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden. Damit ist auch die Frage, ob damit Schwarzarbeit gefördert wird, vom Tisch. Nach dem derzeitigen Stand müsste ein Verein in einem solchen Fall bei 90 Stunden 900 Euro bezahlen. Wollen Sie, dass die Sportvereine entweder in den Diskriminierungsbereich geraten oder andere Verträge machen?

Herr Kollege, jetzt würde ich Sie aber wirklich bitten.

Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Für die CSU-Fraktion: Herr Kollege Unterländer. – Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Es hat einen gesellschaftlichen Konsens über die Einführung eines Mindestlohns gegeben. Zumindest hat es einen Konsens über das Ziel gegeben, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können müssen. Deswegen ist mit breiter Mehrheit ein Mindestlohngesetz zustande gekommen, das sich gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse und gegen die Generation Praktikum richtet. Besser ist es natürlich, wenn Gewerkschaften einen Tarifvertrag mit den Arbeitgebern abschließen, der den gesetzlichen Mindestlohn gar nicht erst erforderlich macht.

Was einen Spalt in die Gesellschaft bringt, sind die Kontrollvorschriften, die wenig praktikabel sind. Mit der Bürokratie ist das positive Ziel des Mindestlohns in den Hintergrund getreten. Die Kultur der Veränderungsbereitschaft in der Politik muss an dieser Stelle auch gefördert werden. Es ist kein Schaden, das Gesetz und die Vollzugsvorschriften zu ändern, wenn man erkennt, dass der Vollzug eines Gesetzes Probleme bereitet. Dazu muss sich der Bund bereit erklären; das ist dringend erforderlich.

(Beifall bei der CSU und den FREIEN WÄH- LERN)

Ich darf einige Beispiele nennen, bei denen der Vollzug und die Anwendung des Gesetzes Probleme bereiten und mit der Lebenswirklichkeit, die ja in einem Gesetz abgebildet werden soll, nicht viel zu tun haben.

Da gibt es Kommunen und Landkreise, die die Tagespflege auf einmal nicht mehr zu den bisherigen Bedingungen organisieren können, weil Tagespflegeltern

unter die Mindestlohnregelung fallen, und da können Praktikanten nicht mehr für eine vorübergehende Zeit bei Sozialverbänden beschäftigt werden. Den Sportbereich hat der Kollege Glauber bereits angesprochen. In den Gaststätten hat man die Sorge, dass häufig Zollbeamte die wirtschaftliche Realität bestimmen. Das kann aber eigentlich nicht Ziel des Gesetzes sein.

Ich darf an dieser Stelle – wir hatten vor einiger Zeit schon einmal eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema – noch einmal betonen: Es gibt in bestimmten Bereichen des Bundes einen Bedarf an Beamtenstellen, zum Beispiel beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um die Behandlung von Asylanträgen zu beschleunigen. Auf der anderen Seite wird eine Zollverwaltung mit 1.600 Stellen aufgebaut. Da müssen die Prioritäten geändert werden, um den Bedürfnissen entsprechen zu können.

(Beifall bei der CSU)

Als gutes Beispiel sind die ambulanten Pflegedienste genannt worden; denn für die Pflegearbeit müssen nicht nur die Aufzeichnungspflichten beachtet werden, sondern auch noch die Arbeitszeit muss minutiös in einer Form aufgeführt werden, die die Arbeit in der Pflege behindert. Die deutsche Kultur der Verkomplizierung ist ein Zeichen dafür, dass schnellstmöglich Veränderungen angestrebt werden müssen. Es ist notwendig – das ist unser Ziel –, dass die Vollzugsbestimmungen, die Probleme bereiten, schnellstmöglich geändert werden. Nur dann wird es möglich sein, den Mindestlohn mit Leben zu erfüllen.

Meine Damen und Herren, ich bezweifle, dass das Kontrollziel, nicht nur den Mindestlohn einzuhalten, sondern auch die Schwarzarbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen, mit einer Aufzeichnungspflicht erreicht werden kann. Sankt Bürokratius ersetzt die Realität. Deswegen ganz klar die Botschaft: Ja zum Mindestlohn und zu politischen Initiativen zur Bekämpfung der Auswüchse des Gesetzes, aber Nein zu einer starren Bürokratie statt einer effektiven Überwachung.