Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Martin Güll, Natascha Kohnen u. a. und Fraktion (SPD) Sofortprogramm für die Beschulung junger Flüchtlinge (Drs. 17/5003)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Frau Kollegin Wild von der SPD.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer heute sehr aufmerksam den "Münchner Merkur" gelesen hat, konnte unter der Überschrift "Der Weg aus der Isolation" folgende Zitate finden. "Für einige Asylbewerber kann es Jahre dauern, bis sie von staatlicher Seite einen Deutschkurs ermöglicht bekommen." So Irene Martius. Und Christine Loibl, VHS-Referentin für Sprachen und Integration, führt aus: "Es ist dringend nötig, dass es endlich eine flächendeckende staatliche Förderung für die Kurse gibt." Des Weiteren kann

man diesem Artikel auch entnehmen, dass nicht alle Kommunen und Gemeinden die Möglichkeit haben, Deutschkurse anzubieten. Es gibt lediglich 40 solcher Gemeinden in Bayern.

Wie behelfen sich nun die Volkshochschulen weiter? Es gibt Volkshochschulen, deren Gemeinden ausreichende finanzielle Mittel haben und die ausreichende Unterstützerinnen und Unterstützer finden, sodass sie diese so wichtigen Deutschkurse kostenlos anbieten können. Aber ist es denn chancengerecht, wenn Kommunen, die ausreichend Mittel haben, ihre Volkshochschulen unterstützen und damit Sprachkurse ermöglichen können, andere aber, die finanziell schlechter dastehen, diese Kurse nicht anbieten können?

Da hilft es nicht weiter, wenn die Kolleginnen und Kollegen der CSU in ihren schönen Reden alle Fragen abtun und lediglich sagen, jeder, der möchte, kann diese Chance ergreifen und einen Sprachkurs besuchen. Die Realität sieht anders aus, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich nun einen Blick auf unsere Schulen richten, zum einen auf die beruflichen Schulen und zum anderen auf die Regelschulen. Sie sollten sich bewusst machen, mit welchem persönlichen Engagement, mit welcher Kraft, mit welchem Idealismus sich die Lehrkräfte in diesen Schulen den Herausforderungen stellen, die aufgrund der momentanen Situation auf sie zukommen. Sie kommen sowohl in den Übergangsklassen auf sie zu, wo es in den Städten möglicherweise noch ein bisschen einfacher ist, als auch in den Klassen auf dem flachen Land, wo die Kinder einfach in der Klasse sitzen und keine zweite Person zur Unterstützung da ist.

Herr Waschler, Sie schütteln den Kopf. Sie sollten sich einmal mit den Lehrkräften unterhalten, die sich dieser schwierigen Aufgabe stellen. Das sind nicht wenige. Diese Lehrkräfte sagen Ihnen etwas ganz anderes. Sie schildern, dass es oftmals über ihre Kräfte geht, weil sie es mit Kindern zu tun haben, die schwer traumatisiert sind. Sie haben es mit Schülerinnen und Schülern zu tun, die oft aus sehr schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. Sie haben es mit Schülerinnen und Schülern zu tun, die zu Hause keine Rückzugsmöglichkeiten haben, um intensiv zu lernen.

Sie haben es mit Schülerinnen und Schülern zu tun, die in der Altersstreuung sehr weit auseinanderliegen, und sie haben es mit Schülerinnen und Schülern zu tun, die zum Teil Analphabeten sind und zum Teil Kenntnisse in zwei oder drei Sprachen haben. Das ist eine riesige Bandbreite, mit der die Lehrkräfte an den

Schulen zu kämpfen haben, nicht zu vergessen die Laut- und Schriftsprache, die auch sehr unterschiedlich ist.

An dieser Stelle muss man sagen – das halte ich ganz deutlich fest –, dass diese Kinder der Schulpflicht unterliegen. Sie haben ein Recht auf angemessene Unterrichtung. Sie haben das Recht auf eine angemessene Zahl von Personen, die sich um sie persönlich kümmern, und auf angemessenes Unterrichtsmaterial.

Dafür sind aber – auch das sage ich in Ihre Richtung – nicht in erster Linie die privaten Initiativen oder die Kommunen zuständig, sondern dafür ist der Freistaat zuständig.

(Beifall bei der SPD)

Der Freistaat hat diesen Bildungsauftrag zu erfüllen. Dem kommt er aber nicht in ausreichendem Maße nach. Ich will jetzt nicht wieder wie bei meinem letzten Beitrag sagen: Ich nehme das zur Kenntnis; es gibt Angebote. Da stimme ich Ihnen durchaus zu. Aber diese Angebote reichen bei Weitem nicht aus.

Und dann ist noch etwas festzustellen. Es handelt sich zum großen Teil um hoch motivierte Kinder und Jugendliche, deren Fähigkeiten und Potenziale wir nützen müssen. Wir müssen diesen Kindern und Jugendlichen jede denkbare Chance geben und dürfen ihnen die Chancen nicht verbauen. Sie sagen doch immer: Auf den Anfang kommt es an. Dann kommt es aber auch darauf an, dass wir möglichst versuchen, individuell auf diese Schülerinnen und Schüler einzugehen.

Ich habe Ihnen jetzt diese große Heterogenität in aller Bandbreite geschildert. Da muss man doch nachvollziehen können, dass das ein einziger Lehrer in einer Klasse mit oft über 20 Schülerinnen und Schülern nicht schaffen kann.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo!)

Einerseits hat der Lehrer oder die Lehrerin den Auftrag, die Flüchtlingskinder angemessen wahrzunehmen, ihre Fähigkeiten und Talente zu erkennen, sie zu fördern und ihnen Chancen zu ermöglichen, andererseits muss er oder sie auch den anderen Schülerinnen und Schülern gerecht werden. Es darf nicht sein, dass man dadurch, dass man die einen fördert, die anderen vernachlässigt. So schaut es aber aus. Da wird es dann gefährlich; denn wenn so ein Ungleichgewicht herrscht, stehen Eltern sehr schnell auf der Matte und sagen: Da steht der Lehrer alleine drinnen, der sich um die Flüchtlingskinder kümmern muss, das ist alles schön und recht, aber was ist mit

meinem Kind? – Da fängt so manche Abneigung, so manches Ressentiment und so manche Ablehnung gegenüber ausländischen Kindern und Jugendlichen an. Das darf man nicht einfach wegschieben, das gibt es. Deshalb muss man die Lehrkräfte unterstützen, damit beides möglich ist. Alle Schülerinnen und Schüler haben das Recht auf eine adäquate Förderung, egal woher sie kommen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb müssen sie nachvollziehen können, dass wir dieses Dilemma sehen und die Defizite erkennen, weil wir weder den zu uns kommenden Kindern und Jugendlichen Chancen verbauen wollen noch weil den hier lebenden und deutsch sprechenden Kindern Nachteile erwachsen dürfen. Da müssen wir für eine Gerechtigkeit und in den Klassen nach Möglichkeit für ein Zwei-Pädagogen-System sorgen. Mit Blick auf stark traumatisierte Kinder und Jugendliche müssen wir es auch schaffen, ausreichend Sozial- und Heilpädagogen in die Klassen hineinzunehmen. Aber das geht nun einmal nicht ohne Geld.

Wir haben gesagt, auch Material ist dringend notwendig. Dass Lehrkräfte in ihrer freien Zeit oft selber Arbeitspapiere und Arbeitsmaterialien erstellen und Kopiergeld aus der eigenen Tasche bezahlen, kann wohl nicht sein. Der Staat hat auch für Lehrkräfte eine Fürsorgepflicht und deshalb ausreichend Unterrichtsmaterialien und Arbeitsblätter zur Verfügung zu stellen. Das ist außerordentlich wichtig.

Ein weiterer Punkt ist die Sprache als wichtiger Schlüssel zur Welt oder als Weg aus der Isolation, wie es in der erwähnten Überschrift geheißen hat. Wir mahnen zum wiederholten Male an, dass die 420 Lehrkräfte, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten, in keiner Weise ausreichen. Es muss intensiv daran gearbeitet werden, diese Kurse und Zusatzausbildungen stärker anzubieten. Wir gehen sogar so weit – auch das haben wir bereits öfter gefordert –, Deutsch als Zweitsprache als Grundkompetenz in die Lehrerausbildung einzubeziehen.

Zum Schluss möchte ich noch Folgendes sagen: Zur Verabschiedung unseres Polizeipräsidenten war vor Kurzem Innenminister Herrmann bei uns in Regensburg. Dabei hat Minister Herrmann sehr deutliche Worte gewählt und gesagt, man müsse die Dinge beim Namen nennen, klar ansprechen und Konsequenzen ziehen. Ich habe hier die Dinge in aller Kürze klar angesprochen und klare Konsequenzen gefordert. Wir brauchen dringend ein Sofortprogramm. Handeln Sie! Handeln Sie jetzt und reden Sie nicht nur darüber, dass alles so wunderschön wäre.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Ich bitte jetzt Herrn Kollegen Professor Dr. Waschler zum Rednerpult.

Frau Präsidentin, Herr Ministerpräsident, Hohes Haus, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Wild, Printmedien berichten manchmal etwas verkürzt, vielleicht auch nur mit regionalem Blick. Tatsache ist, dass wir uns in Bayern derzeit angesichts kriegerischer Ereignisse einer riesengroßen Herausforderung stellen, die wir den Umständen entsprechend von außen nicht beeinflussen können. Dieser Herausforderung stellen wir uns im Freistaat Bayern sehr gut.

Wir haben uns in der Plenardebatte vor der Weihnachtspause bereits über dieses Thema ausführlich unterhalten. Neben all den hier im Einzelnen zu erwähnenden Dingen hat die Staatsregierung auch darauf hingewiesen, dass wir uns immer dann auch dieser Diskussion stellen, wenn ein Nachsteuerungsbedarf besteht.

Sie haben durchaus sehr charmant rübergebracht, dass Sie mit vielen Dingen, die hier laufen, einverstanden sind. Da kann ich nur sagen: Wir sollen bei diesen Punkten unser Licht bitte nicht unter den Scheffel stellen, sondern auch sagen, dass wir gerade für das Erlernen der Sprache deutschlandweit über die KMK hoch anerkannte Programme haben, vor allem für Deutsch als Sprache berufsschulpflichtiger Flüchtlinge und Asylsuchender. Auch das muss man in aller Deutlichkeit erwähnen. Den riesengroßen Zuwachs bei den Haushaltszahlen im Bereich des Wissenschaftsministeriums bzw. des Kultusministeriums sowie des Sozialministeriums sollten wir nicht gering schätzen. Dazu wird Herr Kollege Hofmann noch etwas sagen.

Herr Kollege Güll, es geht mir darum, auch deutlich zu machen, dass wir von der CSU-Fraktion uns bei dieser Herausforderung nicht verstecken und uns mit Anträgen, die hierzu im Bildungsausschuss behandelt werden, der Diskussion stellen. Ich hoffe sehr, dass die Opposition sagt: Diese Anträge, die aktuell das Licht der Welt erblicken, sind ein Schritt in die richtige Richtung, das machen wir mit. Deswegen nenne ich hier stichpunktartig die Themen, mit denen wir uns beschäftigen.

Frau Kollegin Wild, wir fordern etwa, für alle interessierten Lehrkräfte im Sinne der Flüchtlinge und Asylbewerber eine Online-Fortbildung zur Verfügung zu stellen. Diesen Auftrag geben wir hier weiter, um bewährte Angebote noch intensiver und breiter auf den

Weg zu bringen. Auch beim Thema "Deutsch als Zweitsprache" haben wir bisher vonseiten der Opposition immer nur Zustimmung bekommen, sodass wir das im Rahmen des Lehramtsstudiums auch mit dem Akzent "Interkultureller Unterricht" mit einem hohen Praxisbezug in der Fläche anbieten können. Es geht auch darum, Fortbildungen für pädagogisches Personal in Kindertageseinrichtungen und im Bereich der Inhalte für die Ausbildung von Erziehern noch intensiver und breiter als bisher durchzuführen.

Weil uns dieser Akzent sehr, sehr wichtig ist, wird für Lehrerinnen und Lehrer an Grund- und Mittelschulen, die erstmals mit minderjährigen Flüchtlingen und Asylbewerbern unterrichtlich beschäftigt sind, zusätzlich ein umfassendes Fortbildungsprogramm auf den Weg gebracht. Damit haben wir uns auch während unserer Klausurtagung in diesem Monat im Rahmen des Arbeitskreises Bildung und Kultus befasst. Weil das nicht nur regional an einer Schule konkret geht – da spielt natürlich die schulinterne Lehrerfortbildung eine dominante Rolle –, ist zu all den Fragen, die hier in Bezug auf die Beschulung minderjähriger Flüchtlinge und Asylbewerber eine Rolle spielen, an erster Stelle die Sprache und die kulturelle Sensibilität, ein breites Programm für die Schulaufsicht, die Schulleitungen und Lehrer geplant. Sehr wichtig ist auch, was immer am Rande steht und vergessen wird, die spezifische Vermittlung von wichtigen schulpsychologischen Kenntnissen, um der besonderen Situation derjenigen, die zu uns gekommen sind, gerecht zu werden.

Wir haben also eine gemeinsame, sehr wichtige Aufgabe. Zu dieser gemeinsamen Aufgabe – das darf man bitte nicht gering schätzen – haben Sie in Ihrem Antrag viele Punkte aufgelistet. Zu einigen Punkten können Sie schon einen Haken machen, wie Sie bei der Beratung des Bildungsausschusses zu unseren Anträgen merken werden. Aber bei den großen Haushaltsansätzen und Herausforderungen, die wir im Freistaat Bayern insgesamt haben, müssen wir natürlich solide Finanzen haben, und zwar nicht nur in der Gegenwart, sondern auch weit in der Zukunft.

Herr Ministerpräsident, nicht nur der ausgeglichene Haushalt, sondern auch die Rückzahlung von noch vorhandenen Schulden sind Zukunftsaufgaben, die wir keinesfalls gering schätzen würden.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich bin fast am Ende. Dann kann die Frage gestellt werden. - Insofern kann ich feststellen, dass wir alle vollzeitschulpflichtigen Flüchtlinge beschulen können. Insofern wollen wir bei der Schwie

rigkeit der Aufgabe immer die Dinge sehen, die wir schultern können. Auch die von der Staatsregierung angebotene Nachsteuerung werden wir weiterhin intensiv begleiten.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und stehe gerne für die Nachfrage zur Verfügung.

Herzlichen Dank. - Bevor ich jetzt Herrn Kollegen Güll das Wort erteile, möchte ich Ihnen mitteilen, dass die SPD für den aufgerufenen Tagesordnungspunkt namentliche Abstimmung beantragt hat.

Herr Professor Waschler, Sie stellen Dinge durchaus geschickt dar, die man nicht ablehnen kann und die sehr wichtig sind. Wir haben den Antrag auch deshalb gestellt. Der Antrag nennt auch zehn Millionen Euro, die nicht aus der Luft gegriffen sind. Sie stammen aus den Haushaltsverhandlungen, die der BLLV auch der CSU vorgestellt und ihr gegenüber begründet hat. Die CSU inklusive des Herrn Kultusministers hat damals kundgetan, dass diese zehn Millionen Euro berechtigt und notwendig seien. Herr Spaenle soll sogar gefragt haben, ob sie denn ausreichten. Dann kommt es zu den Haushaltsverhandlungen, und diese Zusagen verschwinden wieder.

Der Betrag ist also nicht aus der Luft gegriffen, und deshalb einfach die Frage: Ist es korrekt, dass Sie das damals auch zugesagt und für notwendig erklärt haben? Alles, was Sie jetzt gesagt haben, ist notwendig und wird mittelfristig sicherlich greifen. Was wir aber doch schnell brauchen, sind die Dinge, die man nur über zusätzliche Finanzmittel erreichen kann.

(Beifall bei der SPD)

Danke für die konkrete Frage, Herr Kollege Güll. Es würde mich interessieren, wo ich diesbezüglich etwas gesagt hätte. Mir ist absolut nichts in Erinnerung. Fragen Sie insofern bitte diejenigen, die angeblich etwas gesagt haben. Ich stelle nur fest, dass die Haushaltsverhandlungen nicht mit einem Lehrerverband geführt werden, sondern hier im Parlament.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD und den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Jetzt bitte ich den Herrn Kollegen Felbinger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bin ich erfreut, dass sich in der CSU etwas bewegt, Herr Kollege Professor Dr. Waschler.

Die Anträge zum Doppelhaushalt – damals hieß der von den FREIEN WÄHLERN "Notprogramm für Flüchtlingskinder an bayerischen Schulen", und die GRÜNEN hatten einen ähnlich lautenden Antrag, auch über zehn Millionen Euro – haben scheinbar zumindest zum Nachdenken angeregt; denn Sie haben jetzt drei Dinge vorgestellt, die hier zumindest einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen. Die OnlineFortbildung für Lehrkräfte ist sicherlich eine sinnvolle Sache, sie muss aber erst einmal wirksam werden. Die Einführung von DaZ-Modulen in das Lehramtsstudium ist eine längerfristig angelegte Sache und sicherlich richtig.

Wenn Sie unter anderem mehr Fortbildungen für Kindertagesstätten anbieten wollen, muss ich Sie natürlich auch gleich fragen, wie viele zusätzliche Mittel Sie dafür eingestellt haben, weil es in diesem Bereich Streichungen Ihrerseits gegeben hat.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Die arbeiten gratis!)