Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Betreff des Dringlichkeitsantrags der CSU-Fraktion lautet: "Jüdisches Leben in Bayern stärken". Kollege Jörg hat schon auf einige aus seiner Sicht wichtige Punkte hingewiesen.
Ich möchte zu Beginn den Satz in Erinnerung rufen: Wer die Vergangenheit vergisst, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.
Es ist richtig, dass die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland dankbar und demütig sein und bleiben sollte, dass nach der Shoa wieder jüdisches Leben in Deutschland, auch in Bayern, existiert.
Ich möchte auch in Erinnerung rufen, dass die zögerliche Aufarbeitung im Nachkriegsdeutschland, auch in Bayern, uns – und auch den jüdischen Gemeinden – in tiefer Erinnerung bleibt. Es ist gerade einmal 50 Jahre her, dass ein Einzelner, Oberstaatsanwalt Fritz Bauer, fast im Alleingang den Auschwitzprozess eröffnete. Das war 1963. Erst damit begann die Aufarbeitung in Deutschland – 18 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg! Was dazwischen war, war fernab von Aufarbeitung. Das ist in den jüdischen Gemeinden präsent, und das ist nicht wegzudenken.
Juden sind aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken – auch insoweit stimme ich Ihnen zu. Dieser Satz ist richtig, aber er reicht nicht aus, Herr Kollege Jörg; denn Antisemitismus und Rassismus haben sich in der Mitte der deutschen Gesellschaft etabliert und sind leider auch nicht wegzudenken. Untersuchungen zeigen, dass je nach Fragestellung harter Antisemitismus immerhin 15 % unserer Gesellschaft betrifft. Bis zu 25 % unserer Gesellschaft haben antisemitische Einstellungen.
Es ist an der Zeit, uns zu erinnern, dass es nicht ausreicht, über das reiche jüdische Erbe, das unsere Gesellschaft ohne Zweifel hat, nachzudenken, sondern dass es auch eine jüdische Gegenwart gibt. Wie sieht der jüdische Alltag zurzeit aus? - Polizeischutz an jü
dischen Kindergärten, Schulen und Kulturzentren – das ist die Normalität. Erkennen wir noch, dass wir das schon als bedenklich einstufen sollten? Sicherheit ist wichtig; insoweit haben Sie sicherlich recht. Aber der soeben beschriebene Zustand ist auch ein Menetekel für den alltäglichen ostentativen Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie alle im Hohen Haus: Welche gesellschaftlichen Antworten geben wir? Welche Programme haben wir, um die Forderung unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck mit Leben zu füllen:
Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz. Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes.
Aber zur Geschichte dieses Landes gehört auch, dass wir eine Zuwanderungsgesellschaft sind. Viele Menschen können mit den Begriffen Shoa und Holocaust gar nichts anfangen und begreifen nur mühsam, dass sie heute Teil dieses deutschen Erbes sind. Wenn Sie sich mit Kindern, die aus Osteuropa zugewandert sind, unterhalten, hören Sie: Wieso ich? Meine Eltern, meine Großeltern waren Opfer der Nazibarbarei. Wieso soll ich mich heute zu dieser deutschen Schuld bekennen? Wieso soll ich als Deutscher dazu Stellung nehmen?
Das heißt doch aber, dass wir alle als Demokraten aufgerufen sind, sehr behutsam mit unseren Worten umzugehen. Da schaue ich gerade in die CSU-Landtagsfraktion und erinnere an die Debatten, die wir zu Griechenland, zu Rumänien, zu Russland, zu Osteuropa generell hatten. Die Erinnerung an die Vergangenheit ist dort präsenter, als wir es wahrhaben wollen Wir brauchen ein Miteinander der unterschiedlichen Kulturen und Religionen in Europa. Sie dürfen nicht in unterschiedlicher Art und Weise bewertet werden.
Ich komme gerade von einem Besuch aus dem südlichen Afrika zurück. Wenn Sie durch Cape Town gehen, begegnen Sie auch dem Holocaust. Wenn Sie durch Cape Town gehen, werden sie darauf angesprochen - von deutschen Familien, denen das sehr präsent ist und die nach Europa schauen.
Ich zitiere Nelly Sachs, die sagte: "Ich habe keinen Ort mehr auf der Welt. Es ist ortlos, wo ich bin."
Kollege Jörg, Sie haben soeben Benjamin Netanjahu zitiert; er hat nämlich diesen Aufruf an die Juden Europas veröffentlicht, nach Israel auszuwandern. Ich antworte so, wie der französische Regierungschef Manuel Valls geantwortet hat: Ich bedaure die Appelle des Kollegen Netanjahu. Auch im Wahlkampf ist nicht jede Äußerung erlaubt. - Ich glaube, diese Antwort ordnet es richtig ein.
Ein Exodus der europäischen Juden nach Israel ist keine Lösung der massiven Gefährdung durch islamistischen Terror… Wer in Europa Juden angreift, greift die gesamte europäische Gesellschaft und ihre freiheitlichen Werte an.
Darauf müssen wir mit Bildungs- und Fortbildungsangeboten antworten; das beginnt schon in den Schulen. Dafür müssen wir im Haushalt des bayerischen Freistaates die notwendigen Gelder zur Verfügung stellen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Islam gehört zu Deutschland – für mich eine Selbstverständlichkeit. Diese Selbstverständlichkeit hat ihre Wurzeln in unserer christlich-jüdischen Werteordnung, wie sie im Grundgesetz verkörpert ist. Es ist eine Werteordnung, die geprägt ist von Toleranz und Miteinander, nicht von Ausgrenzung und Gegeneinander. Ausgrenzung und Gegeneinander mussten unsere jüdischen Mitbürger nicht nur in der Geschichte, sondern müssen sie auch heute bitter erfahren. So wichtig und notwendig es ist, dass wir unsere grausame Geschichte, die Geschichte des Dritten Reiches, nicht vergessen und unsere Schuld nicht relativieren, so wichtig ist es, dass wir auch in der Gegenwart hinschauen, wenn unseren jüdischen Mitbürgern wieder Unrecht getan wird, wenn es wieder zu Ausgrenzung und Herabwürdigung kommt.
Am 9. November 2008 hat unsere Kanzlerin zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht gesagt: "Die Sicherheit Israels zu schützen, ist Teil der Staatsräson Deutschlands."
Damit meinte sie natürlich Israel als Staat, aber sie meinte auch die jüdischen Mitbürger in unserer Gesellschaft.
Es gibt eine sehr gefährliche Tendenz der extremen Rechten und der extremen Linken in Deutschland, die einen Unterschied machen wollen zwischen Juden und Israeliten, zwischen Juden und Israel. Ich greife ein paar dieser Dinge heraus. Ich bin der CSU-Fraktion für diesen Antrag sehr dankbar; denn es lohnt sich, darüber zu diskutieren und sich darüber Gedanken zu machen, was wir dagegen tun können.
Ein sogenanntes Friedensforum startet in Bremen einen Boykottaufruf für Supermärkte mit Waren aus Israel. Das kommt uns bekannt vor. Am 9. November 2009 gab es in meiner Heimat einen Aufruf zu einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht, auf der unter anderem gegen die Verbrechen Israels demonstriert werden sollte. Am 4. April 2012 wurde von Günter Grass ein unsägliches Gedicht mit dem Titel "Was gesagt werden muss" veröffentlicht. Schon allein die Diktion "Was gesagt werden muss" ist mehr als verräterisch und erinnert an eine Zeit, an die wir uns eigentlich nicht gern erinnern, weil sie für unser Land eine Schande ist. Hier wurde Israel mit dem Iran auf eine Stufe gestellt und Israel unterstellt, es plane einen atomaren Erstschlag. 9. November 2014: Abgeordnete der Linkspartei im Deutschen Bundestag laden judenfeindliche Publizisten in den Bundestag ein. Gregor Gysi hat das gestoppt. Daraufhin hat die Bundestagsabgeordnete Annette Groth in einem Interview gesagt, aus den Opfern von einst seien heute Täter geworden.
Wer die heutige Presse anschaut, stellt fest, dass der Zentralrat der Juden warnt und vom Tragen der Kippa in Problembezirken Deutschlands abrät. Der traurige Höhepunkt war im Juli letzten Jahres, in dem es nicht nur Pro-Gaza-Demonstrationen von Palästinensern, sondern auch Antifa-Bewegungen gab, die "Nazimörder Israel" geschrien haben. Es fällt mir schwer, dieses Wort auszusprechen. Das passiert in Deutschland. Das kann und darf uns nicht egal sein. Wir Demokraten müssen da deutliche Worte finden, aber auch einschreiten, wenn Grenzen überschritten werden. Ich fand es sehr positiv und ermutigend, dass eine breite Mehrheit der Gesellschaft gezeigt hat, auch öffentlich und in Gegendemonstrationen, an der Spitze auch die Kanzlerin: So nicht!
Juden hatten es schwer, Juden haben es schwer – vielleicht weil unter ihnen, wie Herr Kollege Jörg angesprochen hat, überdurchschnittlich viele herausragende Persönlichkeiten sind, und Eliten erzeugen Neid. Ich möchte noch einen Namen hinzufügen – hier in München sollte man das tun –, nämlich Kurt
Landauer, Präsident des FC Bayern München von 1947 bis 1951. Ihm haben dieser Club und der Freistaat Bayern sehr viel zu verdanken.
Wir stimmen dem Dringlichkeitsantrag der CSU selbstverständlich zu. Wir bedanken uns für diesen Dringlichkeitsantrag, weil er richtig und wichtig ist. Er ist wesentlich wichtiger als das, was wir manchmal in scheinbarer Verbissenheit in diesem Parlament für wichtig halten und sehr emotional gegeneinander diskutieren. Wir stimmen dem Dringlichkeitsantrag zu.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten antisemitischen Vorfälle und die brutalen Morde in Paris und Kopenhagen schockieren uns zutiefst. Diese Gewalttaten und diesen Terror verurteilen wir scharf. Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer. Wir wollen alles dafür tun, dass antisemitischer Terror, Angriffe in Wort und Tat gegenüber Juden und Jüdinnen, Antisemitismus und Judenhass in unserer Gesellschaft, unter uns, nicht stattfinden.
Wir wollen dem Antisemitismus jeglichen Nährboden entziehen. Deshalb unterstützen wir selbstverständlich den Dringlichkeitsantrag der CSU.
Seit jeher beobachten wir mit großer Sorge, wie sich antisemitische und rassistische Überzeugungen und Einstellungen bis tief in die Mitte unserer Gesellschaft hinein verfestigt haben und weiter verfestigen. Das trifft uns alle. Es trifft alle Parteien, alle Gewerkschaften, alle Kirchen, also alle gesellschaftlichen Gruppen, nahezu unabhängig vom sozialen Hintergrund, vom Bildungshintergrund oder vom Geschlecht.
Wie tief judenfeindliche Vorurteile und Einstellungen in unserer Gesellschaft verankert sind, haben verschiedene Forschungsergebnisse in der Vergangenheit deutlich gemacht. Erschreckenderweise nahm Bayern bei der Zustimmung zu antisemitischen Thesen mit 16,6 % eine beschämende Spitzenposition in Deutschland ein, wie bereits die 2008 von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie "Bewegung in der Mitte" gezeigt hat.
Wir GRÜNEN haben aktuell eine weitere Studie mit Befragungen aus den Jahren 2012 und 2014 in Auftrag gegeben, die diese Befunde in erschreckender
Weise bestätigt. 12,6 % der Bayern teilen antisemitische Aussagen; im Bundesgebiet sind es vergleichsweise – in Anführungszeichen – "nur" 8,4 %. Der Aussage, die Juden nutzten die Erinnerung an den Holocaust für ihren eigenen Vorteil aus, stimmten in Bayern 43,1 % zu. 32,3 % der befragten Bayern sind der Meinung, dass Juden auf die öffentliche Meinung in diesem Land zu viel Einfluss hätten. Fast 40 % sagen, Juden hätten zu viel Einfluss und Kontrolle an der Wall Street. Fast 30 % sagen: Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer.
Antisemitismus ist vor allem im Zusammenhang mit Rechtsextremismus zu sehen. Wer Antisemitismus allein oder wie neuerdings mehr als Problem der Muslime in Deutschland betrachtet, liegt falsch. Eine Anfrage meiner Kollegin Katharina Schulze hat ergeben, dass in Bayern in den letzten Jahren nahezu alle antisemitisch motivierten Straf- und Gewalttaten dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität rechts" zugeordnet werden müssen. Das ist also kein importiertes Problem.
Michel Friedman sagt zu Recht: "Antisemitismus ist ein Angriff auf den Vertrag, in einer modernen, demokratischen Gesellschaft zu leben, Menschen nicht zu diskriminieren." Wir fordern deshalb eine klare Haltung aller demokratischen Parteien gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Eine Gesellschaft, die dem Antisemitismus keinen Raum geben will, darf auch Islamophobie nicht tolerieren. Beides gehört zusammen.
Völlig zu Recht wies auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, darauf hin. Schuster sagte in einem Interview der Zeitung "Die Welt", die Angst vor islamistischem Terror werde ‚instrumentalisiert‘", um eine ganze Religion "zu verunglimpfen". Das wiederum sei "absolut inakzeptabel".
Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns heute im Landtag einig, dass Deutschland und Bayern für Juden und Jüdinnen eine sichere Heimat sein muss und wir uns Rassismus und Antisemitismus gemeinsam entgegenstellen wollen. Weil das so ist, müssen wir über diesen Dringlichkeitsantrag hinaus, der unsere gemeinsame Haltung bekräftigt, zu einem gemeinsamen Handeln kommen. Deshalb fordern wir für Bayern ein ressortübergreifendes Konzept gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.