Punkt neun: Wir brauchen einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt. Große Player aus den USA oder auch aus China haben einen riesengroßen heimischen Markt vor der Haustür. Unsere exportstarke Wirtschaft muss derzeit Geschäftsmodelle für jedes einzelne Land aufwendig anpassen. Ich meine, es ist höchste Zeit, dass 28 nationale Regeln für den Datenschutz durch eine europaweite Regelung abgelöst werden. Die Europäische Kommission hat gestern ein Papier dazu vorgelegt. Ich kann dazu nur sagen: Jetzt muss auch die Digitalunion kommen.
Neue Geschäftsmodelle, die höchste Anforderungen an die Sicherheit von Daten stellen, können sich übrigens nur entwickeln, wenn die Sicherheit überhaupt gewährleistet ist. Ja, wir wollen die Freiheit des Internets, weil sie in der Tat der Treiber des rasanten Fortschritts war und ist. Netzneutralität ist ohne Frage ein sehr hohes Gut. Wenn wir aber automatisierte gesundheitliche Notfalldienste oder automatisiertes Fahren ermöglichen wollen, brauchen wir Regeln für eine sichere Anwendung, ohne dass die Datenautobahnen dadurch für die normalen Nutzer zum Standstreifen werden. Das brauchen wir, meine Damen und Herren!
Und mein zehnter Punkt: Ich weiß, dass mit tiefgreifenden Umbrüchen in der Digitalisierung auch Ängste einhergehen. Diese Ängste sind nachvollziehbar, doch die Vorteile eines digitalen Arbeitsalltags sind schon jetzt konkret. Arbeit im Homeoffice und Daten in der Cloud machen Beruf und Familie besser miteinander vereinbar. Videokonferenzen und moderne Unternehmenskommunikation erhöhen deutlich die Flexibilität. Zudem ist die hohe Qualifikation unserer Fachkräfte die allergrößte Stärke. Das soll sie auch in Zukunft sein. Den Wandel in der Arbeitswelt hat es schon immer gegeben. Bayern hat ihn immer für sich zu nutzen gewusst. Daher werden wir über das "Zentrum Digitalisierung.Bayern" Chancen, Grenzen und Risiken diskutieren und Konzepte für die Gesellschaft 4.0 entwickeln. Wir wollen den verantwortungsvollen Wechsel in das Zeitalter der Digitalisierung im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und im Interesse des Gemeinwohls in Bayern organisieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir liegen bei der Digitalisierung nach der ersten Halbzeit vielleicht gegenüber den USA und Teilen Asiens zurück. Vor der zweiten Halbzeit ändern wir aber die Taktik und erhöhen den Einsatz.
1,5 Milliarden geben wir für die Infrastruktur aus. Jetzt geben wir noch einmal zusätzlich 500 Millionen Euro für das Know-how aus. Das heißt, Bayern investiert allein 2 Milliarden Euro in die Digitalisierung.
Wir bringen die Digitalisierung rasch voran und sorgen für die notwendige Dynamik. Mit dem Zentrum, den Plattformen und den Gründerförderungen haben wir bis jetzt schon 300 Millionen eingeplant. Jetzt kommen noch einmal 200 Millionen Euro dazu, um in die Fläche und in die Betriebe zu gehen. Wir fördern Innovation. Wir sichern Wachstum. Wir wollen die Digitalisierung gestalten. Bayern hat sich immer dadurch ausgezeichnet, rechtzeitig die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen, mit Alfons Goppel, Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber und jetzt Horst Seehofer.
Diese Geschichte geht von Industrie 4.0 über Wirtschaft 4.0 und Gesellschaft 4.0 bis hin zu Bayern 4.0!
Danke schön, Frau Staatsministerin. - Ich eröffne damit die Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von 20 Minuten pro Fraktion vereinbart. Nachdem Frau Staatsministerin 24 Minuten gesprochen hat, erhöht sich die Redezeit pro Fraktion um vier Minuten auf 24 Minuten. Als erste Rednerin hat die Vertreterin der Opposition, Frau Kollegin Annette Karl von der SPD, das Wort. Bitte schön, Frau Karl.
Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatsministerin, die Digitalisierung ist, wie wir alle wissen, ein umfassender Transformationsprozess, der die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen schnell und tiefgreifend verändert. Sie hat massive Auswirkungen auf Geschäftsmodelle und Produktionsstandorte. Es ist nicht die Frage, ob wir die Digitalisierung wollen oder nicht. Die Digitalisierung ist schon da. Deshalb lautet die Frage: Was kann der Staat tun, um für die Menschen und die Unternehmen die Chancen zu optimieren und die Risiken zu minimieren? Die Di
gitalisierung ist die Zukunftsherausforderung für Bayern. Wie der Freistaat damit umgeht, welche Weichen er stellt, das entscheidet über eine gute Zukunft für Bayern. Es entscheidet sich vor dem Hintergrund, dass Sie selbst, Frau Ministerin, vor einigen Wochen noch in drei Bereichen Defizite einräumen mussten: bei den Gründern, bei der Einbeziehung der kleinen und mittleren Unternehmen und bei dem so wichtigen Wagniskapital. Von einer Ministerin, die so gerne den Patriotismus von anderen einfordert, hätten wir heute mehr erwartet.
Wir hätten mehr erwartet als die neu entdeckte Liebe zu Facebook, wo Sie vor kurzer Zeit noch medienwirksam offline gegangen sind. Genauso, wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, macht ein Facebook-Account keine Digitalisierungsstrategie.
und mehr als Ihre übliche 10-Punkte-Liste, die Sie auch als Landwirtschaftsministerin immer so gerne aufgestellt haben, eine Liste,
die die gute Idee des "Zentrums Digitalisierung.Bayern" jetzt zum wiederholten Male abfeiert. Das ist wie beim 10.000-Häuser-Programm, das der Ministerpräsident im Mai 2013 zum ersten Mal angekündigt hat. Es wurde von Ihnen in der letzten Zeit noch dreimal angekündigt, ohne dass wir in den letzten zwei Jahren der Realisierung auch nur einen Schritt näher gekommen sind.
Frau Ministerin, Sie haben am 15. April laut dem "Münchner Merkur" gesagt: Es ist eine Binsenweisheit, dass man als Regierung immer neue Weichen stellen und Änderungen am Kurs vornehmen muss. Breitbandausbau, Bildungspolitik, Gründerinitiative –
die Staatsregierung hat sich schon auf den Weg gemacht. – Wenn Sie sich schon auf den Weg gemacht haben, dann muss ich schon mit Loriot fragen: "Ja, wo laufen sie denn?" – Wo sind denn die abgestimmte Strategie, der rote Faden, die große Linie? - Jeder Minister der Staatsregierung wurstelt fröhlich an seinen eigenen Lieblingsdigitalisierungsstrategien herum, nie miteinander, aber gerne einmal gegeneinander.
So hat Herr Minister Söder am 1. Mai erst einmal angekündigt, dass Garching den Atem Nürnbergs im Nacken spüren soll,
Jetzt schauen wir doch erst einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Garching ein Highlight des digitalen Südens wird. Es ist nämlich noch ein weiter Weg bis dorthin.
Was aber den Norden angeht, so haben wir in Regensburg bereits eine wunderbare Keimzelle, wo es alles gibt, außer einem Wohnsitz des Finanzministers.
Digitalisierung ist zu wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Hintergrund ministerieller Profilierungsversuche zu sein. Denken Sie vor allem an die Menschen. Digitalisierung ist eben nicht die menschenleere Fabrik oder das Ende der Arbeit. Es geht um Menschen, es geht um ihre Arbeitsplätze, ihre Arbeitsbedingungen, ihre gesellschaftliche Teilhabe, ihre veränderte Umwelt.
Frau Aigner, Sie haben heute sehr technologiezentrierte Vorschläge vorgelegt. Ich werde den Bogen etwas weiter spannen. Zunächst einmal komme ich zur Grundvoraussetzung der Digitalisierung, zum Breitbandausbau. Bayern ist mit dem neuen Programm aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Das begrüßen wir nach wie vor. Das Programm hat allerdings einige, anscheinend nur kleine Webfehler; die aber versperren den Blick für eine gleichmäßige Digitalisierungsstrategie in allen Landesteilen.
Ein Beispiel: Minister Söder hat das ursprüngliche Ziel von mindestens 50 Mbit/s-Ausbau wegen schneller Erfolge heruntergesetzt auf 30 Mbit/s. Das ist gerade das, was die Telekom mit aufgemotzten alten Leitungen ohne Glasfaser noch schafft. Er hat in bester Orwell‘scher Manier 30 Mbit/s gleich als schnelles Internet definiert. Schwups hat man im ländlichen Raum eine Versorgung von 29 %. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 30 Mbit/s, das ist nicht gerade schnell. Bei den Anforderungen der Unternehmen an Echtzeitübertragung ist das fast schon eine Steinzeittechnologie. Alle Umfragen von vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. -, IHK – Industrie- und Handelskammer – und anderer zeigen: Die Unternehmen wollen 100 Mbit/s bis 2020; denn nur große Betriebe können sich eine Standleitung leisten. Wir brauchen deshalb Lösungen für kleine und mittlere Unternehmen.
Die zu übertragenden Datenvolumina werden nämlich nicht weniger, sondern die Vernetzung wird immer intensiver. Es gilt deshalb, schon jetzt beim Breitbandausbau die Weichen für die Zukunft zu stellen. Oder sollen die kleinen und mittleren Unternehmen erst zum Starnberger See fahren und sich dort in ein Schiffchen setzen, um dort den WLAN-Hotspot zur Datenübertragung zu nutzen?
Das "Zentrum Digitalisierung.Bayern" ist eine gute Idee, es bündelt die derzeit wichtigsten Forschungsschwerpunkte, die für eine digitale Zukunft wichtig sind. Hier hat sich der Zukauf externen Sachverstands bewährt. Im "Zentrum Digitalisierung.Bayern" werden High-Level-Ziele gesteckt, und die Staatsregierung muss sich an deren Umsetzung messen lassen. Um sie aber umzusetzen, braucht es vor allen Dingen große Bandbreiten in einer flächendeckenden Infrastruktur. Die Daten sollen natürlich auch in die peripheren Regionen ordentlich übertragen werden können, von A nach B, von Augsburg nach Bamberg, und zwar ohne Zeitverzögerung. Acatech – die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – warnt aus gutem Grund bereits jetzt vor den künftig hohen Kosten beim weiteren Breitbandausbau, weil die jetzigen Schmalspurlösungen nicht weiter aufgemotzt werden können und sich die digitale Spreizung in Bayern weiter verstärkt. Wenn der CSU-Landrat in meinem Landkreis schon jetzt den Fraktionen ein von der Staatsregierung geplantes drittes Förderprogramm für die Zeit nach 2018 ankündigt, dann zeigt