Protokoll der Sitzung vom 07.05.2015

Das "Zentrum Digitalisierung.Bayern" ist eine gute Idee, es bündelt die derzeit wichtigsten Forschungsschwerpunkte, die für eine digitale Zukunft wichtig sind. Hier hat sich der Zukauf externen Sachverstands bewährt. Im "Zentrum Digitalisierung.Bayern" werden High-Level-Ziele gesteckt, und die Staatsregierung muss sich an deren Umsetzung messen lassen. Um sie aber umzusetzen, braucht es vor allen Dingen große Bandbreiten in einer flächendeckenden Infrastruktur. Die Daten sollen natürlich auch in die peripheren Regionen ordentlich übertragen werden können, von A nach B, von Augsburg nach Bamberg, und zwar ohne Zeitverzögerung. Acatech – die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – warnt aus gutem Grund bereits jetzt vor den künftig hohen Kosten beim weiteren Breitbandausbau, weil die jetzigen Schmalspurlösungen nicht weiter aufgemotzt werden können und sich die digitale Spreizung in Bayern weiter verstärkt. Wenn der CSU-Landrat in meinem Landkreis schon jetzt den Fraktionen ein von der Staatsregierung geplantes drittes Förderprogramm für die Zeit nach 2018 ankündigt, dann zeigt

das, dass sich die Staatsregierung dieser Defizite sehr wohl bewusst ist. Was bedeutet das aber? – Wir fangen ein drittes Mal an, wir buddeln ein drittes Mal, und vor allem lassen wir die Kommunen ein drittes Mal in die Investitionen zahlen.

(Beifall bei der SPD – Staatssekretär Albert Füra- cker: So viel Unsinn! So viel Unsinn habe ich hier noch nicht gehört!)

Das ist das Gegenteil der Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen.

Kommen wir nun zu den Gründern. Die vbw-Studie "Digitalisierung als Rahmenbedingung für Wachstum" sagt zu Recht, auch für Start-ups sind heute Übertragungsgeschwindigkeiten das A und O. Nach dem, was ich vorhin gesagt habe, ist aber zu befürchten, dass es immer weniger Start-ups im ländlichen Raum geben wird, weil die Übertragungsraten einfach nicht reichen. Momentan ist die Bundeshauptstadt Berlin, die von Ihnen immer wieder gerne für jedes Negativbeispiel herangezogen wird, auf dem besten Weg, die führende Start-up-Metropole Europas zu werden. Dort investieren inländische wie ausländische Geldgeber rund 133 Millionen Euro an Wagniskapital. Damit ist Berlin unter den Top-Gründungsstandorten Europas, zusammen mit London, Paris, Moskau und Tel Aviv. Aber wo ist Bayern? – In Bayern werden gerade einmal 19 Millionen Euro an Wagniskapital investiert. Das zeigt deutlich, wie stiefmütterlich dieses Thema in den letzten Jahren von der Bayerischen Staatsregierung behandelt wurde. Noch vor 14 Jahren wurde dem Freistaat prognostiziert, im Jahr 2020 das Silicon Valley Deutschlands werden zu können. Heute ist man auf dem Weg in die Sackgasse.

Deshalb ist es zu begrüßen, Frau Ministerin, dass Sie angekündigt haben, jetzt den Turnaround zu versuchen. Bei diesem Turnaround muss man aber nicht alles neu erfinden, sondern man hätte auf gut funktionierenden Einrichtungen aufbauen können. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: In Regensburg gab es die sehr erfolgreiche Gründeroffensive "IT-Offensive Oberpfalz", finanziert aus EFRE-Mitteln – Europäischer Fonds für regionale Entwicklung -, kofinanziert vom Freistaat Bayern. Diese Offensive hatte das Ziel, IT-Gründungen zu mobilisieren und technologieorientierte Netzwerke zu initiieren. Sie hat dies höchst erfolgreich gemacht. Leider sah sich die Staatsregierung aber außerstande, nach Auslaufen der EFREFörderung ein Nachfolgeförderprogramm aufzustellen; deshalb hat sie dieses ganz erfolgreiche Projekt einfach fallen gelassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gründer dürfen nicht im Regen stehen gelassen werden, wenn es um die

Finanzierung geht. Das gilt gerade bei neuen und unkonventionellen Ideen. Hier sind vonseiten der Staatsregierung mehr Risikobereitschaft und mehr Wagniskapital gefordert. Der Wachstumsfonds Bayern kann ein Schritt in die richtige Richtung sein; aber wenn, dann stellen Sie ihn bitte auch richtig auf.

(Beifall bei der SPD)

In der Startphase braucht dieser Fonds eine ordentliche finanzielle Ausstattung. Ihr Ausblick auf angeblich sprudelnde Mittel in drei Jahren oder wann auch immer trägt Ihrem Prinzip Hoffnung Rechnung. Das ist aber den jetzigen Problemen beim Wagniskapital nicht angemessen.

(Beifall bei der SPD)

Ein entsprechender Antrag der SPD-Fraktion bei den Haushaltsberatungen wurde von der Regierungsfraktion abgelehnt. Hier hätte eine Abstimmung Ihrerseits mit dem Finanzminister stattfinden müssen, damit dieses Projekt von Anfang an ausreichend finanziert ist.

(Beifall bei der SPD)

Es hat den Anschein, als ob München und Garching als das Gründerzentrum schlechthin begriffen und gepusht werden sollen. Es ist aber ersichtlich: Es gibt in Bayern bereits mehr Gründerzentren, mehr als Garching. Sie wollen – das haben Sie heute angekündigt – Garching als Blaupause nehmen; das hört sich gut an. Aber schauen Sie doch bitte erst einmal über München hinaus, was es dort schon gibt. Sie tun so, als wäre jenseits von München digitale Terra incognita; das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Das zeugt von schlechter Kenntnis von Land und Leuten bei Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind im Zeitalter von Arbeit 4.0, in dem die gesamte Lebensphase und Wertschöpfungskette eines Produktes, von der Idee über Entwicklung, Planung, Fertigung, Nutzung und Wartung, Zulieferung und Materialien digital von cyberphysischen Systemen gesteuert werden. Die Maschinen verschmelzen mit den Software-Programmen. Es gilt deshalb, rechtzeitig die digitalen Weichen zu stellen. Es bleibt hier nicht mehr viel Zeit.

In den USA ist mit dem Industrial Internet Consortium bereits eine Initiative entstanden, die alle weltweiten Player in diesem Bereich in ihren Reihen hat, aber mit Siemens und Bosch nur zwei deutsche Firmen, und das auch erst seit kurzer Zeit. Dieses Konsortium könnte von heute auf morgen Marktstandards setzen. Wer sich jetzt nicht mit diesen Fragen beschäftigt, wird schnell vom Marktführer zum Dienstleister absteigen.

Es ist schön, Frau Ministerin, dass Sie von einer Digitalunion auf europäischer Ebene schwärmen; Sie sollten aber aufpassen, dass in den USA im IIC nicht längst Fakten und Standards gesetzt werden, während wir noch mit Schwärmen und Träumen beschäftigt sind.

Es ist gut, mit dem Digitalbonus die Forderung des Mittelstands aufzugreifen. Unser dementsprechender SPD-Antrag musste wochenlang im Ausschuss verschoben werden, damit bloß keiner auf die Idee kommt, wir müssten die Ministerin zum Jagen tragen. Ihr Beitrag zu dem Thema war die Umbenennung von "Digitalisierungsgutschein" in "Digitalbonus" – wahrlich eine reife Leistung.

(Beifall bei der SPD)

Aber gut, wir schieben als SPD immer wieder gerne an, wie auch in den letzten Jahren beim Breitbandausbau.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Bloß in welche Richtung?)

Frau Ministerin, Sie wollen die Förderprogramme auf den Prüfstand stellen. Okay, aber warum bitte erst jetzt, wenn erfolgreiche Projekte wie die "IT-Offensive Oberpfalz" wegen mangelnder Flexibilität über die Wupper, oder in dem Fall eher über die Donau, gegangen sind? – Wir haben im Digitalisierungsprozess alles, bloß keine Zeit, keine Zeit für endlose Ankündigungen, die dann zu langsam oder gar nicht umgesetzt werden. Nach eineinhalb Jahren im Amt wäre zumindest eine konkrete Änderung eines Förderprogramms kein Hexenwerk gewesen, wenn man es hier vorgestellt hätte.

Maschinen machen Arbeit und Herstellungsprozess jeden Tag flexibler. Arbeit 4.0 verändert den Arbeitsbegriff, den Arbeitszeitbegriff, den Arbeitsort. Dies alles eröffnet große Chancen für kreatives, den individuellen Bedürfnissen angepasstes Arbeiten, unabhängig von Ort und Zeit. Es birgt aber auch die Gefahr eines Arbeitens in vorgegebenen digitalen Strukturen unter maximaler Kontrolle; lassen Sie mich das Stichwort Amazon nennen, wo schon registriert wird, wenn jemand für einige Sekunden stehen bleibt. Es birgt die Gefahr einer völligen Vereinnahmung der Freizeit durch permanente Verfügbarkeitsanforderungen. Arbeit 4.0 führt auch zu einer Spreizung des Arbeitsmarktes. Nach neuesten Studien werden durch die Digitalisierung vor allen Dingen Arbeitsplätze in mittleren Qualifikationsbereichen wegfallen, das heißt, gerade Sachbearbeiter werden immer mehr durch Computer ersetzt. Das alles führt bei den Arbeitnehmern zu massiven Qualifizierungsbedarfen. Außerdem führt eine individualisierte Arbeitsstruktur zu He

rausforderungen für die Gewerkschaften. Ich nenne nur das Stichwort flächendeckender Tarifvertrag. Hier ist ein öffentlicher Diskurs notwendig. Ich vermisse dazu jeden Anstoß von Ihrer Seite.

(Beifall der Abgeordneten Helga Schmitt-Bussin- ger (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen mehr Expertise zu den Veränderungen in der Arbeitswelt. Denkbar wäre hier eine Expertengruppe aus Ökonomen und Arbeitsrechtlern, Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften. Diese Gruppe könnte sich dann auch des Themas der massiv erhöhten Weiterbildungsbedarfe annehmen. Die Frage ist nämlich: Wer organisiert, wer zahlt, und wer nimmt teil?

Baden-Württemberg hat mit seinem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart in diesem Bereich Maßstäbe gesetzt. Ein solches Kompetenzzentrum Arbeit 4.0 stünde auch Bayern gut zu Gesicht. Es würde nämlich zeigen, dass uns die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso wichtig sind wie Roboter und vernetzte Produktionen.

(Beifall bei der SPD)

Ängsten – und die Arbeitnehmer in diesem Bereich haben Ängste – begegnet man mit Aufklärung und tätiger Unterstützung im Bedarfsfall; warme Worte alleine reichen nicht.

Ihr "Masterplan Digitale Bildung" klingt toll; der hat dann aber bestimmt auch wieder zehn Punkte, wenn er vorgestellt wird. Aber es ist schon der Gipfel, wenn Punkt zwei Ihres Plans die Ankündigung eines neuen Plans ist. Bayern braucht keinen Plan vom Plan vom Plan; Bayern braucht klare Konzepte, konkrete Maßnahmen und einen realistischen Zeitplan zur Umsetzung.

(Beifall bei der SPD)

Beispiele: Wie wäre es mit der Ankündigung, bis 2017 in allen Schulen für alle Schüler Tablets bereitzustellen? – Aber dazu müsste man sich im Bereich Bildung mit dem Minister Spaenle abstimmen; denn um die Schüler fit zu machen, was Sie so sehr propagieren und was auch vollkommen richtig ist, muss in der Lehrerausbildung umgedacht werden. Bei der Ausbildung der Lehrer muss die Digitalisierung eine gravierende Rolle spielen; denn sie sind es schließlich, die die Kinder ausbilden und für die digitale Zukunft fit machen.

(Beifall des Abgeordneten Martin Güll (SPD))

Lehrpläne sind anzupassen und fächerübergreifend um die Digitalisierung zu erweitern. Ziel sollte es dabei sein, die Schüler nicht nur im praktischen Umgang mit Informatik, Hardware und Software zu schulen, sondern vor allen Dingen in einem verantwortungsvollen Umgang mit diesen neuen Medien. Unterrichtsinhalte müssen dafür vernetzt werden, und die Schüler müssen ein Gefühl für die Digitalisierung bekommen, wie dieser Prozess ihr Leben beeinflusst und wie sie gleichzeitig Chancen ergreifen können und Möglichkeiten haben, ihr eigenes Leben selbstbestimmt zu gestalten.

(Beifall des Abgeordneten Martin Güll (SPD))

Zusammengefasst: Machen Sie unsere bayerischen Schülerinnen und Schüler zu Digital Natives!

Mein letzter Punkt ist das Thema Sicherheit 4.0. Es ist ein eklatant wichtiges Thema. Sie haben sich in Ihrer Rede dafür gelobt, dass Ihr Haus die Entwicklung eines Werkzeugkastens für kleine und mittlere Unternehmen unterstützt hat. Leider haben Sie vergessen zu erwähnen, wo er entwickelt wurde; er wurde nämlich nicht in der hochgelobten Region München entwickelt, sondern im schon erwähnten Regensburg, wo sich unter dem Dach des IT-Speichers der Bayerische IT-Sicherheitscluster entwickelt hat, dem sich schon eine beachtliche Anzahl von Unternehmen aus der ITWirtschaft, Hochschulen und Juristen fächerübergreifend angeschlossen haben. Der Cluster hat spezielle Lösungen für KMU im Bereich Cloud- und Informationssicherheit entwickelt und klärt über Datenschutzrechte auf. Damit können sich kleine und mittlere Unternehmen in kürzester Zeit und auf einfachem Weg Cyber-Sicherheit verschaffen.

Des Weiteren beschäftigt sich der Cluster mit Industrial IT-Security, Automotive Safety, veranstaltet Roadshows und Workshops zum Thema IT-Sicherheit in all ihren Facetten und ist gleichzeitig eine Plattform für Networking. Also, liebe Frau Ministerin, warum das Rad in Garching neu erfinden, wenn es in Regensburg schon so schön rund läuft? Hier haben Sie den Grundstock für Ihre Plattform IT-Sicherheit mitten in der von Ihnen vermuteten digitalen Terra incognita.

Der zweite Aspekt der Sicherheit ist der persönliche Schutz der Daten eines jeden Einzelnen. Viele der Großunternehmen – hier sei einmal Google als Beispiel genannt – leben und speisen sich von den Daten, die die Menschen produzieren. Sie saugen sie bei jeder Gelegenheit ab und verdienen damit Milliarden. Die Staatsregierung muss auch hier in Zusammenarbeit mit der Bundes- und der EU-Ebene die gesellschaftlichen Eckpfeiler der Digitalisierung stecken, passende Datenschutzrahmen schaffen und den

Menschen eine Handlungsanleitung für die digitale Zukunft geben. Der Bürger darf datenfressenden Konzernen nicht schutzlos ausgeliefert werden. Ich sage sogar, er darf noch nicht einmal das Gefühl haben, ihnen schutzlos ausgeliefert zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Der Begriff "Digitalisierung" muss für die Bürger wieder zu einem positiv behafteten Begriff werden, auch und besonders jetzt nach dem vergangenen NSASkandal und dem aktuellen BND-Skandal. Die Bürger haben Angst, zu einem gläsernen Menschen zu werden. Die Staatsregierung muss diese Ängste und Sorgen aufnehmen und ernst nehmen und Gegenmaßnahmen ergreifen. Lassen Sie Orwells "1984" auch weiterhin nur eine Geschichte sein.

Zusammenfassend noch einmal: Setzen Sie sich mit Ihren ebenfalls patriotischen Ministerkollegen an einen Tisch, präsentieren Sie dann ein überzeugendes Gesamtkunstwerk mit klaren Zielen, konkreten Maßnahmen auf dem Weg dorthin und solider Finanzierung. Bayern und seine Bürgerinnen und Bürger haben mehr verdient als die dünne Digitalisierungssuppe, die Sie heute aufgetischt haben.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat der Kollege Markus Blume von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Thorsten Glauber (FREIE WÄHLER): Immer schön loben!)

Bei dem, was ich gerade von der Kollegin Karl gehört habe, fällt es mir schwer zu loben. Sie hat eine einzige Klagemauer hier im Raum errichtet, die abgelesen und völlig daneben war. Dass man dann noch den Vortrag der Ministerin entsprechend qualifiziert und sich selbst 20 Minuten lang in einer weitgehend empathie- und espritfreien Zone bewegt, finde ich schon bemerkenswert.

(Beifall bei der CSU)

Sie wurde dem Thema nicht einmal im Ansatz gerecht. Beim Einstieg sind wir uns noch einig: Die Digitalisierung ist dabei, die Spielregeln für Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch Politik völlig zu verändern, weil sie radikal ist, weil sie überall stattfindet und in ihrer Dynamik nur unterschätzt werden kann. Sie ist – die Ministerin Aigner hat es gesagt – radikal, weil es

nicht mehr so wie früher ist, als etwas Neues einfach nur hinzugewachsen ist. Jetzt steckt so viel Kraft dahinter, dass etablierte Unternehmer durch neue Geschäftsmodelle quasi von der Straße gedrängt werden. Da reicht eine Idee aus – das Beispiel von Uber wurde genannt –, um eine ganze Branche in Aufruhr zu bringen. Da reicht eine neue Technologie aus – Stichwort "Digitalfotografie" –, um Milliardenkonzerne in den Abgrund zu treiben. Da kann man auch nur staunen, dass eine 50-Mann-Bude wie WhatsApp nicht nur mit 19 Milliarden Dollar bewertet ist und den Besitzer wechselt, sondern auch aus der ganzen Telekommunikationsindustrie jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag an Erträgen absaugt.