Wir reden heute aber nicht nur über Barrierefreiheit und Inklusion im Allgemeinen und Besonderen, son dern auch über die Interpellation, die wir eingereicht haben und die jetzt beantwortet worden ist. Wir haben sie eingereicht, um genau diese Bestandsaufnahme zu erreichen, die bislang gefehlt hat. Sie soll die Staatsregierung nicht ärgern, sondern eine Grundlage für künftiges Handeln definieren. Schauen wir uns mal an, was zum Beispiel zur Barrierefreiheit im öffentli chen Raum herausgekommen ist.
Die Staatsregierung hat, Frage 13, derzeit keine Kenntnis über den Anteil der barrierefreien Gebäude in staatlicher Hand. Das Innenministerium koordiniert über die Oberste Baubehörde jetzt eine Abfrage bei den Ressorts. Offenbar hat unsere Interpellation diese Abfrage erst angestoßen.
Die Staatsregierung hat auch keine Kenntnis über die Barrierefreiheit von Gebäuden der Kommunen, der Zweckverbände, der Sozialversicherungsträger und der Schulen. Deswegen kann sie natürlich den finan ziellen Aufwand nicht realistisch abschätzen, der er forderlich wäre, um alle öffentlichen Gebäude barrie refrei zugänglich zu machen. Sie kann daher keinen realistischen Zeitpunkt nennen – das schreibt sie sel ber in ihrer Antwort , zu dem alle öffentlichen Gebäu de barrierefrei zugänglich sein werden. Deswegen sind die Planungen auch noch nicht besonders kon kret.
Ich habe mal den Aktionsplan angeschaut, der immer wieder angesprochen wird. Er ist am 12. März 2013
vorgelegt worden. In den Antworten auf unsere Nach fragen zur Interpellation steht, es gebe keine Vorga ben der UNBehindertenrechtskonvention zu Aktions plänen. Das mag stimmen; da gibt es allgemeine Vorgaben. Aber in Deutschland ist das Deutsche Insti tut für Menschenrechte die Monitoringstelle für die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention. Da ist das sehr genau definiert. Danach sollen Aktions pläne kurze, faktische Bestandsaufnahmen und Prob lembeschreibungen sowie klare Vorgaben zum Soll zustand enthalten. Zuständigkeits und Budgetfragen müssen geklärt werden, Mechanismen zur Qualitäts und Ergebniskontrolle beschrieben werden. – Diese Kriterien erfüllt dieser Aktionsplan nicht; denn er ist im Wesentlichen eine Beschreibung dessen, was eh schon gemacht wird, eine Beschreibung des Istzus tands. Weitere Ziele stehen nicht darin.
Wir fordern einen echten Aktionsplan, der konkrete Vorgaben bezüglich des Sollzustands hat, der zusam men mit den Betroffenen erarbeitet wird, der gesteu ert, überprüft und fortentwickelt wird, bei dem die Bud getfragen geklärt werden und der eine konkrete und klare Handlungsorientierung mit messbaren Zielen enthält. Wir brauchen auch Zeitvorgaben für Berichte und Berichte über Zwischenschritte, um das Ziel der Barrierefreiheit in zehn Jahren zu erreichen. Ganz wichtig ist für uns die Teilhabe der Betroffenen.
Ich bin eigentlich kein großer Fan dieser Bundeslän derVergleiche. Aber weil ich weiß, dass die bei Ihnen sehr beliebt sind, will ich Ihnen ein Beispiel an die Hand geben: Das Land RheinlandPfalz hat im Jahr 2010 als erstes Bundesland einen solchen Akti onsplan aufgelegt und ihn – das ist wichtig – stetig fortgeschrieben und weiterentwickelt. Aktuell ist man dabei, aus diesem Aktionsplan der Landesregierung einen echten LandesAktionsplan zu machen, der nicht nur das Regierungshandeln abbildet, sondern
auch die gesamte interessierte Öffentlichkeit einbe zieht: Institutionen, Verbände, Initiativen. Es gab sogar Workshops mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern mit und ohne Behinderung; es gab Internetfo ren usw. Man hat in allen Bereichen wirklich eine in klusive Gesellschaft abgebildet. Der Behindertenbe auftragte führt aktuell in RheinlandPfalz mit allen Ministerien auf Staatssekretärsebene Gespräche zur Abfrage in den Ressorts, welche Bestandteile des Ak tionsplans 2010 jetzt schon umgesetzt sind und wel che Maßnahmen als nächste kommen sollen. Dass der Behindertenbeauftragte eine solche Koordinie rungsfunktion übernimmt, ist nach meiner Auffassung ein kraftvolles Zeichen. Das würden wir uns auch wünschen.
Dann möchte ich zu einem ganz besonders wichtigen Thema kommen, zur Frage 4. Wir haben gefragt, wel che Vorschriften, welche Gesetze und welche Verord nungen nach Auffassung der Staatsregierung geän dert werden müssen, um das Prinzip der Barrierefreiheit in Bayern umzusetzen, wie von Minis terpräsident Seehofer angekündigt wurde. Nach Auf fassung der Staatsregierung besteht momentan kein Rechtsänderungsbedarf, auch im Hinblick auf das Bayerische Behindertengleichstellungsgesetz wird kein Änderungsbedarf gesehen. Da irren Sie sich. Inzwischen – das ist schon im Dezember 2014 gewe sen – haben sich die DINNormen geändert. Inzwi schen gibt es in der bekannten DIN 180403 eine neue Formulierung. Sie hat das alte Recht ersetzt und geändert. Sie ist jetzt Pflicht. Diese Planungsregeln gelten für das barrierefreie Bauen im gesamten Au ßenbereich. Die Norm enthält Grundregeln wie Maße für benötigte Verkehrsräume, richtige Maßeinheiten, Grundanforderungen zur Information und zur Orientie rung und zum ZweiSinnePrinzip, Anforderungen an die Oberflächen, an das Mobiliar im Außenbereich und an die Wegeketten. Diese Norm – das ist neu – beruht auf einem sogenannten Performancekonzept. Das heißt, sie ist ein Normenkonzept, das es dem An wender überlässt, wie und mit welchen Mitteln er die Anforderungen erfüllt.
Das heißt aber auch, dass die alten, überholten Nor men dringend geändert werden müssen und dass die Bauverordnungen geändert und angepasst werden müssen. Daran besteht ein dringender Bedarf. Die Vorgaben sind klar. Sie müssen jetzt umgesetzt wer den.
Eines noch ganz kurz, weil mir die Zeit ausgeht: Die Kollegin Celina hat auf den ersten Aktionsplan von vor einem Jahr hingewiesen, der leider nicht verwirklicht wurde. Er ist leider durch das Veto des Finanzministe riums kassiert worden, dass es einen Grundsatzbe schluss der Staatsregierung gebe, die Inklusion in
Bayern dürfe kein zusätzliches Geld kosten. Wenn dem so ist, müssen Sie den Grundsatzbeschluss ganz schnell ändern. Wir brauchen keine weiteren Sonderinvestitionsprogramme, in denen kein Geld steckt.
Bei dem, was wir bis jetzt haben, zum Beispiel die Förderung von Linienbussen, die Sie, Herr Kollege Rotter, angesprochen haben, werden Bundesmittel durchgereicht. Das ist kein neues Geld, und da müs sen wir noch einmal grundsätzlich werden. Wir rei chen Ihnen die Hand. Wir wollen zusammenarbeiten, weil wir wirklich ein barrierefreies Bayern wollen. Wir drücken aber auf die Tube und lassen da nicht locker – nicht um Sie zu ärgern, sondern weil wir dieses Ziel erreichen müssen. Aufgabe der Opposition ist die Kontrolle.
Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächste hat die Kollegin SchreyerStäblein von der CSU das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute die Interpellation zu beraten, und ich muss sagen: An der Interpellation kann man sehen, wo wir keine Kenntnisse haben. Wir können aber auch an vielen Stellen sehen, was sich bewegt. Ich hätte mir gewünscht, dass man auch das einmal in den Fokus nimmt.
Wir alle können Ministerpräsident Seehofer heute dafür danken, dass er das Ziel der Barrierefreiheit so sehr in den Blick nimmt und dieses Thema auch so deutlich gesetzt hat. Die Kollegin Wild hat vorhin davon gesprochen, dass es viele Abstimmungspro zesse zu allem und mit jedem hätte geben müssen. Wissen Sie, ich habe nichts dagegen, wenn ein Minis terpräsident sagt: Das ist mir wichtig, da möchte ich hin. Dann können die Truppen miteinander überlegen, was man alles tun muss. Wir können froh sein, dass Ministerpräsident Seehofer dieses Ziel gesetzt hat. Ich finde es ganz spannend, dass es offensichtlich Kollegen gibt, die schon 2015 wissen, dass es 2023 ein Problem geben kann. Nach dem, was ich bisher lese und was mir an Informationen zur Verfügung steht, kann ich nur sagen: Wir sind sehr wohl gut im Lauf. Besser machen kann man natürlich alles.
Ich finde es sehr schade, dass Sie die Themen ver mischen wollen. Wir können auch über Energiepolitik
sprechen. Ihr Ansatz für die Interpellation war ein an derer. Mir persönlich ist es wichtig, dass wir über Bar rierefreiheit sprechen. Bis zu Ihrem Zwischenruf eben hatte ich verstanden, dass das der SPD auch wichtig ist. Aber vielleicht ist es doch ganz anders.
Ich bin sehr froh, dass wir heute über Barrierefreiheit sprechen können, weil es zum einen um Geld, zum anderen aber auch um die Barrieren geht, die wir im Kopf haben. Genau deswegen ist es wichtig, dass wir uns alle miteinander darauf verständigt haben, den Artikel 24 der UNBehindertenrechtskonvention sehr ernst zu nehmen, und über die Möglichkeit der Teilha be auch im Bildungsbereich sprechen. Mein Part ist es, in den verbleibenden drei Minuten über den Bil dungsbereich zu sprechen.
Sie wissen, wir haben für die Betreuungseinrichtun gen, für die in erster Linie die Kommunen zuständig sind, im Rahmen des FAG Geld zur Verfügung ge stellt. Die Kommunen können das Geld abrufen und haben die Möglichkeit, wirklich vorwärtszukommen. Sie wissen auch, dass Sachaufwandsträger für die Schulen die Kommunen sind. Genau deswegen war es uns wichtig, im Rahmen des FAG Geld in den Haushalt zu stellen. Wir haben eine Arbeitsgruppe von Staatsregierung und Kommunen, die versucht, dieses Thema miteinander auf den Weg zu bringen. Mehrere Redner haben zu Recht angesprochen, dass es ein gemeinsames Spiel der verschiedenen Partner sein muss. Ich habe nicht die Sorge, dass es nicht funktioniert, wenn man miteinander redet und das mit einander entwickelt. Wenn man liest, welche Pläne wir haben, sieht man, dass das Ganze bisher recht gut in Schuss ist.
Zur Erinnerung: In Artikel 10 FAG haben wir Geld. Wir haben auch noch die Zuweisungsrichtlinie FAZR – ich habe sie mir extra herausgesucht –, nach der im För derrahmen 80 % vom Freistaat fließen, in Ausnahme fällen sogar 90 %. Man kann also nicht behaupten, der Freistaat würde nicht fördern. Der Kollege Rotter hat schon über die Baumaßnahmen gesprochen; denn um sie wird es maßgeblich gehen.
Aber das eine ist das Geld, und das andere ist der Bewusstseinswandel. So manche Rede habe ich bis jetzt eher als barriereerhöhend denn als barrierere senkend empfunden. Wenn wir Mut machen wollen, damit jeder in dieser Gesellschaft und jede politische Ebene ihren Beitrag leistet, müssen wir mit Feuereifer formulieren: Uns ist es wichtig, dass die Barrieren in den Köpfen und in der Realität abgebaut werden.
Frau Waldmann, ich fand Ihre Ausführungen deswe gen sehr wichtig. Sie haben an vielen Stellen darauf hingewiesen, was zu tun ist. Das müssen wir auch
miteinander tun. Aber es hilft uns nichts, nur zu sagen: Alles schlimm, alles schrecklich. Wir müssen miteinander überlegen, wie wir die Punkte angehen.
Der Kollege Fahn hat davon gesprochen, dass die Bürger darauf achten werden, welches Versprechen gehalten worden ist. Da stimme ich Ihnen zu. Deswe gen ist Ministerpräsident Seehofer auch souverän wiedergewählt worden. Ich bin ganz Ihrer Auffassung.
Wir brauchen neben allen Geldfragen und neben einem Bewusstseinswandel natürlich Information. Deswegen war es wichtig, dass die Beratungsstelle "Barrierefreies Bauen" erweitert wurde und die Archi tektenkammer die Möglichkeit hat, jeden zu beraten, der das braucht; denn man kann unter Barrierefreiheit durchaus sehr unterschiedliche Dinge verstehen. Das ist wichtig, und da werden wir dranbleiben müssen.
Wir brauchen natürlich Standorte, und die Zahl der Standorte hat sich ja verdoppelt. Genauso notwendig ist es natürlich, Anreize zu schaffen, damit Barrieren abgebaut werden. Wir müssen uns miteinander über legen, wie wir es schaffen können, dass die Privatwirt schaft Anreize schafft. Das Audit Barrierefreiheit leis tet dazu einen Beitrag.
Mir ist bewusst, dass man all diese Punkte ergänzen, ausweiten und beraten kann. Aber wir sollten auch festhalten, was in den letzten zwei Jahren alles ge schehen ist. Ich glaube, damit können wir sehr zufrie den sein. Wir brauchen natürlich eine breit angelegte Kampagne, um das Ziel "Bayern barrierefrei" 2023 zu erreichen. Deswegen war es wichtig, im Doppelhaus halt neben den Geldern in den Einzelhaushalten noch 3,5 Millionen Euro für flankierende Maßnahmen ein zustellen, damit wir wirklich vorwärtskommen.
Ich möchte nur noch sagen, dass ein Aktionsplan noch lange nicht heißt, dass alles umgesetzt wird. Wir haben das Pa pier "Barrierefreiheit 2023". Ich glaube, dass wir mit ihm sehr gut zurechtkommen. Wir werden sicher ge meinsam durch flammende Reden für Barrierefreiheit und nicht nur durch Bedenken dafür Sorge tragen, das Thema auf den Weg zu bringen.
Frau Kolle gin, bleiben Sie bitte am Rednerpult. Die Frau Kolle gin Celina hat sich zu einer Zwischenbemerkung ge meldet.
Liebe Kollegin, Sie haben davon gesprochen, dass wir eine Kampagne brau chen und dass die Barriere in den Köpfen beseitigt werden muss. Sie haben appellativ ganz viele Maß nahmen aufgezählt. Aber mir fehlt eine Bestandsauf nahme, was schon getan wurde und was an zusätz lichem Geld kommen wird. Zum Beispiel hätten wir schon längst eine Fachstelle einrichten können, die die notwendige fachliche Expertise und das planeri sche Knowhow für eine barrierefreie Gestaltung sämtlicher Lebensbereiche bündelt, anstatt nur die Ar chitektenkammer zu benennen.
Wir hätten schon längst ein zentrales bayerisches In formationsportal als OnlineAngebot einer groß ange legten Kampagne für Öffentlichkeitsarbeit und Aufklä rung schaffen können. All das ist in den letzten zwei Jahren noch nicht geschehen. Wir haben kein eige nes großes Förderprogramm für die Kommunen, und wir haben nichts an konkreten Maßnahmen, die in den ersten zwei Jahren schon ohne eine große Be standsaufnahme hätten kommen können. Das finde ich enttäuschend.
Frau Kollegin Ce lina, wenn ich im Internet suche, finde ich viele Infor mationen zur Barrierefreiheit. Das ist der erste Punkt. Zum Zweiten möchte ich Ihnen sagen, dass sich gera de die Kommunen oftmals sehr gut auf den Weg ge macht haben und dass viele Landratsämter und Kom munen sehr wohl Informationen haben. Es ist nicht so, dass die Informationen nicht vorhanden wären. Wir müssen erreichen, dass auch jeder in den Kom munen versteht – der Freistaat versteht es –, warum wir Barrierefreiheit brauchen, und dann seinen Job in seinem Verantwortungsbereich erledigt. Was dazu nicht beiträgt, ist die polemische Frage, ob der Minis terpräsident da ist. Was dazu auch nicht beiträgt, ist bloßes Meckern und der Hinweis darauf, was angeb lich alles nicht läuft.
Wir könnten durchaus Beratungsstellen schaffen. Al lerdings würde sich keine einzige Kommune wirklich daran orientieren. Die Kommunen machen ihr Ding, und zwar in der Stärke, in der sie es machen wollen die einen mehr, die anderen weniger.
Wir alle haben den Vorteil, dass wir in Gemeinderä ten, Kreisräten oder Stadträten vertreten sind. Dort kann jeder von uns entsprechende Vorhaben anschie
Frau Kollegin, ich finde es wun derbar, wenn man sich die Dinge durch die rosarote Brille anschaut. Aber ab und an sollte man sie abneh men.
Sie sagen, eine Beratung könne durch die Architek tenkammer stattfinden. Dann frage ich Sie: Wissen Sie um die personelle Besetzung? Wissen Sie, dass im Grunde nur ein Architekt dafür zur Verfügung steht?
Dann sagen Sie, überall in den Kommunen funktionie re das schon sehr gut, und die Landratsämter würden das umsetzen. Ist Ihnen bekannt, was in den Antwor ten zu der Interpellation dazu zu lesen ist? Dort steht, man sei sich der Problematik bewusst, müsse aber noch stark sensibilisieren; bei den Bezirksregierungen sollen entsprechende Stellen eingerichtet werden, um die Aufgaben zu bewältigen. Es scheint also noch großer Handlungsbedarf zu bestehen. Ist Ihnen das bekannt?