Protokoll der Sitzung vom 18.06.2015

(Unruhe bei der CSU)

Um praktische Alternativen aufzuzeigen, hat unsere Fraktion ein umfangreiches Antragspaket zur Umset zung der Barrierefreiheit in Bayern vorgelegt. Barrie refreiheit das muss uns klar sein hilft schließlich nicht nur den 1,1 Millionen schwerbehinderten Men schen in Bayern, sondern auch den mobilitätseinge schränkten Menschen, den älteren Menschen, den El tern mit kleinen Kindern und den vorübergehend gehandicapten Menschen. Im Zuge des demografi schen Wandels wird die Zahl der älteren Menschen, die auf eine barrierefreie Umwelt angewiesen sind, weiter zunehmen. Die Schaffung der Barrierefreiheit ist deshalb keine Kür, sondern eine Pflicht für die Bayerische Staatsregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir fordern ein kraftvolles Signal des Freistaates Bay ern, dass er zu seinen Verpflichtungen und Verspre chungen steht.

Lieber Herr Unterländer, Sie sagten, Sie seien froh, dass das Thema Barrierefreiheit Chefsache sei. Das ist es nicht, wie ich Ihnen dargelegt habe. Der Chef ist auch gar nicht erst da, und der zweite Chef auch nicht.

(Joachim Unterländer (CSU): Ein Ministerpräsi dent hat viele Aufgaben!)

Ich weiß, dass er viele Aufgaben hat.

(Zuruf von der CSU: Anscheinend wissen Sie das nicht!)

Deshalb mein Appell an Sie, Ihre Fraktion und an den Ministerpräsidenten: Machen Sie Barrierefreiheit end lich zur Chefsache mit einem Sonderinvestitionspro gramm, das diesen Namen verdient!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Danke schön, Frau Kollegin. Als Nächster hat Herr Kollege Rotter von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kolle ge.

Herr Vizepräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CSUFraktion steht zu dem ambitionierten Ziel, das der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung im November 2013 vor gegeben hat, den Freistaat bis 2023 im öffentlichen Raum und im öffentlichen Personennahverkehr barrie refrei zu machen. Der Ministerpräsident ist heute nicht da, doch mittlerweile sollte auch bei meiner Vorredne rin, Frau Celina, angekommen sein: Er ist bei einer sehr, sehr wichtigen Asylkonferenz, die in Berlin statt findet. Sie alle wissen, wie sehr uns dieses Thema in den vergangenen Monaten beschäftigt hat, wie sehr es uns leider auch in den kommenden Monaten, wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren be schäftigen wird, und zwar noch mehr als dieses heuti ge Thema, das wir ebenfalls als sehr wichtig ansehen. Von daher hätte ich einen Antrag im Ältestenrat er wartet, die Debatte auf einen Zeitpunkt zu verschie ben, an dem auch der Ministerpräsident anwesend sein kann. Ihm aber in die Schuhe schieben zu wol len, er sähe dieses Problem nicht mehr als bedeutend an, das ist unredlich!

(Lebhafter Beifall bei der CSU – Zuruf der Abge ordneten Christine Kamm (GRÜNE))

Herr Kolle ge Rotter, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Nachdem es hier Unklarheit gibt, kann ich mitteilen: Der Herr Mi nisterpräsident nimmt an der Ministerpräsidentenkon ferenz in Berlin teil. Deshalb kann er heute nicht im Plenum sein.

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Zum Thema Asyl, genau.

(Karl Freller (CSU): Die nehmen doch das Thema Asyl nicht wichtig!)

Mobilität ist ein besonderes Handlungsfeld beim Thema Barrierefreiheit. Es ist keineswegs still und heimlich verschwunden. Wir beschäftigen uns immer wieder mit diesem Thema, gerade auch hier im Bay erischen Landtag, auch ohne das Programm "Bayern barrierefrei" jeweils zum Gegenstand zu machen. Mo bilität ist eine elementare Voraussetzung für die Teil habe am Leben in der Gesellschaft. Das gilt insbeson dere für die Teilhabe am Arbeitsleben, letztlich aber für jeden Bereich. Von der Barrierefreiheit im öffentli chen Verkehr profitieren nicht nur Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer, sondern insbesondere auch blinde, sehbehinderte, gehörlose und schwerhörige Men schen. Im Übrigen profitieren davon auch Frauen und Männer, die mit Kinderwägen oder mit schwerem Ge päck unterwegs sind. Sie alle haben sehr viel davon. Genau das ist der Grund, warum wir uns nicht erst seit der Regierungserklärung vom November 2013 mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigen.

Wir haben die Barrierefreiheit seit einigen Jahren sehr stark bei der Busförderung priorisiert, für die seit vie len Jahren 30 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Es werden ganz überwiegend Niederflurbusse gefördert. Andere Fahrzeugen werden nur dann ge fördert, wenn sie mit den notwendigen Hubliften aus gestattet sind. Diese werden auf dem Land häufig als die bessere Lösung angesehen, um beispielsweise Rollstuhlfahrer in die Busse und wieder heraus zu be fördern. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt. Wir för dern auch nur solche Busse, die optisch und akus tisch anzeigen, wo die nächsten Haltestellen sind. Wenn Sie so viel im öffentlichen Verkehr unterwegs wären wie ich, dann wüssten Sie vielleicht, welche Fortschritte gerade in den vergangenen Jahren bei den Bussen, den Trambahnen und den UBahnen er zielt worden sind. Das gilt nicht nur für Neufahrzeuge, sondern das gilt auch für Nachrüstungen. In meinem Stimmkreis rede ich Jahr für Jahr mit den Blinden und den Gehörlosenverbänden und erfahre, es wird dankbar angenommen und zur Kenntnis genommen, was sich hier in den vergangenen Jahren bewegt hat.

Es war mir klar, dass das Thema Barrierefreiheit an den Bahnhöfen hier ein Lieblingsthema sein wird. Ich sage Ihnen dazu, was ich Ihnen vor zwei Monaten zum gleichen Thema schon einmal gesagt habe: Die Bahn und der Bund sind originär zuständig. Die Bahn ist Eigentümerin der Bahnhöfe, und der Bund ist der alleinige Eigentümer der DB AG. Deshalb sind diese beiden primär in der Verantwortung. Weil wir es gleichwohl als wichtig ansehen, hat der Freistaat Bay ern schon vor rund 15 Jahren ein erstes Programm mit damals 200 Millionen DM bzw. 102 Millionen Euro aufgelegt. Damit haben wir die Barrierefreiheit an Bahnhöfen gefördert. Wir haben viele wichtige Statio nen, vor allem in den SBahnNetzen Nürnberg und München, damit umbauen können.

(Beifall bei der CSU)

Auch mir gefällt nicht, dass so wichtige Bahnhöfe wie der Bahnhof Würzburg noch immer nicht barrierefrei sind. Die Stadt Augsburg ist doppelt so groß wie Würzburg, und auch dort gibt es Probleme. Frau Kol legin Kamm sitzt hinter Ihnen, Frau Celina, die kann Ihnen einiges erzählen und berichten, welche Defizite da noch sind. Es liegt aber nicht am Freistaat, dass es da nicht weitergeht, sondern es liegt an örtlichen Be sonderheiten. Ich habe mich extra bei Herrn Kollegen Jörg erkundigt, ob ich es richtig in Erinnerung habe. In Würzburg lag das am Trinkwasserschutz und an der mangelnden Mithilfe der Stadt bei der Planung. Da ist in den vergangenen Jahren wenig geschehen, bis Frau Präsidentin Stamm Sie haben es erwähnt sich dieses Themas angenommen hat. Auch Staatssekre tär Eck und der neue Oberbürgermeister von Würz burg waren dabei, und nun tut sich endlich etwas. Auch in Augsburg das werden Sie mir zugestehen, Frau Kamm sind es örtliche Besonderheiten, die die Sache so verzögern, wie wir alle das nicht wünschen.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Christine Kamm (GRÜNE))

Im Übrigen sind aber nach wie vor der Bund und die DB AG in der Verantwortung. Sie bekommen von uns Unterstützung, obwohl wir dazu nicht verpflichtet sind, weil wir die besondere Bedeutung sehen.

(Zuruf der Abgeordneten Christine Kamm (GRÜNE))

Bei der ganzen Sache muss man aber Prioritäten set zen, was man als Erstes baut. Da wären zuerst die Größten zu nennen, das ist der SBahnBereich. Das habe ich schon erwähnt. Dann geht es um Fahrgast frequenz, um die Knotenfunktion, damit auch das Um steigen an den Knotenbahnhöfen erleichtert wird. Schließlich sollten natürlich auch Kur und Tourismus gemeinden berücksichtigt werden. Auch das habe ich

beim dafür zuständigen DBManager, Herrn Günther Pichler, bereits vor über zwei Jahren angemahnt. Er soll beispielsweise darauf achten, wo RehaKliniken sind, damit Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer, die dort ankommen, zurechtkommen. Das sollte prioritär behandelt werden.

Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld sind die staatli chen Gebäude, die öffentlich zugänglich sind. Hier ist zunächst eine Bestandserhebung erfolgt. Wir sind ja erst im zweiten Jahr dieses ZehnJahresProgramms.

(Kerstin Celina (GRÜNE): Schon im zweiten Jahr!)

Zunächst einmal muss man den Bestand erheben. Das ist eine Grundvoraussetzung; denn schließlich wollen wir die Dinge nicht chaotisch angehen. Dann geht es um die bauliche Umsetzung dieser ausge wählten Maßnahmen. Sie erfolgt durch Mittelzuwei sungen der Ressorts an die jeweils zuständigen staat lichen Bauämter. Wir haben im Rahmen unserer Programme bei der Städtebauförderung immer auch die Barrierefreiheit mit im Blick. Im Wohnungsbau wird der Neubau von Mietwohnungen nur dann gefördert, wenn eine entsprechende Anzahl von Wohnungen barrierefrei ist. Seit 2008 müssen alle geförderten Mietwohnungen barrierefrei geplant sein, und auch für die Anpassung des Wohnungsbestandes an die Be dürfnisse älterer Menschen und von Menschen mit Behinderung gibt es Förderungen. Im staatlichen Straßen wie auch im Hochbau wird zur Qualitätssi cherung im Übrigen ein Audit "Barrierefreies Bauen" durchgeführt. Von einer Vorrednerin sind die Studen tenwohnheimplätze erwähnt worden; da haben zumin dest wir die Zahl 17 verstanden: Gar so dramatisch ist es nicht; immerhin sind 117 Plätze derzeit barrierefrei. Weitere 39 sind in der Planung und Umsetzung.

Wir haben im Bereich der Kommunen zunächst ein mal eine Modellphase mit diesen 16 Teilnehmerge meinden aus ganz Bayern; das muss jeweils erprobt werden, damit man weiß, wie weiter vorgegangen werden kann. Wir lassen die Kommunen auch bei die sem Punkt nicht im Regen stehen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Wir sind generell das kommunalfreundlichste Bundes land in Deutschland

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hans Jürgen Fahn (FREIE WÄHLER))

und fördern im Übrigen über den kommunalen Fi nanzausgleich den barrierefreien Ausbau von Schulen und Kindertageseinrichtungen in den Jahren 2015 und 2016 mit jeweils 11 Millionen Euro.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hans Jürgen Fahn (FREIE WÄHLER))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden auch in den kommenden acht Jahren alles tun, um das ehr geizige Ziel "Bayern barrierefrei 2023" zu erreichen.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kolle ge, bleiben Sie bitte am Rednerpult. Frau Kollegin Ce lina hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Kollege, Sie sagten, wir seien erst im zweiten Jahr. Ich sage demgegen über: Wir sind schon im zweiten Jahr. Wir haben doch nicht erst nach der Regierungserklärung von Herrn Seehofer angefangen, über das Thema nachzuden ken. Es gab vorher schon ein Programm "Bayern bar rierefrei 2025" unter der ehemaligen Ministerin Hader thauer. Wir waren im Jahr 2013 doch nicht im luftleeren Raum; Bestandsaufnahmen und Analysen müssen da schon vorgelegen haben. Wenn ich höre, wir sind jetzt erst im zweiten Jahr und haben noch acht Jahre um umzusetzen, muss ich fragen: Wie soll das denn gehen? Der Ministerpräsident zieht das Ziel vor. Ich gehe davon aus, dass die Bestandsaufnah men und Analysen schon geschehen sind und nicht erst jetzt stattfinden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Herr Kolle ge Rotter, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Geschätzte Frau Kollegin Celina, ich habe Verständnis für Ihre Ungeduld. Aber ich habe in meinem Redebeitrag ausgeführt wenn Sie mir richtig zugehört haben, haben Sie es gehört , dass wir bei der Barrierefreiheit schon Jahre vorher gerade im Bereich Mobilität sehr vieles auf den Weg gebracht haben. Bei der hohen Anzahl staatlicher Ge bäude, die Sie selber erwähnt haben – ich will sie gar nicht wiederholen , brauchen wir zunächst einmal eine Bestandsaufnahme und eine Planung. Dass dies einige Zeit in Anspruch nimmt, dafür habe zumindest ich Verständnis.

(Beifall bei der CSU – Dr. Paul Wengert (SPD): Das mach ich doch, bevor ich eine Regierungser klärung abgebe! – Dr. Hans Jürgen Fahn (FREIE WÄHLER): Ja, genau!)

Danke schön, Herr Kollege Rotter. Als Nächste hat jetzt

Frau Kollegin Waldmann das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

(Von der Rednerin nicht au torisiert) Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolle ginnen und Kollegen!

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Wir haben eigentlich Glück; wir haben erstmals einen Ministerpräsidenten, der in der Sozial und Gesund heitspolitik kein Neuling, kein Novize, sondern ein ausgewiesener Fachmann ist. Er war Bundesgesund heitsminister und Präsident des VdK, des größten So zialverbandes in Bayern. Das hat zusätzliche Würze in sein Versprechen gebracht, dass Bayern in zehn Jahren barrierefrei ist. Da möchten wir ihn auch bei der Ehre packen. Uns geht es darum, festzustellen, ob die Staatsregierung wirklich die größtmöglichen Anstrengungen unternimmt, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen.

Herr Kollege Unterländer, wir sind uns öfter einmal einig. Ich möchte aber doch sagen und das wissen Sie eigentlich auch : Davon, dass wir negative Schlagzeilen produzieren, kann keine Rede sein. Ich habe immer gesagt, dass ich von diesem Verspre chen des Ministerpräsidenten begeistert bin, aber dass ich ihn auch beim Wort nehme. Darum geht es uns. Wenn das Versprechen relativiert wird, wenn die eingestellten Mittel hinten und vorne nicht auszurei chen scheinen, entsteht halt Enttäuschung, die er selbst produziert hat. Das muss man ihm mit auf den Weg geben. Ich weiß nicht, was er zu dem Vorliegen den gesagt hätte, wenn er immer noch VdKPräsident wäre und diese andere Rolle hätte.

Wir reden heute aber nicht nur über Barrierefreiheit und Inklusion im Allgemeinen und Besonderen, son dern auch über die Interpellation, die wir eingereicht haben und die jetzt beantwortet worden ist. Wir haben sie eingereicht, um genau diese Bestandsaufnahme zu erreichen, die bislang gefehlt hat. Sie soll die Staatsregierung nicht ärgern, sondern eine Grundlage für künftiges Handeln definieren. Schauen wir uns mal an, was zum Beispiel zur Barrierefreiheit im öffentli chen Raum herausgekommen ist.