Protokoll der Sitzung vom 08.07.2015

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Laut Artikel 121 der Bayerischen Verfassung sollen Staat und Gemeinden den ehrenamtlichen Einsatz für das Gemeinwohl fördern. Diesen hehren Worten müssen Sie von der CSU endlich Taten folgen lassen. Die Gewährung eines gesetzlichen Freistellunganspruchs wäre ein erster, längst überfälliger Schritt, um das kommunale Ehrenamt zu stärken. Diese Chance lassen Sie heute leider erneut verstreichen. Das ist schade. Die kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger hätten es verdient, dass auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mehr Engagement zeigen würden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Herr Kollege Lederer von der CSU-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! "Gemeinden sind wichtiger als der Staat." Das hat der ehemalige Bundespräsident Theodor Heuss einmal gesagt. Dieses Zitat hat sicherlich nach wie vor Gültigkeit.

Wer gestaltet in den Kommunen? - Es sind in großer Zahl ehrenamtliche Mandatsträger. Deshalb ist es hier im Hohen Hause unser aller Absicht, das kommunale Ehrenamt zu stärken. Da aber das kommunale Ehrenamt bei uns in Bayern bereits einen sehr hohen Stellenwert genießt, ist es umso wichtiger, die Vorteile und die Nachteile einer Gesetzesänderung genau abzuwägen, um festzustellen, ob die vorgeschlagene Gesetzesänderung tatsächlich mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt.

Deshalb war es sinnvoll, dass wir hierzu im zuständigen Ausschuss eine Expertenanhörung durchgeführt haben. Diese hat meines Erachtens gezeigt, dass die Probleme, die uns von den beiden Vorrednern so intensiv geschildert wurden, tatsächlich nicht so groß sind, dass sie in allen Verbänden in dieser Heftigkeit aufgeschlagen wären. Im Gegenteil, die kommunalen Spitzenverbände – allesamt! – sahen nicht nur in der Expertenanhörung, sondern auch in der Verbändeanhörung zu dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion keinen Bedarf für eine Änderung. Im Gegenteil: Sie haben sich gegen eine gesetzliche Änderung ausgesprochen. So hat zum Beispiel der zuständige Rechtsausschuss des Städtetags einstimmig, über alle Parteien hinweg, eine Gesetzesänderung in diesem Punkt abgelehnt.

Lieber Kollege Scheuenstuhl, Sie haben gerade eine flammende Rede gehalten, aber Sie haben es ja nicht einmal geschafft, die eigenen, im Städtetag aktiven Bürgermeister von Ihren Argumenten zu überzeugen.

(Beifall bei der CSU – Harry Scheuenstuhl (SPD): Wollt ihr im Rat in Zukunft Gegenstimmen haben?)

Warum haben denn die kommunalen Spitzenverbände einen Vorbehalt? Nicht wegen der hohen Kosten. Zumindest habe ich das nirgends gelesen.

(Harry Scheuenstuhl (SPD): Weil die immer einstimmig abstimmen!)

Aber es wurden andere Argumente aufgeführt, zum Beispiel, dass man befürchtet, kleine oder mittlere Unternehmen über Gebühr zu belasten, aber auch das Argument – das haben wir in der Expertenanhörung gehört, übrigens von einem Bürgermeister der FREIEN WÄHLER -, dass es auch zum Nachteil der Arbeitnehmer sein könnte. Ich zitiere:

Was jetzt möglicherweise als Bonus in der Arbeitswelt gesehen wird, wenn sich jemand ehrenamtlich kommunalpolitisch engagiert, kippt möglicherweise durch einen Freistellungsanspruch in einen Malus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, vielleicht sollten Sie sich zunächst mit Ihren aktiven Kommunalpolitikern auseinandersetzen und deren Argumente hören, bevor Sie heute zustimmen.

(Harry Scheuenstuhl (SPD): Das ist einer von Ihnen, nicht von uns!)

Das oft bemühte Argument der Rechtssicherheit – wir haben es vorhin vom Kollegen Mistol gehört – könnte jetzt glauben machen, dass die bestehende Rechtsla

ge Rechtsunsicherheit in sich birgt. Das ist aber nicht der Fall. Das haben wir auch in der Expertenanhörung so gehört. Im Gegenteil: In der vorgeschlagenen Lösung des Gesetzentwurfs der SPD heißt es, dass kommunalpolitisch Ehrenamtliche die "erforderliche" Freistellung erhalten sollen. Diese aus meiner Sicht sehr schwammige Formulierung könnte dazu führen, dass Rechtsunsicherheit erst entsteht. Auch das wurde von Verbänden vorgebracht.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wengert zu?

Am Ende gerne.

Am Ende, gut. – Bitte sehr!

Die noch weiter reichenden Forderungen der GRÜNEN, nämlich auch Verdienstausfallentschädigungen bei Gleitzeit oder vollständig flexibler Arbeitszeit zu gewähren oder auch Anspruch auf Bildungsurlaub für die Teilnahme an kommunalpolitischen Veranstaltungen zu schaffen, gehen mir persönlich zu weit. Ich bin insbesondere beim Letzten der Meinung, dass das entweder durch die Tarifparteien generell oder aber individuell im jeweiligen Arbeitsverhältnis geregelt werden sollte.

Aber jetzt komme ich noch einmal auf die Eingangssituation zurück. Wir alle – das ist, glaube ich, auch im Ausschuss klar geworden - haben die Intention, das kommunale Ehrenamt zu stärken. Die Frage ist nur, ob ein gesetzlicher Rechtsanspruch dafür wirklich das geeignete Mittel ist. Ich bin der Meinung, dass es das nicht ist. Und warum? – Weil in der Anhörung ganz klar festgestellt wurde, dass er kaum zu mehr Freistellungen führen wird, im Gegenteil. Es gibt in Bayern ohne gesetzlichen Anspruch viel mehr Freistellungen als in anderen Bundesländern mit gesetzlichem Anspruch. Das wurde uns hier von der Wissenschaft bestätigt. Zum anderen – das wurde ebenfalls wissenschaftlich bestätigt – weicht in den Bundesländern mit gesetzlichem Freistellungsanspruch die Praxis häufig vom Gesetz ab. Die Wissenschaft sagt uns aber noch mehr. Sie können das alle in den Protokollen und in den entsprechenden Stellungnahmen nachlesen.

Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen Folgendes:

Beide Systeme, mit oder ohne gesetzlichen Freistellungsanspruch, funktionieren ähnlich gut. Die Probleme sind in dem einen wie in dem anderen gleich gelagert. Es gibt nirgendwo häufigere Freistellungen. Das muss man hier ganz deutlich sagen.

(Harry Scheuenstuhl (SPD): Es gibt auch keine Freistellungen, wenn ich sowieso nicht darf!)

Lieber Kollege Mistol, auch die Spiegelbildlichkeit oder Parität in den einzelnen Gremien wird durch eine solche Maßnahme nicht verbessert. Dies ist ein Trugschluss. Fragen Sie doch einmal bei der Uni Lüneburg nach; ich habe es gemacht. Frau Professor Marion Reiser hat gesagt, entscheidend sei in beiden Varianten, dass Arbeitgeber und Kollegen die Ausübung des kommunalpolitischen Mandats unterstützten und dass die Ratsarbeit so organisiert sei, dass sie möglichst gut mit der Berufstätigkeit vereinbar sei.

Der eine Gesichtspunkt ist die Unterstützung durch Arbeitgeber und Kollegen. Das funktioniert in Bayern sehr gut. Ansonsten hätten wir hier nicht mehr Freistellungen als in anderen Bundesländern. Ob die Ratsarbeit tatsächlich so organisiert wird, dass sie möglichst gut mit Beruf und Familie vereinbar ist, hängt von der einzelnen Kommune ab. Das Thema Sitzungszeiten spielt hier eine große Rolle. Die Umfrage hat gezeigt: Im Gegensatz zu anderen Bundesländern beginnt in zwei Dritteln der größeren Städte in Bayern die Sitzung bereits vor 14.00 Uhr. Ja, klar, das ist nicht mit Familie und Beruf vereinbar! Die Sitzungszeiten müssen diesem Erfordernis gerecht werden. Die Dauer der Sitzungen muss dem gerecht werden, Planungssicherheit muss bei diesen Sitzungen gegeben sein. Das haben aber die Kommunen selbst in der Hand.

Der andere Gesichtspunkt ist die Organisation der Ratsarbeit. Wie sind die einzelnen Fraktionen hier ausgestattet? Gibt es entsprechende Referenten? Auch das, so hat die Untersuchung ergeben, ist in Bayern weit weniger gegeben als in anderen Bundesländern. Hier gibt es also durchaus Möglichkeiten, das kommunale Ehrenamt zu stärken.

Fazit: Die vorgeschlagene gesetzliche Regelung führt nicht zur Beseitigung der Probleme, die hier angesprochen wurden. Sie birgt aber das Risiko, weitere Probleme für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaffen. Deshalb birgt das Ganze mehr Nachteile als Vorteile. Wir vonseiten der CSU werden den Gesetzentwurf deshalb ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Kollege. Bleiben Sie bitte am Rednerpult. Es liegen zwei Wortmeldungen für Zwischenbemerkungen vor. Zunächst hat Herr Kollege Wengert das Wort und dann Herr Kollege Mistol. – Bitte sehr, Herr Kollege Wengert!

Herr Kollege Lederer, stimmen Sie mir erstens zu, dass die Gremien der kommunalen Spitzenverbände, insbesondere Städtetag und Gemeindetag, überwiegend, wenn nicht sogar ausschließlich, mit Bürgermeister- und Oberbürgermeister-Kolleginnen und -Kollegen besetzt sind, die naturgemäß eine etwas andere Sicht der Dinge haben als ehrenamtliche Gemeinderatsmitglieder?

Zweitens. Können Sie mir zustimmen, dass es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers ist, in den einschlägigen kommunalrechtlichen Bestimmungen zu regeln, wie Mandatsträger im Hinblick auf Freistellungen zu behandeln sind, und dass das nicht in erster Linie Gegenstand von Tarifverträgen sein kann oder sein müsste?

Drittens. Auf die bestehende Ungleichbehandlung, was die zu gewährende Freistellung betrifft, von einerseits Beamtinnen und Beamten und Beschäftigen des öffentlichen Dienstes und andererseits von Personen, die eben nicht das Privileg haben, beim Staat oder bei den Kommunen beschäftigt zu sein, und die deswegen als Bittsteller auftreten müssen, wenn sie für Sitzungen des Gemeinderats, des Kreistags oder des Stadtrats freigestellt werden möchten, sind Sie mit keinem Wort eingegangen.

Dass es in großem Umfang in Bayern gelingt, will ich nicht bestreiten. Nur, wir machen Gesetze in der Regel immer für die Fälle, in denen gesellschaftliche Normen tatsächlich nicht von allen anerkannt werden. Wir bräuchten keine Straßenverkehrsordnung mit hundert Paragrafen, wenn sich die Menschen an § 1 Absatz 2 der Straßenverkehrsordnung halten würden. Weil das im gemeindlichen Bereich nicht anders ist, brauchen wir eine Regelung, dass auch nicht im öffentlichen Dienst Beschäftigte, normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,

Herr Kollege, Sie haben Ihre zwei Minuten deutlich überschritten.

- freigestellt werden. – Herzlichen Dank, Herr Präsident.

Herr Kollege Lederer, Sie haben das Wort.

Zum Thema hauptamtliche Bürgermeister im Städtetag versus kommunales Ehrenamt: Ich gehe schon davon aus, dass auch aktive hauptamtliche Bürgermeister nicht nur das Thema Bürgermeisteramt im Blick haben, sondern natürlich auch das Thema Stadtrat und Gemeinderat und dass das in den anderen Gremien ganz ähnlich der Fall ist. Genau das ist der Grund, weshalb wir diese Körper

schaften des öffentlichen Rechts anhören, wenn wir beabsichtigen, ein Gesetz einzuführen.

Der nächste Punkt. Soll eine Regelung der Hoheit der Tarifparteien überlassen bleiben oder im Gesetz erfolgen? Wenn es doch so ist – das hat uns die Anhörung gezeigt, und ich habe daraus vorhin auch noch einmal zitiert –, dass dort, wo gesetzliche Regelungen bestehen, diese dennoch nicht überall zur Anwendung kommen, und wenn das Vorliegen einer gesetzlichen Regelung nicht dazu führt, dass sich die Situation verbessert, dann bin ich schon der Meinung, dass man vielleicht versuchen sollte, das Ganze über Tarifverträge oder individuelle Arbeitsverträge zu regeln.

Beim Thema "öffentlicher Dienst und sonstige Arbeitnehmer" sind die Probleme auch nicht anders gelagert; auch das hat die Anhörung gezeigt. Diese Probleme im Bereich des öffentlichen Dienstes existieren übrigens auch bei uns in Bayern – darauf hat auch der Kollege Scheuenstuhl hingewiesen –, obwohl es hier gesetzliche Regelungen gibt. Wer daher glaubt, mit der beantragten gesetzlichen Regelung die Probleme lösen zu können, dem muss ich sagen: Das ist nicht der Fall.

Ich persönlich befürchte, dass, wenn wir eine solche Regelung ins Gesetz hineinschreiben, dann noch andere Effekte entstehen, die vielleicht zu einer Verschlechterung führen. Das ist der Grund, warum wir hier nicht mitgehen können.

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Mistol zu einer Zwischenbemerkung das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Kollege Lederer, ich gestehe Ihnen zu, dass bei der Anhörung von den Experten sehr unterschiedliche Einschätzungen abgegeben worden sind, was den Sinn und Zweck des Freistellungsanspruchs für Kommunalpolitiker angeht. Allerdings war auch die Qualität der Beiträge sehr unterschiedlich. So war zum Beispiel die von Ihnen erwähnte gemeinsame Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände noch nicht mal eine Seite lang; ich glaube, es waren noch nicht einmal zehn Zeilen, auf die Sie sich da bezogen haben. Sind Sie mit mir der Meinung, dass eine zehnzeilige Stellungnahme vielleicht nicht ganz so qualifiziert ist wie manch andere Stellungnahmen, die abgegeben worden sind?

Da gab es auch noch die Stellungnahme des von Ihnen vorgeschlagenen Experten, eines Vertreters der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU, der sinngemäß gesagt hat, ein Freistellungsanspruch würde falsche Anreize schaffen, weil sich dann vielleicht Personen nur deshalb ins Kommunalparlament wählen

lassen, damit sie freigestellt werden. Sind Sie dieser Auffassung? - Das würde mich auch noch interessieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Mistol. – Herr Kollege, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Ich gebe Ihnen recht. In der Expertenanhörung gab es ganz unterschiedliche Beiträge, die man durchaus – wie Sie, glaube ich, gesagt haben – als von unterschiedlichem Niveau bezeichnen kann. Die letzte Ausführung möchte ich nicht unterstreichen. Da bin ich bei Ihnen; da klaffen unsere Meinungen nicht auseinander.

Zwei Dinge möchte ich jedoch hervorheben: Meine erste Anmerkung bezieht sich auf die kommunalen Spitzenverbände. Das eine war die Expertenanhörung, und da bin ich bei Ihnen. Das andere war die Stellungnahme zum Gesetz, und da stand bei der einen oder anderen Stellungnahme durchaus ein etwas längerer Text als nur die besagten zehn Zeilen.