Protokoll der Sitzung vom 16.07.2015

(Beifall bei der CSU)

Das ist meine persönliche Meinung, ich wollte Ihnen persönlich antworten, Herr Herz. Ich wollte Ihnen persönlich antworten. Ich sage Ihnen auch, ich kann nicht ausschließen, dass es noch einen vierten Versuch für ein Rettungspaket geben wird. Ich kann auch nicht ausschließen, dass Sie mir am Ende vorwerfen werden, dass ich einem Fass ohne Boden das Wort geredet habe. Ich sagen Ihnen aber auch: Das ist mir lieber als weitere Auseinandersetzungen, als weitere Konflikte, und es ist mir erst recht lieber als einen unnötigen Konflikt Deutschland – Griechenland fortzuführen, wenn wir die Chance haben, zu helfen und das zu überwinden. Das ist aber meine persönliche Meinung.

(Beifall bei der CSU, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Rinderspacher. Bitte schön, Herr Kollege.

Verehrte Frau Präsidentin, Hohes Haus, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER nehmen wir heute im Bayerischen Landtag ein Stück weit die morgige Plenardebatte im Deutschen Bundestag vorweg. Ich denke, es steht uns gut an, wenn

wir uns auch im Bayerischen Landtag mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen. Vorweg: Die Landtags-SPD wird dem Antrag der FREIEN WÄHLER nicht zustimmen. Er ist aus unserer Sicht im Kern antieuropäisch. Er hätte volkswirtschaftlich verheerende Folgen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der CSU)

Sie sprechen von Ehrlichkeit gegenüber dem Steuerzahler: Der Antrag ist gegenüber dem bayerischen und dem deutschen Steuerzahler geradezu verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Gipfelergebnisse für ein drittes Hilfspaket am vergangenen Wochenende sind sicherlich differenziert zu bewerten. In der Analyse möchte ich Herrn Kollegen Muthmann an der einen oder anderen Stelle sogar zustimmen. Wir, die SPDLandtagsfraktion, haben an diesem Rettungspaket erhebliche Kritik anzumelden. Wir sagen, das kann nicht das Ende der Fahnenstange sein. Wir wollen aber das Verhandlungsmandat für die deutsche Bundesregierung, und deshalb kommen wir zu dem Ergebnis, dass der Bundestag morgen gut beraten ist, der Bundesregierung dieses Verhandlungsmandat zu erteilen.

Es ist Schaden von Europa, es ist Schaden von Deutschland und es ist auch weiterer Schaden von Griechenland abgewendet worden, weil der Grexit verhindert werden konnte.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Politiker wie Herr Söder, Herr Scheuer, Herr Ramsauer oder auch Herr Aiwanger den Grexit als Lösung popagieren, dann verschweigen sie die erheblichen Folgen, die gerade auch auf die bayerischen und die deutschen Steuerzahler zukämen. Ein Grexit bedeutet nämlich den größtmöglichen Schuldenschnitt für Griechenland. Er bedeutet den Totalausfall für die deutschen Bürgschaften und für die deutschen Garantien. Damit popagieren Sie die denkbar schlechtesten Folgen für den deutschen Steuerzahler.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich würden die Garantien und Bürgschaften nicht von jetzt auf nachher fällig werden, aber innerhalb der nächsten Jahre, und es wären auf einen Schlag 85 bis 90 Milliarden Euro weg. Das entspricht fast einem bayerischen Doppelhaushalt oder einem Viertel eines deutschen Bundeshaushalts. Ich frage Sie, Herr Aiwanger oder auch Herr Söder – wenn er da wäre: Wie wollen Sie das eigentlich gegenfinanzie

ren? Sie müssen dazusagen, dass es für die deutsche Bevölkerung Steuererhöhungen in erheblichem Maße geben müsste. Wollen Sie an den Schulen sparen? Wollen Sie Polizeidienststellen einsparen? Wie wollen Sie diese 90 Milliarden mit Ihrem Vorschlag eigentlich wieder reinholen?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie verschweigen außerdem die hohe Ansteckungsgefahr für die anderen europäischen Volkswirtschaften. Gerade in unseren Tagen wären die Risiken für Italien völlig unkalkulierbar. Der Vorstand der Landtags-SPD war erst vor zwei Wochen in Rom; wir haben dort auch Gespräche mit italienischen Parlamentariern geführt. Bereits an jenem Montag, als das griechische Referendum bekannt geworden war, verteuerte sich die Refinanzierbarkeit des italienischen Staates um einen halben Prozentpunkt. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft innerhalb der Eurozone. Sie hat im Moment nur mickrige Wachstumsraten, dafür eine umso schlechtere Refinanzierbarkeit der eigenen Schulden, die von Tag zu Tag schlechter wird. Das können Sie beobachten. Es wäre nicht auszudenken, wenn Europa im Gesamten ins Schlingern geriete, weil wir es nicht hinbekommen, Griechenland, das nur 3 % der europäischen Wirtschaft ausmacht, zu stabilisieren.

Die Abwendung des Grexit ist die bessere Variante für die Griechen. Der Währungszerfall würde bedeuten: Pleitenwelle und Armut pur, weiterer Verfall der Wirtschaft, Zusammenbruch des Renten- und Gesundheitssystems, Griechenland wäre von jetzt auf nachher Dritte-Welt-Land, aber noch Mitglied der Europäischen Union, und – Frau Kamm hat es ausgeführt – die Armen würde es besonders hart treffen. Das kann nicht europäische Politik sein, die Reichen laufen zu lassen und die Armen an die Kandare zu nehmen. Das kann man so nicht machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Man kann noch so oft sagen, die Griechen haben es doch selbst verbockt und sind selbst schuld; wer auf eine Bestrafungsaktion mit einem Grexit setzt, der schießt sich, wie gesagt, selbst ins Knie.

Die Einigung vom Wochenende ist auch deshalb gut, weil Europa Handlungsfähigkeit bewiesen hat. Die Vertreter großer und kleiner Staaten, die insgesamt über 500 Millionen Menschen repräsentieren, haben nach schwierigen Verhandlungen am Ende dann doch geschafft, was über Monate hinweg ausgesprochen schwierig gewesen war, nämlich eine Einigung.

Die aufgeworfenen Fragen sind mit Blick auf die konkreten Verhandlungsergebnisse dennoch durchaus

bedeutsam. Bedeuten die Beschlüsse vom Wochenende nicht in entscheidenden Ausformulierungen ein bloßes "Weiter so"? – Herr Muthmann, da bin ich bei Ihnen: Auch wir halten das für völlig falsch. Wir als SPD haben stets gesagt: Neue Kredite kann es nur gegen neue Reformen geben. Das bedeutet, sowohl die Schuldbedingungen zu hinterfragen als auch die Reformen selbst. Bei genauerem Hinsehen kommt man sowohl auf der einen Seite als auch auf der anderen Seite der Medaille durchaus zu Fragestellungen, die im Ergebnis unbefriedigend sind. Griechenland wird auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, und zwar auch nicht nach 2020, Geld auf den Kapitalmärkten zu beschaffen. Etwas anderes zu behaupten, wäre tatsächlich Augenwischerei. Die Kanzlerin verlegt die Schuldenproblematik Griechenlands ganz einfach auf die Zeit nach ihrer Kanzlerschaft. Kreditlinien werden gestreckt. Zinsen werden gestundet. Damit ist der Kanzlerin innenpolitisch natürlich geholfen; denn sie muss nicht plötzlich verkünden, dass 90 Milliarden versenkt sind. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin im Kanzleramt wird das tun müssen, wogegen sie sich aus innenpolitischen Gründen sträubt, nämlich den Schuldenschnitt durchführen, der auch aus Sicht des Internationalen Währungsfonds unausweichlich ist.

Es gibt gegenwärtig nur zwei Möglichkeiten, aus der Misere herauszukommen: Entweder Schulden 30 oder 40 Jahre lang zins- und tilgungsfrei zu stellen, um dann den Schnitt zu machen, oder laufend Geld nach Athen zu überweisen, sich also selbst Zins und Tilgung zu bezahlen. Dann sind wir übrigens tatsächlich in der Transferunion, die die Union immer vermeiden möchte, weil wir in einen Kreditkreislauf hineinkommen, den man als irre beschreiben muss: neue Kredite, um alte Kredite abzubezahlen – das ist verrückt. Ich bin gespannt, wie die Kanzlerin das morgen im Deutschen Bundestag der deutschen Bevölkerung erklären will.

Meine Damen und Herren, somit ist der erste Teil des Rettungspakets, nämlich Griechenland dauerhaft ein Stück weit von seiner Schuldenlast zu befreien, zumindest in diesem entscheidenden Punkt lückenhaft.

Auch das Reformpaket, das den Griechen aufoktroyiert wird, wirft Fragen auf. Das Land muss zweifellos Missmanagement, Misswirtschaft, Steuerhinterziehung und Klientelpolitik bekämpfen. Die griechische Politik hat schwere Fehler gemacht, keine Frage – Herr Weidenbusch hat das schon ausgeführt. Es ist ein Skandal, dass alle Regierungen, egal ob konservativ oder sozialdemokratisch bis zu SYRIZA, die Millionäre haben laufen lassen. Das muss ein Ende haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die aktuelle SYRIZA-Regierung hat mit einem beispiellosen Zickzackkurs und Kapitalverkehrskontrollen die Lage im eigenen Land nochmals dramatisch verschlimmert statt verbessert. Das Referendum hat nichts zum Besseren geführt, sondern alles nur noch schlimmer gemacht – auch innenpolitisch für die Griechen. Natürlich ist es nicht hinnehmbar, wenn die griechische Seite zum Beispiel mit Blick auf die deutsche Verhandlungsführung von "Terroristen" spricht.

Ja, die Griechen müssen endlich einen effizienten Steuervollzug organisieren. Meine Damen und Herren, wer aber versteht den Zynismus, dass es in Griechenland nach dem jetzigen Paket nach neoliberalem Muster zum Beispiel keinen Ladenschluss mehr geben darf oder die Sonntagsarbeit forciert wird? – Ausgerechnet von konservativen, christlich geprägten Regierungen wird den Griechen aufoktroyiert, zukünftig sonntags in besonderer Weise tätig zu sein.

(Erwin Huber (CSU): Das haben die Sozialisten in Frankreich durchgesetzt!)

Gleichzeitig wird jeder internationale Druck verhindert, dass griechische steuerpflichtige Vermögen auf Schweizer und Liechtensteiner Bankkonten dem griechischen Staat zugänglich gemacht werden. Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD)

Wie ehrlich ist also das Reformpaket, wenn von Privatisierungsgewinnen in 50-facher Milliardenhöhe die Rede ist? – Experten sagen, dass sie nie und nimmer erlöst werden, noch dazu, dass der Treuhandfonds als Instrument der Entmündigung der griechischen Nation fragwürdig ist.

Man darf gespannt sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob die deutsche Bundeskanzlerin morgen im Parlament Fehler eingestehen wird und ihre bisherige Rettungspolitik für Griechenland im Kern für gescheitert erklärt. Wer sich heute die Rede der Bundeskanzlerin zum zweiten Rettungspaket vom Februar 2012 noch einmal zu Gemüte führt, stellt fest: Nichts von alledem, was die Kanzlerin damals versprochen und prognostiziert hat, ist eingetreten: nicht die wirtschaftliche Erholung Griechenlands, die Schuldentragfähigkeit ist schlechter denn je, der Schuldendienst gegenüber dem IWF wurde vor Kurzem eingestellt, die Arbeitslosenquote beträgt 25 %, die Jugendarbeitslosigkeitsquote 50 %, die Wirtschaftsleistung ist nicht gewachsen, sondern dramatisch geschrumpft, Kürzungen von Renten und Mindestlohn. Die Strategie des angeblichen Gesundsparens – das hat die Union über viele Jahre propagiert – war verfehlt. Das Gesundspa

ren war ein ruinöses Kaputtsparen, und Merkels Austeritätsstrategie für Griechenland ist vollends gescheitert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Politisch hat die deutsche Bundeskanzlerin die Dimension der griechischen Tragödie für die gesamte europäische politische Systematik lange unterschätzt. Ihr Krisenmanagement war zu zögerlich, kam zu spät, war wenig entschlossen, wurde innenpolitisch motiviert. Auf europäischer Ebene wurde nicht organisiert, was zu organisieren war. Die Kanzlerin hat auf Zeit gespielt und macht das erneut. Auch wenn wir zu anderen Schlüssen als die FREIEN WÄHLER kommen, sagen wir: Dieses Krisenmanagement darf sich nicht fortsetzen. Schluss mit der Austerität! Statt Europa die Luft zum Atmen zu nehmen, müssen wir mit Investitionen wieder Luft unter die Flügel bringen. Das ist auch und gerade im Interesse deutscher Steuerzahler und deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall bei der SPD)

Die Bundeskanzlerin hat nicht die Kraft gefunden – so scheint es –, die zentralen Defizite der ersten Griechenland-Pakete zu beseitigen.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Huber (CSU))

Es fehlt die Wachstumsperspektive, es fehlt das ökonomische Aufbauprogramm, es fehlt ein konkreter Investitionsentwurf für Griechenland. Ein solches Aufbauprogramm könnte zum Beispiel durch eine europäische Finanztransaktionssteuer finanziert werden; doch deren Durchsetzung geht der deutsche Finanzminister leider nicht genauso kraftvoll an wie sein Rezessionsdiktat gegenüber Griechenland, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb brauchen wir den Kurswechsel: mehr wirtschaftliche Dynamik statt Spardiktat, Stopp der Kapitalflucht in Europa und Rückführung von Vermögen nach Griechenland.

(Beifall bei der SPD)

Was aber neben den volkswirtschaftlichen Implikationen zusätzlich Schaden genommen hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die politische Einheit Europas. Wenn die Bundeskanzlerin auf dem Titel des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" als Trümmerfrau dargestellt wird, dann deshalb, weil sie aus dem europäischen Erbe ihres Vorbilds Helmut Kohl zwischenzeitlich einen unübersehbaren Scherbenhaufen produziert hat. War Kohl ein Versöhner und eine

europäische Integrationsfigur, so ist Europa heute zutiefst gespalten. Freunde von einst sind zerstritten und begegnen sich mit Misstrauen.

Wir erleben eine politische Renationalisierung Europas, die nicht nur Helmut Kohl auf dem Krankenbett selbst, sondern uns allen Sorgen bereiten muss. Tatsächlich kommt nationale Rhetorik immer mehr in Mode, auch bei uns in Deutschland. Auch hier im Bayerischen Landtag erleben wir seit Wochen bei Themenauswahl und politischer Rhetorik eine spürbare Rechtsdrift zweier Parteien, die in immer schrilleren Tönen um die Wähler am rechten Rand buhlen, nämlich CSU und FREIE WÄHLER. - Wir sagen: Lassen Sie uns besser Politik für ein Europa der Demokratie, der Verständigung, der Solidarität und des Friedens in guter Nachbarschaft machen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ab- geordneten der GRÜNEN)

Vielen Dank. Zu einer Zwischenbemerkung Herr Kollege Muthmann, bitte.

Lieber Kollege Rinderspacher, vorab der Hinweis, dass heute von uns niemand von Grexit gesprochen hat, und das ganz bewusst. Sie haben mit einem nochmaligen, auch von uns für richtig gehaltenen flammenden Appell für ein geeintes Europa als Zusammenschluss von Völkern mit auf der Grundlage einer freien Entscheidung demokratisch gewählten Regierungen abgeschlossen. In Bezug auf das Spardiktat, das wir derzeit in diesem Zusammenhang erleben, gibt es aber schon eine Frage. Sie kennen ja die einzelnen Vorgaben. Eine Mehrwertsteuererhöhung mit dem Ziel einer Konjunkturbelebung erscheint volkswirtschaftlich eher absurd. Weiter sind Rentenkürzungen durchzuführen, und es gibt die von mir schon angesprochene Vorgabe, dass die haushaltswirksamen Gesetze in Brüssel vorzulegen sind, und vieles andere mehr. Glauben Sie denn, dass das der richtige Weg ist, um den Zusammenschluss freier Völker in Europa auf eine tragfähige Grundlage und ein gutes Fundament zu stellen, oder sollten wir nicht wieder mehr auf Freiwilligkeit und Überzeugung setzen?