Protokoll der Sitzung vom 16.07.2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Muthmann, leider können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Sie gefährden das Friedens- und Freiheitsprojekt Europa.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zwar teilen wir Ihre Kritik an dem Sparpaket, aber Sie geben keine Vision vor, wie es mit Griechenland und Europa weitergehen soll. Das ist das Mindeste, was europapolitische Anträge leisten müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich spreche zu unserem Antrag betreffend "Europäischen Einigungsprozess fortführen". Der Prozess hat begonnen, er ist nicht vollendet, er muss fortgesetzt werden. Wir hier in Bayern und Deutschland – das sollten wir niemals vergessen – verdanken Europa sehr viel. Wir verdanken dem europäischen Einigungsprozess sehr viel. Unsere gute Entwicklung in Frieden und Freiheit, die Wiedervereinigung, unser jetziger Wohlstand und unsere Wirtschaftskraft waren und sind nur in diesem Europa möglich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen dieses Europa weiterhin. Nur mit Europa können wir die drängendsten globalen Probleme, denen wir uns jetzt gegenübersehen, entgegentreten.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Wir reden jetzt über das dritte Rettungspaket!)

Ich rede jetzt von unserem Antrag. – Klimaschutz, furchtbare Kriege vor unserer Haustür, über 30.000 Menschen, die in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken sind, eine zunehmende Zahl an Flüchtlingen und Fluchtproblemen – diesen Problemen können wir in Europa nur gemeinsam entgegentreten.

(Reserl Sem (CSU): Thema verfehlt!)

Lieber Herr Kollege Aiwanger, Ihr Vorschlag ist eine Gefährdung dieses Europas und des europäischen Einigungsprozesses und von Europa.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Erfolge dieses europäischen Einigungsprozesses wurden jetzt auch von Vertretern der Bundesregierung wie Herrn Schäuble zur Disposition gestellt, indem er von einem Grexit spricht. Dies vernehmen wir mit großer Sorge. Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik hat sich die Bundesregierung für weniger statt für mehr Europa eingesetzt und mit dieser Forderung einen Flächenbrand, Herr Kollege Aiwanger, im südlichen Europa riskiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Grexit wäre europapolitisch fatal. Europa darf nicht weiter auseinanderdriften. Ein Grexit wäre auch haushaltspolitisch sicher die denkbar teuerste Lösung für Deutschland und den Rest der Eurozone – nicht zuletzt für die Menschen in Griechenland. Griechenland würde noch weitaus tiefer in eine dramatische wirtschaftliche und soziale Katastrophe abgleiten. Die

Bevölkerung würde enorm verarmen, und einige sehr Reiche würden enorm profitieren.

Was brauchen wir jetzt? – Für Europa und für die Menschen in Griechenland brauchen wir klare Weichenstellungen und klare Rahmenbedingungen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung. Mit der Unsicherheit und Unklarheit der letzten Monate wurde unendlich viel Vertrauen zerstört, Vertrauen, das wir für morgen brauchen. Außerdem wurden zig Milliarden Euro verbrannt. Aus dem jetzigen Problem kommen wir nur heraus, wenn wir gemeinsam tragfähige Lösungskonzepte auf Augenhöhe entwickeln. Reine Sparpolitik kann die Probleme nicht lösen. Das gestern um Mitternacht mit viel Bauchschmerzen im Athener Parlament verabschiedete Sparpaket reicht jedenfalls nicht aus, um die Probleme zu lösen und der wirtschaftlichen Stagnation Griechenlands entgegenzutreten, sondern verschärft leider die dramatische Entwicklung. Darüber hinaus ist dieses Paket eine Entmündigung des griechischen Parlaments in einer Phase, wo wir eigentlich die Reformfähigkeit dieses Parlaments stärken und nicht schwächen müssten.

Wir sagen: Wir brauchen mehr Zusammenhalt, mehr Solidarität und mehr Dialog auf Augenhöhe in Europa. Deutschland muss weiterhin auf den europäischen Einigungsprozess hinarbeiten. Dazu gehört auch, all denen entgegenzutreten, die eine Rettung Griechenlands verhindern wollen. Wie geht man mit diesem Rettungspaket um? – Wir denken, dass man bessere Lösungen erarbeiten muss. Wir müssen mit der griechischen Regierung auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Aiwanger hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön.

Frau Kollegin Kamm, Sie haben den europäischen Einigungsprozess beschworen, den wir mit unserem Antrag auch nach vorne bringen wollen. Jetzt stelle ich Ihnen die Frage: Mit welchem Land innerhalb Europas haben wir bessere Beziehungen? Mit welchem Land ist der europäische Einigungsprozess besser gelungen? Sind es die Nachbarn wie Tschechien und Polen, die den Euro nicht haben? Oder ist das ein Euroland, Griechenland, das durch den Knebel des Reformpakets zunehmend Hass auf uns entwickelt? – Sie sagen, wir müssten den europäischen Einigungsprozess fortsetzen. Sehen Sie diesen nur mit dieser ewigen Weiter-Retterei à la Griechenland gewährleistet? Sehen Sie den europäischen Einigungsprozess denn nicht besser mit Ländern wie

Polen und Tschechien gelungen, die in Ruhe arbeiten können?

Mit welchem Land der bisherige europäische Einigungsprozess in der Vergangenheit besser gelungen ist, ist unerheblich. Die Situation ist so, wie sie jetzt ist. Sie wissen ganz genau, was im Falle eines Grexit passieren würde. Das wäre eine humanitäre Katastrophe.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Und was ist jetzt?)

Das ist überhaupt nichts im Vergleich zu dem, was im Falle eines Grexit passieren würde.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Weidenbusch. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Nach einem langen Weg, nach einem quälenden Weg ist Griechenland heute Nacht dort angekommen, wo es hin muss. Wenn Sie sich die Debatte im griechischen Parlament gestern Nacht angehört haben, wenn Sie die Mitteilungen der PASOK, der Nea Dimokratia, der SYRIZA von gestern Abend und vom heutigen Tag gehört haben, steht in Griechenland unmittelbar bevor, dass es eine Regierung geben wird, die die extremen Kräfte am linken und rechten Rand nicht mehr beinhalten wird. Diese Regierung wird mit einer deutlich breiteren Mehrheit als bisher beginnen können, die Probleme Griechenlands aufzuarbeiten. Das ist eigentlich auch der Weg, der Griechenland guttut und der Europa guttut.

Letztendlich ist die jetzige Situation Griechenlands zunächst einmal der Tatsache geschuldet, dass große griechische Volksparteien über Jahrzehnte einen Politikstil und einen Politikführungsstil gepflegt haben, der eher dem eigenen Wohlergehen als dem Wohlergehen des Landes geschuldet war. Wir alle in Europa müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir sehr lange sehr tatenlos zugeschaut haben. Das griechische Volk hat daraus in seiner Wahl vom Januar 2015 die Konsequenzen gezogen, die klassischen Parteien in Griechenland massiv abgestraft und einer Regierung, von der durchaus bekannt war, dass sie politisch sehr unerfahren ist, die Mehrheit gegeben. Natürlich hat das Zeit gekostet, weil die SYRIZA-Bewegung mit Tsipras an der Spitze die Dinge in einer Art und Weise angegangen ist, wie sie dem Umgang in der Europäischen Union, dem Umgang unter Nationen, dem Umgang mit der EZB und dem IWF nicht entsprechen. Dabei ist viel böses Blut entstanden, gerade auch wegen der Wortwahl. Es macht aber keinen

Sinn, jetzt zu gewichten, wie viel böses Blut welche Seite verursacht hat. Zum Streiten gehören immer zwei.

Durch die deutliche Haltung der EU im März dieses Jahres ist in Griechenland klar geworden, wie die Lage wirklich ist. Die SYRIZA-Partei hat gestern Nacht, vertreten durch ihren Ministerpräsidenten, gezwungenermaßen deutlich gemacht, was die Wahrheit über die Lage Griechenlands und über die Lage der eigenen Regierung ist. Das hat dazu geführt, dass es danach Beschlüsse gegeben hat. Jeder, der für Europa ist, muss sich jetzt die Frage stellen, ob er an dieser Stelle, mit dieser Chance – es ist nach meiner Auffassung die beste Chance für Griechenland, die wir in den letzten fünf Jahren hatten – sagt, die zwölf Milliarden, um die es jetzt geht, die dürfen wir nicht mehr ausgeben. Das ist die Frage. Um diese Frage geht es heute.

Davor steht die Vorfrage, ob wir darüber verhandeln wollen oder nicht. Wissen Sie, angesichts dieser Situation in Griechenland, dieses Angebots in Griechenland, jetzt zu sagen, wir wollen jetzt nicht mehr verhandeln, das ist nicht sachgerecht. Das entspricht nicht einer europaorientierten, einer humanen, einer vorwärts gerichteten Politik. Aus diesem Grund sehen wir als CSU keine Veranlassung, dem Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER zuzustimmen, denn er wäre allenfalls dann diskussionswürdig, wenn wir ein Verhandlungsergebnis hätten, das es zu beurteilen gibt und nicht zustimmungfähig ist, wenn es um die Frage ginge, ob überhaupt verhandelt wird.

Dem GRÜNEN-Antrag könnte man - und das ist nahezu paradox - bis zu dem Wort "Begründung" wahrscheinlich problemlos zustimmen. Den Text, den Sie da formulieren, könnten wohl große Teile dieses Hauses mittragen. Sie begründen das leider danach aber so, dass man den Antrag nur ablehnen kann.

(Zurufe von den GRÜNEN: Die Begründung ist kein Teil des Antrags!)

Aus unserer Sicht gebt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie ziehen die Begründung zurück, dann müsste ich mit meiner Fraktion mal darüber reden, was wir dann machen. Oder Sie bleiben dabei, dann zwingen Sie uns - und das wissen Sie aber auch -, den Antrag abzulehnen, weil die ganze Begründung darauf abzielt, alles, was die Bundesregierung in Berlin bisher gemacht hat, für falsch zu erklären. Dem werden wir nicht folgen.

Ich werbe für die CSU-Fraktion beim momentanen Antragsstand deshalb ausdrücklich dafür, beide Anträge abzulehnen.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege, bevor ich das Wort zu einer Zwischenbemerkung erteile, möchte ich bekannt geben, dass die Fraktion der FREIEN WÄHLER für ihren Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat. - Herr Kollege Dr. Herz, bitte.

Herr Kollege Weidenbusch, Sie haben in Ihrem Vortrag ein paar Mal von Wahrheit gesprochen. Aufgrund der Vergangenheit, die wir mit Griechenland erlebt haben, scheint mir das doch ein gewagter Begriff zu sein. So viel als Vorbemerkung.

Sie sprechen dieses Hilfspaket an und erklären, es sei im Sinne Europas unumgänglich. Das kann man so sehen, aber Ihre Fraktion und auch Ihre Abgeordneten in Berlin haben zuletzt mehrfach betont: Bis hierher und nicht weiter! - Können Sie den Abgeordneten hier und den Bürgerinnen und Bürgern denn erklären, wieso Sie nun zu diesem Wandel in Ihrer Auffassung kommen? Ich fürchte, Sie werden auch einem vierten Paket zustimmen müssen. Sie werden sehen: Das wird ein Fass ohne Boden. Uns allen ist klar: Auch bei einem Austritt Griechenlands sind Hilfen notwendig, und das werden nicht wenige sein. Sie machen dieses Fass ohne Boden aber zum alltäglichen Geschäft. Ich möchte Sie deshalb fragen: Wie lange kann Ihre Fraktion das hier und in Berlin in diesem Maße mitmachen?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN – Hubert Ai- wanger (FREIE WÄHLER): So lange sie Geld haben!)

Herr Kollege, bitte.

Sie werfen selbstverständlich eine wesentliche Frage auf. Sie betrifft natürlich auch die Frage, wie jeder Einzelne die Situation beurteilt und abstimmt. In der CSU-Fraktion wird es mit Sicherheit auch Menschen geben, die die jetzige Situation so beurteilen, dass sie jedenfalls vielleicht Ihren Antrag nicht ablehnen, sondern sich enthalten wollen, wofür ich Verständnis hätte. Auf der anderen Seite haben Sie jetzt persönliche Meinungen angesprochen. Ich sage Ihnen dann auch meine persönliche Meinung: Wenn ich in dieser Welt herumschaue, dann sehe ich in Syrien einen Konflikt, im Irak einen Konflikt, in Nordafrika Konflikte, in Zentralafrika Konflikte, und ich brauche keinen zusätzlichen Konflikt in Griechenland.

(Beifall bei der CSU, der SPD und den GRÜNEN)

Wissen Sie, wir unterhalten uns darüber – und jetzt komme ich ein bisschen zu dem Thema von Frau

Kamm, aber ich möchte den Schlenker machen: Wir unterhalten uns darüber, wie viele Menschen aufgrund von Krieg und persönlicher Bedrohung im Rahmen von Asyl zu uns kommen. Wir alle wissen, dass Menschen zu uns kommen, weil der wirtschaftliche Hintergrund in ihrem Heimatland für sie unerträglich ist und sie bei uns eine neue Chance suchen. Wollen Sie denn allen Ernstes mit irgendwelchen Wahnsinnsfantasien zum Rauswurf Griechenlands und einer Staatspleite nach dem Motto: "Schauen wir mal, wie es weitergeht" -

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Reden Sie von Söder, oder von wem reden Sie?)

- Wollen Sie allen Ernstes dafür sorgen -

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Und was sagt Söder?)

- Wollen Sie allen Ernstes noch einen zusätzlichen Anreiz schaffen, dass auch die Menschen in Griechenland sagen: Hier ist es nicht mehr auszuhalten, hier habe ich keine Chance, ich muss woanders hin in Europa, wo es mir besser geht? – Ist denn nicht der Konsens, den wir alle für Europa geschaffen haben, dass wir dafür sorgen, dass es uns allen miteinander besser geht?

(Beifall bei der CSU)