Sie haben diese Aktuelle Stunde dazu benutzt, wieder einmal die Begrenzung der Flüchtlingszahlen zu fordern. Wir sagen: Ja, wir müssen alles tun, was uns rechtlich, menschlich und auch handlungsmäßig möglich ist, um die Flüchtlingszahlen zu reduzieren und die Fluchtursachen zu vermindern. Aber wir sagen auch, Ihre Forderung nach einer Obergrenze bzw. nach Schließung der Grenzen ist ohne Aufgabe unserer Werteordnung, unseres Asylrechts und unserer Grundrechtecharta nicht möglich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, hören Sie bitte auf, die Illusion zu nähren, Deutschland könnte sich ausklinken und die Flüchtlingsprobleme alleine lösen oder – wie Herr Aiwanger meint – Bayern könnte sie alleine lösen. Sie schaffen es so nicht, vielmehr schaffen Sie weiteres menschliches Elend und Not.
- Machen wir doch die ganze Zeit; wenn Sie doch einmal die Ohren aufmachen würden! - Sie gefährden die Errungenschaften Europas. Hören Sie bitte an dieser Stelle auch auf die Stimmen der Wirtschaft, wenn Sie schon auf unsere Stimmen nicht hören wollen. Sie wollen doch nicht wirklich in ein Europa der Kleinstaatlichkeit zurückfallen. Sie wollen doch kein Europa, das in eine Zeit vor 40 oder 50 Jahren zurückfällt.
Wir brauchen bei der Flüchtlingsproblematik eine europäische Lösung. Die Flüchtlingsprobleme können nur überstaatlich, nur auf europäischer Ebene gelöst werden. Dazu gehört, dass die bisherige Dublin-Regelung, die höchst ungerecht ist und bei ihrer Umsetzung das europäische Haus ins Wanken bringen würde, durch eine neue Politik mit einem gerechten Schlüssel für die Verteilung auf die Mitgliedstaaten ersetzt wird.
Dazu bedarf es fairer Asylverfahren mit EU-weiten Standards, europäischer Finanzierung der Erstaufnahmeeinrichtungen innerhalb der EU sowie einheitlicher Registrierung und einheitlicher Standards.
Wenn Sie tatsächlich der Meinung sind, Sie könnten in Europa nicht gemeinsam eine bessere Politik machen, tut mir das von Herzen leid. Ich glaube, wir können es.
Ich komme jetzt noch zu einem Punkt in Ihrem umfangreichen Katalog, den ich für besonders schändlich halte.
Ich bin Familienmensch und finde es schändlich, hier eine Aussetzung des Familiennachzugs zu fordern. Die größte Not, die die Menschen umtreibt, ist die Frage, wie es den Angehörigen und den Kindern zu
Hause geht. Wir haben seit dieser unsäglichen Diskussion um den Familiennachzug die Situation, dass immer mehr Frauen und Kinder auf den Booten sind. Wir sehen das sogar jetzt im Winter, in einer Jahreszeit, in der ich niemals ein Schiff dieser Art besteigen würde.
Gestern sind wieder 39 Menschen auf dem Weg zur Insel Lesbos ertrunken, darunter fünf Kinder. Am Mittwoch letzter Woche sind vor Kos mindestens 33 Menschen ertrunken, darunter 15 Kinder. Wenn Sie Erstaufnahmeeinrichtungen besuchen und mit den Menschen reden würden, würden Ihnen die Flüchtlinge von solchen Erlebnissen erzählen und darlegen, wie schlimm es ist, dass Kinder zu Tode gekommen sind. Das ist nicht nur schlimm für die betroffenen Eltern, sondern auch für alle, die mit auf dem Schiff waren.
(Beifall bei den GRÜNEN – Kerstin Schreyer- Stäblein (CSU): Man lässt seine Kinder auch nicht alleine zurück!)
- Liebe Kollegin, es wäre schön gewesen, wenn Sie gestern Abend die ARD-Reportage über die Situation im Nordirak angeschaut hätten. Sie hatte den Titel: Im Schatten des Krieges.
In dieser Dokumentation hätten Sie sehen können, was dort mit den Kindern passiert. Das ist furchtbar.
- Hören Sie doch damit auf! - Unterhalten Sie sich einmal mit Flüchtlingen. Ich kenne den Fall einer Mutter, die mit drei Kindern geflohen ist, nachdem ihr Mann umgebracht worden war. Da kann man die Fluchtgründe doch verstehen.
Was ist bei der Flucht passiert? - Auf der Flucht wurde die Familie getrennt, und zwei Kinder wurden nicht weiter mitgenommen.
Hier ermöglichte es unser Staat dann nicht, eine Lösung zu finden, dass diese Frau ihre Kinder nachholen kann. Das ist schlimm und schändlich; es darf nicht sein. Da muss unsere Politik menschlicher werden.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich an Frau Kollegin Kamm die Frage richten: Wer klinkt sich hier aus? Ich glaube nicht, dass wir Bayern uns ausklinken. Ich behaupte, dass wir das Bundesland sind, das die Situation am verantwortungsvollsten und mit größter Bravour meistert.
Was Ihre Kritik am Familiennachzug angeht, so kann ich mich an Kriegsszenarien erinnern, als man die Frauen und Kinder ins Ausland geschickt hat und selbst im Land geblieben ist.
(Markus Rinderspacher (SPD): Sie können sich doch nicht anmaßen, das zu vergleichen! Ich bitte Sie!)
- Ich konkretisiere das nicht. - Mit einem von den über vier Millionen Syrern, die momentan außerhalb ihres Heimatlandes unterwegs sind, habe ich gesprochen. Er hat mir versichert: Hätte ich in einem Flüchtlingszentrum in einem der Nachbarländer Syriens die Möglichkeit gehabt, gut versorgt zu werden und eine bescheidene, aber verlässliche Verpflegung zu erfahren – es gibt dort kein Wasser und keinen Strom –, dann wäre ich dort geblieben. Genau diesen Punkt möchte ich aufgreifen. Allein die Türkei beherbergt momentan zweieinhalb Millionen Syrer. Viele befinden sich auch im Irak und im Libanon in Notaufnahmen.
Ich möchte darstellen, welchen Beitrag wir Deutsche leisten. Ihnen sollte bewusst sein, dass Bayern diesen Bereich maßgeblich stützt mit all den Steueranteilen, die wir nach Berlin geben. In der laufenden Legislaturperiode stellte das BMZ über 12 Milliarden Euro zur Verfügung, um vor allem die Fluchtursachen zu bekämpfen, die aufnehmenden Regionen zu stärken und den Flüchtlingen konkret direkt zu helfen.
Allein im letzten Jahr floss eine Milliarde in die direkte Flüchtlingshilfe, und vor wenigen Wochen – noch im alten Jahr – wurde erneut ein großes Winterpaket geschnürt, um vorwiegend im Irak die Gesundheitsverpflegung zu garantieren und die Lebensmittelversorgung zu sichern. Im Libanon wird eine große Zahl Kinder beschult. Das ist eine wichtige und wesentliche
Solche deutschen Maßnahmen finden Sie aber auch in Nord- und Westafrika, im Südsudan, in Pakistan, in Afghanistan und im Westbalkan. Diese durchdachten Konzepte, hinter denen vor allem ein CSU-Mann steht, nämlich unser Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, sind lobenswert und sollten von Ihnen zur Kenntnis genommen und respektiert werden.
Das ist ein gewaltiger Kraftakt, für den es eine Staatengemeinschaft braucht. Wir Deutsche sind uns dieser Verantwortung bewusst; und wir gehören im Übrigen seit Langem zu den größten Beitragszahlern des UNHCR. Im Vordergrund muss natürlich immer die politische und wirtschaftliche Stabilität dieser Krisenländer stehen. Diese zu erreichen und zu sichern, unterliegt meist einem langwierigen Prozess, in dem unsere bayerische Einflussnahme gering ist. Aber ich denke schon, dass wir immer stärker dazu übergehen, die Entwicklungshilfe neu zu denken und Alternativen zum Verlassen der Heimat anzubieten.
Junge Menschen durch Bildung und Qualifizierung Perspektiven zu geben, ist die Intention des Projektes "Teilhabe durch Beschäftigung", das zum Beispiel zur Entwicklung in Nordafrika und im Nahen Osten beiträgt. In Afghanistan sind wir intensiv dabei. 50 Berufsschulen wurden neu ausgestattet, Ausbildungszentren wurden gegründet, und es läuft dort so eine Art "duale Ausbildung light". Diese garantiert neben den Ausbildungsgängen in den Betrieben vor Ort auch eine kognitive, also eine theoretische Unterrichtung und ist damit der Wirtschaftskraft und der weiteren Entwicklung des Landes dienlich.
Letzte Woche hat Gerd Müller in Jordanien eine Aufbauinitiative für Infrastruktur und Wirtschaftsförderung vorgestellt, die dort lebenden Syrern eine legale Arbeit ermöglichen soll. Auch das ist ein ganz wichtiger Aspekt, den wir noch viel stärker in den Blick nehmen müssen.
Ich möchte auch den großen Handlungsbedarf bei der Bekämpfung der Schleuserstrukturen ansprechen. Das war für unsere Fraktion ein Grund, weshalb wir den Generalsekretär von Interpol zu unserer Klausurtagung in Kreuth eingeladen und uns mit ihm ausgetauscht haben. Wir haben da nichts von dem gemacht, was gerade in einer Rede angesprochen worden ist, sondern wir haben dieses Thema ganzheitlich aufgearbeitet und werden das auch weiterhin tun.
10.000 unbegleitete Minderjährige, von denen ein Großteil in Europa registriert war, gelten aktuell als verschwunden. Die Dunkelziffer bei Zwangsarbeit und Zwangsprostitution ist stark erhöht. Die gewaltige Infrastruktur im kriminellen Milieu, die von dem Geschäft mit menschlichem Leid und Verzweiflung profitiert, muss ausgehebelt werden. Dazu ist der Weg, die Vor-Ort-Bedingungen zu verbessern, damit sich Schleuser bei der Akquise neuer Opfer – ich bezeichne die Menschen als Opfer – schwerer tun.
Wir hören auch die Appelle und Hilferufe der Aktion Deutschland Hilft. Denken wir nur an das internationale Völkerrecht, das ständig verletzt wird, und auch daran, dass humanitäre Hilfe, Lebensmitteltransporte gestört und dadurch große Probleme verursacht wurden.
Ich möchte Gerd Müller, unserem Minister, heute aus diesem Hohen Haus heraus herzlichst für seine hervorragende Arbeit danken, die er leistet. Er ist einer derjenigen in diesem Amt, der frühzeitig die Zusammenhänge zwischen Entwicklungshilfe, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Fluchtursachen erkannt und dieses Problemfeld in Angriff genommen hat.