Protokoll der Sitzung vom 07.04.2016

Das zweite Argument, das die CSU-Fraktion mantraartig wiederholt hat, ist ebenfalls falsch. Selbstverständlich erhalten die Anstaltsbeiräte einen Bericht, wenn es einen Todesfall gab. Ich möchte aber daran erinnern, dass nicht jede Fraktion im Bayerischen Landtag in einem Anstaltsbeirat sitzt. Das bedeutet, dass das Prozedere ähnlich wäre, weil die einzelnen Fraktionen Anfragen stellen müssten. Die ganze Kette an Arbeitsaufträgen müsste wieder durchlaufen werden. Aus rationalen Gründen spricht nichts dagegen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wenn die CSUFraktion diesen Gesetzentwurf heute trotzdem ablehnt, ist das rein ideologisch motiviert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Schulze. – Nächster Redner ist Herr Kollege Arnold. Bitte schön, Herr Arnold.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Todesfälle in öffentlich-rechtlichem Gewahrsam beeinflussen die Bewusstseinsbildung von uns Parlamentariern; denn wir sind die Haushaltsinstanz und müssen beurteilen, ob diese Todesfälle dadurch bedingt sind, dass die sächliche oder die personelle Ausstattung zu gering ist. Jeder solche Todesfall – die Vorrednerin hat es angesprochen – ist ein wichtiger öffentlicher Belang und darüber hinaus für die Angehörigen eine sensible Angelegenheit.

Wir beantragen heute zwar die Änderung mehrerer Gesetze; tatsächlich geht es um einen Dreizeiler. Alle vier Gesetze sollen wie folgt geändert werden:

Kommt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes ein Gefangener

beziehungsweise ein Sicherungsverwahrter, ein Untersuchungsgefangener oder eine untergebrachte Person –

zu Tode, erstattet die Staatsregierung dem Landtag unverzüglich einen Bericht über die näheren Umstände des Todes …

"Unverzüglich" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Im BGB wird er als "ohne schuldhaftes Zögern" definiert.

Wir haben natürlich Verständnis dafür, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und sonstige Detailerkenntnisse abzuwarten sind. Daher fordern wir nicht, dass sofort alles auf den Tisch gelegt werden muss. Es handelt sich letztlich nicht um eine große Gesetzesänderung, sondern um eine sinnvolle Einfügung.

Damit fördern wir nicht nur die Transparenz, sondern machen auch deutlich, welches Selbstverständnis wir von unserer Arbeit im Parlament haben. In unserem Freistaat sind – zu Recht – Gefängnisbeiräte und seit einiger Zeit auch Maßregelvollzugsbeiräte tätig. Gegenwärtig finden häufig Diskussionen darüber statt, was dem Vorsitzenden und dem Stellvertretenden Vorsitzenden zu berichten ist. Diskussionen dieser Art wären nicht notwendig, wenn es eine allgemeine Berichtspflicht gäbe.

Wir haben in Bayern insgesamt 36 Justizvollzugsanstalten und damit 36 Beiräte. Wollen wir wirklich, dass – wie zu Zeiten der Kleinstaaterei – 36 Anstaltsbeiräte über eventuelle Fälle informiert werden, deren Mitglieder dann in ihren Fraktionen referieren? Vielleicht tun sie es auch nicht. Es kommt hinzu, dass einige Fraktionen gar nicht befugt sind, in diesen Beiräten vertreten zu sein. Über Ereignisse von solcher Bedeutung muss das Parlament informiert werden. Das ist auch eine Frage unseres Selbstverständnisses als Abgeordnete. Es kann nicht sein, dass man jedes Mal erst

nachfragen muss, wenn irgendwo, zum Beispiel in der JVA Bernau, etwas passiert. Als Mitglied des Anstaltsbeirats musste ich das einmal tun, als jemand verlegt wurde. Das ginge alles wesentlich besser, wenn die Berichtspflicht gesetzlich geregelt wäre.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Gegen die Berichtspflicht wird das Argument, es entstünde zusätzliche Bürokratie, angeführt. Die Anstaltsbeiräte – hoffentlich auch bald die Forensikbeiräte – wissen aber, dass Berichte ohnehin geschrieben werden. Wir sprechen insoweit von "überholender Kausalität". Der Fall ist das Entscheidende; dann greifen die entsprechenden Mechanismen in den Ministerien und der Verwaltung. Da wir Geldgeber der Verwaltung sind, kann, ja muss eine solche Information auch an den Landtag gegeben werden. Dies ist notwendig, damit wir verantwortungsvoll entsprechende Anträge stellen können.

Wer im Zusammenhang mit unserem Gesetzentwurf von "Misstrauen" spricht, den frage ich, was er darunter versteht. Misstrauen wäre doch nur angebracht, wenn zu vermuten wäre, dass etwaige Defizite nicht aufgeklärt werden sollen, das heißt, dass etwas nicht korrekt läuft. Von all dem steht in dem von mir zitierten Dreizeiler nichts. Wer etwas anderes hineininterpretiert, der ist fast schon einem Verfolgungswahn ausgesetzt, was Misstrauen angeht.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Er sollte sich einmal selbst prüfen, ob er es zur Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins wirklich nötig hat, so zu argumentieren.

Sie brauchen doch keinerlei Sorgen zu haben, wenn ein Fall, der in einer JVA oder einer anderen Anstalt auftritt, bayernweit bekannt und transparent geschildert wird. Positiv wäre, dass alle Ausschüsse eine standardisierte Arbeitsgrundlage hätten, unabhängig davon, ob ein Ausschussmitglied zufällig auch Gefängnisbeirat ist.

Wenn näheres Interesse besteht, kann jeder Abgeordnete schon heute nachfragen; das ist richtig. Anfragen aus dem Parlament verursachen allerdings einen Mehraufwand, weil dann nicht nur der Behördenleiter, sondern auch viele weitere Leute drüberschauen und mit grüner Farbe abzeichnen müssen, damit die Antwort durchgeht. Das ist also nicht ein Argument dagegen, sondern ein Argument dafür, das vorgeschlagene Gesetz so zu statuieren und den Dschungel an Zuständigkeiten aufzulösen. Dann wäre klar, dass für den Landtag ein Bericht gefertigt wird, der Hand und

Fuß hat, wie wir das von unseren Ministerien gewohnt sind.

Wenn Sie von der CSU glauben, in diesem Bereich etwas abwehren zu müssen, dann wächst bei mir die Sorge, dass Sie eine Misstrauenskultur kultivieren. Ich gehe aber nicht davon aus, dass Sie zu den Menschen gehören, die, wenn sie das Gras wachsen hören, Angst haben, einen Hörsturz zu erleiden. Ihre Verdachtslage folgt allerdings wohl doch der Kurve der Exponentialfunktion. Trauen Sie doch auch uns von der Opposition zu, dass wir Verantwortung für unser Land übernehmen! Die Mehrheiten sind volatil, das ist richtig. Aber auch wir haben Interesse daran, in unserem Zuständigkeitsbereich Fürsorge obwalten zu lassen, nicht zuletzt deswegen – ich betone es –, weil wir, das Parlament, Geldgeber für die Verwaltung sind und nicht umgekehrt. Deswegen bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Arnold. – Nächster Redner ist Herr Kollege Streibl. Bitte schön, Herr Streibl.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Die Qualität eines Staates zeigt sich daran, wie er mit seinen schwächsten Gliedern umgeht und mit denen, die gegenüber dem Staat schuldig geworden sind.

Es geht um Menschen, die sich im öffentlich-rechtlichen Gewahrsam befinden, in Untersuchungshaft, in Justizvollzugsanstalten, im Maßregelvollzug bzw. in der Sicherungsverwahrung. Diese Menschen sind zwar in der Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte eingeschränkt und können diese nicht so wahrnehmen wie wir anderen. Aber eines bleibt ihnen immer, nämlich ihr Menschsein, das durch Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, geschützt ist.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und des Ab- geordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Gerade in den genannten Einrichtungen kann es immer wieder passieren, dass die Grenzen der Antastbarkeit selbst angetastet werden. In solchen Fällen muss man genau hinschauen. Besonders gefordert ist der genaue Blick, wenn es zu Todesfällen in diesen Einrichtungen kommt.

Es ist die vornehmste Aufgabe dieses Hauses, die Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive auszuüben. Wir nehmen diese Aufgabe auch dadurch wahr, dass

wir Anfragen stellen, auf die wir Berichte erwarten. Die Umsetzung der in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Forderung würde eine Vereinfachung und eine Institutionalisierung der Berichtspflicht, die die Staatsregierung gegenüber diesem Haus hat, bewirken.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Letztlich geht es auch um das Selbstverständnis der Mitglieder dieses Hauses von ihrer Funktion.

Die Annahme des Gesetzentwurfs würde eine Vereinfachung der Zusammenarbeit mit der Staatsregierung bewirken. Wir können nicht darauf warten, bis wir durch Zufall aus den Medien von entsprechenden Vorfällen in den Einrichtungen erfahren. Wenn es dabei bliebe, wäre das gegeben, was Kollege Arnold angedeutet hat, nämlich Misstrauen. Wir würden nämlich fragen, warum wir erst so spät davon erfahren.

Diesem Misstrauen kann proaktiv dadurch entgegengetreten werden, indem vorab darüber informiert wird, was passiert ist. Nicht mehr und nicht weniger wollen wir. Wir wollen von der Staatsregierung die Information, was in der Einrichtung passiert ist. Die Staatsregierung kann sich auch die Zeit nehmen, um fundierte Berichte zu erstellen.

Dass der vorliegende Gesetzentwurf abgelehnt werden soll, zeigt eher eine gewisse Paranoia auf der Seite der CSU-Fraktion und ein Misstrauen gegenüber diesem Haus generell. Daher möchte ich Sie auffordern, sich Ihr Abstimmungsverhalten noch einmal zu überlegen. Es geht um eine Vereinfachung!

Wenn Sie den Gesetzentwurf aber ablehnen, dann, meine Damen und Herren von der CSU-Fraktion – dies gilt auch für die Staatsregierung –, brauchen Sie sich nie wieder darüber zu beschweren, dass Abgeordnete Anfragen stellen, die auch beantwortet werden müssen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, der SPD und den GRÜNEN)

Diese Anfragen sind das legitime Recht eines jeden Abgeordneten. Dieses Recht gibt die Verfassung den Abgeordneten, und zwar mit dem Vorbedacht, dass sie die Kontrolle ausüben können, trotz Berichten, die auf gutsherrliche Weise abgegeben werden.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Sie wollen, dass Abgeordnete, die erfahren haben, dass sich solche Vorfälle in Anstalten ereignet haben, über Anfragen oder Anträge Berichte einfordern. Das bedeutet eine Mehrarbeit und eine Mehrbelastung für

die Staatsverwaltung. Diese Mehrbelastung müssen Sie sich dann auf die Fahnen schreiben. Sie sind dafür verantwortlich, nicht wir. Wir wollen eine Vereinfachung des Systems. Sie sind in der Regierung und deshalb verantwortlich für das, was hier passiert. Von dieser Verantwortung können Sie sich nicht freisprechen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Überlegen Sie es sich also noch einmal. Auf der rechten Seite dieses Hauses zeigt sich bei diesem Thema ein seltsames, aber beredtes Bild.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege Streibl. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Guttenberger. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Streibl, die Tatsache, dass die Würde des Menschen über allem steht und das oberste Gebot ist, steht hier überhaupt nicht zur Debatte. In diesem Punkt sind wir uns alle einig. Sie haben jedoch einen Zusammenhang zwischen diesem Gesetzentwurf und der Wahrung und der Menschenwürde in Bayern hergestellt. Entschuldigung, das ist nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der CSU – Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Ich verstehe, dass Sie das nicht nachvollziehen können!)

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Gesetz immer dann erlassen werden sollte und erlassen werden muss, wenn es einen Regelungsbedarf gibt.

(Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Den gibt es!)

Nach meinem Dafürhalten gibt es einen Regelungsbedarf, wenn ein Regelungsdefizit besteht. Herr Kollege Streibl, ich frage mich: Wo ist denn hier bitte ein Regelungsdefizit? Das Sterben in Gefängnissen und anderen Einrichtungen der Unterbringung ist doch kein Geheimnis. Diese Behauptung ist völlig falsch.

Herr Kollege Arnold hat es angedeutet: Bei einem Todesfall wird zunächst unterschieden, ob er die Folge einer Vorerkrankung ist; denn aufgrund der Altersstruktur unserer Gefängnisinsassen ist ein natürlicher Todesfall nicht auszuschließen. Sollte es zu einem Todesfall kommen, bei dem Zweifel bestehen, wird der Gefängnisbeirat darüber informiert. Der Vorsitzende des Gefängnisbeirates ist in der Regel von der CSU, aber der stellvertretende Vorsitzende immer von der jeweils anderen Fraktion. Beide werden umgehend