Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei der Mittelstufe Plus handelt es sich nicht um eine pädagogische Reform der Mittelstufe, obwohl diese

notwendig wäre. Die Mittelstufe wird nur gestreckt. Die Probleme und der Druck in der Unterstufe bleiben bestehen. Deswegen wird das Ventil genutzt. Außerdem passt die Mittelstufe Plus nicht in das Gefüge der Schullandschaft in Bayern. Ich frage mich, was ein mittlerer Abschluss nach der elften Klasse soll. Was sollen die Realschulen denken? Brauchen die Schülerinnen und Schüler dort auch ein Jahr länger, um einen mittleren Abschluss zu erreichen? Wie sollen die Übergänge zwischen den Schularten gestaltet werden? – Das bayerische Schulsystem wird damit versäult, anstatt mehr Durchlässigkeit zu schaffen. Mit uns und mit gesundem Menschenverstand geht das nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Letztendlich feiert auch die alte Halbtagsschule ihre Rückkehr. Kann es das sein? Ist das Gymnasium der Zukunft? – Nein.

Außerdem muss hinterfragt werden, wie repräsentativ die Ergebnisse sind. Rund 60 bis 70 % der Eltern haben sich für die Mittelstufe Plus entschieden. Jetzt kommt der Druck. Meine politisch begründete Sorge ist, dass wir einen Minister ohne Plan haben. Wenn der Ministerpräsident den Druck spürt, stolpern wir irgendwie in ein landesweites Mittelstufe-Plus-Bayern hinein. Das Konzept will keiner, und es ist nicht durchführbar. Es führt weder zur Ruhe an der Schulfront noch zur Reform des Gymnasiums. Die Einführung der Mittelstufe Plus gilt es zu verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die CSU-Fraktion und die Staatsregierung sind eine Weile in den Diskurs eingetreten, um diesen letztendlich mit der Mittelstufe Plus abzubrechen in der Hoffnung, dass Ruhe einkehrt. Die Ruhe ist jedoch nicht da. Jetzt besteht die Gefahr, dass hopplahopp etwas gemacht wird, was nicht nachhaltig ist, nicht funktioniert, nicht umsetzbar ist und die Probleme an den bayerischen Gymnasien nicht löst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, ihr habt das Kultusministerium mit eurem Antrag aufgefordert, bis zu den Sommerferien schnell einen Plan zu entwickeln, der nachhaltig ist. Die vier Schlüsselwörter – nachhaltig, schnell, Plan, Staatsregierung – widersprechen sich selbst. Das kann nicht funktionieren.

(Lachen und Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ein schnelles G 9 klingt gut. Wir sollten jedoch noch einmal nachdenken, bevor wir handeln, auch wenn das vielleicht nicht populär ist. In der Regel schadet Nach

denken jedoch nicht. Das Problem der CSU-Fraktion besteht darin, dass Sie nicht nachdenken und nicht handeln. Wenn Sie handeln, handeln Sie, ohne nachzudenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies gilt es zu verhindern. Deshalb fordern wir mit unserem Antrag eine Neuaufsetzung des Diskurses über das Gymnasium, der abgebrochen worden ist. Dieser Diskurs sollte wissenschaftlich und unabhängig begleitet werden.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das gibt es nicht!)

Wir sollten die Verbände ins Boot holen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der FREIEN WÄHLER, lieber Herr Kollege Piazolo, du hast die Frage gestellt, wie das G 8 und das G 9 aussehen sollen. Wie es aussehen soll, müssen schon wir sagen. Wir GRÜNE sagen ganz klar, welche Kriterien notwendig sind. Wir nehmen zur Kenntnis, dass Schülerinnen und Schüler mehr Zeit zum Lernen benötigen. Wir wissen, dass dieses Schulmodell praktikabel sein muss. Es muss an großen und kleinen Schulen funktionieren und in die Schullandschaft passen. Außerdem müssen die Abschlüsse und die Übergänge übereinstimmen. Das Gymnasium muss sich pädagogisch verbessern. Das alte G 9 soll es nicht mehr sein, da es dort schon viel Druck gegeben hat. Das Gymnasium muss pädagogisch werden. Aus dem Gymnasium muss Druck herausgenommen werden. Diese entscheidende Voraussetzung müssen wir schaffen.

Wir brauchen eine Reform der Unterstufe. Dort haben wir schon heute Druck. Wir brauchen eine Reform der Mittelstufe, nicht die Streckung der Mittelstufe. Außerdem brauchen wir eine Reform der Oberstufe mit mehr Möglichkeiten zur Vertiefung und mehr Kursangeboten. Wir brauchen intelligente Lösungen für die individuelle Lernzeit der Schülerinnen und Schüler. Wir brauchen intelligente Lösungen für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die diese Schule schneller absolvieren wollen als die anderen.

Wir haben die Kriterien benannt. Jetzt geht es darum zu diskutieren, was die richtige Organisationsform für dieses Gymnasium der Zukunft ist. Wenn wir schnell in den Diskurs kommen und die Staatsregierung nicht vorab und holterdiepolter eine Entscheidung trifft, bin ich davon überzeugt, dass wir erfolgreich sein werden und dass es uns gelingt, dieses Thema aus dem Landtagswahlkampf herauszuhalten. Ich bin sicher, dass wir dann ein Gymnasium aufstellen werden, das eine Zukunft hat. Einen zweiten Flop à la Stoiber können wir uns nicht mehr leisten.

Deswegen bitte ich Sie, unserem Dringlichkeitsantrag zuzustimmen. Er ist zwar nicht richtig populär, aber manchmal ist ein bisschen Nachdenken auch nicht schlecht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die CSU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Professor Dr. Waschler das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vorab möchte ich den Vertretern der Opposition bezüglich der drei Dringlichkeitsanträge sagen: Keine Angst! Wir können darüber streiten, ob diese Dringlichkeitsanträge wirklich so dringlich sind. Ich kann allerdings schon jetzt feststellen: Die Opposition verliert keine Zeit. Sie müssten nur manchmal genauer hinhören, dann könnten Sie sich einiges an Zeit ersparen.

Herr Kollege Professor Dr. Piazolo, eine Anmerkung am Rande: Ein Politiker muss immer ankündigen, wenn ein kleiner Scherz kommt. Deshalb sage ich: Bitte drohen Sie nie damit, dass man von Ihnen in irgendeiner Form geküsst wird, auch dann nicht, wenn Sie das Bild vom Dornröschen und vom Wachküssen verwenden. Das ruft grauenhafte Vorstellungen hervor.

(Heiterkeit – Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sobald die Heiterkeit abgeklungen ist, möchte ich einiges zur Sache sagen. Die vorliegenden Dringlichkeitsanträge sind sehr interessant zu lesen. Ich bitte, hier die normative Kraft des Faktischen zu sehen. Im Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER steht geschrieben, dass jeder Schülerin und jedem Schüler der neunjährige Bildungsgang am Gymnasium ermöglicht werden solle. Ich habe mir gedacht: Das kann doch nicht sein. Jedem?! Wollen Sie eine Gemeinschaftsschule? Wollen Sie ein Gesamtgymnasium? Wollen Sie einen neuen Schultyp? Wollen Sie eine 100-prozentige Übertrittsquote erreichen, oder wie ist das gemeint? – Diese Vorstellung würde zwar dem einen oder anderen Lehrer entgegenkommen, ist aber doch blanker Unsinn.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Flucht in die Satire, weil er keine Themen hat!)

Herr Kollege Aiwanger, Sie als Fraktionsvorsitzender sind natürlich massiv betroffen, wenn ein solcher Dringlichkeitsantrag gestellt wird, bei dem schon der erste Satz Unbehagen erregt. Das kann doch nicht das Profil der FREIEN WÄHLER sein. Oder stimmt

das, was die Demoskopen sagen, dass Ihre Bildungskompetenz annähernd gegen Null tendiert?

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Bei der CSU!)

Das sind objektive Meinungsumfragen, die man zur Kenntnis nehmen muss. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, unabhängig von der Interpretation ist festzustellen, dass wir den Modellversuch zur Mittelstufe Plus auf zwei Jahre angelegt haben.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Die Pilotphase! Das ist kein Modellversuch!)

Richtig, die Pilotphase. – Dieser Modellversuch ist jetzt ein paar Wochen über das erste Halbjahr hinweg gediehen. Ich stelle fest, dass die Ergebnisse dieses zweijährigen Pilotprojekts in aller Ruhe und gründlich geprüft werden müssen. Sie müssen bewertet werden. Möglicherweise kann aus diesen Ergebnissen ein Konzept für ein dauerhaftes Gymnasium entwickelt werden, das der Vielfalt der Bildungslandschaft in Bayern, in den Großstädten, in den ländlichen Räumen, in kleinen und in größeren Gymnasien gerecht wird.

Herr Kollege Güll, deshalb ist es ein bisschen verwunderlich, wenn jetzt, wo gerade ein Viertel der Zeit dieses Pilotversuchs vorbei ist, behauptet wird, dass die Entscheidung bereits getroffen sei. Noch wissen wir nicht, wie es in der großen Fläche Bayerns an den Schulen aussieht. Wir müssen uns im Detail ansehen, wo die Organisation funktioniert und wo nicht. Sie können nicht jetzt schon hellseherisch sagen, dass sich diese Pilotphase bereits bestens bewährt habe. Wir müssen uns genau ansehen, wie sich die Dinge entwickeln. Wir lernen schließlich auch bei der Entwicklung des Modellversuchs.

Herr Kollege Güll, die Kollegen der Opposition haben Ihnen schon gesagt, dass der Dringlichkeitsantrag der SPD nicht der große Hit ist. Er ist rekordverdächtig, aber im negativen Sinne, nämlich hinsichtlich der Geschwindigkeit der Umsetzung. Dass wir diesem Dringlichkeitsantrag nicht zustimmen können, ist Ihnen wohl schon klar.

Damit komme ich zu den GRÜNEN. Lieber Herr Kollege Gehring, Sie haben schon gemerkt, dass Ihr Dringlichkeitsantrag bei den Oppositionskollegen nicht die große Zustimmung gefunden hat. Ich habe zwar nicht mitgestoppt, aber in 90 % Ihrer Rede haben Sie über alles Mögliche gesprochen, nur nicht über den Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN, in dem es um den wissenschaftlichen Beirat geht. Ich habe mich gewundert, dass die GRÜNEN hier zum ersten Mal die Fachkom

petenz des ISB bezweifeln und auch die handelnden Lehrer an den Versuchsschulen nicht hochhalten. Die GRÜNEN, die immer Geschwindigkeit einfordern, wollen das System vielmehr im wahrsten Sinne des Wortes entschleunigen. Das können wir nur zur Kenntnis nehmen. Eine Zustimmung wird auch zu diesem Dringlichkeitsantrag nicht erfolgen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir bei Modellversuchen mit großer Ernsthaftigkeit beobachten sollten, was an den betreffenden Schulen geschieht. Wir haben jetzt Modellschulen; das ist richtig. An einigen Schulen liegt die Zustimmung zur Mittelstufe Plus bei zwei Dritteln der Schülerinnen und Schüler. Wir wollen dieses Modell ausprobieren. Das ist aber noch keine Garantie dafür, dass es auf der gesamten Fläche Bayerns umgesetzt werden kann. Möglicherweise ist es erfolgreich. Eindeutig gesichert ist dieser Erfolg aber in keinem Fall.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie haben den Blick auf andere Bundesländer gerichtet und gesagt, dass dort eine große Zufriedenheit bestehe. Meine Damen und Herren von der Opposition, wo leben Sie denn eigentlich? Die Menschen in diesen Ländern sagen: Wären wir doch in Bayern, hätten wir doch die bayerische Bildungslandschaft! Dann hätten unsere Schülerinnen und Schüler die besten Zukunftschancen.

Wir sollten uns also bemühen, um das Beste zu ringen. Diese Botschaft will die CSU-Fraktion an die Kolleginnen und Kollegen der Opposition senden. Wir sollten ohne Hektik eine richtige und in die Zukunft gerichtete Entscheidung treffen. Wir sollten die organisatorischen und pädagogischen Erfahrungen, die dieser Modellversuch bringt, sammeln und die Ergebnisse der Evaluation unvoreingenommen auf uns zukommen lassen. Dann werden wir auch im Hinblick auf das hohe Qualitätsniveau des bayerischen Gymnasiums die richtigen Entscheidungen treffen.

Ich wehre mich entschieden dagegen, Vorwegannahmen mit einer ideologischen Prägung aufzustellen. Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit der Mittelstufe Plus und der sogenannten Besonderen Prüfung, die nach der 10. Jahrgangsstufe abgelegt werden kann, schon jetzt ein Instrument. Die Möglichkeit, bereits nach zehn Jahren die Mittlere Reife zu erwerben, ist kein Argument, das gegen die Mittelstufe Plus spricht.

(Martin Güll (SPD): Das ist keine Lösung auf Dauer!)

Ich lasse die Debatte noch einmal Revue passieren: Ich bin mir nicht ganz sicher, was die Opposition ei

gentlich will. Will sie die Mittelstufe Plus, oder will sie die Rückkehr zum alten G 9? – Diese Frage kann ich nicht beantworten. Wir lehnen in jedem Fall die Dringlichkeitsanträge der Opposition ab.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Jetzt habe ich drei Zwischenbemerkungen. Zunächst Herr Kollege Gehring, bitte.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Kollege Dr. Waschler, Sie haben jetzt einiges über die Opposition gesagt und sich gefragt, ob die Opposition nachdenke oder nicht. An diesen Dringlichkeitsanträgen sehen Sie, dass die Opposition tatsächlich an diesem Thema arbeitet, dass sie nachdenkt, und dass sie um Lösungen ringt. Ich habe vorhin ein bisschen infrage gestellt, ob in der CSU-Fraktion nachgedacht wird. Meine Fragen haben sich nach Ihrem Wortbeitrag verstärkt; denn Sie lassen uns zumindest an Ihren Gedanken nicht teilhaben.

Ich stimme Ihnen zu, dass wir noch kein abschließendes Urteil über die Mittelstufe Plus fällen können. Es gibt jedoch bereits Zwischenergebnisse und Eindrücke. Die Zustimmung liegt bei 70 %. Wir haben ein entsprechendes Wahlverhalten. Außerdem liegen uns zu diesem Thema glasklare Aussagen der Schulleiterinnen und Schulleiter vor.

Heute habe ich in einer "dpa"-Meldung gelesen, dass die CSU-Fraktion, der Ministerpräsident und der Kultusminister erwägen, die Testphase früher zu beenden und bezüglich der Mittelstufe Plus früher eine Entscheidung zu fällen. Deshalb würde mich interessieren: Denken Sie tatsächlich nach? Und wie beurteilen Sie die Mittelstufe Plus angesichts des jetzigen Zwischenstandes? Sie könnten ja einmal ein vorsichtiges Urteil fällen. – Und wo soll die Reise hingehen?

Eine CSU, die nicht nachdenkt und nicht über ihre Gedanken spricht, ist meines Erachtens nicht regierungsfähig und auch nicht handlungsfähig, wenn es darum geht, das Gymnasium auf einen neuen Weg zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Güll, ich antworte sehr gerne auf Ihre Frage.

(Zurufe: Gehring!)