Protokoll der Sitzung vom 28.04.2016

Ich bitte Sie, sich jetzt nicht von den Plätzen zu erheben, weil das Aufstehen als Stimmenthaltung gewertet werden muss. – Haben sich jetzt alle gesetzt? – Dann frage ich noch einmal: Stimmenthaltungen? – Sehe ich auch keine. Dann ist das Gesetz so angenommen. Das Gesetz hat den Titel: "Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze".

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich die Tagesordnungspunkte 4 und 5 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Verena Osgyan u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gesetz zur Ermöglichung gleicher Chancen und zur Gleichstellung von Frauen und Männern

(Bayerisches Chancengleichheitsgesetz) (Drs. 17/8752) - Zweite Lesung und Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Simone Strohmayr, Helga Schmitt-Bussinger u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Bayerischen Gleichstellungsgesetzes (Drs. 17/8894) - Zweite Lesung

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 48 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion; das sind dann 16 Minuten.

Erste Rednerin ist Frau Kollegin Osgyan vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Kollegin, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 12.11. letzten Jahres wurden der Gesetzentwurf der GRÜNEN für ein Chancengleichheitsgesetz sowie der einschlägige Gesetzentwurf der SPD zum ersten Mal im Plenum behandelt. Zu diesem Zeitpunkt hätte eigentlich längst der Fünfte Gleichstellungsbericht der Staatsregierung vorliegen müssen. Dieser kommt ohnehin nur alle fünf Jahre heraus. Dass selbst diese Frist nicht eingehalten wurde, zeigt die völlige Missachtung des Verfassungswerts der Gleichstellung vonseiten der Staatsregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass der Gleichstellungsbericht dieses Jahr ausgerechnet am Weltfrauentag veröffentlicht wurde, finde ich auch ziemlich hart. Die Ergebnisse des Gleichstellungsberichts grenzen nämlich an Hohn und Spott.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Ei, ei, ei!)

Doch, das finde ich wirklich. Der Staat hat als Arbeitgeber Vorbildfunktion. – Daher braucht es wirksame gesetzliche Bestimmungen. Im Grundgesetz gibt es einen klaren Auftrag; dort heißt es: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Das haben Sie heute auch mehrfach betont, unter anderem bei der Diskussion über das Integrationsgesetz. Dahinter stehen wir. Aber das reicht nicht; denn im Grundgesetz steht auch: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Der Auftrag ist also klar: Man muss aktiv handeln.

Nur leider zeigt sich im Freistaat ein völlig anderes Bild. Der Freistaat hat im Bundesvergleich die schwächsten Bestimmungen, und selbst diese bleiben häufig wirkungslos. Der Gleichstellungsbericht ist ein Zeugnis des Versagens und der Weigerung, die bestehenden gesetzlichen Regelungen umzusetzen. 20 Jahre nach Inkrafttreten des Bayerischen Gleichstellungsgesetzes hat fast ein Viertel der Dienststellen des Freistaates kein Gleichstellungskonzept vorgelegt, und fast ein Fünftel hat keine Gleichstellungsbeauftragten bestellt. Hierfür fehlt mir jegliches Verständnis. Es gibt eine klare Gesetzesgrundlage. Warum werden hier keine Sanktionen wirksam? – Wir würden uns dies bei keinem anderen Gesetz bieten lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Immerhin geht es um über 600.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst.

Ich gebe zu, in den letzten 20 Jahren hat sich bei den Aufstiegschancen für Frauen einiges getan. Falls dies nicht so wäre, dann wäre es auch wirklich schlimm. Aber der Fortschritt ist und bleibt eine Schnecke.

Ich möchte zur Verdeutlichung noch ein paar Zahlen nennen, auch wenn Sie diese schon kennen. Im öffentlichen Dienst in Bayern sind mehr als die Hälfte der Beschäftigten weiblich, nämlich 55 %. Das ist gut. Aber je weiter oben man auf der Karriereleiter angekommen ist, desto weniger Frauen bleiben übrig. In der Besoldungsstufe B 6 finden sich lediglich 13,8 % Frauen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen liegt, den Schuldienst herausgerechnet, bei 24,7 %, also bei nicht mal einem Viertel. Obwohl Frauen in den Schulen 70 % aller Stellen besetzen, besetzen sie nicht einmal die Hälfte aller Direktorinnenposten.

Ihnen kreide ich an, dass das im Gleichstellungsbericht einfach so konstatiert wird, ohne dass Ursachenforschung betrieben wird. Ich glaube, an diesem Punkt müssen wir ansetzen, wenn wir weiterkommen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben mehrere Anfragen gestellt. Anfragen, die sich auf die Beurteilung im Schuldienst beziehen, stellen wir regelmäßig. Dabei kommt klar heraus, dass Frauen und Teilzeitkräfte systematisch schlechter beurteilt werden, was natürlich auf die Beförderungsperspektiven unmittelbaren Einfluss hat. Das muss genauer analysiert werden, weil man es nicht einfach so hinnehmen kann. Es kann nicht sein, dass Frauen und Teilzeitkräften von Anfang an kein Karriereinteresse unterstellt wird. Es kann auch nicht sein, dass

sie schlechter sind als die Männer. Das ist auch in anderen Bereichen nicht der Fall.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meines Erachtens handelt es sich um eine weiche Form der Diskriminierung. Ich erwarte, dass wirkliche Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Herr Spaenle und Frau Müller, ich erwarte von Ihnen, dass Sie das Thema zur Chefsache machen. Ich sehe Sie nicht, hoffe aber, dass Sie die Rede hören oder sie hinterher nachlesen.

Beim Thema Teilzeitbeschäftigung haben wir das nächste Problem. Familienfreundlichkeit scheint immer noch mit dem Verzicht auf Aufstiegschancen erkauft zu werden. Führen in Teilzeit bleibt ein Fremdwort. Am schlimmsten und durch nichts erklärbar finde ich, dass die Grundbezüge von Frauen trotz Pflicht zur gleichen Besoldung – ich rede von identischen Positionen – um 7,9 % niedriger sind. Das kann mir keiner erklären, und das ist auch nicht besser als in der Privatwirtschaft. In der Privatwirtschaft wenden wir uns seit Jahren gegen den Gender Pay Gap, und die Staatsregierung gibt Presseerklärungen zum Equal Pay Day heraus. Man sollte endlich vor der eigenen Tür kehren; denn sonst hat es keinen Sinn, die Privatwirtschaft in die Pflicht nehmen zu wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was wir aus dem Gleichstellungsbericht gehört haben, ist die Aussage: Wir versuchen es noch einmal mit Selbstverpflichtungen. Das ist zwar alles gut und schön, hat aber in 20 Jahren nicht funktioniert. Generationen von Frauen im öffentlichen Dienst haben das Nachsehen. Wir kommen nicht darum herum: Wir brauchen endlich eine Neufassung der gesetzlichen Grundlagen. Wir brauchen Verbindlichkeit statt leerer Kann-Bestimmungen sowie wirksame Maßnahmen und vor allem Sanktionsmöglichkeiten. Der Gleichstellungsbericht hat die Defizite des bisherigen Gesetzes überdeutlich gezeigt. Es ist ein zahnloser Tiger, gaukelt Gleichstellung nur vor, aber befördert sie nicht aktiv.

Wir haben uns deshalb bei der Abfassung unseres Gesetzentwurfs die Regelungen in den anderen Ländern angesehen, die wesentlich konkreter sind und in den letzten Jahrzehnten auch mehrfach nachgebessert worden sind. Bei unserem Gesetzentwurf geht es uns darum, dass der Staat aktiv ist und gleiche Chancen ermöglicht, wie es die Verfassung vorsieht. Deshalb haben wir wie in Baden-Württemberg den Begriff Chancengleichheitsgesetz gewählt; denn dieser Anspruch sollte sich auch im Titel widerspiegeln.

Es gibt einiges, was wir konkret tun können, und das sieht unser Gesetzentwurf auch vor. Das Wichtigste ist: Die Gleichstellungsbeauftragten vor Ort müssen endlich mehr Rechte und Mittel bekommen. Nicht einmal die Hälfte der Gleichstellungsbeauftragten wird an Entscheidungen über Stellenausschreibungen und Einstellungen beteiligt. Sie haben nicht das Recht, zu sämtlichen Vorstellungsgesprächen hinzugezogen zu werden. Nicht einmal 2 % haben eigene Mittel zur Verfügung, um beispielsweise Kampagnen anzuschieben. Es ist angesichts der Mängelwirtschaft und der Machtlosigkeit der Gleichstellungsbeauftragten geradezu ein Wunder, dass überhaupt etwas herauskommt. Die Beschäftigten sind zwar sehr aktiv, aber ihnen wird nicht die Möglichkeit gegeben, zu handeln.

Deswegen wollen wir mit unserem Gesetzentwurf die Gleichstellungsbeauftragten in den Kommunen und Behörden endlich mit den Kompetenzen ausstatten, die sie für ihre Aufgabe brauchen. Sie bekommen einen Anspruch auf eigene Mittel, Weisungsrechte und die Möglichkeit zu einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit. Ich denke, diese Forderung ist zentral, damit sie Missstände publik machen können oder bei Veranstaltungen auftreten können. Vor allem erhalten sie damit die Möglichkeit, mit den Behördenleiterinnen und Behördenleitern auf Augenhöhe zu agieren. Überfällig ist, dass sie bei sämtlichen Vorstellungsgesprächen hinzugezogen werden können – das soll kein Muss sein –, um von sich aus die Möglichkeit der Teilnahme zu haben, ohne dass ein Bewerber oder eine Bewerberin darum bittet.

Wir wollen den Kündigungsschutz der Gleichstellungsbeauftragten und die Möglichkeit der Freistellung verbessern. Klar ist, dass die Aufgaben nur erledigt werden können, wenn dafür genügend Zeit zur Verfügung steht und niemand Angst haben muss, dass der Vertrag nicht verlängert wird. Außerdem wollen wir die Durchsetzungsmöglichkeiten des Gesetzes auch auf kleinere Kommunen und Unternehmen des Privatrechts erweitern, an denen der Staat beteiligt ist. Bisher haben vor allem die Beteiligungsunternehmen des Freistaats besonders schlechte Zahlen, was Frauen in Führungspositionen betrifft.

Wir wollen mit dem GRÜNEN-Chancengleichheitsgesetz alle Dienststellen verpflichten, intensive Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ergreifen. Das ist in Teilen bisher schon der Fall, aber wie schon erörtert: Es beißt sich mit den Aufstiegsmöglichkeiten. Wir brauchen deshalb neue Arbeitszeitmodelle, mehr Telearbeit, vor allem Konzepte zum Führen in Teilzeit und eine regelmäßige Überprüfung der getroffenen Maßnahmen. Daher wollen wir einen Gleichstellungsbericht künftig alle zwei anstatt alle fünf Jahre. Nur so können wir wirksam und

schnell gegensteuern und sehen, welche Maßnahmen etwas bringen und welche nicht.

Wir möchten gleiche Chancen auch durch Quoten und Schulungen sichern. In Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, und in Bereichen, in denen Männer unterrepräsentiert sind – darin liegt der Unterschied zum Gesetzentwurf der SPD – möchten wir so lange bevorzugt einstellen, bis Gleichheit erreicht ist, also 50 : 50 und nicht 80 : 20.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen an dieser Stelle auch klarstellen: Eine Quote, nach der bei gleicher Eignung und Qualifikation eingestellt wird, beeinträchtigt in keiner Weise das Leistungs- oder Gleichbehandlungsprinzip. Das ist in anderen Fällen genauso erprobt. Geben Sie sich also einen Ruck: Eine Quote tut nicht weh und ist bei diesem Thema wirklich überfällig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eines ist uns klar: Damit allein ist es nicht getan. Wir müssen die Menschen auch mitnehmen, und wir müssen sie schulen. Wir müssen Fortbildungsmaßnahmen durchführen, damit mehr Männer Frauenberufe ergreifen. Wir wollen Fortbildungen zu Themenfeldern wie Gleichstellung oder sexuelle Belästigung verpflichtend einführen. Wir brauchen Sensibilität auf allen Führungsebenen; denn nur so können wir das entsprechend verankern.

Ich komme zum letzten, aber für uns zentralen Punkt, nämlich zur Einführung der Stelle einer oder eines Landesbeauftragten für Gleichstellung, um endlich eine unabhängige Anlaufstelle für die Beschäftigten des Freistaats zu haben. Die Kompetenzen sollen ebenso wie beim Datenschutzbeauftragten ausgestaltet sein. Es zeigt sich überdeutlich: Das bisherige Konstrukt der Personalunion von Sozialministerin und Gleichstellungsbeauftragter der Staatsregierung hat sich nicht bewährt. Es hat sich selten bewährt, wenn ein bayerischer Minister sich selbst beaufsichtigen soll. Da aber nicht einmal dann durchgegriffen wird, wenn ein Viertel der Dienststellen das Gesetz nicht einhält, brauchen wir eine ganz andere Durchschlagskraft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Frauen und Männer können nicht mehr ewig warten, bis sie gleiche Chancen haben. Bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der SPD werden wir uns der Stimme enthalten, da er zwar in vielen Bereichen in die richtige Richtung geht, wir aber glauben, dass wir bei einer unabhängigen Landesstel

le noch mehr Durchschlagskraft brauchen; ihr Gesetz geht uns nicht weit genug.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächste hat Frau Kollegin Dr. Strohmayr von der SPD das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen Sie heute davon überzeugen, dass das Bayerische Gleichstellungsgesetz dringend der Novellierung bedarf. Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf einen Vorschlag für ein modernes und wirksames Gesetz machen.

Das Bayerische Gleichstellungsgesetz gilt in Bayern jetzt seit 20 Jahren – meine Kollegin hat es schon gesagt –, aber bis heute wenden 20 % der verpflichteten Dienststellen dieses Gesetz nicht oder nur unzureichend an. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist auch nicht meine Erfindung, sondern steht wortwörtlich im Gleichstellungsbericht, der unlängst – übrigens, wie meine Kollegin schon gesagt hat, viel zu spät – von der Staatsregierung vorgelegt wurde. Es ist doch ein Armutszeugnis, dass 20 Jahre nach Inkrafttreten eines bayerischen Gesetzes nur 81 % der verpflichteten Dienststellen eine Gleichstellungsbeauftragte haben, ganz zu schweigen von den vielen Dienststellen, die kein Gleichstellungskonzept haben oder ihr Gleichstellungskonzept nie erneuert oder aktualisiert haben. 50 % der verpflichteten Dienststellen auf der unteren Verwaltungsebene haben kein Gleichstellungskonzept. Ich hätte jetzt gerne die Frau Ministerin persönlich angesprochen; leider ist sie nicht da. Ich denke, auch das zeigt uns, wie wichtig ihr die Gleichstellung ist.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gibt es nicht in vielen Bereichen, dass ein Gesetz so nachhaltig ignoriert wird. Liebe Frauen, das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Es wäre doch eigentlich Aufgabe der Ministerin, für die Umsetzung der Gleichstellung im öffentlichen Dienst zu sorgen;

(Beifall der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))

sie ist oberste Gleichstellungsbeauftragte hier in Bayern. Es ist ihre ureigenste Aufgabe, das Gleichstellungsgesetz umzusetzen. Anstatt dieses Gesetz endlich nachzubessern, lamentiert sie nach dem Motto: Da ist halt nichts zu machen. – Sieht so ein engagier

tes Eintreten für Gleichstellung in Bayern aus? Wo ist das Engagement, wo ist das Herzblut der obersten Gleichstellungsbeauftragten für die Frauen im öffentlichen Dienst? – Mich wundert nicht, dass die Ministerin als eine ihrer ersten Amtshandlungen das Wort "Frauen" aus der Bezeichnung des Ministeriums hat streichen lassen. Auch der personelle Abbau in der Gleichstellungsstelle des Ministeriums zeigt, dass ihr die Gleichstellung keine Herzensangelegenheit ist.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär – ich spreche jetzt Sie an, und ich bitte Sie, das der Ministerin auszurichten –, ich fordere Sie auf: Lassen Sie die Frauen im öffentlichen Dienst nicht im Stich!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)