Deshalb fordern wir von der Staatsregierung ein grundlegendes Umdenken in der Europapolitik. Es ist nicht gut, wenn man sich immer wieder in die geistige Nachbarschaft der autoritären Nationalkonservativen Europas begibt und wenn man eine Politik der Renationalisierung Europas betreibt.
Wer in diesen Zeiten – ausgerechnet in Bayern – das Hohe Lied auf den Nationalstaat preußischer Provenienz singt und wer einer "Orbanisierung" Bayerns und Europas das Wort redet, der hat aus unserer Geschichte hier in Bayern nichts, aber auch wirklich gar nichts gelernt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deshalb stehen wir vor grundlegenden Fragestellungen: Werden wir die Fragen unserer Zeit, des 21. Jahrhunderts, mit dem Nationalstaatsmodell des 20. Jahrhunderts oder gar mit der Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts bewältigen können? Kehren wir ein knappes Vierteljahrhundert nach der Deutschen Einheit und der überwunden geglaubten Teilung Europas in das Zeitalter der Schlagbäume mit neuen Mauern zurück, und seien es nur neue Mauern in den Köpfen? Haben wir vergessen, dass wir diesem Europa einen rasanten Anstieg des Volkswohlstandes auch bei uns im Freistaat Bayern zu verdanken haben? Im Jahr 2014 hat die bayerische Wirtschaft Waren im Wert von über 90 Milliarden Euro in die EU-Mitgliedsländer exportiert. Das sind mehr als 53 % aller Ausfuhren. Über Jahrzehnte hinweg hat uns Europa Frieden, Wohlstand und Freiheit gebracht. Europa hat nach wie vor große Anziehungskraft auf immer mehr Menschen. Ganze Völker und Länder wollen bis heute unbedingt Teil dieses Europas werden. Deshalb muss die Grundbotschaft bayerischer Europapolitik lauten: Europa ist gut für Bayern. Das muss die Grundbotschaft sein.
Wir sehen mit großer Sorge, dass das autoritär-konservative Europa auf dem Vormarsch ist. Herr Kollege Hartmann hat es angesprochen. Die Rechtsnationalen haben die Wahlen in Polen gewonnen. Sie besetzen jetzt die Büros des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Viktor Orbán regiert in Ungarn und stellt sich gegen die europäischen Werte. In Schweden sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten in den Umfragen die stärkste Partei. In Finnland sind die Wahren Finnen bei den Wahlen die zweitstärkste Partei geworden; sie sind in die Regierung eingezogen. Bei den Wahlen in Österreich hat die FPÖ stark zugelegt. Fast wäre ein Rechtspopulist dort Bundespräsident geworden. Bei den Regionalwahlen in Frankreich ist der Front National stärkste Partei geworden.
Meine Damen und Herren, diese Bewegungen stehen für alles, was dem Gemeinsinn in Europa schadet. Sie spalten die Gesellschaft, sie sind offen rassistisch, sie grenzen Minderheiten aus, und sie setzen auf eine autoritär- nationalkonservative Politik. Deshalb sind wir gefordert, dem unser europäisch-bayerisches Konzept des Miteinanders, des Zusammenhalts, der Integration, der Versöhnung und des Gemeinsinns offensiv entgegenzustellen.
Der Freistaat Bayern hat ein vitales Interesse daran, dass Europa nicht auseinanderfällt und dass die europäische Idee verteidigt wird. Es macht keinen Sinn, eine Politik zu betreiben, mit der man auf Europa draufklopft. Ich erinnere auch an den Europawahlkampf des Jahres 2014: Damals konnte sich die Mehrheitspartei hier im Bayerischen Landtag nicht entscheiden, ob sie die Europahymne mitsingen soll oder ob man besser damit fährt, permanent gegen Brüssel in Frontstellung zu gehen. Wir kennen auch das Ergebnis: Die CSU hat bei den Europawahlen das schlechteste Wahlergebnis eingefahren, das sie je hatte. Die AfD, die Sie mit dieser Politik eigentlich bekämpfen wollten, meine Damen und Herren, hat das stärkste Ergebnis von allen 16 Bundesländern in Bayern erzielt. Das stärkste Ergebnis! Sie haben die AfD stark gemacht.
Der aufkeimende Nationalismus in Europa mit immer schrilleren Tönen erfordert eine Antwort, die auf Dialog und Ausgleich setzt. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur europäischen Einigung. Nach Jahrzehn
ten der Wirtschafts-, der Handels-, der Finanz-, aber auch der Friedenspolitik als Schwerpunkten müssen jetzt Jahrzehnte der Investitionen in Bildung, soziale Gerechtigkeit, soziale Schutzstandards in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union folgen. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass die Europäische Kommission künftig zu einer wahren europäischen Regierung umgebaut wird, zu einer Regierung, die durch das Europaparlament und durch eine zweite Kammer der Mitgliedstaaten kontrolliert wird. Wir wollen keine Alleingänge der Europäischen Union, wie das jetzt bei CETA der Fall ist. Es ist ein Unding, dass die Mitgliedstaaten umgangen werden. Sie müssen beteiligt werden. Diese Entscheidung muss korrigiert werden.
Wir brauchen mehr Demokratie und mehr Transparenz. Die Zeit der Hinterzimmerverhandlungen und der Geheimabkommen muss ein für alle Mal beendet werden. Wir setzen auch auf eine wirtschaftspolitische Wende und einen Wachstumspakt, insbesondere für Südeuropa, der diesen Namen verdient. Europa muss auch die Gerechtigkeitsfrage beantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn Arbeitnehmer, kleine und mittelständische Unternehmer jeden Monat ihre Steuer bezahlen, während Spekulanten gleichzeitig ihre Milliardenbeträge in Steueroasen parken können, dann entsteht eine eklatante Gerechtigkeitslücke. Europa muss deshalb die Instrumente bekommen, um Steuervermeidung und Steuerbetrug effektiv bekämpfen zu können. Das Land des Gewinns ist das Land der Steuer. Das ist ein einfacher Grundsatz, mit dem sehr schnell ein wirkungsvolles Signal für mehr Gerechtigkeit gesetzt werden kann.
Europa braucht auch eine gemeinsame Einwanderungspolitik. Ohne ein gemeinsames europäisches Einwanderungsrecht werden wir die Herausforderungen durch die Migration wohl kaum stemmen können. Das verlangt sowohl eine gemeinsam abgestimmte Asylpolitik als auch ein gemeinsames Vorgehen bei der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen und Zuwanderern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bayern braucht eine neue europapolitische Erzählung. Die SPD orientiert sich dabei an dem, was uns der Bundespräsident vor zwei Jahren mit auf den Weg gegeben hat. Wir alle in diesem Hohen Haus sollten uns dies auf die Fahne schreiben. Joachim Gauck sagte: Europa braucht jetzt nicht Bedenkenträger, sondern Bannerträger, nicht
Vielen Dank. – Für die Fraktion der FREIEN WÄHLER erteile ich jetzt Herrn Professor Dr. Piazolo das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Rinderspacher, die ersten Stichworte meiner Rede heißen: Januar, Schnee, Wildbad Kreuth, David Cameron, und dann: CSU pur.
Insofern kann ich es jetzt kürzer machen. Das war Gedankenübertragung. Es liegt aber auch ein wenig nahe, dass man diese Stichworte nimmt. Die CSU hat David Cameron vor einem halben Jahr gefeiert, einen – und das sage ich jetzt ganz deutlich – schlechten Europäer. David Cameron hat dieser Europäischen Union massiv geschadet. Wenn das aber die CSU pur ist, dann tut es mir leid für diese Partei. Das sage ich hier ganz deutlich.
Im letzten Satz des CSU-Dringlichkeitsantrags lese ich da aber nicht mehr "Cameron" und "Kreuth", sondern darin ist enthalten: Frau Merkel und Potsdam. Das ist genau das, was sie auch will. Was soll die EUPolitik diesem Dringlichkeitsantrag zufolge tun? – Sie soll die Flüchtlingskrise bewältigen, sie soll sich um den Schutz der Außengrenzen kümmern, um das Asylsystem und vieles andere. In den Debatten zur Flüchtlingspolitik vor drei Monaten in diesem Hohen Hause standen Sie, Herr Kreuzer, doch noch ganz woanders: Da wollten Sie die bayerische Polizei zum bayerischen Grenzschutz.
Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das nicht mehr Cameron, sondern –, Sie haben sich
sehr schnell geändert –, das ist jetzt Merkel. Ein fröhlicher Abend in Potsdam reicht, um Sie umzustimmen.
Das Ganze erinnert mich ein wenig an meine Kindheit. Damals hatten wir auf dem Balkon ein Wetterhäuschen. Dieses Wetterhäuschen hat auf die Luftfeuchtigkeit reagiert: Gutes Wetter – Sonnenfrau, schlechtes Wetter – Regenmann. Das ist CSU-Politik.
Beim Euro: Stoiber dagegen als Regenmann. Sonnenfrau war damals Waigel. Im Wahlkampf hat Gauweiler gegen jeden Vertrag der Europäischen Union geklagt – Regenmann. Jetzt haben Sie als stellvertretenden Vorsitzenden Herrn Weber, der ist pro-Europa, also Sonnenfrau. Bei den Flüchtlingen ist Herr Kreuzer der Regenmann. Kollege Martin Neumeyer ist vielleicht die Sonnenfrau. So geht das hin und her.
(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD – Volkmar Halbleib (SPD): Und bei den FREIEN WÄHLERN? – Unruhe bei der CSU)
Der Ministerpräsident aber ist ein Wetterhäuschen für sich allein: Er ist sowohl Regenfrau als auch Sonnenmann.
Wetterwenderisch ist auch dieser Antrag, meine lieben Kollegen. Bei dem, was da drin steht, muss ständig mit dem Umschwung des Verhaltens gerechnet werden. Das ist die Definition der Europapolitik der CSU: eine ständige Änderung des Verhaltens. Ich begrüße, was im Antrag steht; das sage ich ausdrücklich. Ich begrüße es, dass Sie sich gewendet haben.
Ihr Antrag ist jetzt wesentlich europafreundlicher als die Politik, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben. Diese wetterwenderische Politik bewirkt aber, dass die Menschen kein Vertrauen in die EU mehr haben. Wenn man die Europäische Union die ganze Zeit schlechtmacht und beschimpft, dann kann man kein Vertrauen schaffen. Sie, Herr Ministerpräsident, sagen völlig zu Recht – das haben wir auch gesagt –, wir müssen die Herzen der Menschen erreichen. Das kann man doch nur mit einer stringenten Politik. Man muss den Leuten klarmachen, was ihnen die Europäische Union bringt.
rissen. Das war damals das Narrativ, die Erzählung für Europa: gemeinsam Grenzen niederreißen. Eine solche Erzählung brauchen wir wieder. Wir brauchen etwas, damit die Menschen sagen: Wir glauben an Europa, dieses Europa bringt uns gemeinsam voran. Dafür gäbe es Beispiele.
Kämpfen Sie doch beispielsweise beim europäischen Investitionsprogramm dafür, dass die Kommunen für die Flüchtlingspolitik Geld bekommen. Das lässt sich machen; denn dort ist Geld vorhanden. Was wir wirklich brauchen, sind Beispiele für die Bürger, damit sie sagen: Wir brauchen dieses Europa, wir wollen dieses Europa. Nur dann werden wir diese Europäische Union voranbringen. Wir werden sie aber nicht mit reiner Machtpolitik oder Taktikspielchen voranbringen, wie es Herr Cameron versucht hat. Wir werden sie auch nicht voranbringen mit einem Jean-Claude Juncker an der Kommissionsspitze, der das Volk von den Entscheidungen ausschließt. Das ist Ihr Kandidat gewesen. Ich würde mir schon sehr überlegen, ob man Herrn Juncker und diejenigen, die so weitermachen wollen wie bisher, wirklich an der Spitze der Kommission lassen will. Sollte man nicht sagen: Hier muss ein Wechsel her, denn anders erreicht man die Menschen nicht?
Vielen Dank. – Für die Staatsregierung hat Frau Staatsministerin Dr. Merk ums Wort gebeten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Die Menschen in Großbritannien haben sich mehrheitlich dafür entschieden, mit "Leave" zu votieren. Sie haben damit einen neuen und ungewissen Pfad beschritten. Das Votum der britischen Bevölkerung für einen Austritt ihres Landes aus der EU kann für die gesamte Europäische Union erhebliche Konsequenzen mit sich bringen – für die Mitgliedstaaten und auch für die Menschen und die Wirtschaft hier in Bayern.
Auch wenn uns diese Entscheidung sehr bewegt: Es geht jetzt darum, nüchtern zu analysieren und zielgerichtet zu handeln. Das gilt sowohl für unsere Sicht auf Großbritannien als auch für die Frage, welche Konsequenzen nun von der Europäischen Union und von Bayern zu ziehen sind.
Zunächst einmal zu Großbritannien. Hier gilt: Schritt für Schritt. Die Entscheidung der Mehrheit der Bevölkerung in Großbritannien hat mindestens genauso viel mit der Innenpolitik zu tun wie mit der Entwicklung in Europa und in der Welt. Sie drückt insgesamt – das