Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Darum halte ich das für falsch. Der Gedanke muss sein: Wo ist Extremismus? Den müssen wir bekämpfen, präventiv und repressiv.

(Beifall bei der CSU)

Danke. – Nächster Redner ist Prof. Dr. Gantzer.

Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich glaube, wir müssen diese Diskussion, die hier entstanden ist, versachlichen. Wir haben einen Antrag der GRÜNEN, der sagt: "Geschlossen gegen Menschenfeindlichkeit". Daneben haben wir einen Antrag der CSU, der sagt: entschlossen gegen Extremismus. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Eindruck, dass keiner genau weiß, was Menschenfeindlichkeit und was Extremismus ist, inwieweit die Begriffe zusammenhängen oder auch nicht zusammenhängen.

Frau Schulze hat ja schon gesagt: Der Antrag der GRÜNEN geht auf eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München zurück, die am Montag veröffentlicht worden ist und sich ausschließlich mit der Menschenfeindlichkeit beschäftigt hat. Das ist übrigens nicht die erste Studie; denn Menschenfeindlichkeit wird schon seit Langem untersucht. Ich verweise auf die Untersuchung von Andreas Zick oder, vor allem, von Wilhelm Heitmeyer, der das schon seit Jahrzehnten tut. Die Ergebnisse der Untersuchungen zur Frage, was Menschenfeindlichkeit ist, sind in allen Studien die gleichen, auch in der Studie der LMU.

Herr Herrmann, was ist Menschenfeindlichkeit? – Folgende Elemente spielen dabei ausschließlich eine Rolle: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Behinderten, Abwertung von Langzeitarbeitslosen, Islamfeindlichkeit und Sexismus. Das Wort "Extremismus" taucht da gar nicht auf, das hat damit auch gar nichts zu tun. Deswegen ist Ihr Antrag eine Themaverfehlung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Die Studien sind eindeutig. Um das einmal zusammenzufassen: Alle Extremisten sind menschenfeindlich, aber die meisten menschenfeindlichen Bürgerinnen und Bürger sind keine Extremisten. Damit wird eigentlich ganz klar: Das sind zwei völlig verschiede

ne Themen. Leider, Frau Schulze, haben auch Sie das vermischt, weil Sie dann auf den Extremismus eingegangen sind. Ihr Antrag ist gut, was die Menschenfeindlichkeit betrifft. Ich frage mich allerdings, was sich die Verwaltung dabei gedacht hat – die ich sonst sehr schätze, wie man weiß –; denn in § 60 Absatz 1 Satz 3 der Geschäftsordnung heißt es, dass nachgereichte Anträge zum gleichen Thema sein müssen. Fremdenfeindlichkeit ist aber ein völlig anderes Thema als Extremismus. Insofern, Herr Herrmann, müssten Sie Ihren Antrag eigentlich als unzulässig zurückziehen. Ich will hier aber keine Geschäftsordnungsdebatte aufmachen, sondern mich auf die Studie der LMU beziehen. Darin wird die Menschenfeindlichkeit bayernweit untersucht. Die Ergebnisse sind die gleichen wie die aus den vorher genannten Studien. Und daher, Herr Herrmann, stimmen wir dem, was Sie unter der Nummer 2 Ihres Antrags geschrieben haben, auch nicht zu. Die Studie sagt zu Menschenfeindlichkeit: Ressentiments und Vorurteile sind in Bayern kein Randphänomen einer speziellen Gruppe, sondern in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt. Das ist sehr beunruhigend, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

Das sieht man an den Beispielen, die ich der Studie entnommen habe. Die Muslime sind das häufigste Ziel von feindlichen Einstellungen. Das hat aber mit Extremismus nichts zu tun. Ein Fünftel der Befragten hat der Aussage zugestimmt, dass es in Deutschland zu viele Muslime gibt. Da ist von Extremismus keine Rede. Bis zu 80 % haben in Abstufungen der Aussage zugestimmt, dass sich Langzeitarbeitslose auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen. Bis zu 75 % haben in Abstufungen der Aussage zugestimmt, dass Sinti und Roma aus den Innenstädten zu verbannen sind. Bis zu 75 % haben der Aussage zugestimmt, dass Flüchtlinge meine Lebensweise bedrohen. Das hat mit Extremismus gar nichts zu tun, Herr Herrmann; das ist Menschenfeindlichkeit.

Deswegen müssen wir uns fragen, was zu tun ist, und wir müssen uns dazu die Studie anschauen. Das fehlt mir bei Ihnen, Frau Schulze, Sie haben keine Konsequenzen gezogen. Ich will nur drei Punkte herausgreifen. Erstens. Die Befragten sind mit der Arbeit der Politiker unzufrieden und neigen deswegen zu feindseligen Einstellungen, wie ich sie eben genannt habe. Das heißt für uns Politiker: Wir müssen glaubwürdiger und transparenter werden. Die Studie ergibt nämlich, dass der Bürger politisch nicht desinteressiert ist, sondern sich vom politischen System subjektiv nicht mehr wahrgenommen fühlt. Das ist einer der Gründe für Menschenfeindlichkeit.

Zweitens. Mit steigendem Bildungsniveau nehmen negative Einstellungen entscheidend ab. Was fordern

wir die ganze Zeit? Bildung, Bildung, Bildung. Bildung ist das beste Mittel, um Menschenfeindlichkeit zu verhindern.

Ein drittes Ergebnis: Ältere Leute sind eher menschenfeindlich als junge Leute, und zwar ziemlich. Junge Leute sind nur zu 2 bis 8 % menschenfeindlich. Das heißt noch einmal: Bildung, Bildung, Bildung für die jungen Menschen, damit wir die menschenfeindlichen Einstellungen überwinden können.

Ich fasse zusammen: Menschenfeindlichkeit hat nichts mit Extremismus zu tun, sie ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Gleichwertigkeit und Unversehrtheit von spezifischen Gruppen der Gesellschaft werden infrage gestellt, um sich selber aufzuwerten. Das ist das eindeutige Ergebnis der Studie. Das hat also mit Extremismus nichts zu tun, sondern mit Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Was wir brauchen – das ist mein Schlusssatz –, hat der Theologe Hans Küng in seinem Buch "Projekt Weltethos" zusammengefasst, indem er gesagt hat: "Diese eine Welt braucht ein Ethos; diese eine Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele." Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch eine Menge zu tun.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Nächster Redner ist Professor Piazolo.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir FREIEN WÄHLER sind tief betroffen vom Tod des Polizisten, der versucht hat, einen sogenannten Reichsbürger zu entwaffnen. Wir trauern mit seinen Angehörigen und nehmen wahr, dass Angriffe auf Polizisten in letzter Zeit immer mehr zunehmen. Polizist ist ein Risikoberuf; das ist jedem Polizisten bewusst. Aber das, was in letzter Zeit passiert ist, ist zu viel, und da sollten wir alle gemeinsam zusammenstehen und alles tun, um die Entwicklung aufzuhalten und zu verhindern. Polizisten dürfen bei uns nicht zum Angriff freigegeben werden. Das ist auch im Moment nicht die Gefahr; aber die Angriffe und Übergriffe gegenüber Polizisten, die in den letzten Wochen und Monaten stattgefunden haben, dürfen wir nicht stehen lassen. Dagegen müssen wir uns gemeinsam mit aller Härte stellen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Eine zweite Bemerkung. Als ich die beiden Anträge las, hatte ich ursprünglich den Eindruck, dass wir nach dem, was in den letzten Tagen vorgefallen ist, doch versuchen sollten, aus diesem Haus ein gemeinsames Zeichen zu senden. Was ich aber gerade gehört habe, war eher ein gegenseitiges Missverstehen. Herr Herrmann, ich habe den Antrag der GRÜNEN nicht so wie Sie gelesen. Ich sehe hinter ihm auch keine tiefe Ideologie, sondern den Versuch, über Menschenwürdigkeit, über das Menschenbild und über Demokratie zu reden, und das sollte uns allen am Herzen liegen.

Wir FREIEN WÄHLER werden beiden Anträgen zustimmen, obwohl es um zwei verschiedene Themen geht und sie sicher auch zwei verschiedene Thematiken behandeln. Aber wir FREIEN WÄHLER wollen gerade in der im Moment aktuellen Lage einer zunehmenden Radikalisierung aus diesem Haus ein Zeichen der Gemeinsamkeit und nicht ein Zeichen des Trennens und des gegenseitigen Missverstehens senden.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Da bin ich bei dem dritten Punkt angelangt, der auch im Antrag der GRÜNEN auftaucht, nämlich dem der Sprache. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten angesichts der Flüchtlingsdebatte, aber auch angesichts der zunehmenden Extreme in der Politik verfolgt, dass die Sprache von verschiedenen Seiten immer mehr eskaliert und verroht ist. Insofern glaube ich, dass wir alle gut daran tun – ich rufe auch alle dazu auf –, als Politiker die Sprache zu deeskalieren und sich gegenseitig gut zuzuhören. Das, glaube ich, verhindert auch Extremismus in der Gesellschaft. Insoweit sind wir als Politiker auch Vorbilder.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der GRÜNEN)

Ich fand es übrigens interessant – dies als Seitenbemerkung –, dass Horst Seehofer vorher davon sprach, Angela Merkel habe gestern auf dem Medientag von einer postfaktischen Gesellschaft gesprochen. Ich war da. Sie hat es nicht getan. Sie hat davon gesprochen, dass immer mehr Menschen sagen, wir würden in einer postfaktischen Gesellschaft leben, und dass das Algorithmen – das war nämlich das Thema – auch befördern, dass wir aber als Politiker darauf achten sollten, die Fakten ernst zu nehmen, aufgrund von Fakten zu argumentieren und aufgrund von Fakten zu handeln. Das war der Satz von Angela Merkel.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Dass das der Bayerische Ministerpräsident missversteht, ist, muss ich schon sagen, ein Problem. In diesem Fall lebt nämlich er in einer postfaktischen Gesellschaft. Es ist genau einer der Punkte, die wir sehr ernst nehmen müssen, als Politiker sorgsam auf die Sprache zu achten, uns sorgsam gegenseitig zuzuhören, sorgsam auch Anträge zu lesen und Anträge im Zweifelsfall vielleicht auch einmal positiv zu sehen und nicht nur Negatives herauszulesen.

Insofern stimmen wir beiden Anträgen zu, auch wenn wir nicht jeden Satz des CSU-Antrags teilen können, insbesondere was das Eigenlob der Staatsregierung betrifft. Ich glaube, auch da gibt es noch das eine oder andere nachzubessern. Ich betrachte aber das, was in Punkt 3 enthalten ist, als Arbeitsprogramm für die Staatsregierung und nehme auch die Worte auf, die gerade Kollege Gantzer genannt hat. Das tue ich als Bildungspolitiker sehr gern. Bildung ist der Schlüssel, um Extremismus und Menschenfeindlichkeit zu verhindern. Das sollten wir sehr ernst nehmen. Wir sollten uns in diesem Bereich sehr anstrengen und gerade in diesen Zeiten das Gemeinsame in diesem Haus mehr betonen als das Trennende.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die CSU-Fraktion hat für ihren Antrag namentliche Abstimmung beantragt.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Schwaches Bild!)

Da müssen wir 15 Minuten warten. Wir ziehen die einfache Abstimmung nicht vor, sondern machen das gemeinsam.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Aiwanger, Streibl, Glauber und Fraktion (FREIE WÄHLER) betreffend "Bewährte Zuständigkeit für Autobahnen in Bayern belassen – Privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft verhindern – Beschluss des Landtags umsetzen!" auf Drucksache 17/13808 bekannt. Mit Ja haben gestimmt 14. Mit Nein haben gestimmt 113. Stimmenthaltungen gab es 18. Damit ist der Antrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Wir fahren jetzt in der Tagesordnung fort.

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Josef Zellmeier, Petra Guttenberger u. a. und Fraktion (CSU) Bericht über Maßnahmen gegen die sogenannten Reichsbürger (Drs. 17/13810)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Florian Ritter, Dr. Christoph Rabenstein u. a. und Fraktion (SPD) "Reichsbürgerbewegung" entschlossen entgegentreten! (Drs. 17/13815)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Katharina Schulze u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) "Reichsbürger" in Bayern - die zu lange unterschätzte Gefahr im Freistaat Bayern (Drs. 17/13817)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Die Gefahr durch sogenannte "Reichsbürger" in Bayern ernst nehmen (Drs. 17/13823)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Dr. Herrmann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bayerische Landtag verurteilt die schändliche Mordtat eines sogenannten Reichsbürgers am 19.10.2016 in Georgensgmünd, bei der ein Beamter des SEK Nordbayern getötet und weitere Beamte zum Teil schwer verletzt wurden. Der Bayerische Landtag trauert mit den Angehörigen und Kollegen und spricht ihnen sein tief empfundenes Beileid aus.

(Allgemeiner Beifall)

Der Beamte hat in Ausübung seines Dienstes für unsere Sicherheit und für die Sicherheit der Menschen in Bayern das maximale Opfer erbracht, das denkbar ist. Jeder Polizeibeamte weiß, dass sein Beruf gefährlich ist. Gott sei Dank ist er nur sehr selten tödlich. Aber jeder Fall ist einer zu viel. Das bekräftigt uns in unserer klaren Strategie. Wir müssen diejenigen wirksam schützen, die uns schützen. Daher optimieren wir ständig die Schutzausstattung unserer Beamten. Daher verfolgen wir mit Nachdruck jede Gewalt, die gegenüber Polizistinnen und Polizisten ausgeübt wird. Wir fordern daher eine breite parlamentarische Unterstützung für die Verschärfung des Strafrechts ein, wenn es um die Ahndung von Gewalt gegen Polizei

beamte geht. Wir wollen das Strafmaß in solchen Fällen auf mindestens sechs Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe erhöhen.

Die Niedertracht des Täters von Georgensgmünd, seine Verblendung und sein Hass machen mich fassungslos. Diese Tat führt uns in schrecklicher Weise vor Augen, wie schmal der Grat zwischen vermeintlichen Spinnern und gewalttätigen extremistischen Verbrechern ist. Mit unserem Dringlichkeitsantrag möchten wir die Aktivitäten der sogenannten Reichsbürger und vergleichbarer Gruppen zum Thema im Innenausschuss machen und dabei insbesondere diejenigen Maßnahmen erörtern, die gegen derartige Gruppen und Personen durchgeführt werden. Damit soll aber auch ein klares Signal an all diejenigen gesandt werden, die es offenbar akzeptabel finden, das wirre Gedankengut dieser sogenannten Reichsbürger zu unterstützen oder sich gar selbst zu eigen zu machen. Jeder, der in unserem Land lebt und halbwegs bei Verstand ist, muss nämlich zu dem Schluss kommen, dass die Gedankengänge dieser Leute wirr und abwegig sind. Sie sind falsch, in sich unlogisch, apodiktisch, absurd und gefährlich.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)