Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte, die Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die 86. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie die Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 7. November verstarb im Alter von 76 Jahren der ehemalige Staatssekretär Dr. Gerhard Merkl. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1974 bis 2003 an und vertrat für die CSU-Fraktion den Stimmkreis Kelheim. Von 1993 bis 1998 war er Mitglied der Staatsregierung, zunächst als Staatssekretär der Justiz, von 1994 bis 1998 als Staatssekretär für Arbeit und Sozialordnung, Familien, Frauen und Gesundheit.

Während seiner 29-jährigen Mitgliedschaft im Hohen Haus gehörte Dr. Gerhard Merkl mehreren Ausschüssen an, darunter dem Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes, dem Ausschuss für Landesentwicklung und Umweltfragen, dem Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen und dem Ausschuss für Geschäftsordnung und Wahlprüfung, dessen stellvertretender Vorsitzender er von 1988 bis 1990 war. Zudem war er im Laufe seiner Parlamentszugehörigkeit Mitglied mehrerer Untersuchungsausschüsse.

Darüber hinaus engagierte er sich über viele Jahrzehnte als Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Teugn, als Mitglied im Kreistag von Kelheim und als stellvertretender Landrat intensiv in der Kommunalpolitik und hat die Geschicke seiner Heimat in all diesen Ämtern maßgeblich mitbestimmt. Insbesondere in den letzten Jahren bemühte er sich auch besonders um den Naturschutz in seinem Landkreis.

Dr. Gerhard Merkl gestaltete die Sozialpolitik in Bayern maßgeblich mit und erwarb sich als erster Behindertenbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung insbesondere große Verdienste um die Belange von Menschen mit Behinderung. Verlässlichkeit, Kompetenz und Mut zur eigenen Position zeichneten ihn und seine politische Arbeit aus, sodass er auch über die Parteigrenzen hinweg Anerkennung genoss.

Der Freistaat verliert mit Dr. Gerhard Merkl einen profilierten Sozialpolitiker, dem die Sorge um das Wohl der Mitmenschen stets Anliegen und Auftrag war. Für seine Verdienste wurde er mehrfach ausgezeichnet,

unter anderem mit der Verfassungsmedaille in Silber und in Gold.

Der Bayerische Landtag trauert mit seinen Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. –

Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch einen Geburtstagsglückwunsch aussprechen. Am 9. November feierte Frau Kollegin Jutta Widmann einen halbrunden Geburtstag. Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarischen Aufgaben.

(Allgemeiner Beifall)

Dann treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion FREIE WÄHLER "Bürgerwillen respektieren - mehr direkte Demokratie"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Hat eine Fraktion das Benennungsrecht für mehrere Rednerinnen und Redner, kann auf Wunsch der jeweiligen Fraktion eine ihrer Rednerinnen bzw. einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit erhalten. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet.

Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.

Erster Redner ist Kollege Prof. Piazolo. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die USA haben gewählt, und das Wahlergebnis ist für viele ein überraschendes, für manche ein Schock. Das politische Establishment ist abgewählt. Der sogenannte Politikbetrieb in Washington, für viele Amerikaner das Sinnbild für Bürgerferne, hat verloren. Der Wahlkampf hinterlässt ein gespaltenes Land, aber auch bei manchen Menschen die Hoffnung, in Zukunft

mehr gehört zu werden. Dass sich diese Hoffnung erfüllt, bezweifle ich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Wahl ist aber auch ein Menetekel für Deutschland und auch für Bayern. Die Verhältnisse sind nicht eins zu eins übertragbar, aber bestimmte Ingredienzien dieses schleichenden Gifts für die Demokratie – nennen wir es Vertrauensverlust – sind auch bei uns vorhanden. Schauen wir nur in Richtung europäische Einigung und EU. Viele Menschen empfinden sie als intransparent, undemokratisch und bürgerfern.

Ich sage auch deutlich: Die bayerische Politik, die Politik der Staatsregierung der vergangenen drei Jahre wirkt trotz großer Herausforderungen erstaunlich inhaltsleer und enthält auch zum Teil die vorher genannten drei Ingredienzien des Giftes. Es herrscht eine quälende Nachfolgerdebatte eines Ministerpräsidenten, der schon vor Jahren gesagt hat, dass er 2018 aufhört. Seitdem, seit drei Jahren, führt er – wie sagte es einer Ihrer Kollegen? – in öffentlichen Selbstgesprächen dauernd Debatten über sogenannte Prinzlinge, Glühwürmchen, Kleinstrategen und Schmutzeleien. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das interessiert die Menschen nicht; das befördert die Vertrauenskrise. Die Bevölkerung wendet sich von solchen Spielchen ab, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Welche Reaktionen auf diese Vertrauenskrise sind möglich? – Bürgergesellschaft und Politik müssen wieder zusammenrücken und zusammenfinden. Die Menschen müssen das Gefühl haben und die Chance bekommen, gehört zu werden und – nicht nur bei einer Wahl! – aktiv mitzubestimmen. Deshalb fordern wir FREIEN WÄHLER seit Längerem – wir leben es auch –, die direkte Demokratie zu stärken. Dies gilt gerade in einer digitalen Gesellschaft.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Wir haben direkte Demokratie in den vergangenen Jahren mehrmals vorgelebt. Ich nenne als Beispiele das Volksbegehren gegen Studiengebühren und das Volksbegehren für die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9. Ehe der Zwischenruf kommt, füge ich hinzu: Auch ein Volksbegehren, das nicht eine Million Unterstützer findet, ist ein Gewinn, weil wir mit den Menschen ins Gespräch kommen und ihnen politische Themen näherbringen können. Das bringt durchaus etwas, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir FREIEN WÄHLER stehen seit Langem für Volksbegehren auch auf Bundesebene. Seit wir im Landtag vertreten sind, fordern wir dies in vielen Anträgen. Bis

her sind unsere Anträge leider immer von der CSUMehrheit abgelehnt worden. Dennoch bleiben wir bei unserer Forderung. Ich begrüße es, dass Sie von der CSU zumindest auf dem richtigen Weg zu sein scheinen, da Sie auf ihrem jüngsten Parteitag dem Antrag zugestimmt haben, Volksentscheide auf Bundesebene zu ermöglichen. Diese Forderung stand aber schon in Ihrem Programm zur Europawahl 2009, liebe Kollegen von der CSU, und seitdem sind Sie in diesem Punkt auf Bundesebene keinen Schritt weitergekommen. Reden Sie nicht nur, und schreiben Sie diese Forderung nicht nur in Ihr Programm, sondern handeln Sie endlich! Setzen Sie sich endlich mit Nachdruck dafür ein!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Ich darf auch die Volksbefragung nennen. Das ist eine gute Idee des Ministerpräsidenten gewesen; aber es fehlt die Umsetzung. Ich nenne ein Beispiel: Wir fordern eine Volksbefragung zu CETA. Sie aber verweigern diese seit langer, langer Zeit.

Die Direktwahl des Bundespräsidenten ist ein weiteres Beispiel.

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Das ist Unsinn!)

Das ist kein Unsinn, Herr Dr. Herrmann.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das Volk zu befragen ist kein Unsinn!)

Wenn Sie sich die Debatte über den nächsten Bundespräsidenten anschauen, müssen auch Sie zugeben, dass es sich um reine politische Taktiererei handelt. Trotz vieler Koalitionsrunden schaffen Sie es seit über einem halben Jahr nicht, einen Kandidaten zu benennen. Agieren Sie endlich! Haben Sie keine Angst vor dem Bürger, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Der Wille des Bürgers, sein Wohl und Wehe, das ist unsere Legitimation. Das ist der Grund, warum wir hier stehen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Ich persönlich und wir FREIEN WÄHLER insgesamt trauen den Menschen in Bayern die Übernahme von mehr politischer Verantwortung zu. Tun Sie das endlich auch, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Herr Kollege

Zellmeier von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Bayern ist innerhalb Deutschlands das Musterland für mehr direkte Demokratie.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie wollen sich doch nicht mit Rot-Grün vergleichen?)

Man wird wohl noch sagen dürfen, was Tatsache ist.

(Beifall bei der CSU – Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das kleinere Übel!)

In den Bundesländern, in denen die Parteien regieren, die in diesem Hause die Opposition bilden, gibt es wesentlich weniger Bürgerbeteiligung.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Piazolo hat vorhin die Frage gestellt, was die CSU auf Bundesebene erreicht hat. Da sei zugegeben: bisher noch nichts.

(Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Richtig!)