Gleichzeitig ist klar: An der Fachkraftquote von 50 % im stationären Bereich und von 80 % im ambulanten Bereich dürfen wir nicht rütteln; denn eine gute Pflege bekommen wir nur mit mehr Personal, nicht mit weniger. Deswegen müssen wir auch darauf achten, dass die Pflegehilfskräfte nicht durch weniger Fachkräfte kompensiert werden. Das ist auch ein ganz zentraler Punkt.
Meine Kollegin Kathi Petersen wird gleich noch etwas zu dem Themenbereich Ausbildung, Pflegeberuf und Bezahlung sagen. Etwas ist aber ganz eindeutig; das kann man nicht weglassen: Entscheidend ist die Aufwertung des Pflegeberufes hinsichtlich der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Das gilt sowohl für die Krankenals auch für die Altenpflege. Natürlich brauchen wir auch die gebührenfreie Aus- und Weiterbildung.
Bislang werden zwei Drittel aller Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, etwa 50 % davon von den Familienangehörigen allein. Das heißt, dass die Familien in Bayern und auch in Deutschland bislang den größten Teil der Pflegearbeit leisten. Deswegen können wir auch auf die familiäre Pflege in Zukunft keineswegs verzichten. Wir müssen die Angehörigen spürbar entlasten, zum Beispiel durch einen verlässlichen Kündigungsschutz während der Zeit der Pflege in der Familie, eine Anrechnung von Pflegezeiten bei der Rente und auch durch die Möglichkeit von flexiblen Arbeitszeiten; denn sonst ist das nicht zu bewerkstelligen.
Wir brauchen den Ausbau der wohnortnahen und auch quartierbezogenen Pflegeberatung, eine aufsuchende Beratung, die in die Familien geht, und natürlich die flächendeckende Erweiterung von Pflegestützpunkten nach bundesweit anerkannten Standards. Weil den Kommunen durch das Pflegestärkungsgesetz eine größere Rolle zugewiesen wird, was auch sinnvoll ist und auch von uns und von Bayern aus
ausdrücklich erwünscht war, weil die Kommunen einfach näher an den Menschen dran sind, dürfen wir die Kommunen mit dieser Aufgabe finanziell nicht alleine lassen. Dies wird ganz entscheidend sein, wenn wir die neuen Pflegestärkungsgesetze umsetzen; denn sonst wird es nichts.
Um die pflegenden Angehörigen zu entlasten, können wir auch die Selbsthilfe verbindlich fördern und künftig auf sichere Füße stellen und einen gesonderten Freistellungsanspruch, zum Beispiel zur Begleitung eines sterbenden Angehörigen, schaffen. Das ist eine Ausnahmesituation. Dafür müssen wir auch extra Freiräume schaffen.
Ich habe schon die bessere Anerkennung von Pflegezeiten bei der Rentenberechnung ähnlich wie bei der Kindererziehungszeit genannt. Das betrifft auch die Betreuung demenzkranker Angehöriger; denn das macht die Sache sehr intensiv und auch sehr zeitintensiv. Schließlich müssen wir gesetzliche Regelungen für die häusliche 24-Stunden-Pflege im Privathaushalt durch dann eben sozialversicherungspflichtig Beschäftigte statt Arbeitskräften von einem grauen Arbeitsmarkt finden. Diesbezüglich kann man sich zum Beispiel auch das österreichische Hausbetreuungsgesetz ansehen.
Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die ambulanten Pflegedienste. Wenn die ambulante Pflege Priorität haben soll, weil man möglichst lange daheim bleiben will, dann müssen die ambulanten Dienste auch qualifiziert und kostendeckend arbeiten können. Das Entgelt ist aber derzeit nach Pflegestufen festgelegt. Künftig werden es Pflegegrade sein. Es gibt einige Verbesserungen, gerade im Bereich der Demenzbetreuung, aber es bleibt dabei, dass wir den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue BewertungsAssessment der Pflegegrade aufmerksam daraufhin beobachten müssen, ob es am Ende auch zu dem gewünschten Effekt führt, nämlich zu einer deutlichen Verbesserung.
Trotz Stärkung der ambulanten Versorgung wird natürlich nach wie vor ein Drittel der Pflege in stationären Einrichtungen erbracht. Auch wenn innovative Wohn- und Pflegeformen in Mehr-Generationen-Projekten, in ambulant betreuten Wohngemeinschaften an Bedeutung gewinnen, werden wir auch in Zukunft Pflegeheime für die Schwerstpflegebedürftigen brauchen. Deswegen müssen wir die Pflegeheime angemessen ausstatten.
Es besteht kein Zweifel, dass der wirtschaftliche Aufwand für Pflegeleistungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ansteigen wird. Am Ende geht es natürlich ums Geld. Ich möchte grundsätzlich anspre
chen, dass es uns wichtig ist und wir es für unerlässlich halten, durch die Zusammenführung von privater und sozialer Pflegeversicherung zu einer Bürgerversicherung Pflege zu kommen.
Eine Umstellung der Pflegeversicherung auf ein Kapitaldeckungsverfahren lehnen wir ab, weil sie eine Doppelbelastung der jetzt erwerbstätigen Generationen bedeutet und weil sie wegen der Risiken auf dem Kapitalmarkt auch deutlich zu unsicher erscheint. Die Pflege der künftigen Generationen muss genauso sicher finanziert werden wie die Rente. Das geht nur durch ein Umlageverfahren. In diese Bürgerversicherung Pflege müssen dann alle gerecht einzahlen, das heißt, auch die Beamten und die Selbstständigen müssen entsprechend ihrer Einkommen beteiligt werden. Die Arbeitgeber müssen sich daran paritätisch beteiligen.
Die staatliche Förderung privater kapitalgedeckter Pflegezusatzversicherungen lehnen wir ab, weil dies eine indirekte Beitragserhöhung bedeuten und einen deutlich höheren Verwaltungsaufwand nach sich ziehen kann. Vor allem ist klar, dass Leute, die eher gering verdienen, sich selbst bei einer staatlichen Bezuschussung nicht noch eine zusätzliche private Versicherung leisten können. So besteht die Gefahr einer ungerechten Zwei-Klassen-Situation fort.
Ich übergebe jetzt gerne das Wort an meine Kollegin Kathi Petersen, die zu dem Thema Pflegeberufe und Pflegeausbildung noch ein paar Worte sagen will. – Machst du das gleich oder im Anschluss?
Vielen Dank, Frau Kollegin Waldmann. Frau Kollegin Petersen kommt später zu Wort. – Der nächste Redner auf der Liste ist Herr Kollege Leiner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön.
Herr Präsident, ich hätte Frau Kollegin Petersen auch vorgelassen. Aber gut, das geht offenbar nicht. – Wir sprechen heute über die Interpellation der Fraktion der FREIEN WÄHLER. Auch wir, die Fraktion der GRÜNEN, begrüßen den Fragenkatalog; die Bayerische Staatsregierung hat ihn beantwortet. In der Bewertung der einzelnen Antworten unterscheiden wir uns aber.
Lassen Sie mich einige Vorbemerkungen machen. Kaum ein Bereich des öffentlichen Lebens ist so heterogen organisiert wie die Pflege. In der Regel kann Pflegebedürftigkeit nicht vorausgesehen werden. Die Menschen stellen sich auch ungern auf die Situation ein, dass Pflege plötzlich eintritt. Genau dies spiegelt sich in der politischen Bedeutung der Pflege in Bayern wider. Die Bayerische Staatsregierung hat zwar das Ministerium für Gesundheit und Pflege geschaffen. Doch die jüngsten Ereignisse, zum Beispiel der erzwungene Umzug des Ministeriums nach Nürnberg und die Verweigerung der Einrichtung einer Pflegekammer – die schon beschlossen war! –, zeigen uns, wie einflusslos dieses Ministerium innerhalb der Bayerischen Staatsregierung ist.
Einen zahnlosen Tiger bei Gesundheit und Pflege brauchen wir nicht. Wir brauchen vielmehr eine starke Stimme für die Pflege, sprich: eine Pflegekammer und ein Ministerium, das seinen großen Aufgaben gerecht wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, worüber sprechen wir? – Wir haben vermutlich circa – jetzt kommt die Formulierung "vermutlich circa" – 130.000 bis 140.000 professionell Pflegende in Bayern. Die Zahl der Menschen im Freistaat, die in Heimen gepflegt werden, beläuft sich auf circa 106.000, und die Zahl der zu Hause gepflegten Personen auf 223.000, wobei die Tendenz deutlich steigend ist. Von der Gesamtzahl der zu Hause gepflegten Menschen werden rund zwei Drittel allein durch Angehörige und rund ein Drittel – jetzt folgt ein wichtiger Hinweis – zusammen mit ambulanten Pflegediensten oder allein durch diese gepflegt. Damit ist gemeint, dass durch ambulante Pflegedienste nicht die gesamte Betreuung abgedeckt werden kann, wenn die Angehörigen zu Hause sind. Die Zahl der zu Hause Pflegenden wird sich wahrscheinlich noch erhöhen. Wir reden aktuell von über 470.000 Menschen in Bayern, die das Thema Pflege direkt, als Pflegebedürftige, oder indirekt, als Pflegende, betrifft.
Bis zum Jahr 2020 wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Bayern um gut ein Drittel erhöhen. Das sind keine Prognosen oder Vermutungen, sondern
Zahlen, die feststehen. Daraus folgt, dass wir in der Pflege vor einem riesigen Problem stehen. An diesen Zahlen ist auch zu erkennen, welche Bedeutung die Pflege in unserer Gesellschaft bereits hat und auch in Zukunft haben wird. Die Bayerische Staatsregierung tut nach Ansicht der Fraktion der GRÜNEN deutlich zu wenig, wenn es darum geht, sich den daraus resultierenden Herausforderungen zu stellen.
Bis heute kennen wir nach Aussage der Regierung nicht die genaue Zahl der aktiv Pflegenden. Diese zu ermitteln, wäre die erste zu erledigende Hausaufgabe. Zwar liegen entsprechende Studien der Bertelsmann Stiftung vor; diese beziehen sich jedoch auf das gesamte Bundesgebiet und nicht auf die spezielle Situation in Bayern. Die Staatsregierung muss endlich valide Daten erheben, und zwar regelmäßig, um die notwendigen Zahlen zu erhalten.
Bereits im Jahr 2013 haben wir dies gefordert. Damals forderten wir die Staatsregierung auf, umgehend einen bayerischen Pflegemonitor einzurichten, der im zweijährlichen Turnus bei allen Trägern, Diensten und Einrichtungen der Pflege die Daten zum Fachkräftebedarf und zum Bedarf an Auszubildenden erhebt und diese mit den vorhandenen Ausbildungskapazitäten bzw. der Zahl der Auszubildenden abgleicht. Diesem Antrag wurde leider nicht stattgegeben.
Herr Kollege Bauer hat zur Pflegekammer alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Eine weitere Bemerkung dazu kann ich Ihnen aber nicht ersparen: Die relevanten Daten wären aus dem Datenbestand einer Pflegekammer leicht zu ermitteln gewesen.
Klar ist: Die prognostizierte Lücke an professionellen Pflegekräften wird mit den von der Staatsregierung bisher ergriffenen Maßnahmen nicht geschlossen werden können. Die Herzwerker-Kampagne und der Fünf-Punkte-Plan zur Ausbildung werden bei Weitem nicht ausreichen. Wir brauchen eine hoch qualifizierte, kostenfreie und einheitliche Ausbildung aller Pflegekräfte. Es hat übrigens lange genug gedauert, bis das Schulgeld abgeschafft worden ist. Dafür haben alle Fraktionen, bis auf die CSU-Fraktion, schwer gekämpft.
Dabei ist – Herr Kollege Imhof, in diesem Punkt sind wir uns einig – eine Art der generalistischen Ausbildung vonnöten. Die gemeinsame Grundausbildung
aller Pflegekräfte und anschließende Spezialisierung scheint uns der beste Weg zu sein. Wir sind in der Diskussion, stehen aber zu unserer Aussage zur generalistischen Ausbildung.
Da wir gerade bei der Ausbildung sind: Wir müssen feststellen, dass sie in Bayern sehr heterogen organisiert wird. Von großem Vorteil wären eine staatliche Berufsfachschule für Pflege plus Pflegeausbildung plus praktische Ausbildung in den Einrichtungen mit Praxisanleitung durch wirklich qualifizierte Ausbilder. Daran haben wir großen Bedarf. Wir haben es schon gehört: Einige Betriebe bilden aus, andere nicht. Das sagt aber noch nichts über die Qualifikation aus. Auch bei der praktischen Ausbildung brauchen wir eine deutliche Steigerung der Qualität.
In diesem Bereich ist in den vergangenen Jahren einiges geschehen. Die Zahl der Schüler, die sich für eine Pflegeausbildung entscheiden, ist – das wissen wir aus der Interpellation –, zumindest was die Altenpflege betrifft, konstant geblieben bzw. sogar leicht gestiegen. Dies bedeutet mitnichten eine Verbesserung der Personalsituation sämtlicher Einrichtungen; denn die Verweildauer im Beruf ist extrem kurz. Die Zahlen liegen mir vor: In der Altenpflege sind es 8,4 Jahre, in der Krankenpflege sogar nur 7,5 Jahre. Das sind die Verweildauern von Menschen, die eine Ausbildung in diesem Beruf abgeschlossen haben, also examiniert sind. Zudem sind die Krankenquoten in allen Einrichtungen, insbesondere in der Krankenpflege, aber auch in der Altenpflege, extrem hoch, weit höher als in anderen Berufen. Aus alldem folgt die Feststellung, dass viele gut ausgebildete Pflegefachkräfte in andere Berufe wechseln. Genau das können wir uns in dieser Situation nicht leisten.
Kollege Imhof, Ursache für die hohe Fluktuation sind vorwiegend die schlechten Arbeitsbedingungen. Zwar spielt auch die unzureichende Bezahlung eine Rolle; aber als Erstes höre ich immer, dass die Arbeitsbedingungen dringend verbessert werden müssen. Frau Ministerin, in diese Richtung muss noch viel unternommen werden.
Ich will auch anmerken, dass wir dringend mehr Männer in der Pflege brauchen. Der Pflegeberuf ist bisher vorwiegend weiblich. Gerade die Zuwanderung sollte es uns möglich machen, mehr Menschen für eine Tätigkeit im Pflegebereich zu qualifizieren. Klar ist, dass
Des Weiteren sollten wir ausländische Pflegekräfte, die sich bei uns bewerben, bitte schneller anerkennen. Die Anerkennungsverfahren dauern Monate, zum Teil Jahre. Das ist ein untragbarer Zustand.
Für die professionelle Pflege, sowohl ambulant als auch stationär, gelten bestimmte Anforderungen bzw. Qualitätsstandards.
An dieser Stelle möchte ich den Pflegekräften für die tolle Arbeit, die sie leisten, ganz herzlich danken. Das geht weit über das Maß hinaus, was andere Arbeitnehmer leisten.
Ich weiß übrigens, wovon ich rede, war ich doch erst kürzlich wieder in der ambulanten Pflege unterwegs. Ich habe auch schon stationär gepflegt.
Noch eine Anmerkung zu Missständen in der Pflege: Missstände, zu denen die unzulängliche Behandlung von Bewohnern gehört, gelangen natürlich schnell in die Schlagzeilen. Das bringt Leser. Mein Eindruck von der Pflege in Bayern – ich meine sowohl die ambulante Pflege als auch die Pflege in stationären Einrichtungen – ist aber überwiegend ein besserer.