Protokoll der Sitzung vom 08.12.2016

(Beifall bei den GRÜNEN)

"Leider drückt sich das Gesetz um die Lösung konkreter Probleme, die den Kommunen auf den Nägeln brennen." Diesen Satz habe nicht ich gesagt, sondern den hat der Geschäftsführer des Bayerischen Städtetags, der Herr Buckenhofer, gesagt. Deswegen empfinden die Kommunen das Gesetz, das Sie vorgelegt haben, als alles andere als hilfreich. Dabei sollen gerade die Kommunen das meiste, was in diesem Gesetz steht, umsetzen. Wenn die sagen, das bringt ihnen eigentlich gar nichts, dann finde ich es schon sehr bemerkenswert, dass Ihnen das nicht zu denken gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Dieses Leitkultgesetz enthält zahlreiche Regeln, die zu mehr Bürokratie führen. Das Gesetz überträgt den Kommunen neue Aufgaben. Ein großer Mehraufwand bei Investitionen und mehr Personal sind notwendig. Das Gesetz sagt nichts dazu, wie das von den Kommunen überhaupt geschultert werden soll. Noch schlimmer: Sie lassen die Kommunen bei den Integrationsleistungen finanziell im Regen stehen. Das machen Sie auch jetzt schon. Sie übernehmen zum Bei

spiel – das hatten wir erst kürzlich – nicht die vollen Kosten bei der Jugendhilfe für Flüchtlinge. Das wäre eigentlich angesagt gewesen und ist auch von den kommunalen Spitzenverbänden gefordert worden. Dazu haben Sie sich jetzt auf einen Kompromiss eingelassen. Aber es bleibt festzustellen, dass trotz dieser Finanzierungszusage für die Unterstützung junger unbegleiteter Flüchtlinge über 18 Jahren Bayern das einzige Bundesland bleibt, das die Kosten der Jugendhilfe für Flüchtlinge teilweise kommunalisiert. Das geht eigentlich nicht. Bayern ist in dieser Hinsicht das einzige Bundesland.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Für den Städtetag ist ebenfalls unbefriedigend – das gilt auch für die anderen kommunalen Spitzenverbände –, dass keine Kostenerstattungen für die weiteren in den Kommunen anfallenden Kosten für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen vereinbart werden konnten. Insbesondere die Weigerung des Freistaats, die Kommunen anteilig aufgabenbezogen an den vom Bund den Ländern zur Verfügung gestellten Integrationsmitteln zu beteiligen, stößt bei den kommunalen Spitzenverbänden auf völliges Unverständnis.

Kolleginnen und Kollegen, uns GRÜNE treibt die Sorge um unser Gemeinwesen um. Wir GRÜNE sagen, wir müssen alles tun, um den Zusammenhalt zu stärken, und wir dürfen nicht um alles in der Welt die Fliehkräfte, die offensichtlich in der Gesellschaft zu beobachten sind, noch weiter befördern. Aber genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, tun Sie mit Ihrem Gesetz.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Dr. Wengert von der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wortmeldung des Kollegen Kreuzer, der gerade hinausgegangen ist, hat mich sehr betroffen gemacht.

(Zurufe von der CSU: Oh!)

Sie widerspricht völlig dem, wozu ich mich als Abgeordneter verpflichtet fühle, nämlich um die besten Lösungen von Problemen zu kämpfen und zu diskutieren. Aber noch mehr betroffen gemacht hat mich der Beifall, den er dafür sicher unbewusst von der Tribüne erhalten hat, mutmaßlich von Vertretern der AfD, da

runter ihr Landesvorsitzender Petr Bystron – ein Verhalten, das jeden Respekt vor dem Parlament vermissen lässt. Die Herrschaften haben Gott sei Dank das Hohe Haus zwischenzeitlich verlassen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Florian Herrmann (CSU))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CSU schlägt vor, die herausragende Rolle der Kommunen im Integrationsprozess in einem eigenen Artikel, dem Artikel 9 neu, zu erwähnen, wie es in der Begründung heißt, und zwar noch vor Rundfunk und Wirtschaft. Beim oberflächlichen Lesen klingt das zunächst gar nicht so schlecht. Aber der Erwähnung folgen keine konkreten Regelungen. Es bleibt bei unverbindlichen Worthülsen. Dieser Artikel verhöhnt die Kommunen. Er lobt geradezu pharisäerhaft ihren unverzichtbaren Beitrag, lässt sie aber finanziell im Regen stehen. Das ist im beispielhaft schlechtesten Sinn ein Titel ohne Mittel.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Bravo!)

Bei diesem nach dem Änderungsantrag der CSU neu einzufügenden Artikel handelt es sich um reine Gesetzeskosmetik. Der Artikel hat ohnehin, wie es in der Begründung heißt, nur deklaratorischen Charakter und verpflichtet den Staat nach wie vor zu nichts. Auf derartige Placebos können die Kommunen gut und gern verzichten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was sie bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen geleistet haben und tagtäglich leisten, wissen die Kommunen selbst am besten. Ihre großartige Leistung beweist überdeutlich, in welch hohem Maß sie sich ihrer Mitverantwortung für die Integration bewusst sind. Natürlich vermeidet es die CSU in ihrem Vorschlag für einen neuen zusätzlichen Artikel 9 selbst, konnexitätsrechtlich relevante Wirkungen zu verankern; denn das geschieht versteckt an anderen Stellen des Integrationsgesetzes.

Der CSU-Antrag ändert also nichts an der generellen Kritik der kommunalen Spitzenverbände, vor allem an den durch dieses Gesetz zusätzlich entstehenden Kosten. Lassen Sie mich aus der Stellungnahme zitieren:

Die Kosten der Integration

als gesamtstaatliche Herausforderung –

dürfen nicht auf die Kommunen abgewälzt werden. Durch das vorliegende Bayerische Integrationsgesetz werden zusätzliche Standards festgesetzt und zum Teil neue Aufgaben auf die Kommunen übertragen bzw. bestehende Aufga

ben erweitert. Hierdurch wird das Konnexitätsprinzip tangiert …

Durch das Bayerische Integrationsgesetz entstehen den Kommunen entgegen den Ausführungen im Vorblatt Kosten …

die für die kommunalen Spitzenverbände konnexitätsrelevante Fragen aufwerfen.

Die Spitzenverbände haben dafür Beispiele genannt, wie den Artikel 5 Absatz 1 Satz 5, der Träger von Kindertageseinrichtungen verpflichtet, pädagogisches Personal vorzuhalten, das die notwendigen interkulturellen Kompetenzen im erforderlichen Umfang fortentwickelt. Dazu bedarf es aber der entsprechenden Zusatzausbildung, die mit deutlichen Mehrkosten im Personalbereich verbunden ist. Ähnliches gilt für die Festlegung, dass Gemeinden, Städte und Landkreise SPRINT-Klassen, integrative Gymnasialklassen, Berufsintegrationsklassen und Übergangsklassen bilden müssen. Das bedeutet unkalkulierbare Kosten für die Kommunen als Schulaufwandsträger.

Artikel 13 Absatz 3 begründet mit der Überprüfung der Teilnahme am Grundkurs Rechts- und Werteordnung sowie der Entscheidung über den Bußgeldtatbestand eine weitere Aufgabe für die Sicherheitsbehörden, die insbesondere Vollzugsaufwand und damit zusätzliche Personalkosten hervorruft. Die Umsetzung solcher Aufgaben wie eben genannt kostet selbstverständlich viel Geld. Genauso selbstverständlich sind diese Aufgabenzuweisungen konnexitätsrechtlich relevant. Da hilft es gar nichts, wenn Sie das in der Gesetzesbegründung verneinen. Papier ist bekanntlich geduldig.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in Bezug auf die Kommunen wird deutlich, was sich wie ein roter Faden durch den Gesetzentwurf der Staatsregierung zieht und durch den Änderungsantrag Ihrer Fraktion, Herr Kollege Kreuzer, noch verstärkt wird. Es geht Ihnen nur ums Fordern, nicht aber ums Fördern. Wenn Sie schon glauben, die herausgehobene Rolle der Kommunen unterstreichen zu müssen, dann machen Sie doch bitte Nägel mit Köpfen, anstatt unseren Kolleginnen und Kollegen in den Kommunen Steine statt Brot zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Gesetze macht man, um Rechte und Pflichten festzulegen oder, um die kommunalen Spitzenverbände nochmals zu zitieren: "Gesetze enthalten in aller Regel klare Handlungsanweisungen und Verpflichtungen." – Genau das macht Ihr neuer Artikel 9 nicht. Er ist daher so überflüssig wie ein Kropf.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.

Ich lasse zuerst über den Antrag der CSU-Fraktion abstimmen. Zum Wortlaut des neuen Artikels 9 verweise ich auf die Nummer 4 des CSU-Änderungsantrags und die Nummer 5 der Beschlussempfehlung. Der federführende Ausschuss empfiehlt Zustimmung. Wer dem neuen Artikel 9 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Sehe ich keine. Dann ist der Artikel 9 neu so beschlossen.

Jetzt folgt die Abstimmung über die Artikel des SPDAntrags. Der federführende Ausschuss empfiehlt, alle drei Artikel abzulehnen. Wer entgegen dem Ausschussvotum der Nummer 10 des SPD-Änderungsantrags – das ist der Artikel 9 "Interkulturelle Öffnung der öffentlichen Verwaltung" – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Sehe ich keine. Damit ist der Artikel 9 in diesem Kontext abgelehnt.

Wer entgegen dem Ausschussvotum der Nummer 11 des SPD-Antrags – das ist der Artikel 10 "Teilhabe in Gremien" – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Artikel 10 ebenfalls abgelehnt.

Wer entgegen dem Ausschussvotum der Nummer 12 des SPD-Antrags – das ist der Artikel 11 "Förderung von Integrationsmaßnahmen freier Träger" – zustimmen möchte, den bitte ich wiederum um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist auch der Artikel 11 abgelehnt.

Ich rufe auf:

Artikel 9 bisher "Verantwortung der Wirtschaft"

hierzu:

Änderungsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Doris Rauscher, Hans-Ulrich Pfaffmann u. a. und Fraktion (SPD) hier: Nummer 8 (Drs. 17/13211)

Änderungsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Josef Zellmeier, Markus Blume u. a. (CSU) hier: Nummer 5 (Drs. 17/13604)

Der bisherige Artikel 9 wird durch die Einfügung des vorher verabschiedeten Artikels 9 zum neuen Artikel 10.

Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 24 Minuten. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist Herr Mütze von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Mütze, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CSU! Ich finde es wirklich schade, dass Sie sich nicht mehr an der Debatte beteiligen wollen, gerade unter dem Aspekt, dass diese Nacht, dieser Abend, für viele Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion, die so selten an die Reihe kommen, die Chance war, hier vorne zu reden und auch mal ihre Meinung hier darzulegen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das haben die Kolleginnen und Kollegen bisher gut genutzt. Es ist schade, dass Sie das beenden. – "Verantwortung der Wirtschaft", Artikel 10. Die bayerische Wirtschaft – so lautet Absatz 1 Satz 1 – trägt im Rahmen des Artikels 151 der Bayerischen Verfassung Mitverantwortung für die genannten Integrationsziele. Absatz 2 Satz 1 besagt: "Qualifizierte Migrantinnen und Migranten sollen im Rahmen der geltenden Gesetze den heimischen Arbeitsmarkt bereichern."

Da geht es los, liebe Kolleginnen und Kollegen. Bereichern Migrantinnen und Migranten nicht schon seit Jahrzehnten unseren heimischen Arbeitsmarkt? Ist es denn nicht so, dass viele Migrantinnen und Migranten unser Wirtschaftswachstum und den Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland zu einem der führenden Wirtschaftsstaaten dieser Welt mit ermöglicht haben? – Ich war damals noch nicht auf der Welt. Aber wenn man so etwas nachliest, hat man den Eindruck, dass damals die qualifizierten Migrantinnen und Migranten überhaupt nicht das Problem waren. Wichtig war, dass sie gearbeitet haben, dass sie dort gearbeitet haben, wo uns Arbeitskräfte gefehlt haben. Das ist ihnen selten gedankt worden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ist es nicht so, dass wir in Deutschland inzwischen dahin gekommen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass viele Arbeiten, die uns zu schwer, zu dreckig oder zu minder bezahlt sind, von Migrantinnen und Migranten erledigt werden und wir dankbar sein müssen, dass sie diese Arbeit machen? – Sie schieben nun in diesem Gesetz der Wirtschaft die Verantwortung für die Ausbildung zu. Das heißt, die Wirtschaft hat diese Aufgabe. Das ist richtig, das sagt die Verfassung. Sie verhindern aber gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, über Ausführungsbestimmungen die Durchsetzung dieser Verantwortung. Ich erinnere an den § 18a des Aufenthaltsgesetzes. Ich erinnere Sie an das Bundesintegrationsgesetz, das eigentlich von den Ländern eins zu eins umgesetzt werden sollte. Aber dann kam die bayerische Verwaltung, hat 41 Seiten IMS dazugefügt und damit das Bundesintegrationsgesetz ad absurdum geführt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Migrantinnen und Migranten verhindern hier die Integration in den Wirtschaftsbereich und in den Arbeitsprozess. Das sind doch Sie von der CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen.