Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Blindengeldgesetzes (Drs. 17/11941) - Zweite Lesung
Änderungsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Ruth Waldmann, Doris Rauscher u. a. und Fraktion (SPD), Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Kerstin Celina u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drs. 17/12274)
Ich eröffne die Aussprache und weise darauf hin, dass die Redezeit 24 Minuten beträgt. Erster Redner ist Herr Kollege Unterländer.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns liegen ein Gesetzentwurf und ein Änderungsantrag vor. Die jeweiligen Zielsetzungen unterscheiden sich. Der Gesetzentwurf der Staatsregierung nimmt die im Bayerischen Blindengeldgesetz erforderlichen Anpassungen der Regelung zur Anrechnung des Pflegegeldes auf das Blindengeld nach dem sogenannten Pflegestärkungsgesetz II vor. Dies ist Folge der geänderten Systematik des Bundesgesetzes. Die Änderung ist aber nicht nur zwangsläufig, sondern auch zu begrüßen.
Ich darf daran erinnern, dass wir im Sozialausschuss wiederholt über Petitionen beraten, die letztlich eine inhaltliche Bewertung der Anrechnungsregelung zum Gegenstand haben. Grundsätzlich handelt es sich um zwei konkurrierende Sozialleistungen. Deshalb ist die Änderungsnotwendigkeit gegeben. Wir haben im Moment jedenfalls keinen Anlass, davon Abstand zu nehmen.
Der zweite wichtige Aspekt in dieser Diskussion betrifft die Einführung von Leistungen für Schwerstsehbehinderte, die noch nicht in den Genuss des Blindengeldes kommen. Dazu gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Der Änderungsantrag der Oppositionsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sieht vor, diese Frage gleich in dem vorliegenden Gesetzentwurf zu regeln.
Wir haben eine erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen. Sowohl das Kabinett als auch die CSU-Landtagsfraktion haben jeweils entschieden, ab dem Haushaltsjahr 2018 – das ist haushaltstechnisch der frühestmögliche Zeitpunkt – ein Schwerstsehbehindertengeld einzuführen. Dieses Vorhaben ist im Rahmen der Kabinettsklausur in St. Quirin ausdrücklich bestätigt worden. Nicht nur ich persönlich, sondern
auch die gesamte CSU-Landtagsfraktion vertreten seit Langem einen Vier-Stufen-Plan, mit dem wir das Ziel verfolgen, dass auch Menschen, die zwar nicht vollständig erblindet, aber durch ihre Schwerstsehbehinderung in ihrer Mobilität doch erheblich eingeschränkt sind, in den Genuss eines abgestuften Blindengeldes kommen.
Ich darf an dieser Stelle unserem Fraktionsvorsitzenden Thomas Kreuzer und dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses Peter Winter herzlich danken. Beide sind unsere Verbündeten, was die Einführung der beschriebenen Regelung anbelangt. Ich spreche jetzt für die Fraktion; aber die Staatsregierung unterstützt diesen Weg. Von der Kabinettsklausur in St. Quirin ist auch insoweit ein sehr positives Signal ausgegangen. Wir erreichen eine echte Verbesserung für schwerstsehbehinderte Menschen. Damit gehen wir unseren Weg hin zu einem möglichst behindertenfreundlichen Freistaat Bayern konsequent weiter.
Erstens. Wir haben immer klargestellt, dass das Blindengeld in seiner Grundsubstanz nicht angetastet werden darf, weil es für die betroffenen Menschen, die in ihrer Mobilität stark beeinträchtigt sind, besonders wichtig ist. Heute sind es nicht mehr in erster Linie Menschen, die der Generation der Kriegsopfer angehören; die Ursachen sind heute andere. Aufgabe eines humanen Sozialstaates ist es, sich auch für Menschen mit Behinderung einzusetzen. Soweit es in unseren Möglichkeiten steht, wollen wir für deren Entlastung sorgen.
Zweitens. Wir alle miteinander in diesem Hohen Haus haben quasi ein doppeltes Blindengeld beschlossen, mit dem der besondere Mehrbedarf taubblinder Menschen berücksichtigt wird. Es bedeutet eine Verbesserung für Menschen, deren Lebenssituation jemand, der nicht selbst in dieser Lage ist, wohl kaum nachvollziehen kann. Für Taubblinde ist das Lormen die einzige Möglichkeit, mit der Umwelt zu kommunizieren. Wesentlicher Bestandteil unserer Behindertenpolitik ist der Nachteilsausgleich. Diesen haben wir mit dem Beschluss zum doppelten Blindengeld in den Mittelpunkt unserer Bemühungen gerückt.
Auf der dritten Stufe haben wir es mit der Frage zu tun, ob es möglich ist, auf der Grundlage des Bundesteilhabegesetzes eine bundesweite Regelung zustande zu bringen. Ich rufe den Werdegang ausdrücklich in Erinnerung; das gehört in diesen Zusammenhang. Frau Kollegin Waldmann, im Vergleich zum vorherigen Stand bin ich über den derzeitigen Verhandlungs
stand beim Bundesteilhabegesetz froh. Herr Staatssekretär Hintersberger, ich bin sehr dankbar für die positiven Entwicklungen. Der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich sehr stark in die Verhandlungen eingebracht. Im Hinblick auf die Systematik und das Finanzvolumen ist es nicht sinnvoll gewesen, das Blindengeld bundesweit über ein Bundesteilhabegesetz zu regeln. Dieses Ziel musste außen vor bleiben.
In der vierten Stufe hat man gesagt: Wenn das im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes keinen Erfolg hat, müssen wir das Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte einführen, um die betroffenen Menschen zu entlasten. Das ist der Weg, der für das Jahr 2018 vorgesehen ist. Deshalb bitte ich um Zustimmung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung und um Ablehnung des Änderungsantrags der SPD und der GRÜNEN. Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr zu einer einvernehmlichen Regelung kommen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie gerade dargelegt wurde, werden mit dem heutigen Gesetzentwurf redaktionelle Anpassungen vorgenommen, die aufgrund der Berliner Gesetzgebung nötig geworden sind. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff ist neu definiert worden. Somit kann man sagen: Es werden Hausaufgaben gemacht, die dringend nötig sind. Uns verwundert es deshalb sehr, dass Sie in diesem Rahmen nicht alle anstehenden Aufgaben erledigen. Wir haben wiederholt im Plenum und in den Ausschüssen über die Anpassung des Blindengelds diskutiert. Für die hochgradig Sehbehinderten, die sehr stark auf Hilfen angewiesen sind, muss eine Abstufung ermöglicht werden. Außerdem muss auch noch die kleine Gruppe derjenigen berücksichtigt werden, die zusätzlich zu ihrer sehr starken Sehbehinderung nahezu taub sind.
Wir wissen doch, dass die Ausgaben für das Blindengeld aufgrund des medizinischen Fortschritts seit Jahren massiv zurückgehen. Das ist sehr erfreulich. Das zeigt zum einen, dass Geld und Handlungsspielraum da sind. Zum anderen rücken die hochgradig Sehbehinderten stärker in den Fokus. Jetzt im Rahmen der Anpassung des Blindengeldgesetzes wäre der richtige Zeitpunkt, das endlich umzusetzen.
Wir als SPD haben schon im letzten Jahr einen detailliert ausgearbeiteten Gesetzentwurf vorgelegt, den Sie erst vor wenigen Monaten mit dem Ausdruck des Bedauerns abgelehnt haben. Dabei haben Sie Ihren
grundsätzlichen Willen zum Ausdruck gebracht, eine Regelung zu finden. Schließlich kam die Kabinettsklausur. Anfang August erreichte uns die frohe Kunde aus St. Quirin. Es ist eine erfreuliche Absichtserklärung, diese Anpassung vorzunehmen. Sie haben sich öffentlich sehr dafür loben lassen. Auch ich habe mich darüber gefreut und mich positiv geäußert. Seither ist jedoch wieder nichts passiert. Das verstehe ich nicht. Jetzt legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der das Thema nicht aufgreift.
In der letzten Sitzung des sozialpolitischen Ausschusses hat Ihre Fraktion noch einen Antrag zur Erinnerung eingebracht. Der Antrag lautet:
Die Staatsregierung wird aufgefordert, einen Gesetzentwurf für ein Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen vorzulegen und damit die Beschlüsse der Klausurtagung des Bayerischen Kabinetts in St. Quirin umzusetzen.
Offenbar haben Sie es für notwendig erachtet, Ihre Regierung an ihren eigenen Beschluss zu erinnern. Ich weiß nicht, ob diese Kalendererinnerung die primäre Aufgabe Ihrer Fraktion ist. Ich glaube, die Staatsregierung verfügt über Smartphones, die an unerledigte Aufgaben erinnern.
Wir hätten uns gewünscht, dass Sie tatsächlich handeln. Wir haben das geschafft. Wir sind eine erheblich kleinere Oppositionsfraktion. Wir haben erheblich weniger Personal und erheblich weniger Mittel. Wir haben es jedoch auch geschafft, einen detaillierten und gut ausgearbeiteten Gesetzentwurf vorzulegen. Außerdem haben wir einen geeigneten Änderungsantrag zu Ihrem Gesetzentwurf vorgelegt. Sie haben unseren Gesetzentwurf sogar immer wieder lobend erwähnt. Sie haben gesagt: Im Prinzip ist das alles richtig, Sie wollen jedoch dies und das abwarten. Diese Möglichkeit haben Sie als CSU-Fraktion auch. Wenn Ihnen das so wichtig ist, bringen Sie doch selber einen eigenen Gesetzentwurf ein! Zur Erleichterung mache ich Ihnen das großzügige Angebot: Nehmen Sie unseren Gesetzentwurf.
Eben haben Sie noch einmal erklärt, dass Sie diesen Weg gehen wollen. Inzwischen sind sich Ihre Fachpolitiker, Ihre Fraktionsführung, Ihre Haushaltspolitiker und die Staatsregierung einig. Kein Mensch versteht, warum das wieder länger dauern soll, obwohl der geeignete Antrag heute auf dem Tisch liegt. Der Antrag wird von Ihnen deshalb abgelehnt, weil unser Name
Ihren Ankündigungen zufolge werden wir wahrscheinlich im neuen Jahr einen mehr oder weniger wortgleichen Antrag vorliegen haben. Übrigens gibt es das Teil-Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte in anderen Bundesländern. Dazu zählen Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Dort gibt es bereits das abgestufte Blindengeld. Offenbar ist das dort möglich gewesen, ohne erst alles Mögliche abzuwarten.
Wir bitten Sie, noch einmal in sich zu gehen. Sie könnten sich eine Menge Arbeit ersparen und Unsicherheit bei den Menschen vermeiden. Wir wollen verhindern, dass aus den Beschlüssen von St. Quirin die Beschlüsse von St. Nimmerlein werden. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um das anzugehen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns wieder einmal mit dem Bayerischen Blindengeld und der Situation der hochgradig sehbehinderten Menschen. Nach jahrelangen Forderungen scheint jetzt doch Bewegung in die Sache zu kommen. Deshalb verstehe ich nicht, warum Herr Unterländer das Jahr 2018 genannt hat. Sie konnten nicht überzeugend erklären, warum dies nicht schon im Jahr 017 erfolgen kann. Das muss ich ganz klar sagen. Während die Opposition schon seit Jahren Vorstöße unternimmt, hat das die CSU-Fraktion – wir haben lange diskutiert – immer wieder auf die lange Bank geschoben. Das war vielleicht eine schöne Beschäftigung für das Protokoll, aber nicht für die Betroffenen, um die es geht. Nachdem die Staatsregierung auf der vergangenen Klausurtagung nun endlich zu der Einsicht gekommen ist, etwas für die Gruppe der hochgradig Sehbehinderten zu unternehmen, wird sie jetzt langsam parlamentarisch aktiv. Herr Unterländer, Sie sind sehr langsam, langsamer als eine Schnecke.
Herr Unterländer, im Zusammenhang mit der Öffnung des Blindengelds für hochgradig Sehbehinderte sprechen Sie immer von der gegebenen Zeit. Wann diese Zeit kommt, ist jedoch nicht absehbar. Vielleicht ist diese Zeit jetzt ansatzweise gekommen. Warum brau
chen Sie so lange? Frau Kollegin Waldmann hat bereits gefragt, warum Sie sich nicht an einer fraktionsübergreifenden Lösung beteiligen. Das wäre das Richtige. Das könnten wir machen. Menschen mit einem Sehvermögen von lediglich 2 bis 5 % dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Diese Menschen müssen nach dem Landesblindengeld eine Unterstützung bekommen. Das haben Sie jetzt auch eingesehen. Sie haben auf das Bundesteilhabegesetz gewartet, aber da war es wieder nicht drin. Jetzt warten Sie wieder.
Wir berücksichtigen auch den medizinischen Fortschritt. Die Zahl der Betroffenen wird sich reduzieren. Finanziell ist das alles also kein Problem. Es geht um 166,80 Euro pro Person und Monat. Daher kann man nicht begreifen, dass es jetzt noch einmal ein Jahr dauern und die Regelung nicht 2017, sondern 2018 kommen wird. Wir hoffen, dass in Zukunft diese brennenden Probleme im Sinne der Betroffenen schneller bearbeitet werden und nicht immer zulasten der eingeschränkten Menschen gehen.
Heute ist auch der Herr Staatssekretär da. Auch die Frau Staatsministerin war da. Sie hat immer gesagt – ich kann mich noch gut daran erinnern –, die Stärke einer Gesellschaft erkenne man daran, wie sie mit dem Schwächsten umgehe. Herr Staatsekretär, ich denke, dass Sie das heute auch sagen und bestätigen werden. Aber die Frage ist natürlich auch: Warum dauert es so lange? Die Betroffenen verstehen das nicht.
Deshalb werden wir natürlich dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen. Der Gesetzentwurf der Staatsregierung sieht dagegen nur redaktionelle Veränderungen vor. Im Prinzip schadet er nicht, er bringt uns persönlich aber auch nicht weiter. Aber da dieser Gesetzentwurf nicht schadet, werden wir auch ihm zustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist für Sie – für die CSU und die Staatsregierung – der Tag der verpassten Chancen; denn wir befassten uns heute früh mit dem Mediengesetz, heute Mittag befassen wir uns mit dem Leitkulturgesetz. Abends, nachts und zwischendurch behandeln wir Themen wie die unspektakuläre Änderung des Blindengeldgesetzes. Sie haben die Chance verpasst, das Blindengeld für hochgradig sehbehinderte Menschen mit einzuführen.
Liebe Kollegen von der CSU, ich darf Sie daran erinnern: Sie haben bereits in der letzten Legislaturperio
de versprochen, für die inzwischen 5.000 hochgradig Sehbehinderten ein Blindengeld einzuführen. Ein solches Gesetz haben andere Bundesländer wie zum Beispiel Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt schon längst eingeführt. Zuerst haben Sie kein Blindengeld eingeführt, weil die nächste Wahl noch zu weit weg lag. Dann haben Sie es wieder nicht eingeführt, weil Sie auf ein Bundesteilhabegesetz gewartet haben. Jetzt haben Sie festgestellt, dass darin keine verbesserten Leistungen für Menschen mit extrem starken Sehbehinderungen enthalten sind. Nun ändern Sie das Blindengeld, weil Sie gezwungen sind, das Blindengeldgesetz an die neuen Pflegegrade anzupassen. Aber Sie verpassen wieder die Chance, für Schwerstsehbehinderte ein Blindengeld einzuführen, obwohl Sie es vor Jahren versprochen und wir, die GRÜNEN und die SPD, hierzu Gesetzentwürfe und Änderungsanträge geliefert haben.
Was tun Sie stattdessen? – Da die nächsten Wahlen vor der Tür stehen und es wieder einmal an der Zeit ist, Wohltaten anzukündigen, fassten Sie im August dieses Jahres einen entsprechenden Beschluss. Sie stellen jetzt endlich Geld zur Verfügung, aber erst für das Jahr 2018. Sie bringen diese längst versprochene Leistung wieder nicht in das Gesetz ein, obwohl Sie dies miterledigen und das Blindengeld für Schwerstsehbehinderte zum 01.01.2017 problemlos einführen könnten. Aber nein, Sie schieben es wieder einmal auf die lange Bank – langsam wie eine Schnecke. Da stimme ich meinem Kollegen zu.
Sehr geehrte CSU, Herr Unterländer, ich hätte von Ihnen mehr erwartet, als dieses Blindengeld nur als haushaltstechnisch richtig zu bezeichnen; denn es bleibt nur bei den notwendigen redaktionellen Änderungen, denen wir zustimmen werden. Aber Sie haben wieder die Chance verpasst, für schwerstsehbehinderte Menschen endlich ein Blindengeld einzuführen.