Protokoll der Sitzung vom 28.01.2014

(Widerspruch des Herrn Staatsministers Joachim Herrmann)

- Ich habe nachgefragt. Niemand hat es so empfunden, dass man sich ernsthaft darum bemüht hätte. Vielmehr hat es geheißen: Wir können nicht, weil die CDU nicht mitmacht. Herr Innenminister, Sie waren dabei. Genauso ist es mir berichtet worden.

Von der Volksabstimmung über die dritte Startbahn haben wir auch nichts mehr gehört, und von der Ausweitung der Bürgerbeteiligung bei Großvorhaben schon überhaupt nichts. Es scheint Teil der Regierungskunst des Herrn Ministerpräsidenten zu sein, ab und zu einen Stein ins Wasser zu werfen, die Wellen zu betrachten und dann alles wieder zu vergessen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir nehmen nun den Herrn Ministerpräsidenten beim Wort. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem es ermöglicht werden soll, das Volk zu bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung zu befragen. Volksbefragungen, wie wir sie wollen und vorschlagen, sollen mehr sein als irgendeine demoskopische Umfrage. Sie müssen wegen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und der Grundsätze der Bayerischen Verfassung weniger sein als eine Volksinitiative, wie sie im Jahre 1999 beantragt worden ist. Sie sind auch etwas ganz anderes als eine Massenpetition oder eine öffentliche Petition.

Nun zu der vorschnellen Kritik an unserem Gesetzentwurf. Natürlich ist uns bekannt, dass die von der Bayerischen Verfassung und speziell vom Verfassungsgerichtshof gezogenen Grenzen für die Einführung neuer Instrumente zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung eng sind. Das haben wir schon gelesen und zur Kenntnis genommen. Die Grundentscheidung für die repräsentative Demokratie wird von uns nicht infrage gestellt. Wir wissen auch, dass die repräsentative Demokratie durch plebiszitäre Elemente ergänzt, aber eben nicht ersetzt wird. Daran wollen wir

weder grundsätzlich noch im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf rütteln.

Wir wollen auch nicht daran rütteln, dass der Landtag Gesetzgeber und nicht Exekutive ist. Wir rütteln auch nicht daran, dass nach der geltenden Verfassungslage das Staatsvolk im Wege des Volksbegehrens und Volksentscheids zwar Gesetze beschließen, aber keine Einzelfallentscheidungen treffen kann und darf. Das muss auch der Herr Ministerpräsident noch lernen.

Wir wollen auch keine immerwährenden Volksversammlungen, und wir wollen die Bürger auch nicht bitten, für oder gegen politische Entscheidungen im Internet auf einen "I like it"-Button zu drücken. Das vorgeschlagene Instrument der Volksbefragung muss sich, wenn die Verfassung nicht geändert werden soll, was wir nicht vorschlagen, selbstverständlich in den vorgegebenen Rahmen einfügen. Das bedeutet, dass das Ergebnis einer Volksbefragung verfassungsrechtlich nicht bindend sein kann, weder für den Landtag noch für die Staatsregierung. Das bedeutet aber nicht, dass es politisch keine Bedeutung hätte. Der Landtag und die Staatsregierung werden sicherlich gut beraten sein, das Ergebnis einer Volksbefragung bei ihren weiteren Entscheidungen zu beachten.

Eine weitere Bemerkung: Wir schlagen vor, dass der Landtag die Initiative zur Volksbefragung ergreifen können soll, natürlich die Mehrheit des Landtags, aber selbstverständlich auch die Minderheit des Landtags. Wenn die Minderheit des Landtags Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kommissionen einrichten kann, warum soll sie dann nicht die Möglichkeit zur Initiierung einer Volksbefragung haben? Ein Initiativrecht der Staatsregierung zur Durchführung einer Volksbefragung halten wir nicht für erforderlich und für nicht zielführend. Schließlich kann die Staatsregierung regieren; sie muss nicht jeden Tag das Volk befragen. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die CSU dies offensichtlich auch so sieht.

Meine Damen und Herren, der Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung des Bayerischen Petitionsgesetzes mit dem Ziel, öffentliche Petitionen zuzulassen, stellt unseres Erachtens keine Alternative zur Einführung von Volksbefragungen dar. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf aber dennoch zu, weil wir in der vergangenen Legislaturperiode einen ähnlichen Antrag eingereicht hatten.

Eine letzte Bemerkung: Meine Damen und Herren, knüpfen wir an die Tradition an, die Wilhelm Hoegner in einer viel schlimmeren Zeit begründet hat. Er hat 1945 und 1946 direktdemokratische Elemente in die Bayerische Verfassung hineingeschrieben. Knüpfen

wir daran an und machen wir tatsächlich, wie angekündigt, Bayern zum fortschrittlichsten Land in Sachen Bürgerbeteiligung.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schindler. Jetzt folgt die Begründung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch Frau Kollegin Schulze.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Direkte Demokratie ist gut. Mehr direkte Demokratie ist begrüßenswert. In meinen Augen ist das aber nur sinnvoll, wenn die vorgeschlagenen Instrumente wirklich mehr Mitbestimmung ermöglichen und nicht nur ein Feigenblatt sind.

Als ich das erste Mal davon hörte, dass die SPD sogar noch vor der CSU einen Gesetzentwurf zur Volksbefragung einreichen möchte, dachte ich mir: Gut, ich bin gespannt, was sich die SPD als Befürworterin der direkten Demokratie überlegt hat. Umso erstaunter war ich, als ich mir diesen Gesetzentwurf genauer angesehen habe; denn seitdem tun sich für mich viele Fragen auf:

Erstens. Die Befragung kann nur vom Landtag angestoßen werden, nicht von der Bevölkerung. Ich formuliere es einmal so: Es ist nicht gerade wünschenswert, direktdemokratische Elemente allein auf Initiative der Legislative oder der Exekutive zu begründen; denn direkte Demokratie sollte unserer Meinung nach aus der Mitte der Bürgerinnen und Bürger erwachsen, da ansonsten die Gefahr der Instrumentalisierung gegeben ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen doch keine vom Staat finanzierten Wahlumfragen oder Resonanzstudien. Wir wollen, dass die Initiativen von unten kommen. Wir möchten, dass die Menschen, wenn sie ein Anliegen haben, dieses selbst auf die politische Agenda setzen können.

(Volkmar Halbleib (SPD): Dazu haben sie doch schon die Möglichkeit! Über das Petitionsrecht geht das doch!)

Ich finde es interessant, was in dem Gesetzentwurf der SPD steht. Die Volksbefragung soll ein Minderheitenrecht im Landtag sein. Ein Fünftel der Abgeordneten soll eine Volksbefragung in die Wege leiten können. Ist es Zufall oder nicht, dass gerade die Oppositionsfraktion SPD über ein Fünftel der Sitze im Landtag verfügt? Ich lasse das einmal so stehen.

Zweitens. Der nächste Punkt, den ich interessant finde und den man sich einmal genauer ansehen sollte, ist der Umstand, dass die Volksbefragung nach dem Vorschlag der SPD keinerlei Bindungswirkung haben soll. Eine kurze Nachfrage: Bedeutet direkte Demokratie nicht eigentlich, dass das Volk unmittelbar über konkrete Sachfragen abstimmen sollte? Wie passt das damit zusammen, dass das Volk zwar abstimmen darf, aber der Beschluss am Ende doch nicht bindend ist? Gehen denn die Menschen ins Wahllokal, wenn ihre Stimme gar nicht ausschlaggebend ist, sondern nur empfehlenden Charakter hat? Daran schließt sich die nächste Frage an: Ist es sinnvoll, ein nicht bindendes, aber kostenintensives Instrument zu schaffen? Ich bezweifle es.

Der nächste logische Fehler ist nach meinem Empfinden folgender: Der Gesetzentwurf sieht zwar keine bindende Wirkung vor, aber es dürfen nur Unionsbürgerinnen und –bürger befragt werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Wenn ich die Meinung der ganzen Bevölkerung erfahren möchte, wenn ich wissen möchte, was das Herz der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land bewegt, sollten doch auch Menschen unter Achtzehn mitbestimmen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir GRÜNE fordern, dass man die Regelungen über die Volksentscheide ändern muss, wenn man mehr Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger haben möchte. Die CSU hat um ein bisschen Zeit gebeten, um das Thema Volksbefragung evaluieren zu können.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Noch 50 Jahre!)

Deshalb möchte ich Ihnen gleich ein paar Vorschläge mit auf den Weg geben. Erstens möchten wir, dass Volksentscheide in Zukunft auch finanzielle Auswirkungen haben können. Dann möchten wir, dass Volksentscheide auch über konkrete Sachfragen und Staatsverträge möglich sind und nicht nur wie bisher über Gesetze. Natürlich möchten wir auch, dass die Hürden für Volksbegehren auf 5 % abgesenkt werden. Schließlich möchten wir, dass der Landtag auch von sich aus einen Volksentscheid auf den Weg bringen kann. Sie müssen mich jetzt nicht entgeistert anschauen. Wenn Sie unsere guten Vorschläge nicht übernehmen wollen, unterbreiten wir sie bei der nächsten Debatte wieder selber.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Je länger ich mir den Gesetzentwurf der SPD anschaue, umso mehr habe ich das Gefühl, dass die SPD eher eine vom Landtag angestoßene Petition, gewissermaßen eine "Petition von oben" möchte.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): TED-Umfrage!)

Warum ändern wir nicht gleich das Petitionsrecht, wenn wir wissen wollen, was die Menschen im Lande bewegt? Das hat mich insbesondere deswegen verwundert, weil die SPD in der letzten Legislaturperiode bereits einen superguten Vorschlag zum Thema öffentliche Petition gemacht hat. Diesen Vorschlag haben wir damals mitgetragen. Deshalb stellen wir ihn jetzt auch wieder zur Debatte.

Wir sind der Meinung, dass das Petitionsrecht modernisiert werden muss. Mit dem Petitionsrecht sollte man mehr Beteiligung ermöglichen. Bisher haben Petentinnen und Petenten gegenüber dem Gesetzgeber nur wenig belastbare Rechte, um ihr Anliegen im Landtag vorzutragen. Nach unserem Gesetzentwurf bekommen Petentinnen und Petenten, deren öffentliche Petition ein Quorum von 12.000 Unterschriften erreicht hat, zum einen ein Rederecht im Ausschuss und zum anderen das Recht, dass eine Sachverständigenanhörung oder eine Ortsbesichtigung durchgeführt wird. Wie Sie alle wissen – das muss ich Ihnen nicht erzählen -, gilt derzeit die Regelung, dass die Vollversammlung eine Petition nur behandelt, wenn zwei Drittel der anwesenden Mitglieder des Ausschusses dies verlangen. Mit dem Gesetzentwurf, den wir eingebracht haben, kann eine öffentliche Petition, die mehr als 12.000 Unterschriften aufweist, hier in der Vollversammlung behandelt werden.

(Markus Rinderspacher (SPD): Warum gerade 12.000? – Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Zwölf Apostel!)

Der eigentlich interessante Punkt ist aber, dass wir eine öffentliche Diskussion im Internet haben möchten. Wie Sie alle wissen, findet Öffentlichkeit nicht nur auf der Straße, sondern in zunehmendem Maße auch im Internet statt. Darum müssen wir die Methoden für die Behandlung von Petitionen den technologischen Entwicklungen anpassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn ich als Bürger oder Bürgerin eine Petition einreiche, muss ich auch die Möglichkeit haben, auf der Internetseite des Bayerischen Landtags Unterstützerinnen und Unterstützer zu sammeln. Ich möchte, dass dort diskutiert und Meinungen ausgetauscht werden können, dass man dort eine öffentliche Petition unterstützen kann. Wenn man eine solche öffentliche Petition startet, möchte man damit ein konkretes Anliegen der Allgemeinheit vortragen und eine lebendige Diskussion herbeiführen. Wir GRÜNE möchten die Menschen ermuntern, sich zu engagieren und zu beteiligen. Wir wollen nicht, dass das Parlament nur die

Bürgerinnen und Bürger befragen kann, wenn es ein Interesse an ihrer Meinung hat, wir möchten, dass die direkte Demokratie von unten herauf gelebt wird. Wir möchten nicht, dass Menschen zum Kreuzchenmachen geschickt werden, wenn der Landtag ein bestimmtes Thema behandeln will, wenn das Ergebnis der Befragung nicht einmal Bindungswirkung hat.

Deshalb ist bei uns die öffentliche Petition mit der Möglichkeit der Diskussion im Internet das spannendere Instrument für mehr Beteiligung im 21. Jahrhundert, weil damit alle Menschen, die bei uns leben, ihre Meinung äußern können.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Bevor wir in Bayern ein weiteres Instrument einführen, das zwar unter dem Label der direkten Demokratie läuft, bei genauem Hinsehen aber mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, sollten wir lieber die Rahmenbedingungen für die Volksentscheide ändern und das Petitionsrecht stärken. Mit Letzterem können wir gleich heute anfangen. Darum freue ich mich auf die Debatte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schulze. Für die CSU-Fraktion hat Kollege Zellmeier das Wort.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schindler hat vorhin gesagt, der Ministerpräsident spreche oft von der Koalition mit dem Bürger. Lieber Herr Kollege Schindler, ich darf Ihnen sagen: Die CSU ist die gelebte Koalition mit den Bürgern.

(Volkmar Halbleib (SPD): Mit dem Ministerpräsidenten! Das ist ein Unterschied!)

Wir sind die große Volkspartei, und das übrigens auch für die Arbeitnehmer, was Ihnen immer besonders wehtut. Bei uns sind gerade die kleinen Leute in großer Zahl Mitglied. Bei uns bestimmen die Themen, die den Bürgern auf den Nägeln brennen, die politische Diskussion. Deshalb sind wir auch so erfolgreich. Wir wissen, was die Menschen draußen denken. Wir vertreten nicht nur einen kleinen Ausschnitt des Volkes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist uns auch das Thema Volksbefragung wirklich wichtig. Wir haben keinerlei Dissens mit dem Ministerpräsidenten. Wir teilen seine Einschätzung, dass wir dieses Instrument einführen sollten.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Jetzt wird es konkret! – Markus Rinderspacher (SPD): Warum betonen Sie das so sehr?)

Wir sollten dieses Instrument auch so einführen, dass wirklich die Meinung des Volkes zum Tragen kommt. Deshalb wollen wir nicht, dass es ein Minderheiteninstrument wird. Wir wollen auch nicht, dass die Opposition verlorene Wahlen zu einem Dauerwahlkampf macht.

(Volkmar Halbleib (SPD): Ausschließlich die CSU darf dieses Instrument nutzen! Das ist Ihr Argument!)

- Die Mehrheit des Hauses darf es nutzen. Da sind Sie genauso willkommen. Wir wissen auch, lieber Kollege Halbleib, dass es für Sie ein Problem ist, wenn bei Volksbefragungen oder Bürgerentscheiden Ihre Meinung nicht zum Zuge kommt. Wir respektieren die Meinung des Volkes sehr wohl.

(Markus Rinderspacher (SPD): Das sieht man bei der dritten Startbahn!)