Protokoll der Sitzung vom 27.01.2000

Die vereinzelten Antworten geben sicher nur einen Teil des Problems wieder, weil hier die Tabuisierung noch größer ist als bei anderen Gewaltformen. Bei rund der Hälfte der Frauen hatten die Kinder die Misshandlung der Mutter unmittelbar miterlebt und nach Einschätzungen der Mütter sehr darunter gelitten.

Misshandlung kann die Mädchen und Jungen plötzlich und unerwartet treffen, sie kann aber auch ein Bestandteil ihres Lebens von Anfang an sein. Die unmittelbare Erfahrung und Mitbetroffenheit von Gewalt und das erzwungene Schweigen darüber belasten die seelische und soziale Entwicklung von Mädchen und Jungen massiv.

Meine Damen und Herren, wenn Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, sich an die Polizei wenden, dann ist das für sie häufig der letzte Ausweg. Sie sehen zumeist keine Chance mehr, sich und ihre Kinder zu schützen und die unerträgliche Situation zu beenden. Dabei spielt bei den Hilfesuchenden die Angst vor der Existenz und der Zukunft eine gewichtige Rolle. Gleichzeitig haben diese Frauen große Schuldgefühle, weil sie sich für den Erhalt der Familie verantwortlich fühlen.

Polizeibeamte wissen, dass sie mit diesen zwischenmenschlichen Problemen zumeist an Wochenenden, Feiertagen oder zur späten Nachtzeit konfrontiert werden. Der Anruf kommt meist von Nachbarn, die sich durch lautstarke Auseinandersetzungen gestört fühlen. Aber auch besorgte und der Frau helfen wollende Nachbarn sind es, die die Polizei verständigen. Sehr selten wird die Polizei von Freunden oder nahen Verwandten gerufen, weil Wegschauen und Nichteinmischen einfacher ist. Nur keine Probleme, na, so schlimm wird es schon nicht sein!

Aber was macht die Polizei bei uns in Bremen derzeit, wenn genau so ein Fall der Lärmbelästigung vorkommt? Über Funk bekommt die Streifenwagenbesatzung den Auftrag: Fahren Sie in die Straße X zu Y, dort Familienstreit! Dort treffen die Beamten nach mehrfachem Klingeln auf einen in der Wohnung stehenden Mann, der die provozierende Fra

ge stellt: Was wollen Sie denn hier? Bei uns ist doch alles in bester Ordnung! Die Ehefrau reagiert häufig mit dem Satz: Es ist schon wieder alles in Ordnung, wir waren nur ein bisschen laut! Danach werden die Polizisten wieder abziehen und im Wachbuch erfolgt der Austrag mit dem Satz: Familienstreit erledigt, kein Einschreiten!

Werden die Beamten häufiger zu dieser Familie gerufen, so ändert sich an der polizeilichen Vorgehensweise nichts. Vielleicht erfolgt im Wachbuch die zusätzliche Eintragung: Wurden schon des Öfteren wegen Familienstreitigkeiten zu dieser Familie gerufen. Dieses polizeiliche Handeln ist dem Beamten nicht anzulasten, weil keine gesetzliche Grundlage vorhanden ist, der sein Handeln absichert.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Polizei oft sehr gern eingreifen würde, aber leider von der gesetzlichen Seite nicht kann. Deshalb wäre es an der Zeit, im Rahmen der Novellierung des Bremischen Polizeigesetzes neue, konkretere Regelungen zum Thema „Gegen Gewalt im häuslichen Bereich“ zu treffen.

(Beifall)

Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie ist eine fundamentale Menschenrechtsverletzung und wird erst dann aufhören, wenn die Gesellschaft nicht mehr das Verhalten der Täter tabuisiert, bagatellisiert oder entschuldigt.

(Beifall)

Zum besseren Schutz der Frauen und ihrer Kinder ist eine rechtliche Grundlage erforderlich. Die häusliche Gewalt, die zu Hause stattfindet, muss verfolgt werden! Wie sonst passt es in unser Rechtsverständnis, wenn unsere Gesetze zu Recht zum Beispiel gegen Ladendiebe, Drogenabhängige, Verkehrssünder oder auch gegen Schläger außerhalb der vier Wände vorgehen und Gewaltdelikte gegen Frauen als Familienstreitigkeit ohne Konsequenz für den Täter bleiben?

(Beifall bei der CDU und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, im polizeilichen wie im gesellschaftlichen Sprachgebrauch wird häusliche Gewalt als Familienstreitigkeit, Ehekrach oder Familienkonflikt beschrieben. Das verharmlost die Wirklichkeit, weil Täter häuslicher Gewalt fast immer Straftatbestände begehen. Seit dem 1. Mai 1997 ist das Wegweisegesetz, das heißt Bundesgesetz zum Schutz bei Gewalt in der Familie, in Österreich in Kraft. Für sieben Tage weist die zur Hilfe gerufene Polizei gewalttätige Männer aus der Wohnung. In dieser Zeit kann die Frau, wenn sie länger Schutz benötigt, bei einem Zivilgericht einen Antrag stellen.

Die einstweilige Verfügung kann auch das Verbot enthalten, sich an bestimmten Orten aufzuhalten, zum Beispiel dem Arbeitsplatz der Frau, an Kindergärten oder Schule der Kinder. Auch ein völliges Kontaktverbot kann beantragt werden, so dass der Gewalttäter der Frau weder auflauern noch sie anrufen darf, was besonders wichtig ist, da viele Straftäter die Frau oft monatelang nach der Trennung verfolgen und terrorisieren. Eine einstweilige Verfügung kann für drei Monate erlassen werden. Sie verlängert sich, wenn anschließend die Scheidung oder bei Lebensgefährten ein Verfahren zur Aufteilung der Wohnung beantragt wird.

2673 Wegweisungen und Rückkehrverbote wurden 1998 gegen gewalttätige Männer in Österreich verfügt, Tendenz leider steigend. Die wenigsten von ihnen werden obdachlos. Die Mehrzahl der weggewiesenen Männer findet bei Bekannten oder Verwandten Unterkunft. Verstöße gegen die Wegweisungen sind erstaunlich selten. Das hängt damit zusammen, dass Verstöße zu weiteren Sanktionen führen würden, bis hin zur Inhaftierung.

Das Gesetz wird von einem Begleitprogramm ergänzt. Nicht nur, dass die Polizei nach einer Wegweisung per Fax das zuständige Zivilgericht informiert, auch die Interventionsstellen, die aus Finanzgründen nicht gesetzlich verankert, aber staatlich finanziell abgesichert sind, werden umgehend per Fax von dem Einschreiten in Kenntnis gesetzt.

Das Netz der Interventionsstellen ist derzeit noch im Ausbau. Fünf bestanden 1998. Ziel dieser Einrichtung ist die Vorsorge. Die Mitarbeiterinnen nehmen Kontakt mit den Opfern auf und bieten aktive Hilfe an. Die Frauen reagieren sehr positiv auf dieses Angebot. Viele Frauen bekunden, sie hätten es nie allein geschafft, Hilfe zu suchen. Für die Frauen wirkt Gewalt oft lähmend, und die Misshandelten haben oft keine Energie mehr oder zu viel Angst, sich zur Wehr zu setzen.

Die Opfer werden in regelmäßigen Abständen wieder kontaktiert. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass ihr Problem wieder zur Privatsache wird und der Kreislauf der Gewalt weitergeht. Ziel des Gesetzes in Österreich ist, die Gewalt zu beenden, nicht die Ehe oder die Beziehung. Das ist auch uns sehr wichtig.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, für Bremen fordert die CDU-Fraktion deshalb folgende Maßnahmen: Erstens, Erhalt der Frauenhäuser, deren Notwendigkeit seit langem unumstritten ist!

(Beifall)

Zweitens, Einbeziehung der österreichischen Regelung in die Novellierung des Bremischen Polizei

gesetzes mit dem Ziel, die Familiensituation wieder zu entlasten!

(Beifall)

Drittens, Vorlage eines Präventionskonzeptes gegen häusliche Gewalt bis zum 31. März! — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, das war eine Erstrede! Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Hoch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Mai letzten Jahres hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hier eine Große Anfrage gestellt mit dem Thema „Häusliche Beziehungsgewalt“. In der Beantwortung der Anfrage stand erstens, dass ein Ausbildungskonzept für die Polizei unter Beteiligung der ZGF vorgelegt wird. Für Bremerhaven sollte dies ebenfalls geschehen. Das ist aber bis heute nicht geschehen! Deshalb ist es überfällig, dies bis zum 31. März des Jahres 2000 einzufordern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zweitens: Spezielle Fort- und Weiterbildung für die Polizei zum Thema „Häusliche Gewalt“ sollte dieses Jahr auf dem Fortbildungsprogramm stehen. Auch hier ist uns noch nichts vorgelegt worden. Drittens: Es wurden bestehende rechtliche Probleme bei dem Interventionsprojekt der Polizeiinspektion West mit dem Verein Neue Wege beschrieben. Diese Probleme bestehen immer noch, nämlich in der Weitergabe von Adressen von Tätern und Opfern, die die effektive Arbeit dieses Vereins mit der Polizei behindern. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Ihnen heute einen Dringlichkeitsantrag, der den Schutz von Frauen und Kindern verbessern soll, vorgelegt, weil wir meinen, dass Ihr Antrag den Stand der derzeitigen Debatte auf Bundes- und auf Länderebene nicht widerspiegelt

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

und ebenfalls in gewissen Punkten gewisse Klärungen nicht darstellt. In beiden Reden meiner Vorrednerinnen habe ich eigentlich diese Punkte gehört. Ich kann deshalb eigentlich nicht verstehen, dass der Antrag, ich will einmal sagen, so amorph abgefasst wurde.

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/ Die Grünen) _______ *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Er hat keine feste Gestalt, die sich wie eine Amöbe verändern kann. Das ist nichts Ganzes und nichts Festes!

Ich will diese Punkte jetzt noch einmal darstellen! Die so genannte Wegweisung und das Rückkehrverbot des Täters sind für uns unbedingt zu installieren. Das wurde auch von meinen Vorrednerinnen gefordert. Ebenfalls ist es für uns unbedingt notwendig, ein flächendeckendes Netz an Hilfsangeboten sowie Frauenhäuser und Beratungsstellen und Notrufmöglichkeiten zu erhalten sowie die Beratung für Täter, die auf Änderung des gewalttätigen Verhaltens abzielt. Darüber hinaus ist die Aus- und Weiterbildung der mit der Intervention und Prävention von häuslicher Gewalt befassten Berufsgruppen zu regeln. Besonderer Wert ist hierbei auf die Aus- und Fortbildung von Polizei, Staats- und Anwaltschaft zu legen. Die Einführung von Statistiken und aussagekräftigen Dokumentationen von Fällen häuslicher Gewalt ist zu organisieren.

Ich denke, meine Damen und Herren, wir sind nicht mehr in einer Prüfungsphase.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir müssen nicht mehr darüber reden, ob diese Gesetzesänderungen notwendig sind oder nicht. Wir müssen an dieser Stelle die richtigen Schritte tun und nicht mehr auf der Stelle treten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Mit dem Slogan „Das Private ist politisch“ wurde die häusliche Gewalt durch die deutsche Frauenbewegung öffentlich thematisiert und zunehmend enttabuisiert. Die Frauengruppen machten durch ihre Aktivitäten deutlich, dass Gewalt gegen Frauen leider auch zum bundesdeutschen Alltag gehört, wobei die Erscheinungsformen vielfältig sind. Gewalt gegen Frauen beschränkt sich nicht allein auf die Angriffe körperlicher Gewalt, sondern die seelische Unversehrtheit wird hier ebenfalls nicht berücksichtigt.

Über das tatsächliche Ausmaß von Gewalt gibt es keine Statistiken, darauf hat Frau Wulff schon hingewiesen. My home is my castle, dieser Satz, der Sicherheit und Geborgenheit des eigenen Zuhauses ausdrücken soll, gilt für viele Frauen nicht. Erst durch die Einrichtung von Frauenhäusern, die von Frauen für Frauen erkämpft wurden, ist es misshandelten Frauen möglich geworden, den Schauplatz der Gewalt, nämlich ihre eigene Wohnung, zu verlassen und dies oft nicht nur für kurze Zeit.

Für die Kinder, die mit ihren Müttern in die Frauenhäuser gehen, bedeutet das oft zugleich den plötzlichen Verlust des sozialen Umfeldes, Verlust des Vaters, der Wohnung, des Kindergartens, der Schule, der Freundinnen und Freunde. Dazu kommt die Verunsicherung durch die unbekannte Situation im

Frauenhaus und eine unabsehbare Lebensperspektive, eine ungewisse Zukunft. Meist sind auch sie Opfer körperlicher und seelischer Gewalt. Sie machen die eklatante Erfahrung, dass die Misshandlung für Täter oft keine Folgen hat. Das finde ich sehr wichtig, denn Gewalt gegen Frauen ist ein gesellschaftliches Problem und verlangt deshalb auch gesellschaftliche Lösungen, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dem Recht auf seelische und körperliche Unversehrtheit muss mit einem effektiven Rechtsschutz nachgekommen werden. In der akuten Gefährdungssituation ist eine strafrechtliche Verfolgung der Täter für viele Frauen nur zweitrangig. An erster Stelle steht für die meisten Frauen der gegenwärtige und zukünftige Schutz vor der Gewalt des Partners. Der rechtliche Schutz von Frauen ist unerlässlich, um häusliche Gewalt wirkungsvoller bekämpfen zu können. Gesetzesänderungen werden daher ein wichtiger Bestandteil sein. Diese Chance hat jetzt Bremen mit der Novellierung des Polizeigesetzes. Rechtliche Möglichkeiten der Bekämpfung von häuslicher Gewalt waren auch Gegenstand der EUKonferenz „Gewalt gegen Frauen“, wie auch schon von meinen Vorrednerinnen gesagt wurde. In den dort erarbeiteten Empfehlungen werden die Mitgliederstaaten aufgefordert, ausdrücklich effektive und klare Regelungen bei häuslicher Gewalt zu schaffen, die auf sofortige Trennung von Opfer und Täter durch die umgehende Entfernung des gewalttätigen Mannes aus der Wohnung und der Umgebung der betroffenen Frau und ihrer Kinder gerichtet ist. Deshalb ist es jetzt Zeit, Butter bei die Fische zu tun, wie wir das hier in Bremen sagen.

(Zuruf der Abg. Frau J a n s e n [SPD])

Dann sagen wir es in Bremerhaven!

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Bremen darf nicht hinter den EU-Empfehlungen zurückstehen. Die Kampagne „Gewalt gegen Frauen“ darf nicht nur eine Kampagne bleiben, meine Damen und Herren. Umfassende Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen der Polizei sowie Trainingskurse für die Täter sind wichtige Zukunftsaufgaben. Interventionsprojekte, wie sie schon seit Jahren in Berlin erarbeitet werden, haben da schon sehr gute Vorarbeit geleistet. Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, sondern eine Straftat. Das ist Fakt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)