Protokoll der Sitzung vom 10.05.2000

Wollen Sie in allen anderen Bereichen der Daseinsvorsorge — ich zähle einmal auf, was das alles ist: Energie, Wasser, Telekommunikation, Post im eigentlichen Sinne — dann wirklich im Ernst, dass sie reine Länderangelegenheiten werden? Ich habe nicht verstanden, was Sie wollen. Wollen Sie jetzt hier ein bremisches Telekommunikationsgesetz machen, in dem die Öffnung der Telekommunikationsmärkte entweder von hier aus geregelt wird oder aber, was ja vermutlich das Wahrscheinlichere ist, eben nicht geregelt, sondern entweder abgebrochen oder verhindert wird? Wollen Sie das ernsthaft?

Diese Fragen der Daseinsvorsorge sind doch faktisch, und das ist das Problem, mit dem wir und Europa sich auseinandersetzen, über den Rahmen von Kommunen, Ländern längst hinausgetreten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Man kann das, was man früher vielleicht im Rahmen von Kommunen wirklich effektiv regeln konnte, nicht mehr allein im Rahmen der Länder lösen. Wir sagen doch gar nicht, dass die Länder damit nichts zu tun haben, aber klar ist doch, dass die Länder das nicht mehr allein können und dass wir da ein wirkliches Mehrstufen-Politik-Verfahren brauchen. Wenn jemand noch daran gezweifelt hat, dass ich Recht hatte mit dem Vorwurf, dass dies ein Kurs der Desintegration ist, der ist ja nun durch die Rede des

Kollegen Neumeyer wirklich belehrt worden, dass das so ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Natürlich passt es der CDU nicht, dass es hier einen europäischen Natur- und Umweltschutz gibt, weil nämlich Standards festgelegt werden, die sich daraus ergeben, dass die Natur und die Umwelt nicht an der Grenze Halt machen, nicht an der Landesgrenze und schon gar nicht irgendwo anders. Deswegen brauchen wir europäische Vorgaben, so dass auch wirklich klar ist, dass wir eine gemeinsame Politik machen.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Klären Sie doch erst einmal die Kernkraftproblematik! Sie sind doch im Bund in der Regierung!)

Herr Kollege Eckhoff, ich glaube, das war der Ausgangspunkt überhaupt der Europäischen Gemeinschaft, eine gemeinsame Regelung der Montanindustrie und dann der Kernkraft.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Zuruf des Abg. E c k h o f f [CDU])

Das Lustige ist ja, dass Sie plötzlich in dieser Frage, Herr Eckhoff, bei der es Ihnen gerade passt und Ihnen gefällt, natürlich gleich nach der Europäischen Union rufen und sagen — —.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Überhaupt nicht! Aber ich habe doch nur ein Argument auf- genommen! — Zuruf von Bürgermeister D r. S c h e r f)

Das sage ich ja gerade, Herr Scherf! Ich sage, wir debattieren hier nicht über abstrakte Modelle, sondern über eine sachliche Auseinandersetzung, was halten die unterschiedlichen Strömungen für richtig, auf europäischer Ebene zu regeln, und was sollte eher nach seinen politischen Vorstellungen auf kleiner Ebene zu regeln sein. Da sage ich, aus sachlichen Gesichtspunkten ist es richtig, Natur- und Umweltschutz hier im europäischen Rahmen mit zu regeln. Bei der Atomenergie gibt es ja europäische Regelungen. Ob die nun bestimmen müssen, ob ein Land das macht oder nicht, das halte ich nun wieder für eine andere Frage. Das glaube ich nicht, Herr Eckhoff! Wollen Sie ernsthaft, Herr Eckhoff, die europäische Regelung von Ausschreibungsvoraussetzungen zurückdrehen? Wollen Sie wieder in den Mief von Vergabeklüngeleien hineinkommen, wie es früher gewesen ist? Ist das der Sinn Ihrer Argumentation? Wollen Sie ernsthaft eine Mauer um den ÖPNV oder insgesamt um den Personenverkehr, was Wettbewerb angeht, errichten?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wollen Sie verhindern, dass auf europäischer Ebene Wasserrichtlinien geschaffen werden, die gewährleisten, dass ich, wenn ich irgendwo in Europa in den Urlaub und hoffentlich demnächst nach Polen und in die Tschechei fahre, sicher sein kann, dass das Wasser die gleiche Qualität hat? Wollen Sie das ernsthaft verhindern? Ich will das nicht, im Gegenteil! Die zunehmende Verflechtung macht das notwendig.

Eines kann ich Ihnen sagen: Ob die Stromeinspeisung, ob in Frankreich oder Deutschland, nun gerecht oder wettbewerbskonform ist: Wenn das Land Bremen das allein entscheiden soll, übernehmen wir uns damit mit Sicherheit. Wenn es dafür eine Regelung gibt auf europäischer Ebene und wenn Sie in der Sache mit der einen oder anderen Seite nicht einverstanden sind, dann muss man darüber politisch diskutieren, aber nicht über die Frage, ob man das allgemein jetzt auf Länderebene zurücknimmt.

Dafür war Ihr Beitrag sehr hilfreich. Mir ist klar geworden, dass das tatsächlich das politische Programm ist, das hinter dieser Initiative steckt, auch wenn Herr Scherf das vielleicht im Einzelnen nicht teilt, aber die Gesamtrichtung geht genau dorthin.

Herr Dr. Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schuster?

Ja, bitte!

Bitte, Herr Abgeordneter!

Verstehe ich das jetzt richtig, dass die Grünen inzwischen dafür sind, einem neoliberalen Marktbegriff zu frönen und jegliche Ausschreibung auch in Bereichen zuzulassen und zu fördern und jeglichen Wettbewerb zu fördern, der eigentlich bisher politischen Steuerungsansprüchen entgegengesprochen hat? Ist das inzwischen bei den Grünen so? Bei der CDU fand ich es sehr interessant, dass sie inzwischen nicht mehr dafür ist.

(Beifall bei der SPD)

Das müssen Sie die CDU fragen, jetzt bin ich ja hier vorn!

(Abg. D r. S c h u s t e r [SPD]: Die habe ich ja auch nicht gefragt! Das war nur eine Bemerkung, die ich mir erlaubt habe!)

Herr Dr. Schuster, ich halte überhaupt nichts davon, irgendwelchen Begriffen zu frönen. Ich schaue mir an, aus welchen Gründen die Mitgliedsländer der Europäischen Union in den letzten fünf, sechs Jahren darauf gedrungen haben, dass diese Märkte geöffnet werden. Ich sage einmal, Gott sei Dank, wenn wir immer noch den geregelten, abgeschotte

ten Telekommunikationsmarkt hätten, dann würden wir hier aber anders über Green Card diskutieren müssen, als wir das zurzeit tun. Also, sie wollten die Öffnung haben, und die Kommission hat einvernehmlich gleichzeitig eine Gemeinwohlorientierung beibehalten, zum Beispiel bei der Post durch den Universaldienst, bei dem es Ausnahmen von dem Subventionsverbot gibt.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Das haben wir gegen die Grünen durchgesetzt!)

Man kann im Einzelnen darüber streiten, ob das richtig organisiert ist, aber den Ansatz halte ich in der Tat für richtig.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir werden uns darüber streiten, wie diese Instrumente der Gewährleistung von Gemeinwohlorientierung aussehen. Das ist eine spannende Debatte, die wir aber im Einzelnen führen und nicht aufgrund von Begriffen. Ehrlich gesagt schrecken Sie mich mit „Neoliberalen“ und solchen Sponzetten wirklich nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Zuruf: Ich finde Ihre Ausführungen erstaun- lich! — Zuruf von der CDU: Wie es gerade so passt!)

Was heißt, wie es gerade passt? Das nennt man Politik, dass man sich an der Sache orientiert. Herr Eckhoff, jetzt möchte ich einmal weitermachen!

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Sagen Sie doch einmal, dass wir die Telekommunikation gegen die Grünen durchgesetzt haben!)

So ein Quatsch! Herr Eckhoff, was reden Sie denn da?

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Aber hallo!)

Ich möchte noch einmal auf zwei Sachen eingehen, die in dem öffentlichen Auftreten von Herrn Bürgermeister Scherf eine Rolle spielen! Das ist das, was ich gesagt habe, was insgesamt bei dieser Debatte den gefährlichen Touch hat, auch bei Herrn Neumeyer war es wieder darin: hier die Länder gleich Demokratie und dort Europa gleich Bürokratie und Bürgerferne! Wenn es denn so wäre, das ist nun wirklich nicht der Fall! Wenn ich mir einmal anschaue, wie die Dokumente der Europäischen Union zugänglich sind und drei, vier Monate vorher diskutiert werden, jeder kann dort hineinschauen, und wie zum Beispiel die Papiere der Ministerpräsidenten für niemanden öffentlich zugänglich sind, fra

ge ich doch, wie das mit der Demokratie ist. Da habe ich meine Fragen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Der letzte Punkt! Die propagandistische Linie, die Herr Bürgermeister Scherf fährt: Er hat in einem Streitgespräch zwischen uns beiden gesagt, ich darf zitieren: „Wir 16 Länderchefs sind uns einig, dass die europäische Identität durch die übermächtige EU-Administration bedroht wird. Die Deutschen haben zwei Zentralstaaten hinter sich, die Nazis und die Ulbrichts, es kann überhaupt nicht angehen, dass wir jetzt in Europa in ein neues zentralstaatliches Gebilde hineinrutschen.“ Das, meine Damen und Herren, ist in der Tat gefährlich, weil es wirklich so kenntnislos wie unverschämt ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Keine Ahnung über den tatsächlich erreichten Grad von Integration! Wir haben noch nicht einmal einen Staat auf europäischer Ebene, geschweige denn einen Zentralstaat! Wenn man die tatsächliche Machtverteilung vergleicht, was der Rat, die Ministerpräsidenten oder die Regierungschefs zu entscheiden haben, was die Kommission dann darf, dann ist es absurd, von zentralstaatlichen Tendenzen zu reden. Im Übrigen ist es eine Beleidigung an viele europäische Staaten, die traditionell einen Zentralstaat haben wie zum Beispiel Frankreich und weiß Gott eine demokratische und republikanische Tradition haben, an der wir uns erst einmal noch abarbeiten müssen, denke ich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Solche Geschichten, dass wir nun wüssten, wo es in Europa langgeht, und auch den Föderalismus zu verkaufen, zu dem ich stehe und an dem ich hänge, aber ein Exportmodell ist es nicht! Den Franzosen zu sagen, ihr seid so lange nicht demokratisch, wie ihr einen Zentralstaat habt, das mache ich nicht mit! Das Zweite ist: Sie haben in dem Gespräch auch gesagt, dass die Kommission mit keinem Deut demokratisch legitimiert sei. Das haut nun wirklich in die Kerbe dieser rechtspopulistischen Angriffe „gegen Brüssel, gegen Europa“, die wirklich nicht zu tolerieren und zu rechtfertigen sind. Die Kommission ist so demokratisch legitimiert wie der Staatsrat Hoffmann oder jeder andere Staatsrat, der hier vom Senat ernannt wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir werden direkt gewählt, wir wählen eine Regierung, und Sie ernennen Ihre Staatsräte, und die machen ihre Arbeit.

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Manchmal!)

In Europa ist es so, dass die Länderchefs eine Kommission wählen. Die sind damit demokratisch legitimiert, und die Kommission macht aufgrund der Beschlüsse ihre Arbeit. Dass die demokratisch weniger legitimiert sein soll als hohe Staatsbeamte, die hier viel zu sagen haben, die viel Macht in ihrer Hand haben, zum Beispiel der sicherlich zu Recht geehrte Staatsrat Hoffmann, das möchte ich doch einmal bezweifeln, wo da der Unterschied liegt. Ich finde es einfach nicht richtig. Sie bedienen diese billige Schiene einer Anti-Europa-Agitation, wenn Sie hier davon reden, dass diese Leute keine demokratische Legitimation haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das geht nicht! All das, was in dieser Richtung während der Kampagne der Länderchefs gekommen ist, finde ich schädlich. Das ist die Gefahr an diesem Auftrumpfen, das Sie gemacht haben.

Ich glaube übrigens nicht, dass Sie nur dann gehört werden, wenn Sie laut reden, Herr Bürgermeister, das habe ich irgendwie anders wahrgenommen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)