Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

(Beifall bei der CDU)

Eine Streitschlichtung durch Schülerinnen und Schüler hat Erfolge gezeigt, die eben nicht einfach weggewischt werden dürfen. Daher sind wir als CDU-Fraktion für eine Fortsetzung.

Meine Damen und Herren, wie gehen wir als Politik, als Parlament mit dem um, was aus der Gesamtantwort des Senats hervorgeht? Die begonnene Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ressorts begrüßen wir ausdrücklich und hoffen auf eine erfolgreiche Zukunft. Außerdem unterstützen wir die Neueinrichtung der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe, die quasi als Task-Force Präventionsmaßnahmen bündeln und intensivieren möchte. Zu lange haben gegenseitiges Misstrauen zwischen Lehrerzimmer und Polizeirevier einfache Kontakte unmöglich gemacht. Die Arbeit der KOB in den Stadtteilen, meine Damen und Herren, ist ganz wichtig. Dort ist wieder Vertrauen zurückgewonnen worden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir wollen nicht, dass in jeder Ecke in der Schule ein Wachtmeister steht, aber es darf keine Schulen geben, an denen ohne die Polizei kein Unterricht mehr möglich ist.

(Beifall bei der CDU)

Auffälligen Schülerinnen und Schülern muss schon beim geringsten Anlass ihre Grenze aufgezeigt werden. Der Pädagogikprofessor und Kriminologe Weidner schrieb in der Ausgabe des „Focus“ vom 15. April 2000, ich zitiere mit Genehmigung: „Das neue Motto schulpädagogischen Handelns muss lauten: Auf Kleinigkeiten pädagogisch übertrieben reagieren, damit Großes erst gar nicht passiert! In Deutschland wird aber häufig umgekehrt gearbeitet. Kleinigkeiten werden als jugendtypisch ignoriert, so dass Schüler schon schwere Geschütze auffahren müssen, um endlich Reaktionen zu erfahren.“

Es ist richtig, zunächst muss pädagogisch-psychologisch mit den Schülern gearbeitet werden. Danach müssen auch alle Möglichkeiten der Schule inklusive der Ordnungsmaßnahmen, die wir ja erst vor kurzem novelliert haben, ausgeschöpft werden. Wenn aber Lehrer und Schulleiter uns von einzelnen Schülern berichten, die ganze Schulen, ganze Klassenverbände tyrannisieren und mit jungen Jahren ein seitenlanges Vorstrafenregister quer durch das Strafgesetzbuch vorweisen können, dann müssen wir handeln, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU)

Es ist doch heute leider schon die Normalität, dass Schulen untereinander zu handeln beginnen, wenn ein schulpflichtiger Jugendlicher einer Schule verwiesen werden muss. Die Schule, die ihn dann aufnehmen muss, versucht sich nämlich im Gegenzug eines ebenfalls Auffälligen zu entledigen. Schulleiter berichten schon unter der Hand vom Feilschen frei nach dem Motto: biete Dealer, nehme Erpresser. Leider ist das heute die Normalität, meine Damen und Herren!

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Ach, das ist doch Quatsch! — Abg. B ü r g e r [CDU]: Nein, das ist kein Quatsch!)

Das ist kein Quatsch, Frau Hövelmann! Daher begrüßen wir, dass der Senat das Angebot außerschulischer Lernorte und schulersetzender Maßnahmen für solche Einzelfälle, die aber immer ganze Klassenverbände im schlechten Sinne beeindrucken, verstärken will. Wir müssen uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir in Zukunft mit solchen Schülern umgehen. Ich bitte den Senator für Bildung, uns in der Deputation so schnell wie möglich Verfahrensvorschläge vorzulegen, wie wir in Zukunft handeln sollten. — Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Jansen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Anlass dieser Debatte ist ein Gespräch, das Mitglieder der CDU-Fraktion aus der Bildungsdeputation, aus der Innendeputation, der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Kleen und ich im Schulzentrum Willakedamm hatten, in dem die Schule sozusagen um Hilfe gerufen hatte, weil sich an der Schule Probleme mit einigen Schülern sehr stark manifestiert hatten.

(Vizepräsident D r. K u h n übernimmt den Vorsitz.)

Da ging es darum zu klären, wie man in diesen Einzelfällen handeln kann. Die ganze Schule ist also nicht eine gewalttätige Schule, sondern es gab Schüler mit ganz besonderen Problemen, einige dabei mit einer ganz massiven Strafliste.

Aus diesem Grund war meine Reaktion jetzt nicht, mit einer solchen Aufsehen erregenden Großen Anfrage in die Bürgerschaft zu gehen, sondern in die Deputation zu gehen und zu fragen, was in diesen Einzelfällen möglich ist. Das ist eine ganz geringe Anzahl von Schülern, die wirklich solche erheblichen Probleme machen, dass ich auch eingestehe, damit ist die Schule überfordert, und da müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber meine Intention war einfach zu sagen, das ist etwas, was wir in der Deputation besprechen müssen, und es nicht so zu dramatisieren, wie es auch gerade jetzt Herr Rohmeyer hier wieder gemacht hat. So war es auch schon ein bisschen in dem Gespräch am Willakedamm, und ich habe da einen etwas anderen Ansatz.

Schulen sind ein Abbild unserer Gesellschaft. Schulen sind weder Horte von Gewalt noch sind sie gewaltfrei, sondern in den Schulen finden wir das, was wir in der Gesellschaft auch finden. Eine Bemerkung noch: Unsere Kinder und Jugendlichen sind auch ein Abbild der Erwachsenenwelt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

So, wie wir vorleben, leben das auch diese Kinder und Jugendlichen nach. Da machen Kinder und Jugendliche ganz unterschiedliche Erfahrungen. Es gibt Kinder und Jugendliche, die wachsen in behüteten, wohl geordneten sozialen Verhältnissen auf, und es gibt Kinder und Jugendliche, die in sehr schlimmen Verhältnissen aufwachsen, nicht nur materiell, sondern häufig eben auch als Opfer von Gewalt. Wir haben am Ende der Tagesordnung auch noch eine Debatte, in der es um häusliche Gewalt und ihre Auswirkungen auf Menschen geht. Kinder sind häufig Opfer von häuslicher Gewalt. Wer geschlagen wird, schlägt leicht zurück. Das ist doch eine Erkenntnis, die wir alle haben.

Ich halte die Anfrage, wie sie von der CDU in dieser Tendenz auch gestellt wird, für unmöglich, muss ich sagen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Darum haben wir sie auch nicht mit unterschrieben. Hier wird alles zusammengemengt. Störung von Unterricht ist sofort Gewalt. Erst einmal ist in dieser Anfrage der Gewaltbegriff gar nicht definiert. Es ist aber in der Antwort, finde ich, schön herausgearbeitet worden, dass es da ganz unterschiedliche Empfindungen gibt sowohl von denjenigen, die sagen, ihnen sei Gewalt angetan worden, als auch von denjenigen, die es beurteilen sollen, ob man es als Gewalt betrachtet oder als ein auch im jugendlichen Alter normales Verhalten.

Es zeigen ja auch alle Untersuchungen, Gewaltanwendungen und Gewalttolerierung nehmen mit zunehmendem Alter irgendwann auch wieder ab, weil dann auch mehr der Kopf eingesetzt wird. Das zeigen die Untersuchungen. Darum hat es auch sehr viel damit zu tun, in welche Lage wir unsere Kinder und Jugendlichen setzen, auch über den Kopf Konflikte regulieren zu können und nicht durch Gewalt.

Herr Bürger, Ihr Beitrag gestern hier in Richtung meiner Kollegin war auch so ein bisschen Mobbing, würde ich sagen.

(Widerspruch bei der CDU)

Sehen Sie, da geht es nämlich schon los! Wie definiere ich das, was einem anderen Menschen als ein gewalttätiges Antun vorkommt?

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen — Abg. B ü r g e r [CDU]: Den- ken Sie auch einmal an die Schüler, die sich dann auch bedroht fühlen!)

Ich komme noch dazu! Ich habe gerade versucht, ein bisschen — —.

(Abg. H e r d e r h o r s t [CDU]: Vor al- lem die Lösung!)

Lösungen haben Sie hier auch noch nicht geboten! Ich möchte versuchen, über diesen Redebeitrag — —.

(Unruhe bei der CDU — Abg. H e r d e r - h o r s t [CDU]: Die Ursachen sind alle be- kannt! Erzählen Sie einmal die Lösungen, das wäre interessant!)

Herr Herderhorst, darum bin ich in die Deputation gegangen und habe gesagt, wir haben an einzelnen Stellen Probleme mit Jugendlichen und Kin

dern, die wir mit den normalen Mitteln der Schule nicht in den Griff bekommen, daher lassen Sie uns einmal gemeinsam überlegen, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt! Sie sind in die Öffentlichkeit gegangen und sagen, es sei eine skandalöse Entwicklung. Die Tendenz ist steigend, durch immer mehr Gewalt an Schulen werden Lernerfolge in Frage gestellt. Das, finde ich, ist ein Unterschied.

Nicht jede Störung, das habe ich vorhin schon gesagt, ist eine Gewalttat. Mancher Lehrer empfindet schon die Kritik eines Schülers als Störung und sagt, die Störungen im Unterricht nehmen zu, die Schüler spielen nicht mehr so mit.

(Abg. Frau W i n d l e r [CDU]: Deshalb sind die Privatschulen auch da!)

Auch an den Privatschulen haben Sie im Übrigen das Problem des Mobbings. Mobbing ist eine Form der Gewalt.

(Unruhe)

Anscheinend habe ich es getroffen!

Ich habe mir extra vorgenommen, heute nicht noch einmal die gesamten gesellschaftlichen Ursachen zu nennen, die wir ja in der Debatte zur Jugend- und Kinderkriminalität im Mai 1998 hier angeführt haben, in der wir einen sehr guten Bericht des Senats vorliegen hatten, an dem auch alle ressortübergreifend zusammengearbeitet haben und wo es auch Entwicklungen und Konsequenzen gegeben hat. Die Präventionsbeiräte in den Stadtteilen — in Huchting kann ich es beurteilen, in anderen Stadtteilen erlebe ich es ähnlich — arbeiten inzwischen sehr erfolgreich und kommen auch zu Lösungen. Auch die Zusammenarbeit der Ressorts hat sich seit dieser Zeit doch enorm verbessert.

Um den konkreten Fall Willakedamm noch einmal anzusprechen, dort hat es gestern eine Sitzung des Präventionsbeirates gegeben, und man ist zu Lösungen bei diesem drängenden Problem gekommen, zumindest bei dem Problem, von dem die Schule sagt, das schaffen wir nicht mehr allein, da brauchen wir auch Hilfe vom Amt für Soziale Dienste, wir brauchen Sozialarbeit an der Schule, es muss etwas mit den Familien passieren. Da hat man gestern zusammengesessen, und es wird jetzt eine Kollegin des Amtes für Soziale Dienste mit einigen Stunden an die Schule gehen.

Ich möchte noch etwas sagen, was auch dazu beiträgt, dass das jetzt so gut klappt, weil auch die Zusammenarbeit mit der Polizei auf eine ganz andere vertrauensvolle Ebene gestellt worden ist. Wir haben nämlich jetzt einen Revierleiter, der nicht immer durch den Stadtteil läuft und sagt, Skandal, Huchting ist die Hochburg der Kriminalität, sondern der sagt, an den und den Punkten habt ihr Defizite,

ihr dürft hier diese Jugendeinrichtung nicht schließen. Wenn ihr an der Stelle diese Jugendeinrichtung schließt, dann steigt bei uns wieder das Gewaltpotential, und dann haben wir hier wieder Jugendliche auf der Matte stehen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das finde ich gut, wenn ein Revierleiter auch so etwas im Kopf hat und nicht immer gleich nach Strafe, Arrest und Gefängnis ruft.

Dann möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir ein Kinder- und Jugendhilfegesetz haben.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Ohne Richtlinien!)

Ja, aber es steht trotzdem etwas darin, an dem man sich orientieren sollte! Da steht nämlich im Mittelpunkt dieses Gesetzes, so lese ich das, die Prävention. Das ist es, was wir in allererster Linie leisten müssen, dann kommt Repression, und dann kommt Sanktion, wenn man nicht mehr helfen kann.