Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die beiden Verfasser dieses Artikels haben im Rückgriff auf verschiedene empirische Untersuchungen einige Merkmale von Gewalt genannt und stellen dabei fest, dass das in allererster Linie ein geschlechtsspezifisches, sprich ein Problem der Jungen ist.

(Abg. Frau J a n s e n [SPD]: Ja, schon immer!)

Schon immer! Wir wissen ja, wenn wir uns die Geschichte anschauen, wer wo einmarschiert ist, wie damit umgegangen wird, wie die Geschlechterstellung in den Kriegen ist und dergleichen mehr. Da könnte man vieles anführen.

Sie stellen als Zweites fest, dass Jugendgewalt weniger in der Schule, sondern hauptsächlich im sozialen Umfeld, auf der Straße stattfindet. Darauf ist auch Frau Jansen dankenswerterweise eingegangen.

Sie stellen zum Dritten fest, dass die statistische Zunahme von Gewalt zu einem großen Teil auf einen relativ kleinen Teil von Mehrfachtätern zurückgeht. Die statistische Aufklärung täuscht manchmal etwas. Wir haben zwar ein relativ neues Phänomen, gewaltbereite Mehrfachtäter, aber das ist eine relativ kleine Gruppe.

Jetzt kommen natürlich Leute, die so ein bisschen schlichter denken und sagen, das macht sich fest an der Ethnie, der sie angehören. Wer so diskutiert, sollte generell Folgendes berücksichtigen: Frau Jansen hat darauf hingewiesen, dass Gewalt und Kriminalität auch etwas mit sozialer Stellung und sozialer Armut zu tun haben. Alle Jugendforscher, Hurrelmann habe ich dazu einmal ausführlicher gehört, sagen ganz klar, dass die Frage von solchen Auffälligkeiten in erster Linie eine Auffälligkeit der sozialen Stellung in einer Gesellschaft ist. Da sich die Zuwanderergruppen zum großen Teil genau in diesem Spektrum wieder finden, ist da manchmal eine Korrelation, also eine Übereinstimmung, festzustellen, die aber genauso systematisch begründbar ist wie der Geburtenknick mit dem Rückgang der Anzahl der Störche. Das ist, wenn Sie so wollen, eine reine Zufälligkeit. Das muss man einfach sehen, wenn man auf Ursachen eingehen will, denn nur so kann man Ursachen tatsächlich bekämpfen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Abg. B ü r g e r [CDU]: Der Kriminologe Pfeiffer aus Hannover hat aber etwas an- deres festgestellt!)

Auch Pfeiffer hat in einem Vortrag im Schlachthof ganz klar diese Argumentationslinie verfolgt und hat gesagt, man muss in erster Linie auf die soziale Stellung achten und vorsichtig sein, dass man nicht Vorurteile bedient, indem man Zufälligkeiten überbetont.

(Abg. B ü r g e r [CDU]: Haben Sie die Sendung in „Panorama“ gesehen?)

Nein! Ich habe ihn im Schlachthof erlebt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er unterschiedliche Dinge erzählt.

Daraus folgt, dass wir darauf achten sollten, dass wir diese ganze Diskussion jetzt nicht ausschließ

lich in die Verantwortung der Schulen schieben. Das ist ja ein beliebter Reflex, irgendetwas funktioniert nicht, und dann wird gesagt, die Schulen sollen machen, die sind dafür zuständig. Nichtsdestoweniger sind die Schulen natürlich ein ganz wesentlicher Ort, weil hier die Kinder und Jugendlichen sind und weil man hier eine Chance hat, mit ihnen umzugehen, und zwar über alle Schichten hinweg. Das ist ja ein gesellschaftlicher Raum, wo nicht nur separiert wird, sondern wo sich alle treffen.

Aus diesem Grunde muss ich ausdrücklich sagen, so sehr ich die Anfrage der CDU kritisiere, weil sie wirklich ein bisschen vorurteilsbildend sein könnte, möchte ich ausdrücklich die Antwort des Senats an dieser Stelle loben. Wir waren damit sehr zufrieden. Wir fanden die Darstellung der Probleme sehr differenziert, sehr sachlich, auch die Darstellung dessen, was an Maßnahmen passiert ist.

Wir haben in der Deputation in den letzten Jahren einiges an verschiedenen Stellen diskutiert: Streitschlichter, die ganze Aktion Zivilcourage zum Beispiel, die die ganze Kultur des Wegsehens offensiv aufgreift und sagt, wir müssen hinsehen, wir müssen Regeln finden. Hier ist auch noch einiges weiter zu entwickeln. Ich habe einmal von einer Schule in Hamburg gehört, in der sich die Schüler, Lehrer und Eltern zusammensetzen und Regeln für die Schule aufstellen.

Die Schule stellt auch die Ordnungsmaßnahmen auf. Das war unsere Kritik am bremischen Vorgehen. Es gibt einen zentralen Ordnungskatalog. Ich hätte es viel besser gefunden, wenn man Initiativen gemacht hätte, dass erst einmal die Schulen solche Ordnungskriterien in den Diskussionen mit den Schülerinnen und Schülern erstellen, dass die sagen, was sie wollen und was ihnen wichtig ist.

Aber, und da relativiert sich dann einiges in der Antwort, eine Kritik an der Praxis gibt es von uns doch, weil sich die bremische Bildungspolitik leider jetzt auch fragen muss, wie sie über diese richtig geschilderten Maßnahmen in ihrer Grundausrichtung mit diesem Problem umgeht, inwieweit sie dieses Problem sieht. Beispielsweise hat es ein Projekt Jungenarbeit an der Schule gegeben. Das ist eine Maßnahme gewesen, die sagt, wir wollen positiv agieren, also nicht nur die Diskriminierung von Mädchen und jungen Frauen verhindern, sondern das Verhalten von Jungen verändern. Da sind die Stunden zusammengestrichen worden. Welche Maßnahmen erfolgen real gegen Schulvermeidung als erste Phase des Frustes? Dort wird das Problem wegdefiniert. Da sind deutliche Defizite. Der Schulermittlungsdienst als Einrichtung ist zurückgedreht worden.

Welche Bedeutung hat die Neuausrichtung des bremischen Bildungswesens auf den klassischen Unterricht als zentrales und wesentliches Element von Qualität? Angefangen mit der Usus-Debatte und so

weiter haben wir hier ja einige Entwicklungen. Sind nicht Veranstaltungen mindestens ebenso wichtig, die im Umfeld auch andere Formen von Schule und andere Zugänge zu Menschen als die rein kopfgesteuerte unterrichtliche Tätigkeit beinhalten? Ich glaube, man muss zumindest auch sehen, was man mit seinen Beschlüssen anrichtet, und dann auch bereit sein, Kompensationsmaßnahmen in die Schulen hineinzulassen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich denke da zum Beispiel an Auseinandersetzungen über den Spaßfaktor. Wenn Linke oder Liberale sagen, Schule muss auch Spaß machen, dann kommt bei der CDU immer der Beißreflex: Nein, da soll gelernt werden. Warum schließt sich das eigentlich aus? Ich behaupte, man kann mit einer entsprechenden spaßigen Konditionierung viel mehr lernen als in dieser Steißpaukschule.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es gibt auch noch etliche andere Sachen, aber ich finde den Weg, der in der Antwort skizziert ist, richtig. Lassen Sie uns da weitermachen! Lassen Sie uns den Menschen da sehr viel Verantwortung geben, denn die Menschen, die Verantwortung tragen und sich ihrer Verantwortung auch in der Schule zum Beispiel bewusst sind, weil sie selbst formuliert haben, was wichtig ist und nicht wichtig ist, werden auch bereit sein, der Gewalt entgegenzutreten und auch kulturell etwas zu verändern. Ich denke, wenn uns das gelingt, sind wir auf dem richtigen Weg. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Rohmeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Jansen, in was für einer Welt leben Sie eigentlich? Ist das eine schöne rotgrüne Traumwelt, Gesamtschulen an jeder Ecke, wo alle Menschen lieb zueinander sind? Sie haben ganz richtig von unserem gemeinsamen Schulbesuch in Huchting berichtet. Wir wollten die Schule eigentlich gar nicht so in den Vordergrund stellen, weil eben auch durch so eine Nennung das Image einer Schule noch mehr kaputt gemacht wird. Ich weiß nicht, warum Sie es gemacht haben.

Ich weiß auch nicht, ob Sie einmal mit anderen Lehrern gesprochen haben. Das, was uns dort genannt wurde, wo wir waren, ist eben nicht ein Einzelfall in einer einzigen bremischen Schule. Das gibt es öfter. Auch aus der Antwort des Senats geht her

vor, dass es durchaus verschiedene Formen von Gewalt gibt, Frau Jansen. Sie haben gesagt, es ist ja alles gar nicht so schlimm, Gewalt empfindet ja jeder irgendwie verschieden.

Meine Damen und Herren, Gewalt ist schon definiert, und wenn der Senat hier mit Gewalt antwortet — —. Entschuldigung!

(Heiterkeit — Abg. E c k h o f f [CDU]: Gewaltig antwortet!)

Wenn der Senat hier verschiedene Beispiele von Gewalt nennt, die auch im Unterricht in den Schulen stattfinden, dann müssen wir das sehr wohl ernst nehmen und können nicht irgendwie darüber hinweggehen. Das ist auch nicht skandalös, Frau Jansen, das ist beunruhigend, und zwar sehr beunruhigend.

(Beifall bei der CDU)

Helmut Zachau hatte Recht, es sind natürlich Einzelfälle, und wir haben hier auch nicht irgendwie tendenziös oder vorverurteilend das gesamte bremische Schulsystem hinterfragt, sondern wir nehmen diese Einzelfälle ernst, meine Damen und Herren. Soll es wirklich erst so weit kommen, dass wir hier in Bremen Ähnliches zu beklagen haben wie zum Beispiel in Meißen, wo gerade in Dresden jetzt vor wenigen Tagen der Prozess vor dem Landgericht gegen einen Schüler begonnen hat, der seine Lehrerin ermordet hat, meine Damen und Herren?

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wie wollen Sie das denn verhin- dern?)

Ich möchte, dass wir die Anzeichen, Frau Linnert, die wir auch hier in Bremen haben, sie stehen in dieser Antwort des Senats, ernst nehmen und dass wir darüber nicht einfach wegsehen.

(Beifall bei der CDU — Abg. Frau L i n - n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie stim- men doch dem Haushalt zu, in dem der Ju- gendhaushalt gekürzt wird!)

Wir können nicht darüber hinweggehen, wenn zum Beispiel die Schüler und Jugendlichen heutzutage immer aggressiver werden. Ich will auf die Einwürfe aus der rechten Ecke dahinten gar nicht eingehen, so ist es ja nun überhaupt nicht. Es sind auch Deutsche, die gewalttätig werden gegen ausländische Lehrer.

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin hier einige Ursachen genannt, das sind soziale, das ist der Leistungsdruck, der kann auch in der reichsten

Familie vorkommen, das hat nichts mit sozialer Stellung zu tun.

(Zuruf der Abg. Frau M ö b i u s [SPD])

Frau Möbius, melden Sie sich, kommen Sie her, und sagen Sie etwas! Das ist ganz toll.

Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass es hier quer durch alle Schularten und Schulformen geht. Merkwürdig finde ich im Übrigen nur, dass durchgängige Gymnasien gesondert erwähnt werden, Gesamtschulen fehlen völlig, warum auch immer. Obwohl die aber eine viel bessere Ausstattung haben, berichten Schulleiter von Übergriffen, von Aggression. Dort müssen wir tätig werden.

Meine Damen und Herren, es gibt eine schöne Überschrift, die ich Ihnen einmal zeigen und vorlesen möchte: „Viele Lehrer fühlen sich der Gewalt an den Schulen“ — Frau Jansen, da braucht man Gewalt nicht mehr zu definieren, wenn Lehrer etwas als Gewalt empfinden, ist das für mich schon sehr beunruhigend — „nicht mehr gewachsen.“ Das hat Professor Dr. Schwindt, Kriminologe und Projektleiter der Studie Gewalt in der Schule am Beispiel Bochum gesagt, und dem kann ich nur zustimmen.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Abgeordneten Zachau?

Ja, bitte!

Bitte, Herr Zachau!

Vielen Dank, Herr Rohmeyer! Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass insbesondere die Gesamtschulen in der Stadt Bremen der ersten Generation samt und sonders in sozialen Problemgebieten liegen und dass sie eine hervorragende gewaltverhindernde Arbeit bisher geleistet haben, die auch anerkannt wird?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Herr Zachau, ich kann feststellen, dass es an den Gesamtschulen trotz der zusätzlichen Ausstattung auch im Bereich von Schulpsychologen Übergriffe gegeben hat. Das heißt, daran kann es nicht nur gelegen haben, Herr Zachau. Wir haben offensichtlich wirklich ein Problem, was zurzeit in die Schulen schwappt. Das hat Frau Jansen ja irgendwie alles abgestritten. Es ist so, da müssen wir handeln. Herr Senator Lemke, ich hoffe, dass Sie uns da unterstützen werden.

(Beifall bei der CDU)