Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Jansen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss jetzt wirklich überlegen, ob ich noch einmal darauf eingehe. Wenn Herr Rohmeyer mir zugehört hätte, dann hätte er wohl mitbekommen, dass ich das Problem ziemlich ernst nehme, dass ich nur davor gewarnt habe, alles in einen Topf zu werfen, weil man nämlich sonst nicht zu vernünftigen Lösungen kommt.

(Beifall bei der SPD)

Es ist manchmal schwer, etwas zu verstehen. Ich habe auch, glaube ich, nicht das Schulzentrum, das ich hier genannt habe, schlecht gemacht, sondern im Gegenteil, ich habe erzählt, dass es zu Lösungen gekommen ist und dass es möglich ist, auf Stadtteilebene in gemeinsamen Verabredungen zu Lösungen zu kommen, die dazu beitragen, Schulfrieden wiederherzustellen oder Störungen zu vermeiden.

Ich habe mich aber noch einmal gemeldet, weil ich noch auf einen Aspekt eingehen und fragen möchte: Wie wirkt Schule eigentlich auf Kinder und Jugendliche? Das, was Sie hier machen, zeigt, dass Sie nämlich in Ideologie verhaftet sind. Dass Sie immer wieder die Gesamtschulen als Feindbild quer durch die Bundesrepublik — das scheint im Moment eine neue Kampagne zu sein — bringen, das ist Ideologie und verblendet. Was ich jetzt sagen werde, wird Sie ohne Ende erregen, weil das, vermute ich einmal, nichts mit Ihrem Menschenbild zu tun hat. Ich möchte erst einmal feststellen, dass das herrschende Prinzip unserer Gesellschaft Konkurrenz heißt, leider.

(Beifall bei der SPD)

Über dieses Prinzip werden Chancen, Bildung, Macht und Reichtum verteilt. Erfolg in dieser Gesellschaft hat immer nur der, der gleichzeitig einem anderen einen Misserfolg beibringt.

(Beifall bei der SPD)

Darüber sollte man einmal nachdenken.

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das ist wie in der Politik!)

An dieser Stelle muss man eben fragen, welche Stellung die Kinder und Jugendlichen eigentlich in der Schule haben. Sind sie Subjekt oder Objekt? Sind sie Subjekt von Erfolg oder Misserfolg?

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Ich bin völ- lig unerregt!)

Jetzt komme ich zu der nächsten Frage, die ich mir schon lange gestellt habe: Was wird eigentlich über Zeugnisse ausgedrückt? Zeugnisse geben Urteile ab über Versager und Begabte, über Lernfähigkeit und Leistungsvermögen. An dieser Stelle — —.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Was ist die Quintessenz?)

Halten Sie einmal den Mund!

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle frage ich — —.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Wir sind hier nicht in der Schule! — Abg. B ü r g e r [CDU]: Das ist Mobbing!)

Mobbing ist, wenn er mich unterbricht!

(Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU — Glocke)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bisher war es noch nicht Mobbing. Lassen Sie die Abgeordnete in Ruhe ihren Gedanken zu Ende führen!

Ich habe meine Gedanken in das Manuskript geschrieben.

(Zuruf des Abg. T e i s e r [CDU])

Das habe ich nicht gesagt, Herr Teiser! Sie müssen jetzt allmählich auch einmal lernen, zuzuhören und dann Zwischenrufe zu machen, die auch zu dem, was man gesagt hat, passen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe gerade auf die Fragwürdigkeit der Zensuren und Zeugnisgebung hingewiesen. Darum möchte ich eine Frage anschließen. Ein schlechtes Zeugnis drückt für den Schüler immer aus, dass er versagt hat. Warum eigentlich? Kann es nicht auch sein, dass ein schlechtes Zeugnis ausdrückt, dass die Schule versagt hat?

(Beifall bei der SPD)

Das kann man doch einmal fragen. Dann stellen Sie sich die nächste Frage, was in einem Schüler vorgeht, der immer wieder beigebracht bekommt, dass er der Verlierer ist, dass er über dieses schlechte Zeugnis keinen Abschluss, keine Lehrstelle, keinen Arbeitsplatz bekommt, also Dauerarbeitslosigkeit. Das Zeugnis bescheinigt ihm dann zugleich,

dass er minderwertig ist. Das muss man sich doch wenigstens einmal vor Augen führen, wenn man dann noch weiß, und das bitte ich im Zusammenhang zu sehen, dass die höchsten Gewaltquoten, die wir an Schulen haben, an den Sonderschulen für Lernbehinderte sind.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Warum werden die denn ausge- sondert?)

Ich bin, das sollte in diesem Haus bekannt sein, nicht jemand, der dafür plädiert, dass Schüler ausgesondert werden, sondern im Gegenteil, weil ich mir genau diese Fragen stelle, warum das so ist und warum eben der Anteil auf dem Gymnasium so viel weniger groß ist, obwohl es dort auch solche Dinge gibt. Das hat etwas damit zu tun, dass die Schüler, die das Gymnasium erreicht haben, sich als Gewinner fühlen können, und die anderen, die auf der Sonderschule für Lernbehinderte gelandet sind, sind die Verlierer.

(Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung des Abgeordneten Eckhoff?

Wenn es ihn unbedingt danach drängt!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es sieht so aus. Bitte, Herr Eckhoff!

Ich habe ja die Frage sozusagen in Form eines Zwischenrufs nicht geklärt bekommen. Um Ihren Gedanken, Frau Jansen, zu den vielen Fragen zu den Zeugnissen zu folgen —

(Abg. Frau J a n s e n [SPD]: Es waren gar nicht so viele!)

doch, es waren einige, mindestens vier oder fünf! —, welche politischen Konsequenzen ziehen Sie denn als SPD-Bürgerschaftsabgeordnete aus diesen Fragen, die Sie formuliert haben?

Ich würde zum Beispiel überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, dem Schüler über Lernentwicklungsberichte auch mitzuteilen, wo er gut ist und wo er Entwicklungschancen hat

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

und nicht immer nur mitzuteilen, du hast sowieso schon versagt, du bist aus dem Spiel.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dann möchte ich noch, damit die Erregung hier nicht so groß wird, einmal ein bisschen auf die Schülerperspektive eingehen. Es gibt auch eine Sicht von Schülern. Wenn man sie fragt, warum sie eigentlich so gewalttätig sind, dann erzählen sie, dass sie das häufig aus Frust machen, weil die Schule einfach öde und langweilig ist.

(Zurufe von der CDU)

Der zweite Grund, den die Schüler nennen, ist, dass sie sich damit Geltung und Anerkennung verschaffen können, weil sie nämlich anderswo keine Geltung und Anerkennung bekommen.

Ein weiterer Punkt, den wir auch im Kopf behalten müssen, ist, dass eben Schulunlust und Langeweile sowohl Gewalt an Menschen, aber auch an Sachen hervorrufen können. Das können wir dann an den Schulen sehen, Vandalismus, Graffiti und all diese Sachen. Dann schätzt man solche Einrichtungen auch nicht.

Darum möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass aus meiner Sicht das Schulklima eine ganz große Rolle spielt neben all den gesellschaftlichen Ursachen, die wir hier auch schon diskutiert haben. Darum möchte ich einfach sowohl Schüler als auch Lehrer darauf hinweisen, dass die Schulkultur, die in einer Schule herrscht, davon geprägt ist, dass man Diskriminierungen, Beleidigungen, Spott und Beschimpfungen vermeidet.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Gilt das auch für den Bürgermeis- ter?)

Das gilt für alle!