Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

Vizepräsident Dr. Kuhn eröffnet die Sitzung wieder um 14.31 Uhr.

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft interjection: (Landtag) ist wieder eröffnet.

Ich begrüße ganz herzlich auf dem Besucherrang eine Gruppe der Begegnungsstätte Walle-Findorff in Begleitung unseres ehemaligen Kollegen Dr. Weichelt.

Herzlich willkommen!

(Beifall)

Offensive „Mehr Ehre für die Freiwilligen-Arbeit“

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD vom 22. März 2000 (Drucksache 15/260)

Wir verbinden hiermit:

Bürgerschaftliches Engagement fördern

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 6. Juni 2000 (Drucksache 15/374)

Dazu als Vertreter des Senats Frau Senatorin Adolf, ihr beigeordnet Staatsrat Dr. Hoppensack.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat der Abgeordnete Karl Uwe Oppermann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Das zurückliegende Jahr 1999 war das Jahr des Ehrenamtes und wurde auch in Bremen mit vielfältigen Aktionen gewürdigt und begangen. Seien wir aber ehrlich, den absoluten Durchbruch für das Ehrenamt oder die Freiwilligenarbeit hat dieses Jahr auch hier in Bremen nicht erzielt! Wir müssen uns fragen,

woran das lag, worin der Grund verborgen liegt. Ernst gemeinte Aussagen der folgenden Art kann man bei allen Fraktionen und Parteien finden. Ich zitiere aus einer Broschüre über einen Kongress zum Ehrenamt, und daraus aus dem Vorwort von Joachim Hörster mit Genehmigung des Präsidenten:

„Ehrenamtliches Engagement ist eines der wesentlichen Elemente, die für unsere Demokratie unverzichtbar sind. Ohne die freiwillige Hilfe und Unterstützung vieler Menschen, die sich im Rahmen ehrenamtlicher Tätigkeit für uns bemühen, könnte unser Zusammenleben kaum vernünftig funktionieren. Selbst Verantwortung zu übernehmen und die Dinge selbst in die Hand nehmen, dies sind Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Unser Gemeinwesen lebt davon, dass nicht ständig nach dem Staat gerufen wird, sondern dass sich jeder Einzelne freiwillig auch für seine Menschen und das Gemeinwohl einsetzt.“

Wenn ich mich hingesetzt hätte und hätte das selbst formulieren wollen, wäre ich sicherlich zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Es gibt auch Zitate, die das kürzer und prägnanter sagen, aber damit ist die Wichtigkeit von Ehrenamt und Freiwilligenarbeit mit all ihren Facetten in unserer Gesellschaft umfassend beschrieben. Der ehemalige Präsident der USA, Kennedy, hat das noch einfacher und pragmatischer ausgedrückt: „Frage nicht, was das Land für dich tun kann, sondern frage dich, was du für dieses Land tun kannst.“ Selbst wenn man von diesem Zitat den amerikanischen Patriotismus abzieht, bleibt die Aussage doch richtig, kurz und knapp.

Wilhelm Busch, uns allen bekannt, sagt es noch knapper und ganz ohne Pathos: „Es gibt nichts Besseres, als man tut es!“ Er hat so gesprochen, „als man tut es“, heute würde man es sicherlich etwas anders formulieren. Das ganze Zitat von Wilhelm Busch, auch noch mit einigen Stilblüten, sage ich Ihnen dann am Ende meiner Rede.

Nun ist das Jahr 2001 von keiner geringeren Organisation als der Uno zum Internationalen Jahr der Freiwilligen erklärt worden. Die CDU-Fraktion hat deshalb schon früh die Initiative ergriffen, um die Ausgangsposition für Freiwilligenarbeit, für die es in Bremen gar nicht so schlecht aussieht, für dieses Jahr 2001 noch zu verbessern. Meine Damen und Herren, die einen nennen es Ehrenamt, die anderen Freiwilligenarbeit. Gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen, oder ist es wieder die moderne Methode, bekannte Dinge mit neuen Namen zu belegen und sie dann wieder anders zu verkaufen?

Die Strukturen ehrenamtlichen Engagements in Europa unterscheiden sich ganz wesentlich. Ein Blick über die Grenzen lohnt sich, denn es soll ja ein internationales Jahr des Ehrenamtes werden. Der Begriff Ehrenamt, habe ich bei meinen Nachforschun

gen gefunden, entspricht der preußischen Städteordnung des Freiherrn vom Stein. In allen anderen europäischen Sprachen spricht man von Freiwilligen. Wo ist der Unterschied? Das Wort Ehrenamt lässt uns schon bürokratische Strukturen erahnen. Wer von uns in Vereinen ist, der weiß das. Da gibt es Orden und Ehrenzeichen und Nadeln in verschiedenen Metallfarben für verschieden lange Angehörigkeiten, also ein Stück Bürokratismus. Dagegen setzen unsere europäischen Nachbarn auf offenere, flexiblere Elemente. Die deutsche Tradition ist aus der bürgerlichen Selbstverantwortung entstanden und hat auch in Bremen große Erfolge gezeigt. Wir bemühen uns alle gern, die Kunsthalle als eines ihrer deutlichsten Beispiele in unseren Reden zu erwähnen.

In den Niederlanden und in England ist sie aus unabhängig von staatlichen Instanzen vorhandenem Bewusstsein für soziales freiwilliges und unentgeltliches Mitwirken erwachsen. Dieser Ansatz, finde ich, beschreibt das, worüber wir heute debattieren, umfassender und genauer, und deswegen möchte ich künftig auch den Begriff Freiwilligenarbeit benutzen, wobei ich hier auch deutlich sage, der Begriff Ehrenamt hat weder für mich oder für Mitbürger, die noch etwas älter sind als ich, etwas Altbackenes oder Anrüchiges. Ich kann mit dem Wort Ehrenamt eigentlich auch ganz gut leben.

Eine der vielen weisen Aussagen des Exbundespräsidenten Roman Herzog war, und ich zitiere hier sinngemäß: Gemeinsinn und freiwilliges Engagement für andere seien so etwas wie ein Gradmesser für die moralische Temperatur einer Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, es ist nicht kalt in dieser Gesellschaft, das sei als Erstes betont. Es ist auch nicht schlecht bestellt um die Freiwilligenarbeit in Bremen, das wollte ich hier auch ganz deutlich sagen. Der erst kürzlich wieder erschienene Bericht über Freiwilligenarbeit des Bundesministeriums für Familie zeigt das deutlich auf. Die Zahlen des bürgerlichen Engagements wachsen, und damit scheint vordergründig alles in Ordnung zu sein. In der Zeitschrift „Allgemeines Deutsches Sonntagsblatt“ fand ich kürzlich sogar die Aussage, das Ehrenamt boomt, doch das halte ich für eine etwas übertriebene Aussage. Dann wäre unser gemeinsamer Antrag ja auch nicht notwendig gewesen.

Wir wissen aber alle, dass wir in einer Welt leben, die sich mit rasender Geschwindigkeit verändert. Darüber haben wir heute Morgen beim Thema T.I.M.E. ja auch gesprochen. Insbesondere die Jugend macht von ihrem Recht auf Veränderung ihres Verhaltens und ihrer Lebensweise mit immer stärkerem Druck und auch, finde ich, mit Recht Gebrauch. Auf diese veränderte Anspruchslage muss sich aber auch das Angebot an Freiwilligenarbeit einstellen, um weiter nicht nur interessante Angebote zu unterbreiten, sondern auch für das Angebot die jeweils passende Frau oder den jeweils passen

den Mann zu finden. Dass wir diesen Weg nicht aus den Augen verlieren, dazu soll auch dieser gemeinsame Antrag der Koalition beitragen.

Nach Meinung der CDU-Fraktion gibt es insbesondere drei Defizite, nämlich erstens eine unsichere Datenlage, die aber von der von mir genannten Untersuchung des Familienministeriums, noch von Frau Nolte, eingeleitet und verbessert wurde, zweitens eine leider noch immer unzureichende Einbindung gerade junger Menschen in jegliche Form von freiwilliger Arbeit — das belegen auch die Zahlen für das freiwillige soziale Jahr, leider, muss man sagen —, drittens eine immer noch zu geringe Würdigung und Anerkennung freiwilligen Einsatzes in unserer Gesellschaft. Auch auf diese Fragen bitten wir den Senat eine Antwort zu unterbreiten. Die Datenlage hat sich verbessert. Hier kann man sicherlich am schnellsten zu einer Lösung kommen.

Bei den jungen Menschen sollte man daran denken, dass diese sich sehr wohl engagieren, aber anders. Für sie darf es nicht mehr heißen, einmal Ehrenarbeit oder Freiwilligenarbeit, immer Freiwilligenarbeit, und das möglichst immer am gleichen Thema. Das lebenslängliche Engagement, das gerade für ältere Menschen in Vereinen und Verbänden zur Regel geworden ist, lehnen Jugendliche überwiegend ab. Ein Engagement auf Zeit ja, das wird von ihnen gesucht, nicht die Ehre, sondern die Sache steht im Vordergrund. Ist das Problem gelöst oder ist es nicht zu lösen, dann wird der Kontakt mit der Gruppierung, die diese Freiwilligenarbeit anbietet, auch wieder gelöst. Dieser veränderten Einstellung, von Untersuchungen belegt, müssen wir Rechnung tragen.

Zum dritten Punkt: Ehrenamtliches Engagement gehört in das Scheinwerferlicht der Medien. Ein Internationales Jahr der Freiwilligenarbeit kann viele Anlässe dazu schaffen, die dann geeignet sind, das öffentliche Interesse zu stärken. Auch, meine Damen und Herren, die Arbeitgeber sind aufgefordert, bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit des freiwilligen Engagements nicht zu unterdrücken, sondern ganz im Gegenteil zu fördern. Im freiwilligen Engagement erworbene Qualifikationen, das zeigen Untersuchungen, wirken sich in der Regel positiv auf die berufliche Einstellung und Tätigkeit aus. Freiwilliges Engagement kann die Arbeitswelt beleben und sollte auch innerbetrieblich gefördert und anerkannt werden. Ich mache hier erst einmal eine Zäsur. Wir werden noch weiter darüber debattieren.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Pietrzok.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dass die Freiwilligenarbeit in un

serer Gesellschaft eine enorme Bedeutung hat, ist ja gemeinhin unbestritten. Auch die Tatsache, dass in diesem Hause schon öfter, auch in der laufenden Legislaturperiode, darüber debattiert wurde, dokumentiert dies. Zurzeit nimmt eigentlich eher die Zahl der Fragen zu diesem Themenfeld zu. Die Politik neigt zunehmend dazu, auf Freiwilligenarbeit auch dort verstärkt zurückzugreifen, wo staatliche Intervention nur noch mangelhaft Leistungen erbringen kann. Freiwilligenarbeit wird hier gewissermaßen als Ersatzfunktion für eigentlich vom Staat zu erbringende Leistungen wahrgenommen.

Allerdings kann man auch andersherum denken, also auch der Umkehrschluss ist zulässig, dass eine große Zahl von Ehrenamtlichen beispielsweise in der Jugendarbeit, in der sozialen Arbeit und so weiter in den vergangenen Jahren durch einen Prozess der Professionalisierung durch hauptamtliches Personal ersetzt worden ist. Es ist wahrscheinlich kaum möglich nachzuweisen, ob es sich hier um einen Verdrängungsprozess handelt, aber zumindest wäre eine solche These auch zulässig, und sie wird auch diskutiert.

Außerdem ist die Freiwilligenarbeit oder, wenn Sie wollen, ehrenamtliche Arbeit vielfältiger und nicht mehr in einer solchen Einfachheit zu durchschauen, wie das früher einmal der Fall gewesen ist. Die starke Einbindung von Menschen in ihre Milieus, entsprechende Großorganisationen oder Vereinsstrukturen hat Identitäten geschaffen, Überzeugungen und freiwilliges Engagement manchmal für ein ganzes Leben lang gebunden, aber hier hat sich einiges geändert, und die Herausforderungen dort, wo Freiwilligenarbeit geleistet wird, haben sich geändert.

Die individuellen Interessen derer, die sich engagieren wollen, eine inhaltliche Überschaubarkeit, aber auch eine zeitliche Befristung, das sind Faktoren, die mittlerweile eine zunehmende Bedeutung erhalten haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Vorstellung, was will ich tun, was will ich lernen, ist heute viel entwickelter, als es früher möglicherweise der Fall gewesen ist. Der Zugang zur ehrenamtlichen Arbeit verläuft heutzutage weitaus differenzierter, und unser Antrag bezieht sich auf genau diese neuen Anforderungen, die sich stellen. Wir wollen, dass in der Freiwilligenarbeit das einundzwanzigste Jahrhundert eingeläutet wird, und wir müssen uns da auf das beziehen, was die Freiwilligen als Ansprüche deutlich machen. Wir müssen hier an eine differenzierte Qualifizierung denken, die genau darauf abzielt, den Menschen die Fähigkeiten zu geben, die sie für ihre ehrenamtliche oder freiwillige Arbeit benötigen.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen dafür sorgen, dass es eine fachliche Unterstützung, eine Zuarbeit und entsprechende Strukturen dafür gibt. Wir brauchen effektive und ansprechende Kommunikationsformen und differenzierte Kommunikationswege. Wir brauchen auch mehr Werbung für einen solchen Bereich. Wir müssen uns über zielgruppengerechte Anerkennungsformen Gedanken machen, die den Freiwilligen wirklich etwas bedeuten.

Hier gibt es ganz erhebliche Unterschiede, denen man Rechnung tragen muss. Wenn wir uns vorstellen, wir haben eine Jugendgruppenleiterin in einem Reiterverein, so hat sie wahrscheinlich ganz andere Interessen an einer Anerkennung als meinetwegen ein fünfundzwanzigjähriger Punk, der einen Workshop mit Vierzehnjährigen zu Hardcore-Musik macht. Wir müssen aber hier zum Beispiel auch an Diskussionen denken, die in den Jugendverbänden stattfinden, beispielsweise das Thema Jugendgruppenleitercard, wo es darum geht, auch kleine materielle Anreize für Ehrenamtliche zu schaffen und sie damit auch zu unterstützen. Hier sind andere Bundesländer deutlich weiter gegangen, als das bisher in Bremen der Fall ist.

(Beifall bei der SPD)

Mit der Freiwilligenagentur haben wir in Bremen mittlerweile eine Organisation mit überregionaler Anerkennung, die gezielt Fachdiskussionen, Kommunikation zwischen Interessierten und Organisationen sowie Öffentlichkeitsarbeit verstärkt. Ob die politische Entschlossenheit, ein solches Projekt zu fördern, immer hinreichend war, sei dahingestellt.

Ohne auch nur einen Hauch von Vorwegnahmen hinsichtlich eventueller Trägerschaften zu geben, verfolgt unser Antrag eine ähnliche Philosophie, wie sie in der Fachdiskussion häufig Grundlage ist: öffentlichkeitswirksames Zuarbeiten, neue Anforderungen an Professionalität, Ästhetik und Events. Hier ist einfach Verbesserungsbedarf da, und diesen Fragen müssen wir uns jetzt stellen. Wir können genau in solchen Punkten die Freiwilligen nicht allein stehen lassen, sondern wir müssen für Unterstützung sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Damit es sich hier um einen Prozess handelt, der nicht von oben nach unten verordnet wird, ist es völlig klar, dass wir auf die Strukturen, in denen im Augenblick Freiwillige arbeiten, zurückgreifen müssen und sie richtig einbeziehen, damit wir tatsächlich auch ein effektives Instrument schaffen können.

(Beifall bei der SPD)

Bis ich Ihren Antrag gelesen habe, Frau Linnert, habe ich eigentlich gedacht, unser Antrag ist poli

tisch relativ wenig brisant, weil er ja eigentlich nur eine zusätzliche Aktivität einfordert, um ehrenamtliches Engagement zu fördern. Deswegen habe ich eigentlich auch vermutet, dass es von Ihrer Seite wenig Anlass gibt, ihn tatsächlich abzukanzeln. Aber ich habe nun Ihren Antrag gelesen und sehe jetzt schon eher eine politische Kontroverse, die hier auf uns zukommt.

Aus Sicht der Sozialdemokraten jedenfalls ist das nur ein ganz kleiner Schritt. Es ist ein ganz pragmatischer Versuch auf einem langen Weg, zu einer optimalen Unterstützung der Freiwilligen, eben innerhalb eines größeren Prozesses, zu kommen. An Stellen wie der Freiwilligenarbeit wird man eben nicht aufhören können, die Unterstützung weiter zu entwickeln.

Verstehen Sie diesen Antrag bitte als einen ganz kleinen und ganz bescheidenen Beitrag dazu, der nichts von dem Respekt verlangt, von dem wir meinen, dass er vielen Freiwilligen zusteht, die es im Land gibt und die sich beteiligen, denen die Sozialdemokraten auch ihren Dank aussprechen möchten.