Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

Man geht heute nicht irgendwo hin, nur um für andere etwas zu tun, man möchte für sich selbst dabei auch etwas haben. Das kann man nur erreichen, wenn man bei seiner Tätigkeit auch gefördert wird, aber das habe ich bei der Debatte um die Zivis schon gesagt. Das gilt hier und heute unverändert.

Meine Damen und Herren, die in Punkt drei des Antrags genannte Kommission soll selbstverständlich und beispielhaft freiwillig arbeiten. Das soll keine neue Stelle sein!

(Beifall bei der CDU)

Hier muss es in Bremen und Bremerhaven auch möglich sein, auf vorhandene Strukturen zurückzugreifen, denn wir haben ja hier ein Angebot, und das kann man sicherlich ausbauen.

Sie haben in Ihren Fächern bei der vergangenen Plenarsitzung ein Informationsblatt „Volunteers“, Freiwillige, das ist die Übersetzung, Nummer fünf, gefunden und sicherlich auch interessiert in diesem Blättchen gelesen. Die Freiwilligenagenturen sind in Sorge um ihre Existenz. Das Uno-Jahr der Freiwilligen kann gemeinsam mit der vom Bundestag eingesetzten Enquetekommission für die Zukunft des bürgerlichen Engagements ein Quell der Freude für diese Freiwilligenagenturen sein. Es kann sie nämlich absichern.

Frau Linnert, nun zu Ihrem Antrag! Wenn Sie dort schreiben, „Es ist noch eine Weiterentwicklung der Demokratie erforderlich“, warum haben Sie nicht gleich geschrieben, wir müssen die Demokratie neu erfinden? Das hat auch einmal jemand gesagt.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Ich bin im Großen und Ganzen damit zufrieden!)

Dann wollen Sie mit der Freiwilligenarbeit eine Reform des Beiräterechts. Ich will es nur für einige Kollegen noch einmal deutlich sagen, Veränderungen der Landesverfassung, Einsetzung eines parlamentarischen Bürgerbeauftragten, ich habe nur einige Dinge unterstrichen, wenn wir das alles in das Paket hineintun, bekommen wir nichts davon. Deswegen ist uns unser Antrag lieber.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: So ernst ist es Ihnen dann doch nicht mit der Förderung!)

Einige kennen sich in der deutschen Zitatenlandschaft sehr gut aus, deswegen möchte ich auch mit einem Zitat, das von Freiwilligenarbeit handelt, enden: „Willst du froh und glücklich leben, lass ein Ehrenamt dir geben. Willst länger bleiben du aktiv, werde endlich initiativ. So ein Amt bringt nicht nur Freude und Kontakt zu viele Leute, aber bleibe guten Mutes, es gibt nichts Besseres, als man tut es.“ Soweit Wilhelm Busch! — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Dr. Hoppensack.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach diesem poetischen Abgang habe ich es besonders einfach, nun zum dritten Mal heute meiner Freude Ausdruck zu verleihen, dass so viel Konsens im Hause ist,

(Beifall bei der SPD)

fröhlicher Konsens, zumindest in einem Teil dessen, was hier heute diskutiert wird. Wir diskutieren ja im Augenblick nur noch, wie breit wir es fassen wollen, aber es gibt eine deutliche Übereinkunft. Deswegen freue ich mich zunächst einmal über diesen Antrag, den die Koalition vorgelegt hat. Das gibt uns Gelegenheit, das Thema zu beleuchten und um eine notwendige Debatte anzureichern, die zu führen ist.

Ich nenne als erstes das Stichwort „Bürgerstadt“. Sie wissen, dass die Koalition das für die Legislaturperiode als Schwerpunktprogramm vorgesehen hat. Da spielt die Freiwilligenarbeit eine ganz wichtige Rolle. Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahr dieses Thema „Bürgerstadt“ etwas gründlicher ausbreiten können und in diesem Zusammenhang darauf hinweisen können, dass hier viele Aspekte zu verfolgen sind: Auf der einen Seite, wie kann man Bürgern stärker dabei helfen, Dinge für sich und für andere wahrzunehmen, wie kann man Bürger stärker beteiligen, wie kann sich die Verwaltung ändern, und auf der anderen Seite, last, but not least, was muss Politik tun, damit sie für Bürger glaubhaft deut

lich macht, für wen sie eigentlich Aufgaben erfüllt? Dieses Konzept ist im Detail fällig. Wir haben, wie Sie wissen, in diesem Jahr aus der Bertelsmann-Stiftung einen guten zweiten Preis bekommen, und da ist noch einiges abzuarbeiten. Im nächsten Jahr gibt es ein internationales Jahr der Freiwilligenarbeit, darin möchten wir gut vorkommen, und nicht zuletzt gibt es die Enquetekommission des Bundestages, in der eine kluge Bremer Professorin, Frau Professor Dr. Biesecker, mitarbeitet. Da geht es um die Zukunft bürgerschaftlichen Engagements, also genau um die Frage, die Sie hier interessiert. Es lohnt sich also, das Thema ganzheitlich, zumindest umfassend zu betrachten und zu versuchen, möglichst viel möglicherweise auch Widersprüchliches, was in der Welt vor sich geht, an dieser Stelle zu vermeiden, zum Beispiel, um bei uns selbst anzufangen, bei meinem Ressort, Selbsthilfe und Freiwilligenförderung finanziell zumindest nicht zu schwächen, möglichst zu stärken,

(Beifall bei der SPD)

oder bürgerschaftliches Engagement da, wo es in den Stadtteilbeiräten stattfindet, möglichst nicht zu schwächen, sondern zu stärken. Sie haben gestern, die Sie in der Stadtbürgerschaft tätig sind, gesehen, wie schwer es ein Senator hat, da im Augenblick seine Arbeit zu machen. Ich habe aber auch den Eindruck, dass zumindest noch einiges an Arbeit zu leisten ist, nämlich zu sagen, wie es denn in Zukunft mit der Beiratsunterstützung sein soll. Wenn man so ein eindeutiges Bekenntnis an dieser Stelle will, dann muss man auch die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellen, damit das möglich ist. Das ist eine Arbeit, die noch zu leisten ist, und das wird nicht ganz einfach sein. Der dritte Gesichtspunkt: Organisationen, die Freiwillige unterstützen, sie fördern, ihnen helfen, ihre Arbeit zu machen, auch an dieser Stelle zumindest nicht nachzulassen! Eine solche Aufgabe in diesen verschärften Sparoperationen zu erfüllen ist nicht ganz leicht, aber wer hier ein solches Konzept macht, ob es nun breiter oder enger gefasst ist, der wird an dieser Stelle mit dafür sorgen, dass es keine Löcher und keine zu großen Widersprüche gibt. In diesem Anspruch, nicht alle Widersprüche aufzulösen, aber wenigstens einen Teil, damit man in dieser Debatte dann auch an dieser Stelle überwiegend freundliche Reaktionen hat, wollen wir jedenfalls ansprüchlich sein. Eine Anmerkung noch gegen Ende! Es wird immer gesagt, Freiwilligenarbeit dürfe natürlich nicht das ersetzen, was der Staat macht.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Richtig! — Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Herr Oppermann hat das auch gesagt!)

Das taucht auch in dem Antrag der Grünen auf. Interessanterweise heißt es dann in dem nächsten Absatz, und ich will den einfach jetzt einmal zitieren, damit man auch gewisse Widersprüche erkennt, nachdem man gewarnt hat, nicht den Staat zu ersetzen: „Bürgerschaftliches Engagement gehört zu den Grundpfeilern einer modernen Demokratie. Das Handeln des Staates muss in allen Bereichen darauf ausgerichtet sein, politische Betätigung der Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Staatliche Institutionen müssen so organisiert sein, dass die Interessen der Bevölkerung nach Transparenz und Mitgestaltung Berücksichtigung finden. Bürgerschaftliches Engagement ist ein Grundrecht“, und so weiter. „Insbesondere im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung ist es abzusichern.“ Da wird von Demokratie und von Aufgabenverteilung geredet. Aber dann ist da dieses schlechte Gewissen, was immer wieder in die Debatte eingebracht wird, bloß nicht irgendetwas, was irgendwann einmal der Staat gemacht hat, zu ersetzen. Das ist eine überkommene Sicht von Aufgabenverteilung. Aber bei dieser Debatte wird es sehr wohl darauf ankommen — ich halte es nicht nur für zulässig, sondern geradezu für notwendig — herauszufinden, ob nicht manches, was der Staat bisher gemacht hat, auch von den Bürgern selbst erledigt werden kann. Ich habe immer sehr viel vom Subsidiaritätsprinzip gehalten, allerdings in der Ausprägung und Ausformulierung, wie der von mir sehr geschätzte Oswald von Nell-Breuning das gesagt hat. Er hat nicht von Subsidiaritätsprinzip gesprochen, er hat sich auf dieses Papst-Wort bezogen. Er hat vom Prinzip des hilfreichen Beistands gesprochen. Das heißt, der Staat soll die Aufgabe haben, die Bürger darin zu unterstützen, dass sie ihre Aufgaben möglichst breit allein erledigen können. Erst nachdem er festgestellt hat, dass sie das nicht können, soll er dann Aufgaben für sie erledigen, und im Übrigen auch nur so lange, wie sie es nicht können. In diesem Wechselspiel, aus dem sich auch ein Aushandlungsprozess ergibt, muss dann auch Freiwilligenarbeit gesehen werden. Ich warne also davor, dass das die Attitüde ist, mit der wir hier an die Arbeit gehen wollen, von dem Staat, dem allmächtigen, der alles macht und alles erledigt — das ist ein Staatsverständnis, das mir heute nicht mehr so richtig verkehrsfähig zu sein scheint —, mehr hin zu einem aktivierenden, einem gewährleistenden und einem ermöglichenden Staat. Das ist etwas ganz anderes. Ich rate also sehr dazu, den Gang in diese Richtung nicht mit einem ambivalenten Gefühl zu gehen, sondern sozusagen im aufrechten Gang und nach einem Staat und einer Stadt zu suchen, die in der Aktivierung und in der Ermöglichung, Ermunterung und im hilfreichen Beistand ihren wesentlichen Auftrag haben. — Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Als Erstes lasse ich über den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 15/260 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

(Einstimmig)

Jetzt lasse ich über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen mit der von der Kollegin Linnert vorgetragenen redaktionellen Änderung im vierten Absatz.

Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 15/374 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und CDU)

Stimmenthaltungen?

(Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Ursachen der Staatsverschuldung aufzeigen — für Innovation und Gerechtigkeit

Antrag (Entschließung) des Abgeordneten Tittmann (DVU) vom 24. März 2000 (Drucksache 15/261)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister Perschau, ihm beigeordnet Herr Staatsrat Dr. Dannemann.

Die Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die aus rotgrünen Genossen bestehende Bundesregierung behauptet, das Sparprogramm des Herrn Eichel sei gewissermaßen der Stein der Weisen, und es gäbe keine Alternative. Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, dass die heutigen Regierungsparteien in der sechzehnjährigen Oppositionszeit keine echte Alternative oder kein Konzept entwickelt haben! Geprahlt wurde zwar damit, Innovation und Gerechtigkeit werde man schon irgendwie durchsetzen, doch schnell wurde deutlich, dass das Gegenteil die Politik der Schröder-Regierung prägt. Nun klammern sich die Genossen an das Sparprogramm ihres Bundesfinanzministers Eichel mit einem erheblichen Sparvolumen von um die 30 Milliarden DM und feiern sich jetzt in der Rolle angeblicher Haushaltssanierer. Dafür aber sollen die Bürger bluten, und besonders im Sozialbereich wird rücksichtslos der Rotstift angesetzt.

Meine Damen und Herren, die wahren Ursachen der Staatsverschuldung aber werden verschleiert, denn zu den Tatsachen gehört, dass jährlich Hunderte von Milliarden DM eingespart werden könnten, wenn heilige Kühe der Politik des etablierten Parteienkartells geschlachtet würden. Geradezu irrsinnig ist es nämlich, dass dringend erforderliche Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Deutschland unterbleiben, die Bundesregierung aber nach wie vor Zahlmeister für fremde Interessen sein soll. Zwingend erforderlich ist vielmehr, dass eine drastische Kürzung überhöhter Ausgaben für das Ausland, auch für die Europäische Union, endlich durchgesetzt wird. Außerdem: Riesige Summen wären verfügbar, wenn der Steuergeldverschwendung politisch Herrschender auch in vielen anderen Bereichen energisch begegnet würde.

Berechtigterweise beklagt sich der Normalbürger, dass etablierte Politiker wie die Made im Speck leben. Es ist doch wirklich skandalös, dass etablierte Parteien bundesweit mindestens sechs Milliarden DM pro Legislaturperiode aus Steuermitteln kassieren. Dabei sind es ausgerechnet diese Parteien, die zu verantworten haben, dass beinahe 30 Milliarden DM im Jahr aus deutschen Mitteln ohne jede Gegenleistung an die EU fließen.

(Zurufe)

Hören Sie doch zu! Mit deutschen Geldern können dann zum Beispiel Länder wie Spanien Arbeitsplätze schaffen, während hierzulande Massenerwerbslosigkeit herrscht, meine Damen und Herren, und das haben Sie zu verantworten!

Meine Damen und Herren, mit ursächlich für die Staatsverschuldung ist auch, dass jährliche Schiebungen, Korruption, Prunk, Protz und Missbrauch durch die Obrigkeit bundesweit mehr als 70 Milliarden DM Steuergelder verschlingen, wie der Bund

der Steuerzahler dies auch festgestellt hat. Auf das Konto Regierender geht außerdem, dass so genannte Ausländerintegration den Steuerzahler, zurückhaltend geschätzt, jedes Jahr 40 Milliarden DM kostet. Diese Verschleuderung sauer verdienter Gelder der Steuerzahler findet ihre Ergänzung durch die jährliche Belastung Deutschlands durch Scheinasylanten und so genannte Kontingent- und Bürgerkriegsflüchtlinge, meine Damen und Herren. Hier schlugen Zahlungen in Höhe von etwa 50 Milliarden DM zu Buche. SPD-Sparkommissar Eichel bräuchte wahrlich wirklich nicht um ein Sparvolumen von 30 Milliarden DM zu ringen, denn die genannten Beträge insgesamt jährlich betragen 200 Milliarden DM, die verschleudert werden, was im Bundeshaushalt zu Buche schlägt, und die fehlen. Aber es berührt ihn ebenso wenig wie die Plünderung der Staatskasse durch immer neue Tributzahlungen wegen der vor über einem halben Jahrhundert untergegangenen NS-Zeit, und ich kann Ihnen namens der Deutschen Volksunion nur sagen und Sie warnen, denn die nach heutiger Kaufkraft bald mehr als 300 Milliarden DM Wiedergutmachungen, die Deutschland bisher geleistet und aufgebracht hat, der Verlust eines Viertels Deutschlands, der Raub unschätzbarer Patentwerte und Kunstschätze, die Demontage der deutschen Industrie nach dem Krieg und die vielen überhöhten deutschen Leistungen auf vielen Gebieten, die sich aus der Niederlage von 1945 ergeben haben, könnten erst der Anfang und die Ouvertüre für einen deutschen Tribut gewesen sein, der in der Weltgeschichte seinesgleichen sucht, meine Damen und Herren.