Auch unsere Ämter haben hier so ihre Erfahrungen machen müssen. Zustehende Leistungen werden häufiger und vor allem konsequenter eingefordert und notfalls eingeklagt. Über die Arbeit in den Gruppen entstehen Erfahrungen über die psychischen und sozialen Folgen von gesundheitlichen Problemen, die durch gegenseitige Hilfe abgemildert werden können. Viele Menschen lernen über den Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen ihre Krankheit besser zu verstehen und entwickeln mehr Eigenverantwortlichkeit für ihr gesundheitliches Wohlergehen. Dies hatte zur Folge, dass die Strukturen und Methoden unseres Gesundheitswesens in Frage gestellt und Alternativen gefunden wurden. Patientenrechte, die bisher nur auf dem Papier existierten, wurden endlich eingefordert und vielfach, wenigstens in Teilbereichen, umgesetzt.
Bislang war das Gesundheitswesen von der einseitigen Expertenschaft der Professionellen dominiert. Die Selbsthilfeinitiativen mussten lange um ihre Akzeptanz kämpfen, um als gleichberechtigte Partner akzeptiert zu werden. Besonders bei seltenen Erkrankungen haben die Mitglieder oft einen höheren Informationsstand als viele Mediziner. Das in den Selbsthilfeinitiativen entstandene Fachwissen ist, und das wird allgemein anerkannt, eine sinnvolle Ergänzung zum Fachwissen von Ärztinnen und Ärzten und anderen Professionellen. So hat die Entwicklung der Selbsthilfe im Gesundheitsbereich in den letzten Jahren ganz wesentlich zu einer Veränderung in unserem Gesundheitswesen beigetragen.
Dennoch ist bei allen Veränderungen, die die Gesundheitsinitiativen bisher bewirkt haben, um ehrlich zu bleiben, ihr Einfluss immer noch sehr gering. Worin liegen die Gründe, und wie sieht es in Bremen aus?
Die Arbeit der Selbsthilfegruppen kostet Geld. Somit steht die Frage nach der finanziellen Förderung an erster Stelle. Hier handelt es sich in der Regel um kleinere Beträge für einzelne Initiativen. 71 Gruppen werden in Bremen gefördert, im Jahr 1999 erhielten sie 596 000 DM. Die Pharmakonzerne sind zum Teil recht großzügige Unterstützer der für sie interessanten Selbsthilfegruppen. Die Unterstützung birgt allerdings die Gefahr der Abhängigkeit und ist nur vereinzelt und sehr kontrolliert anzunehmen. So bleiben den meisten Initiativen der Mitgliederbeitrag, die Spenden oder die Unterstützung der öffentlichen Hand.
Den Kommunen, so auch Bremen und Bremerhaven, obliegt die möglichst kleinräumige Förderung der Gesundheitsinitiativen, um das Engagement möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger in der Gesundheitsförderung zu unterstützen, denn je näher das Problem bearbeitet werden kann, desto größer ist das Interesse der Einzelnen, sich aktiv einzubringen. So sind die 71 geförderten Gruppen in Bremen über die gesamte Stadt verteilt. Gerade diese Vielfalt zeichnet die kommunale Selbsthilfeförderung aus. Zu der Förderung in Bremen gehört auch die Unterstützung einer Stelle, hier dem Verein „Netzwerk Selbsthilfe“, die quasi als Serviceeinrichtung für Rat suchende Selbsthilfegruppen fungiert und bei organisatorischen und finanziellen Fragen helfend zur Seite steht.
Nicht zu vernachlässigen ist hier die Beratung und Unterstützung von Rat suchenden Bürgerinnen und Bürgern, wie aber auch die Öffentlichkeitsarbeit ganz allgemein. Untersuchungen haben ergeben, dass 25 Prozent der Bundesbürger noch von keiner Selbsthilfegruppe gehört haben, 29 Prozent kennen gerade einmal eine oder zwei Gruppen. Für Betroffene ist es deswegen nicht immer leicht, die richtige
Gruppe zu finden. Neben dem „Netzwerk Selbsthilfe“ übernimmt das Gesundheitsamt in Bremen eine zentrale Aufgabe der Informationsvermittlung. Nicht überall selbstverständlich ist die in Bremen praktizierte Beteiligung beziehungsweise Mitwirkung der Betroffenen bei der Vergabe der Mittel. Diese Beteiligung hat sich bewährt und garantiert die Vielfalt der geförderten Gruppen.
Eine andere wichtige Finanzierungsquelle für Selbsthilfegruppen sind die Krankenkassen. Sie haben bisher auf freiwilliger Basis, mal mehr, mal weniger großzügig, die Selbsthilfe unterstützt, und dies nicht nur aus purer Wohltäterschaft. Die Krankenkassen sind ganz eindeutig diejenigen, die von der Arbeit der Selbsthilfegruppen am meisten profitieren. Deswegen ist es schlussendlich nur logisch und konsequent, wenn den Krankenkassen ein bestimmter finanzieller Beitrag zur Förderung der Selbsthilfe im Gesundheitsbereich abverlangt wird.
Dies wurde mit der Gesundheitsreform zum 1. Januar 2000 umgesetzt. Eine DM pro Mitglied im Jahr werden die Kassen insgesamt zu den Initiativen auf Bundes- und Landesebene sowie kommunaler Ebene zur Verfügung stellen. Nachdem die Spitzenverbände der Krankenkassen mit Vertretern der Selbsthilfe die Grundsätze zur Selbsthilfeförderung verabschiedet haben, kommt es nun darauf an, diese auch in Bremen umzusetzen. Ausdrücklich aufgenommen in den Förderungskatalog sind die Kontaktstellen, wie in Bremen das schon erwähnte „Netzwerk Selbsthilfe“. Ich möchte Sie bitten, Frau Senatorin, bei den Verhandlungen mit den Vertretern der Kassen zu erörtern, welche Möglichkeiten es gibt, die Inanspruchnahme dieser Fördermittel umzusetzen, um eine Kontaktstelle in Bremen-Nord wieder aufleben zu lassen. Auch wenn im letzten Jahr „nur“ 13 Gruppen aus Bremen-Nord die Förderung der Stadt in Anspruch genommen haben, so sind die Selbsthilfeaktivitäten doch wesentlich größer, als das aus dieser Zahl abgeleitet werden kann, denn für viele Menschen in Bremen-Nord mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder mit einem Handicap ist es nur unter sehr großer Mühe möglich, den Weg nach Bremen auf sich zu nehmen. Für die SPD-Fraktion hat die Förderung von Selbsthilfegruppen im Gesundheitswesen einen ganz besonderen Stellenwert. Uns ist wichtig, dass die Arbeit entsprechend ihrem gesellschaftlichen Stellenwert auch weiterhin im bestehenden Umfang unterstützt werden muss.
Wir wollen auch zukünftig sicherstellen, dass Ideen, Fachwissen und gesundheitspolitische Querdenker bei der Fortentwicklung unseres Gesundheitswesens Berücksichtigung finden. — Danke!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit Anfang der siebziger Jahre ist eine zunehmende Entwicklung von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen zu verzeichnen. Auch in Bremen hat sich ein fast flächendeckendes Selbsthilfeangebot gebildet. Das ist gut so!
Selbsthilfegruppen und -institutionen haben sich gegründet und gleichen Versorgungsdefizite aus. Das heißt, sie gleichen Defizite aus und verbessern somit die gesundheitliche Infrastruktur. Die Selbsthilfe hat nicht nur die Aufgabe, Bürgerinnen und Bürger zu beraten und Wege zur Verbesserung der persönlichen Lage aufzuzeigen, sondern sie ist auch ein gesundheitspolitischer Faktor auf dem Weg zu einem fortschrittlichen Gemeinwohl.
Leider war in der Antwort des Senats dieser Stellenwert nicht zu finden. Es ist jedoch wichtig, den hohen Stellenwert der Selbsthilfe nicht nur verbal anzuerkennen, sondern ihn auch finanziell abzusichern. Diese Absicherung, besonders von Projekten, ist in unserem Bundesland in wesentlichen Teilen durch die Ampelregierung erfolgt. Vorher wurde die Selbsthilfe größtenteils durch zeitlich befristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgestattet. Das bedeutete, dass die Gruppen und Institutionen nicht langfristig planen konnten und dass der personelle Wechsel immer wieder zu Stockungen durch neue Einarbeitungszeiten führte.
Die Selbsthilfe, meine Damen und Herren, ist ein wichtiger Teil der Allgemeingesundheit. Das wurde auch so in der Gesundheitsreform gesetzlich festgelegt, und zwar im Paragraphen 20, Selbsthilfeförderung. Daran waren wir, Bündnis 90/Die Grünen, sehr stark beteiligt.
Das wissen Sie ja wohl alle, und die Diskussion haben wir ja auch hier geführt. Die Selbsthilfeförderung ist da erst wieder zur gesetzlichen Pflichtaufgabe geworden.
Diese gesetzliche Aufgabe ist aber nicht nur momentane Absicherung und Stärkung der Selbsthilfe, nein, sie hat auch einen zukunftsorientierten Aspekt, denn die veränderte Lebensweise der Bevöl––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
kerung, etwa die Zunahme von Single-Haushalten und anderen alternativen Lebensführungen, verlangen in der Zukunft neue Unterstützungsangebote für ein eigenbestimmtes Leben. Die traditionellen Netze wie Familien- und Nachbarschaftshilfe schrumpfen, ob wir das gut finden oder nicht. Deshalb ist es eine gemeinschaftliche Aufgabe für heute und für morgen, das Selbsthilfenetz auszubauen und abzusichern. Ich denke, das steht, meine Damen und Herren von CDU und SPD, auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Trotzdem haben Sie aber eine fünfundzwanzigprozentige Kürzung im Zuwendungsbereich bis zum Jahr 2005 beschlossen. Das ist nicht zu verstehen!
Bündnis 90/Die Grünen hält diese Kürzung nicht für eine Akzeptanz und Stärkung der Selbsthilfe, sondern für eine unverantwortliche Schwächung dieses Bereichs.
Auch das stärkere Engagement der Krankenkassen bei der Förderung darf auf keinen Fall zu einem Rückzug der öffentlichen Hand sowie anderer Sozialleistungsträger führen, denn das ist nicht der Sinn dieses Teils des Gesetzes. Das widerspricht auch dem dritten Bremer Selbsthilfebericht, der den verschiedenen Deputationen vorgelegt worden ist. Darin steht erstens, und das unterstützen wir, dass gerade in Zeiten, in denen Fördermittel nur unter besonderen Bedingungen eingeworben werden können, Selbsthilfeförderung von den Sparvorhaben ausgenommen werden muss. Nein, sie muss sogar ausgeweitet werden, damit noch mehr Menschen der Anreiz geboten wird, ihre Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen. Das trifft voll auf unsere Zustimmung.
Zweitens wird in dem Selbsthilfebericht herausgestellt, dass besonders im Sinne von Bürgerorientierung die Förderung von Flexibilität der Selbsthilfe unbedingt erhalten bleiben muss. Auch das ist zu unterstützen. Drittens: Die regionale Orientierung ist besonders wichtig, denn nur durch sie können benachteiligte Stadtteile gestärkt werden. Viertens wird herausgestellt, dass Selbsthilfe und ehrenamtliches Engagement in Zukunft ein Baustein im Gesamtsystem sein muss. Es gibt noch einige andere Empfehlungen, die wir inhaltlich auch unterstützen. Bündnis 90/Die Grünen fordert Sie auf, folgen Sie diesen Empfehlungen des Bremer Selbsthilfeberichts, dann sind Sie auf einem guten Weg!
Selbsthilfe braucht keine Verbalakrobatik. Sie ist nicht der Zirkus der Illusionen und des Schönredens.
Wir sind hier ganz nah am Menschen und seinem Hilfebedarf und ganz hautnah an einer emanzipatorischen Stellung des Gesundheitssystems. Das heißt aber auch, dass die Betroffenen an der Erarbeitung der Grundsätze ihrer Selbsthilfe zu beteiligen sind. Das ist auf Bundesebene geschehen, doch in Bremen fehlt das noch. Gespräche fanden statt, doch ohne Beteiligung der Selbsthilfegruppen. Das Pferd wurde gesattelt und startet zum Rennen, doch der Reiter sitzt nicht im Sattel, sondern läuft hinterher.
Meine Damen und Herren, geben Sie den Selbsthilfegruppen und -verbänden ein deutliches Signal, indem Sie sie an den Entscheidungsprozessen beteiligen, und machen Sie die Grundsätze der Förderung transparent! Loben Sie nicht nur die Arbeit der Selbsthilfegruppen, sondern stärken Sie ihre Arbeit, indem Sie sie beteiligen! Das ist der richtige Weg, den wir gemeinsam gehen müssen.
In der Antwort auf die Große Anfrage zur Selbsthilfe im Gesundheitswesen verweisen Sie darauf, dass vorhandenes Know-how und bereits vorhandene Strukturen genutzt werden sollen. Doch was machen Sie konkret? Sie schließen die Beteiligten aus. Korrigieren Sie diesen Kurs! Beziehen Sie endlich die Selbsthilfegruppen in diese Gespräche ein! Dazu gehören auch die Erfahrungen und Erkenntnisse der Selbsthilfe, die in einem regelmäßigen Austausch auf Ressortebene Einfluss nehmen müssten. Nach vielen Gesprächen mit den Organisationen ist auch dieser Austausch nicht kontinuierlich und somit für die Zukunft dringend zu verbessern.
Lassen Sie mich als Bremerhavenerin noch einige Details zur Selbsthilfe in der Schwesterstadt Bremens sagen! Auch in Bremerhaven gibt es viele Menschen, die sich in der Selbsthilfe organisieren. Wenn wir uns jedoch vor Augen führen, dass die Dachorganisation der Bremerhavener Selbsthilfegruppen, der Bremerhavener Topf, jährlich nur knapp 100 000 DM zur Verfügung hat, so wird schnell klar, dass der Löwenanteil der Arbeit nur ehrenamtlich geleistet werden kann. Auch das ist Fakt, dass es schon große Schwierigkeiten bei der Beantragung von Fördermitteln gibt. Fehlende Hilfestellung bei den Formalitäten und fehlende personelle Infrastruktur erschweren die so wichtige Arbeit. Bremerhaven braucht auch eine Koordinierungsstelle, ähnlich wie das Netzwerk in Bremen!
Der Angestellte des Bremerhavener Topfes mit seinen wenigen Wochenarbeitsstunden kann das nicht leisten.
Ich denke, meine Damen und Herren, in der Stadt Bremerhaven muss hier noch einiges verbessert werden, um die Selbsthilfe in ihren wichtigen Funktionen zu stärken. In Bremerhaven arbeiten nicht 18, sondern 29 Gruppen im Bereich Gesundheit — nicht alle sind gefördert, aber 29 arbeiten in dem Bereich —, und es ist dringend erforderlich, dass auch sie in diesem Bereich in einer Koordinierungsstelle ihre Hilfe finden. Umso wichtiger ist es, wenn wir die sozialen Probleme der Schwesterstadt betrachten.
Hier in Bremen haben wir eine vielfältige Palette von Selbsthilfeangeboten mit hohem Stellenwert, das haben wir heute schon mehrmals gehört. Lassen Sie mich noch ein Beispiel hinzufügen, und zwar das Beispiel der Asbestosegruppe! Hier haben Menschen jahrzehntelang auf Werften mit gesundheitsschädlichen Materialien gearbeitet und sind erkrankt. Sie haben mutig und intensiv für die Anerkennung ihrer Erkrankung als Berufskrankheit gekämpft. Sie haben dafür gekämpft, dass sie eine Rente bekommen und dass ihre Familien nach ihrem Tod abgesichert werden. Sie haben mit Weitsicht ihren Kampf bundesweit geführt, damit andere Werftarbeiter diesen beschwerlichen Weg nicht allein gehen müssen. Auch das ist Selbsthilfe im Gesundheitsbereich.
In der Antwort wird die Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern und den Selbsthilfegruppen nur damit beschrieben, dass es eine Schlaganfallgruppe gibt. Das ist nicht ganz richtig! Im Krankenhaus St.-Jürgen-Straße ist eine Mitarbeiterin dafür zuständig, die Koordination mit den Selbsthilfegruppen zu organisieren. Sie wäre auch ganz gern gefragt worden bei der Beantwortung dieser Anfrage.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss noch einmal ganz deutlich betonen, wie wichtig die Selbsthilfe gesundheitspolitisch ist. Sie ist wichtig, weil sie alle Bereiche im menschlichen Leben betrifft. Selbsthilfe ist eine Querschnittsaufgabe und kann nicht nur begrenzt auf Teilbereiche der Gesundheit gesehen werden, denn, meine Damen und Herren, die Gesundheit eines Menschen ist immer unter verschiedenen Aspekten zu sehen, dazu gehören das Wohnen, das soziale Umfeld, der Arbeitsbereich, die Schule und so weiter.
Diese Vielfältigkeit macht die Vielfältigkeit der Selbsthilfe notwendig. Ich fordere Sie nochmals auf, folgen Sie tatkräftig den Empfehlungen des vorlie