Protokoll der Sitzung vom 05.07.2000

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Adolf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die gesundheitliche Selbsthilfe spielt natürlich eine bedeutsame Rolle auch im Bremer Gesundheitswesen, darauf haben meine Vorrednerinnen bereits hingewiesen. Wir haben in Bremen unzweifelhaft eine sehr gute medizinische Versorgung. Gleichwohl gilt es, unabhängig davon bei einer Krankheit eigene Kompetenzen im Umgang mit der Erkrankung zu erwerben und dann zu stärken und dies möglichst optimal im Rahmen von organisierten Selbsthilfegruppen zu gestalten, also im Kreise von ebenfalls Erkrankten beziehungsweise Betroffenen im Sinne eines regelmäßigen Austausches und der gegenseitigen Unterstützung. Natürlich führt ein solcher Austausch zu einem besseren Verständnis für die eigene Erkrankung. Im Interesse aller Betroffenen werden vorhandene Erkenntnisse, zum Beispiel über optimale Behandlungsmethoden, von den Beteiligten zusammengetragen und im Sinne einer gegenseitigen Unterstützung für den einzelnen Betroffenen dann auch nutzbar gemacht.

Daneben gibt es bei der Selbsthilfe natürlich auch bedeutende gesundheitspolitische Faktoren. So führt der solidarische Zusammenschluss von Erkrankten in einer Selbsthilfegruppe zu einer Bündelung von Interessen und Forderungen. Das mag manchmal unbequem sein, es führt aber, glaube ich, gerade in einer Stadt, in der wir über Bürgerkommune und ähnliche Themen diskutieren, auch zu einer stärkeren Beteiligung der Menschen im Sinne dessen, was wir uns alle für die Zukunft vorstellen. Deswegen kann ich nur ermuntern, sich auch weiter und verstärkt zu solchen Gruppen zusammenzuschließen und auch Interessen und Forderungen zu formulieren. Damit gibt es dann, wenn das alles gebündelt und formuliert ist, natürlich zwangsläufig auch, wenn möglich, Veränderungen der Versorgung im Dialog mit den Verantwortlichen im Gesundheitsbereich.

Die gesundheitliche Selbsthilfe ist in Bremen und Bremerhaven seit Jahren, und das macht auch die Antwort auf die Große Anfrage deutlich, sehr lebendig und von einem überaus hohen Engagement aller Beteiligten geprägt. Der Senat unterstützt diese Aktivitäten nach Kräften im Rahmen der gesetzlichen und finanziellen Möglichkeiten, wobei diese aus Sicht der Selbsthilfegruppen und auch aus Sicht der Fraktionen zeitweise natürlich nicht ausreichend ausgestaltet sind. Wir haben uns vorgenommen, diesen Bereich der Selbsthilfe im Haushalt nicht zu kürzen, nicht den üblichen Kürzungsquoten zu unterlegen, damit wir gerade die Selbsthilfe, weil sie uns

wichtig ist, auch in dem Maße wie bisher fördern können.

(Beifall bei der SPD — Zuruf der Abg. Frau D r e y e r [CDU])

Ich denke, das ist dem Haushalt zu entnehmen und wird sich auch in dem darstellen, was wir mit den Selbsthilfegruppen demnächst vereinbaren, alle Selbsthilfegruppen wissen das auch. Dass die Mittel trotzdem immer auch noch reichlicher vorhanden sein könnten, ist dabei auch unbestritten.

Rechtliche Grundlagen für die Förderung von Selbsthilfe sind natürlich die Landeshaushaltsordnung, das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst, die allgemeinen Bestimmungen zur Förderung von Selbsthilfe in der Stadtgemeinde Bremen und entsprechende Richtlinien in der Stadtgemeinde Bremerhaven. Darüber hinaus unterstützt der Senat die regelmäßige Ausrichtung des Selbsthilfetages im Rathaus, eine sehr wichtige Angelegenheit, sowie in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung die Fortschreibung eines Selbsthilfewegweisers sowie die Erstellung eines Selbsthilfeberichts. Ein solcher Wegweiser ist sicher unverzichtbar, um den Betroffenen auch den Weg zu weisen, welche Gruppen es eigentlich gibt und welche Gruppe möglicherweise für sie die richtige und die wichtige in einer bestimmten Lebenssituation sein kann.

In der Stadtgemeinde Bremen ist die genaue Anzahl der Selbsthilfegruppen im Bereich Gesundheit nicht bekannt. Nicht alle Gruppen beantragen nämlich Fördermittel und werden deshalb nicht erfasst. Es werden nur die erfasst, die bei uns Fördermittel beantragen und bekommen. Für uns ist hierbei die Erfahrung wichtig, dass im Selbsthilfebereich vielfach die Grenzen zwischen Gesundheitsförderung bei gesunden Menschen und Gesundheitshilfe bei bereits Erkrankten verschwimmen. Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Selbsthilfeorganisationen. So existieren zahlreiche Selbsthilfegruppen von Erkrankten beziehungsweise Betroffenen mit gleicher medizinischer Beeinträchtigung. Darüber hinaus gibt es einen geringeren Anteil an Gruppen, in denen sich Gesunde für die Verhinderung von Erkrankung engagieren oder in denen sich Angehörige von Erkrankten organisieren.

Schätzungen zufolge geht man in der Stadtgemeinde Bremen derzeit von etwa 600 Selbsthilfegruppen aus. Das ist eine gewaltige Zahl, wenn man berücksichtigt, dass davon dann zirka zehn Prozent Förderung erhalten und 90 Prozent ohne Förderung, das heißt, ehrenamtlich arbeiten, manchmal auch in ganz kleinen Gruppierungen, aber immer sehr themenorientiert und sehr am Menschen orientiert. In ihrem Bestand sehr gut bestimmen können wir die 66 — das ist jetzt wieder eine andere Zahl, die sich aber aus der Großen Anfrage auch ergibt, ob 67 oder 71, ist wahrscheinlich auch nicht so erheblich — im

Jahr 1999 geförderten Selbsthilfegruppen im Bereich Gesundheit, Krankheit und Behinderung, die sich eigenständig der Bewältigung ihrer Krankheit durch Selbsthilfeaktivitäten verschrieben haben und die bei uns durch das Gesundheitsamt oder durch das Ressort direkt gefördert werden.

In der Stadtgemeinde Bremerhaven gibt es derzeit 18 Selbsthilfegruppen, die aus Mitteln des Bereichs Gesundheit gefördert werden. Frau Hoch hat eben eine Zahl genannt, wie viele es dann noch daneben gibt. Genaue Angaben habe ich darüber nicht, Schätzungen sagen mir, dass auch diese Zahl möglicherweise noch etwas höher liegt als die 29, die Sie eben genannt haben.

Neben den Aktivitäten einzelner Selbsthilfegruppen kommt auch den Selbsthilfeunterstützerstellen eine sehr hohe Bedeutung zu. Das ist in Bremerhaven der Bremerhavener Topf, Sikus, eine Stelle, die ich seit Jahren sehr gut kenne, die dort sehr wichtige Arbeit in der Vernetzung leistet, die natürlich auch, wie immer, besser ausgestattet sein könnte, die aber trotzdem in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen ist.

In Bremen gibt es das Netzwerk Selbsthilfe e. V. und nicht zuletzt das Gesundheitsamt. Hier können sich Selbsthilfegruppen im Rahmen eines strukturierten Angebots beraten lassen, zusammenschließen und somit auch dann ein Selbsthilfeforum nutzen und ausbauen. Das wird sicherlich auch für die Zukunft, wenn es dann hoffentlich auch noch mehr Engagement und noch mehr Gruppierungen gibt, immer wichtiger, damit eine Vernetzung auch wirklich gelingen kann.

(Beifall bei der SPD)

Nun wird in diesem Jahr noch gemeinsam mit den Krankenkassen ein neues Kapitel in der Förderung der Selbsthilfe aufgeschlagen. Die Gesundheitsreform 2000 ermöglicht endlich eine verstärkte und verbindliche Einbindung der Krankenkassen. Der Gesetzgeber verpflichtet die Krankenkassen noch in diesem Jahr zu Leistungen zum Beispiel für die primäre Prävention von Erkrankungen und für den Arbeitsschutz in Höhe von jährlich fünf DM für jeden Versicherten sowie zur Unterstützung der Selbsthilfe zu jeweils einer DM pro Versichertem. Auf Bundesebene, das ist bereits angesprochen worden, wurden im Selbsthilfebereich im März 2000 gemeinsam mit den Selbsthilfegruppen einheitliche Grundsätze verabschiedet, wie damit umgegangen werden soll.

Nun gilt es, diese Förderung der Selbsthilfe als gemeinschaftliche Aufgabe in gemeinsamer Verantwortung der Krankenkassen und der öffentlichen Hand auch auf Landesebene und auf kommunaler Ebene zu gestalten. Es ist richtig, erste Beratungen mit den Krankenkassen, erste Gespräche haben

stattgefunden, um ein Verfahren zu organisieren. Die Krankenkassen werden jetzt Vorschläge unterbreiten für eine Umsetzung, und wir werden dann in weitere Gespräche eintreten, wobei wir, und da ist die Große Anfrage sehr richtig beantwortet, natürlich vorhandenes Know-how und Erfahrungen nutzen wollen. Selbsthilfe ist, das habe ich schon gesagt, ein wichtiger Baustein in der Bürgerkommune.

Selbsthilfe setzt dann aber auch als solcher Baustein Beteiligung und entsprechende Beteilungsstrukturen voraus, und in diesem Sinne kann ich mich dem hier ausgesprochenen Dank an alle, die sich ehrenamtlich in dieser Stadt, in der Schwesterstadt und im Land engagieren im Bereich der Selbsthilfe, in vollem Umfang anschließen, und ich hoffe, dass sich viele auch motiviert fühlen, sich vielleicht zukünftig auch einzubringen. — Danke schön!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 15/370, auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der SPD Kenntnis.

Meine Damen und Herren, es besteht unter den Fraktionen und mit dem Abgeordneten Tittmann Einvernehmen darüber, dass wir jetzt noch den Tagesordnungspunkt 27 aufrufen.

Schutz der deutschen Sprache

Antrag des Abgeordneten Tittmann (DVU) vom 19. Juni 2000 (Drucksache 15/385)

Meine Damen und Herren, die Beratung ist eröffnet.

Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kein größerer Schaden kann einer Nation zugefügt werden, als wenn man ihr den Nationalcharakter, die Eigenheit ihres Geistes und ihrer Sprache, nimmt oder raubt. Diese Erkenntnis Immanuel Kants in das Bewusstsein zu rufen, ist gerade heute notwendiger denn je.

Meine Damen und Herren, unsere Muttersprache ist durch eine Überflutung mit englischen Begriffen völlig verhunzt worden. Jüngst schrieb ein tonangebendes Bremer Blatt: „Wo ist unsere schöne Muttersprache geblieben?“

(Lachen bei der SPD)

Ich weiß nicht, was es darüber zu lachen gibt! Na ja, ich meine, Sie wollen ja auch hier eine türkische Diskussion und türkische Parlamentsreden haben. Dann kann ich mir schon vorstellen, dass Sie darüber lachen!

Herr Präsident, ich darf zitieren: „Ein Bummel durch die Bremer Innenstadt, und man versteht nur noch Bahnhof! Geschäfte haben open, verkaufen einen Cup Kaffee oder haben irgendwelche News zur neuen Underwear, die ganz Touch-Feeling ist.“ Tatsächlich erblickt man auf Schritt und Tritt ein schreckliches Kauderwelsch, das die deutsche Sprache überschwemmt: Meeting statt Sitzung, Provider statt Anbieter und so weiter.

Noch vor 100 Jahren machte Deutsch Englisch und Französisch den Rang streitig. Wer in der Welt etwas zu sagen hatte, veröffentlichte es auf Deutsch. Heute sind sich nicht einmal diejenigen zu schade, ihre Vorträge auf Englisch vorzutragen, deren Beruf Erforschung und Lehre der deutschen Sprache und Literatur ist. Gleiches gilt für den Kulturbereich. Deshalb sollte hier bei Bildung, Wissenschaft und Kultur durch die zuständigen Senatoren endlich gegengesteuert werden.

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Keine Opern mehr auf Italie- nisch!)

Hören Sie doch zu! Ich habe hier das Wort und nicht Sie, also halten Sie sich daran! Wenn Sie etwas zu sagen haben, kommen Sie nach vorn!

Während in Frankreich und in Polen ein Gesetz zum Schutz der eigenen Sprache auf den Weg gebracht wurde, üben sich hierzulande politisch Verantwortliche in unerträglicher Sprachpanscherei. Sie sollten sich einmal durch den Kopf gehen lassen, was ein namhafter Sprachkritiker wie Professor Walter Krämer vom Verein Deutsche Sprache zu bedenken gibt!

Was Internationalität beweisen soll, werde von Ausländern oft als Anbiederung empfunden, und der übermäßige Gebrauch von englischen Begriffen sei nur Imponiergefasel, mit dem niemand Weltläufigkeit signalisieren könne. Auch nach Einschätzung des Direktors des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim stoßen aus dem Englischen in das Deutsche übernommene Wörter immer mehr auf Unverständnis unter unseren Bürgerinnen und Bevölkerung. Nicht nur ältere Menschen fühlen sich durch die Flut so genannter Anglizismen auf den Arm genommen. Dabei dürfen Sie nicht vergessen, dass nur rund die Hälfte der Deutschen in den alten Bundesländern und nur ein Viertel in den neuen Bundesländern über Englischkenntnisse verfügt.

Meine Damen und Herren, die deutsche Sprache gehört zu den europäischen Sprachen mit den ältesten schriftlichen Zeugnissen. Sie ist über 1200 Jah

re alt. Sie ist mehr als nur ein Mittel zur Verständigung, sie ist eines der höchsten Kulturgüter, Ausdruck des Empfindens und der Seele der Deutschen, und das soll auch so weiterhin bleiben, meine Damen und Herren. Der Wahrung und dem Schutz der deutschen Sprache als Ausdruck nationaler Identität kommen deshalb eine herausragende Aufgabe zu. In diesem Sinne bitte ich Sie, dem DVU-Antrag zuzustimmen und damit ein Zeichen gegen die bewusste Verhunzung unserer Muttersprache zu setzen! — Ich bedanke mich!

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Teiser.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Mützelburg, ich hätte mich gefreut, wenn Sie der Aufforderung von Herrn Tittmann, doch nach vorn zu kommen, gefolgt wären, dann hätte ich mir das ersparen können, aber es ist, wie es ist, es ist abgesprochen, also werde ich dazu auch etwas sagen, wenn auch nicht viel.

Herr Tittmann, ich habe mir die Mühe erspart herauszusuchen, wie oft ähnliche Anträge schon gestellt worden sind, auch in diesem Haus,

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Schutz des Deutschen Schäfer- hundes fehlt noch!)

und ich glaube, es geht Ihnen auch nicht darum, mit Ihren Kollegen hier in diesem Parlament in eine Auseinandersetzung einzutreten über das Für und Wider irgendwelcher Argumente, sondern Sie stellen hier Ihre Anträge, das verstehe ich vielleicht auch, weil Sie sie stellen müssen, Sie müssen einen Nachweis erbringen, was Sie hier gemacht haben, das wird in München abgehakt, und dann wird da festgestellt, dass Sie wieder Ihre drei Anträge gestellt haben.

Herr Tittmann, die Frage ist nicht, in welcher Sprache man sich ausdrückt, sondern die Frage ist immer, wie man Sprache benutzt.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

So wie Sie die deutsche Sprache benutzen — ich habe mir das hier vorhin so mitgeschrieben, eigentlich soll man es nicht so machen —, aber wenn Sie von Kulturgütern und Muttersprache reden und sich dann gleichzeitig darauf berufen, dass die deutsche Sprache 1200 Jahre alt ist, dann werden viele der Sprachgelehrten der vergangenen Jahrhunderte wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn Sie Ihre Aussprache hören, aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Der Punkt ist nicht, ob man englische Begriffe, französische Begriffe, internationale Begriffe benutzt, sondern wie man Sprache benutzt, und so wie Sie die Sprache benutzen, da muss ich Ihnen sagen, das ist sehr viel schlimmer, als wenn irgendwo ein englischer Begriff auftaucht, irgendjemand sich in ausländischer Sprache unterhält. Das, was Sie mit der deutschen Sprache machen, wie Sie sie benutzen, das ist das, was Angst bei Leuten hervorruft und was auch Gefahr hervorruft, nicht der Begriff, der irgendwo an einem Kaufhaus steht und den Sie vielleicht nicht verstanden haben.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Einzige, wozu mich Ihr Antrag wirklich veranlasst hat, ist, ich habe erst überlegt, führst du jetzt mit ihm eine Debatte über Globalisierung, Internationalisierung, Großmärkte, nein, habe ich mir gedacht, das tust du nicht, das versteht er nicht, sondern ich habe mir wenigstens einmal die Mühe gemacht herauszusuchen, was eigentlich Verhunzen und Panschen bedeutet. Ich weiß nicht, ob Sie die Rede selbst geschrieben haben. Verhunzen heißt im Prinzip verderben, verunstalten, ich weiß nicht, ob solche Begriffe irgendetwas verderben oder verunstalten, und Panschen heißt mischend verfälschen oder mit Händen und Füßen im Wasser patschen. Das hätten Sie machen sollen, statt diesen Antrag zu stellen!