Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Pflichten des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft (Landtag)

Antrag (Entschließung) des Abgeordneten Tittmann (DVU) vom 14. August 2000 (Drucksache 15/417)

Die Beratung ist eröffnet.

Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unter Paragraph 12 der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft heißt es unter anderem zu den Aufgaben des Präsidenten: „Ihm liegt die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung sowohl in der Versammlung selbst als auch unter den Zuhörern ob.“ Weiter: „An der Aussprache in den Versammlungen der Bürgerschaft nimmt der Präsident, solange er den Vorsitz führt, außer durch Erläuterung von Tatsachen, nicht teil. Will er sich als Redner beteiligen, so hat er bis zur Erledigung des Verhandlungsgegenstandes den Vorsitz an einen Vizepräsidenten abzugeben.“

Das ist erst einmal Fakt. Aber leider musste ich wiederholt feststellen, dass sowohl der Präsident, Herr Weber, als auch sein Stellvertreter, Herr Dr. Kuhn, die im Paragraphen 12 bestimmten Aufgaben

und Pflichten mir gegenüber missachteten, wenn ich als demokratischer Abgeordneter der Deutschen Volksunion von meinem Rederecht, speziell von meinem Recht und Rederecht, Gebrauch mache hier in diesem Haus. Herr Weber, ich will das ja glauben, dass Sie hier keinen leichten Stand haben, zumal ich annehme, dass Ihre SPD-Genossen Sie bezüglich dessen, wie man mich hier zu behandeln hat, ziemlich unter Druck setzen.

(Widerspruch bei der SPD)

Diese Tatsache beweist mir auch ganz klar die Aussage des SPD-Fraktionsvorsitzenden Böhrnsen. Herr Böhrnsen hat in der Sitzung des Landtags am 27. Januar 2000 deutlich zum Ausdruck gebracht, aus meiner Sicht geradezu verfassungsverräterisch zum Ausdruck gebracht, dass der Verstoß gegen demokratische Grundprinzipien zwecks Ausgrenzung eines DVU-Parlamentariers in diesem Hause offenbar Leitlinie sein soll. Er erklärte nämlich, dass der so genannte Abgeordnete Tittmann in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen habe.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Nun frage ich Sie: Will Herr Böhrnsen etwa die Verfassung außer Kraft setzen? Jedenfalls kann doch von Ihnen nicht bestritten werden, dass ich als DVUAbgeordneter demokratisch gewählt worden bin. Sie können mir getrost glauben, dass ich mir von Antidemokraten meine grundsätzlich verbürgten Rechte in diesem Haus nicht nehmen lassen werde, ob es Herrn Böhrnsen und Genossen nun passt oder nicht!

Meine Damen und Herren, im Artikel 21 Grundgesetz heißt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Darin steht aber nicht, dass man demokratisch gewählte Abgeordnete der Deutschen Volksunion, die die politische Willensbildung des Volkes mitgestalten sollen, undemokratisch bekämpfen darf. Es ist schon sehr undemokratisch, wenn man fast alle DVU-Anträge so schäbig hinschiebt, dass DVU-Anträge fast immer erst am Ende der Tagesordnung behandelt werden, natürlich mit dem Ziel und der Gewissheit — —.

(Zuruf von der SPD: Es ist doch 16.30 Uhr!)

Ja, jetzt können Sie auch nicht anders, aber sonst! Man kann im Protokoll nachlesen, wann meine Anträge behandelt werden. Gestern, ein typisches Beispiel! Es ist bekannt, dass zirka um 18 Uhr die Presse, der Hörfunk, das Fernsehen und die Zuschauer wahrscheinlich nicht mehr im Plenum anwesend sein werden und damit die Öffentlichkeit nicht mehr die Möglichkeit hat, die DVU-Anträge und meine Redebeiträge zu verfolgen. Heute ist das eine Ausnahme. Aber das sage ich Ihnen gleich, totschweigen können Sie mich nicht!

Meine Damen und Herren, was mit undemokratischen Mätzchen beginnt, kann schnell in Diktatur enden. Deshalb: Freiheit muss immer die Freiheit des Andersdenkenden sein!

(Zurufe von der SPD und von der CDU)

Deshalb mein Antrag, und ich sage Ihnen: Wehret den Anfängen, denn den Anfängen muss begegnet werden! Da sind wir uns doch alle einig, oder nicht?

Frau Jansen, ich kann damit sehr gut leben, dass ich für Sie und das Parlament, wie Sie es am 7. Juli 1999 hier in diesem Parlament zum Ausdruck brachten, eine einzige Zumutung bin. Damit kann ich gut leben. Sie, Frau Hövelmann, eigentlich wie immer, mögen wie am 16. Dezember 1999 hier undiszipliniert herumschreien, er sei ein Demagoge. Das stört mich überhaupt nicht. Gleiches gilt auch für Frau Stahmann vom Bündnis 90/Die Grünen, die sich mit dem Zwischenruf „Demagogisch sind Sie!“ hier nur wichtig machen wollte.

Wie aber würde der Präsident wohl reagieren, wenn ich Frau Wiedemeyer von der SPD am 22. März 2000 bei einem Redebeitrag entgegen geschleudert hätte: „Die einzige Schande sind Sie, die es hier gibt!“? Dann hätte bestimmt einer der Herren Präsidenten mit Sicherheit die Glocke geläutet und wäre eingeschritten.

Aber für solche unparlamentarischen Verfehlungen und Entgleisungen mir gegenüber gab es natürlich nicht einen einzigen Ordnungsruf! Herr Dr. Kuhn glaubte mich am 27. Januar 2000 während der Plenarsitzung in seiner Eigenschaft als Präsident so belehren zu müssen: „Herr Tittmann, hören Sie einmal zu, der Präsident hat Ihnen jetzt eben zu sagen, dass Argumente zur Person im Parlament nicht üblich und nicht gestattet sind.“ Das hätten Sie heute Morgen auch Senator Schulte sagen müssen, als er nach vorn gegangen ist und sich diesbezüglich mir gegenüber geäußert hat. Da möchte ich Herrn Dr. Kuhn doch einmal fragen: Warum werden hier Angriffe gegen meine Person laufend geduldet? Das kann es ja wohl in einer Demokratie nicht sein!

In derselben Sitzung steuerte Herr Präsident Weber mit der Belehrung bei, meine Wortwahl verletze die Würde betroffener Personen. Derartiges musste sich dagegen zum Beispiel der SPD-Abgeordnete Günthner auf seinen hasserfüllten Ausruf „Sie sind ein Volksverhetzer!“ nicht vorhalten lassen. Es erfolgt auch nie ein Ordnungsruf vom Präsidenten, wenn es gegen einen DVU-Abgeordneten geht. Hier scheint jede, aber auch jede Beleidigung und Diffamierung geradezu erwünscht.

Ich könnte, wenn ich wollte, mit gleicher Münze heimzahlen, das mache ich nicht. Ich unterlasse das aus Gründen des Anstandes und meiner Erziehung, und deshalb werde ich mich verbal auch nicht auf jene Ebene von Frau Berk von der SPD herablas

sen, die da einem Augiasstall entsprechend sagte: „Hier stinkt es, wenn Sie hier vorn gestanden haben“. Frau Berk, auf Ihre Äußerung vom 27. Januar 2000 kann ich nur entgegnen, dass Ihre Ausstrahlung nicht mein Problem ist. Offenbar hat aber der Herr Präsident ein Problem. Indem er Sie zur Ordnung gerufen hätte, hätte er gemäß seines Amtes einen Beitrag geleistet, dass Hygiene den verbalen Schlagabtausch bestimmt und die demokratische Streitkultur nicht durch Verwahrlosung in der Gosse landet, meine Damen und Herren. Herr Präsident Weber, ich frage Sie in Ihrer Eigenschaft als Präsident der Bremischen Bürgerschaft: Unterscheiden Sie hier zwischen Abgeordneten erster und zweiter Klasse? Sie fühlen sich nämlich immer wieder vom Präsidentenstuhl aus veranlasst, Partei gegen mich als DVU-Abgeordneten zu ergreifen, nur, weil meine Stellungnahmen zu den politischen Fragen der Zeit den etablierten Altparteien nicht passen. Sie und Ihr Stellvertreter Herr Dr. Kuhn stellen sich taub und lassen jedes Eingreifen vermissen, wenn mir als demokratisch gewähltem Abgeordneten der Deutschen Volksunion Beschimpfungen, Beleidigungen der übelsten Art von den so genannten demokratischen Parteien entgegengeschleudert werden. Ist das Ihre Vorstellung von Ordnung in diesem Hause, zu deren Aufrechterhaltung Sie nach der Geschäftsordnung verpflichtet sind? Mit Ihrer Aussage nach meiner Rede zum Schutz der deutschen Sprache haben Sie eindeutig Paragraph 12 der Geschäftsordnung verletzt. Sie können aber sicher sein, dass undemokratische Machenschaften mir gegenüber auch außerhalb des Hauses sehr genau registriert werden. Ich erinnere noch einmal an den Paragraphen 12 der Geschäftsordnung, ich weiß nicht, ob Sie den kennen, wonach der Präsident, wenn er den Vorsitz führt, kein Recht hat, sich als Redner zu beteiligen. Er kann als Abgeordneter das Wort ergreifen, seine Amtsführung aber hat überparteilich und neutral zu sein. Mit dem vorliegenden Antrag appelliere ich an Sie alle, unheilvollen Anfängen zu wehren, denn Willkür und Demokratie sind nicht vereinbar! — Ich bedanke mich!

Das Wort hat der Abgeordnete Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will in der gebotenen Kürze, aber sehr nachdrücklich die unsachlichen und falschen Angriffe gegen den Präsidenten der Bürgerschaft und gegen den Vorstand der Bürgerschaft zurückweisen.

Ich denke, ich kann in Übereinstimmung mit allen demokratischen Abgeordneten dieses Hauses sagen, es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass der jeweilige Präsident die Sitzungsleitung in Übereinstimmung mit Verfassung, Gesetz und der Geschäftsordnung dieses Hauses ausübt.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber genauso klar ist, gegenüber rechtsradikaler Propaganda und rassistischer Hetze kann und darf niemand unparteiisch oder nachsichtig sein, auch und erst recht nicht der Präsident der Bremischen Bürgerschaft.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir alle sind entschlossen, nicht wegzusehen, wenn Ausländer angepöbelt oder beleidigt werden, und wir sind auch entschlossen, nicht darüber hinwegzuhören, wenn hier rechtsradikales Zeug geredet wird, sondern wir wollen dazu Stellung nehmen. Nichts anderes hat der Präsident der Bürgerschaft in der Sitzung im Juli getan, er hat eine rechtsradikale Propagandarede als das bezeichnet, was sie war, nämlich als Hetzkampagne gegen ausländische Mitbürger. Ich bin dem Präsidenten ausdrücklich dankbar, dass er diese klaren Worte gefunden hat.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, ich bin sicher, er hat auch zukünftig die Unterstützung des ganzen Hauses, wenn er gegen unerträgliche und unanständige Beiträge aus der rechtsextremistischen Ecke konsequent einschreitet.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort hat der Abgeordnete Tittmann.

Herr Böhrnsen, Sie sind ja nicht einmal in der Lage, meine Fragen, die ich stellen wollte, zu beantworten. Sie setzen sich lieber hin, machen hier Ihre Spielchen, halten eine Wischiwaschirede, das war es dann, und dann ist es gut. Aber das ist nicht so.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Sie haben eben wieder ein Paradebeispiel abgegeben, was Sie unter Demokratie und Gleichberechtigung verstehen. Ihr Motto lautet: Diffamieren ist leichter als argumentieren. Sie glauben, Sie können mit Attacken gegen mich Ihre Macht hier im Parlament missbrauchen und als Einpeitscher Ihrer Fraktion hier

Ihr Süppchen kochen. Ich bin aber ganz sicher, dass die nächste Bürgerschaftswahl Ihnen Ihr Süppchen versalzen wird.

Ich garantiere Ihnen, dass ich mir das Recht auch in Zukunft nicht nehmen lasse, die Stimme des Volkes hier lauthals zu vertreten. Ich weiß, es passt Ihnen nicht, aber Sie werden mich nicht daran hindern, die Missstände, für die Sie verantwortlich sind und die Sie gern unter den Teppich kehren würden, an die Öffentlichkeit zu bringen.

Meine Damen und Herren, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die politischen Altparteien die demokratischen deutschen Rechten so behandelt wissen wollen, wie es das Schicksal Verfolgter in Deutschlands schlimmster Zeit, nämlich 1933 bis 1945, als Ergebnis einer verbrecherischen Diktatur war.

(Unruhe bei der SPD)

Jedenfalls bringen Sie mit Ihrer Ablehnung meines Antrages einmal mehr deutlich zum Ausdruck, welche Verlogenheit und Unehrlichkeit dahinter steckt, wenn Sie hier von Toleranz und Rechtsstaatlichkeit sprechen. Ich kann hierzu nur sagen, besser allein in Ehren als mit vielen in Schande! — Ich bedanke mich!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag des Abgeordneten Tittmann, Drucksache 15/417, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU und Bündnis 90/ Die Grünen)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

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