Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Neubürgeragentur, die wir hier heute vorschlagen, soll natürlich keine aggressive Veranstaltung sein, sondern eine freundliche Einladung
verbunden mit einem vielfältigen Service, hier nach Bremen und Bremerhaven zu kommen. Das ist unser Ziel. Solch eine Einladung ist nötig, davon war auch gestern hier im Parlament die Rede, als wir über den Sanierungsbericht gesprochen haben, denn wir wissen, dass für den Fortgang der Sanierung die Stabilisierung und möglichst der Ausbau unserer Einwohnerzahlen in Bremen und Bremerhaven von allergrößter Bedeutung sind. Die Einwohnerzahlen sind ein wichtiger Faktor innerhalb der bundesstaatlichen Finanzverteilung, und das wird ja auch weiterhin so sein. Deshalb lautet die einfache Formel: Je mehr Einwohner in Bremen und Bremerhaven, desto besser für unsere Sanierung!
Der Senator für Finanzen hat in seinem jüngst vorgelegten Controllingbericht zur aktuellen Haushaltsentwicklung auf Modellrechnungen verwiesen, die belegen, dass bei bundesdurchschnittlicher Einwohnerentwicklung im Lande Bremen die Sanierung des bremischen Haushalts in den letzten zwei Jahr
Zwar lassen sich aus den Zahlen über unsere Einwohnerentwicklung auch positive Dinge herleiten, nämlich dass wir die Wanderungsverluste haben reduzieren können. Es ist aber weiterhin festzuhalten, dass unsere Bevölkerungsentwicklung insbesondere in Bremerhaven problematisch ist. Daraus folgt für die Politik: Wir müssen unsere Politik darauf ausrichten, erstens die Bürgerinnen und Bürger in Bremen und Bremerhaven so an ihre Städte zu binden, dass eben niemand auf den Gedanken kommt, unsere Städte zu verlassen.
Zweitens: Wir müssen neue Einwohner gewinnen. Wir müssen noch mehr Menschen davon überzeugen, dass Bremen und Bremerhaven gute Plätze sind, dass es eine richtige Entscheidung ist, sich hier niederzulassen. Beide Ziele, Einwohner halten und neue Einwohner gewinnen, verlangen allerdings zuerst, bevor man über Standortmarketing und über eine Neubürgeragentur redet, eine Politik, die alles daransetzt, dass Bremen und Bremerhaven auch attraktive Städte mit hoher Lebensqualität sind.
Worüber wir reden, ist keine reine Marketingangelegenheit, sondern hat auch etwas mit den Inhalten unserer Politik zu tun. Eine Werbekampagne allein wird es nicht bringen. Entscheidend ist, wie es sich in Bremen und Bremerhaven tatsächlich leben lässt. Da fragen wir: Findet man hier Arbeitsplätze, lässt es sich hier gut wohnen, gibt es ordentliche Schulen, Sozialeinrichtungen, gibt es ein reichhaltiges Angebot an Kultur, Freizeit und Sport? Das alles zusammen macht die Qualität von Städten aus und macht sie attraktiv.
(Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/ Die Grünen]: Gute Fragen, Herr Böhrnsen! Und die Antworten?)
Frau Dr. Trüpel, ich füge sofort hinzu: In diese Qualität zu investieren, unsere Städte damit attraktiv und lebenswert zu machen, ist ein wichtiges Element von Sanierungspolitik. Es ist auch ein wichtiges Element, um neue Bürger zu gewinnen.
Ich habe das gesagt, um Missverständnissen vorzubeugen. Auf der Grundlage einer solchen Politik wollen wir um Einwohner werben. Wir wollen, dass sich Bremen und Bremerhaven viel stärker, als das in der Vergangenheit der Fall war, um neue Einwohner bemühen. Wir wollen neue Wege nutzen, um
die Attraktivität unserer beiden Städte, die es ja ohne Zweifel im hohen Maße gibt, auch besser herauszustellen. Wir wollen auf potentielle Neubürger zugehen. Wir wollen sie nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern ihnen auch tatkräftig und ganz konkret dabei helfen, ihren Wohnsitz in Bremen und Bremerhaven zu nehmen. Kurzum: So, wie wir uns bislang um die Ansiedlung von Unternehmen bemüht und gekümmert haben, wollen wir uns in der Zukunft noch viel mehr um neue Einwohner bemühen.
Herr Eckhoff hat es gesagt, ich unterstreiche: Es geht uns mit einer solchen Neubürgeragentur, die wir angeregt haben, nicht darum, ein neues Amt oder eine neue Behörde zu schaffen. Unser Ziel ist, die Zusammenarbeit zu organisieren mit allen privaten Dienstleistern, Kammern, Wirtschaftsunternehmen und wer sonst dazu beitragen kann, auf potentielle Neubürger zuzugehen und ihnen zu helfen, in Bremen schnell heimisch zu werden. Es geht also darum, Informationen, Leistungen und Service zusammenzuführen, alles, was für potentielle Neubürger wichtig ist, Wohnungs-, Immobilienangebote, Ausbildungs-, Kultur- und Freizeitangebote, Hilfen beim Umzug, zum Beispiel bei der Erledigung der Ummeldeformalitäten. Mit anderen Worten: Es geht um Service aus einer Hand.
Dass wir da besser werden müssen, konnte man zum Beispiel gestern in einem Beitrag von „Buten un binnen“ sehen, als es um die Meldestellen in Burglesum und Vegesack ging. Wenn der erste Kontakt eines Neubürgers darin besteht, dass er zu einer Meldestelle geht und dort erfährt, dass sie geschlossen ist und in der zweiten Meldestelle drei Stunden warten muss, dann ist das kein herzliches Willkommen in dieser Stadt. Dieses Willkommen müssen wir anders organisieren!
(Beifall bei der SPD – Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/Die Grünen]: Wie war das mit der Ausstattung der Ortsämter vorgestern?)
Vorgestern haben wir uns, Frau Dr. Trüpel, wenn ich das noch einmal in Erinnerung rufen darf, um die Ortsämter in ihrer Funktion als betreuende Einrichtungen für die Beiräte gekümmert. Das haben wir sichergestellt. Das war ein ganz wichtiger Schritt, den wir am Dienstag in der Stadtbürgerschaft getan haben.
Jetzt muss es in einem zweiten Schritt darum gehen, unsere Ortsamtstruktur so einzurichten und auszurichten, dass sie die Ansprüche erfüllen kann, die ich eben genannt habe, sie zum Beispiel in der Funk
tion der Meldestelle so organisiert ist, für Neubürger nicht abschreckend, sondern auch in dieser Stadt einladend zu wirken.
Meine Damen und Herren, Kollege Eckhoff hat darauf hingewiesen, und auch das unterstreiche ich, dass ein gemeinsames Anliegen der Koalitionsfraktionen auch eine verstärkte überregionale Werbung und eine noch bessere Nutzung der neuen Medien ist. Hier können wir durchaus noch mehr dafür tun, dass Bremen und Bremerhaven ihre Qualitäten deutlicher machen.
Schließlich, und damit will ich enden, möchte ich empfehlen, einer Anregung zu folgen, die ich kürzlich in der Zeitschrift „Haus und Grund“ gelesen habe. Dort hieß es nämlich: „Warum sagen wir Bremer und Bremerhavener nicht einfach Besuchern unserer Städte, dass wir uns wohl fühlen und stolz auf das Geleistete sind?“ Ich denke, das ist eine Anregung, der wir alle folgen können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als Erstes möchte ich sagen, dass wir dem Antrag der großen Koalition, eine Neubürgeragentur beziehungsweise für beide Städte Neubürgeragenturen einzurichten, zustimmen werden. Wir finden, das ist ein richtiger Ansatz, neue Bürgerinnen und Bürger für unseren Stadtstaat zu gewinnen.
Trotzdem möchte ich gleich hinzufügen, dass der Service das eine ist. Herr Eckhoff hat eben darauf hingewiesen. Der Service, wie Leute sich hier in Bremen zurechtfinden, wie sie überhaupt angesprochen werden, welche Werbung wir für unseren ZweiStädte-Staat machen, ob sie dann freundlich empfangen werden, ob Anmeldeprozeduren schnell gehen, oder ob man gar vor verschlossenen Türen steht, wie gestern in Lesum, ist alles das eine.
Ich möchte noch hinzufügen, als wir Dienstag hier in der Stadtbürgerschaft den Antrag gestellt haben, dass die Ortsämter auch angemessen mit Personal und Sachmitteln ausgestattet werden, damit sie diesen Ansprüchen auch nachkommen können, ist diesem Antrag von Ihnen nicht gefolgt worden. Das zu dem, was behauptet und tatsächlich getan wird!
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. Da erkenne ich einen großen und leider sehr problematischen Unterschied. Überhaupt wundere ich mich, wenn ich die Ausführungen von Ihnen beiden, Herr Eckhoff und Herr Böhrnsen, hier gehört habe, was Sie eigentlich für eine Politikvorstellung haben. Das hört sich an wie ein Baukastensystem. Erst bauen wir jahrelang am ersten Baustein herum und investieren in die Infrastruktur und Ökonomie, und wenn wir das dann alles gemacht haben, fällt uns ein, dass es ja richtig lebendige Menschen gibt, die hier leben und hierher kommen sollen, und dann kommt der Baustein zwei. Das scheint mir irgendwie fern der Realität zu sein. Ich habe noch nie gemerkt, dass Menschen so fühlen und empfinden, wie Sie Ihre Politik anlegen. Mir scheint das ein richtig schwerer Fehler im Fundament Ihrer Politik zu sein. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)
Der Hintergrund dieses Antrags der großen Koalition hat ja viel mit dem neuen Programm der SPD zu tun, das sie auf ihrer letzten Klausur beschlossen hat mit dem schönen Titel „Für Bremen begeistern“, das ist werbemäßig natürlich sehr gut. Wenn man sich dieses Papier genauer anschaut, findet man eine Reihe hehrer Ansprüche, Herr Böhrnsen hat sie eben alle noch einmal erwähnt, nämlich zu sagen, die reine Ökonomie reicht nicht.
Ich möchte gleich hinzufügen, weil Sie da ja gern auf uns herumtrommeln: Die ökonomische Entwicklung und der Strukturwandel für Bremen sind notwendig. An vielen Punkten haben wir diese Politik in den letzten Jahren geteilt, sei es der Ausbau der Logistik im Hafen, der Technologiepark, die AirportCity, all die Versuche, endlich im Bereich der sanften Biotechnologie Bremen wirklich nach vorn zu bringen. Es gibt also eine Menge Punkte, die uns in Bezug auf die Modernisierung der Bremer Wirtschaft verbinden. Nur, die Einseitigkeit, mit der Sie das in den letzten Jahren getan haben! Wenn man sieht, dass in den Jahren von 1993 bis 2000 de facto 22100 Menschen die Stadt verlassen haben, dann ist das doch ein Fingerzeig darauf, dass die Gewichtung der Politik nicht wirklich gestimmt hat.
Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir weder kalte Ökonomen sind, wie wir das letztens beim Space-Park so schön hatten in Richtung „Konjunkturprogramme in Beton“, aber wir sind auch keine linksromantischen Umverteiler, die sich keine Gedanken darüber machen, wo das Geld, das man in die Lebensqualität stecken will, denn herkommen soll. Das muss man schon beides bedenken. Das ist unser Anspruch an eine grüne verantwortliche Politik für Bremen, dass man den ökonomischen Strukturwandel und ein Herz für die Menschen bedenken muss.
Wenn man sich jetzt einmal – und darum will ich jetzt gleich zu den Realitäten Ihrer Politik kommen, die wir alle in den letzten Tagen hier behandelt haben – die Frage nach dem Blindengeld anschaut, haben Sie da in letzter Sekunde die Notbremse gezogen, und das ist gut so. Ehrlich gesagt, das war keine Werbung für die Lebensqualität in Bremen,
sondern das war leider genau das Gegenteil. Das schöne Wort, das eine Abgeordnete einer Regierungsfraktion gestern geprägt hat, Lehrermangelaktionsvermeidungsprogramm, ist auch starke Werbung für den Standort Bremen. Hier werden die ganze Zeit, und Herr Böhrnsen hat es eben gesagt, und die CDU nimmt das für sich doch auch immer in Anspruch, gute Ausbildungsqualität und moderne Schulen gefordert, und was machen Sie dann? Seit Monaten warten wir darauf, dass Sie den politischen Mut finden, nicht nur schöne Sprüche zu machen, das ist das, was Sie wirklich tun, sondern sie auch in die Tat umzusetzen und sich hier für die Einstellung von neuen Lehrern zu entscheiden.
Darum sage ich Ihnen hier hinsichtlich dieser Serviceagentur: Wir wollen sie, wir finden das richtig! Grüne Kollegen haben auch in den neuen Bundesländern, zum Beispiel in Eberswalde im Jahr 1999, eine solche Serviceagentur gefordert. Ehrlich gesagt muss es aber mehr sein als Hochstapleraktionen. Das misst sich an der konkreten Politik, die man macht.
Zu dem Punkt, den wir gleich beraten werden, zu dem mein Kollege Hermann Kuhn spricht: Herr Eckhoff, Sie haben eben so schön gesagt, wir müssen gerade an die jungen Studentinnen und Studenten denken, weil die sich im Alter zwischen 16 und 20 Jahren überlegen, ob sie nach Bremen kommen. Das ist richtig! Dann kann man aber doch nicht so einen Vorschlag für die Unibibliothek machen, der 500 000 DM fehlen und die nicht mehr in der Lage ist, alle neuen wissenschaftlichen Zeitschriften zu beziehen. Daran macht sich fest, ob hier wirklich ein gutes Studium absolviert werden kann. Wenn man ihnen diese Grundlage entzieht, dann haben sie diese Chance nicht mehr. Ist das vielleicht Werbung für den Standort Bremen?