Protokoll der Sitzung vom 30.08.2001

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Windler.

Schönen guten Morgen, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 25. September 1998 legten die Fraktionen der CDU und der SPD der Bremischen Bürgerschaft einen Antrag mit dem Ziel vor, Maßnahmen zu ergreifen und zu intensivieren, um, beispielsweise durch eine Verbesserung der Situation der Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution, durch Bekämpfung dieses Kriminalitätsphänomen einzuschränken. Frauenhandel ist eine Form des internationalen organisierten Verbrechens, die sehr hohe Gewinne einbringt.

Meine Damen und Herren, es ist schon erschütternd, wenn man bedenkt, dass nur die geschätzten Zahlen 50 000 bis 400 000 Frauen betragen, die in Deutschland der Prostitution nachgehen. Die Umsatzspanne beträgt allein im deutschen Rotlichtmilieu zirka elf bis 70 Milliarden DM. Gerade bei diesen immensen Summen und Gewinnen ist es klar, dass skrupellose Kriminelle ein Geschäft wittern.

Frauen und Mädchen werden in ihren Herkunftsländern angesprochen. Es beginnt nicht immer mit Gewalt, meistens mit Versprechungen: Es gibt gute Jobs da drüben, du siehst gut aus, du bist klug, vielleicht kannst du ja auch da drüben heiraten. Aber wenn die Frauen erst einmal hier sind, wird ihnen mit Gewalt, Drohungen, Schlägen et cetera, die Täter sind dann sehr erfinderisch, sehr schnell klar gemacht, worum es geht. Dann macht man sie gefügig, Vergewaltigung ist ein sicheres Mittel. Die Menschenhändler sind sich sehr bewusst darüber, dass die Frauen Angst haben, in einem völlig fremden

Land sind und die Sprache nicht verstehen. Da die Frauen zum größten Teil illegal in Deutschland sind, haben sie Angst vor der Polizei.

Die Frauen sind völlig auf sich allein gestellt. Die Täter halten die Frauen in ständiger Angst und Abhängigkeit. Sie erzählen ihnen, dass sie erst einmal ihren Kaufpreis abzuarbeiten haben. Sie haben immer wieder Angst vor Schlägen, aber die Täter schrecken auch nicht davor zurück, die Angehörigen in der Heimat zu bedrohen dank einer guten Organisation, die bis in ihre Heimatdörfer hineinreicht. Wer sich nicht fügt, hat mit tätlicher Gewalt zu rechnen. Wer sich fügt, verdient und genießt Vergünstigungen.

Es ist interessant, dass laut Aussage des Leiters des zuständigen Fachkommissariats bei der Bremer Polizei, Werner Meyer, der Menschenhändler in erster Linie Kaufmann ist und rechnet. Er sieht nicht aus wie der traditionelle Zuhälter mit Rolex und Bodybuilder-Körper, nein, er ist Kaufmann!

Wohnungen, so genannte Modelwohnungen, sind in der Regel für 1000 DM im Monat zu haben. In diese setzt er dann drei Prostituierte für je 300 DM Miete, aber nicht pro Monat, nein, pro Tag! Der Lebensunterhalt der Frauen wird von ihnen selbst getragen. Der Menschenhändler hat mit dem Gewinn, nicht mit den Kosten zu tun. Für die Frauen bleibt in der Regel nur ein Taschengeld übrig.

In Bremen sind die Zwangsprostitution und der Menschenhandel fest in osteuropäischer Hand. Vor rund zehn Jahren kamen die ersten Prostituierten aus der Ex-DDR, danach aus Polen, Ungarn und Tschechien. Jetzt kommen sie aus der Ukraine, Weißrussland und dem Baltikum. Die Frauen arbeiten fast ausschließlich in den etwa 250 Bremer Modelwohnungen.

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion begrüßt, dass die zirka 250 Modelwohnungen von dem Fachkommissariat der Kriminalpolizei noch intensiver als bisher überprüft werden

(Beifall bei der CDU)

und dass es eine enge Kooperation zwischen den Behörden und Institutionen gibt. Wir hoffen, dass mit dem Projekt Menschenhandel eine schlagkräftige Gruppe zusammengestellt wird, denn nur wenn eine optimale Zusammenarbeit gesichert ist, können festgestellte Verstöße unmittelbar sanktioniert werden.

Wir begrüßen auch, dass ausländische Menschenhändler nach Paragraph 45 Ausländergesetz konsequent ausgewiesen werden

(Beifall bei der CDU)

und dass in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit der Haftverbüßung im Herkunftsland des Verurteilten geprüft wird.

Da 1992 die Straftatbestände des Menschenhandels nach Paragraphen 180 b und 181 Strafgesetzbuch reformiert und den modernen Erscheinungsformen des Menschenhandels angepasst wurden, hat die Behörde eine bessere Chance, deutsche und ausländische Frauen zu schützen. Gewinne, die durch Straftaten erzielt wurden, können und müssen nach Ansicht der CDU-Fraktion sofort beschlagnahmt werden.

Besondere Aufmerksamkeit soll der Gewinnabschöpfung bei den Zuhältern gewidmet werden. Wir müssen sie da bekommen, wo es sie am empfindlichsten trifft, nämlich beim Geld. Es werden dafür gerade 16 Beamte ausgebildet und eingesetzt, um in Kooperation mit den Finanzämtern zu schauen, wo Geldwäsche betrieben wird, und dies sofort zu ahnden.

Menschenhandel und Zwangsprostitution kosten auch die Bremer Steuerzahler viel Geld. Denken wir doch nur einmal an das Zeugenschutzprogramm, das wir als CDU-Fraktion als sehr wichtig ansehen, um die Frauen vor direkter oder indirekter Bedrohung jeglicher Art zu schützen! Es werden in Bremen und Bremerhaven Zufluchtswohnungen für Opfer des Menschenhandels eingerichtet, um eine sichere und betreute Unterbringung zu gewährleisten. Zufluchtswohnungen werden in Bremen und Bremerhaven aus leicht verständlichen Gründen nicht angemietet. Die Opfer werden bis zum und während des Prozesses betreut. Wichtig ist es, dass die Opfer der Polizei gegenüber Vertrauen gewinnen, denn nur wenn die Frauen aussagen, können die Menschenhändler verurteilt werden.

Es ist erfreulich, dass sich alle seit 1998 von der Kriminalpolizei festgestellten Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution bereit erklärt haben, in einem Prozess auszusagen. Dies ist nicht selbstverständlich. Nur wenn die Täter verurteilt werden, können wir dieses Kriminalitätsphänomen bekämpfen und einschränken. Der Menschenhandel gehört zu den schwierigen und zeitaufwendigen Ermittlungsverfahren. Die polizeilichen Ermittlungen dauern im Durchschnitt ein bis zwei Jahre, eine lange Zeit! Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass eine Beschleunigung angestrebt wird.

Wir konnten am Dienstag der vergangenen Woche im Fernsehen sehen, dass die Zusammenarbeit zwischen den russischen und den deutschen Behörden zum Thema Menschenhandel hervorragend funktioniert, so dass auch hier mit einer schnelleren Verfahrensweise zu rechnen ist.

Die CDU-Fraktion begrüßt, dass die Fachberatungsstellen Kontakte zu Hilfsorganisationen in den Heimatländern der Opfer herstellen und die Ausreise gemeinsam organisieren, um eine Rückkehr in das Heimatland zu ermöglichen. Die CDU-Fraktion meint aber auch, dass potentielle Opfer bereits in ihren Heimatländern über die Gefahren des Men

schenhandels und der Zwangsprostitution in Westeuropa aufgeklärt werden müssen. Dazu sind Maßnahmen der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Regierungen der Opfer-Herkunftsländer erforderlich.

Wir begrüßen auch, dass das Fachkommissariat K 32 Präventionsvorträge vor möglichen Opfergruppen des Menschenhandels, zum Beispiel in Veranstaltungen von Au-pair-Organisationen, hält, Handzettel über vorhandene Hilfsangebote in den Beratungsstellen, beim Gesundheitsamt, auf dem Flughafen oder in Arztpraxen verteilt oder diese auslegt. Es muss noch eine ganze Menge getan werden, um hier Aufklärung zu betreiben. Gerade die präventiven Maßnahmen sind wichtig.

Das Fachkommissariat der Kriminalpolizei hat bisher die psychosoziale Betreuung der Opfer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution übernommen. Das ist sicherlich nicht optimal. So ist es erfreulich, dass das Amt für Soziale Dienste eine kompetente fachliche Beratung in Kooperation mit dem Verein Nitribitt sicherstellt. Deshalb lehnen wir auch den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Wir sind auf dem richtigen Weg. Dann ist Bremen nicht mehr die Drehscheibe für den norddeutschen Raum. Arbeiten wir mit aller Kraft weiter daran!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Hoch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat des früheren Innensenators Bortscheller beginnen – ach, nun ist er gar nicht da, schade! –, Herr Bortscheller sagte: „Wir können selbstverständlich zum Schutz der betroffenen Frauen, die Opfer von Menschenhandel werden, noch mehr tun, wenn wir hier unsere Ressourcen ausweiten könnten, aber bitte glauben Sie mir, dass die Arbeit der Polizei im Rahmen der ihr zugestandenen Möglichkeiten alles tut, um Menschenhandel auch im Lande Bremen erfolgreich zu verfolgen! Dass wir hier aufgrund der vorgegebenen Kapazitäten der menschlichen Ressourcen häufig an unsere Grenzen stoßen, ist bedauerlich, aber das kann auch der gegenwärtige Innensenator nicht über Nacht ändern.“

Meine Damen und Herren, das über Nacht zu ändern hat niemand erwartet, aber den Zeitraum von drei Jahren für die Erarbeitung einer Konzeption zu diesem Thema finden wir reichlich unangemessen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. (A) (C)

Halten wir uns das noch einmal vor Augen! Es sind drei Jahre vergangen, seit in diesem Haus zuletzt über Frauenhandel und Zwangsprostitution debattiert worden ist. Damals waren sich alle Fraktionen einig, dass es sich bei Frauenhandel und Zwangsprostitution um moderne Sklaverei handelt. Wir waren uns auch darüber einig, dass dieses schmutzige Geschäft verhindert werden muss und die Millionen, die in diesem Geschäft umgesetzt werden, abgeschöpft werden müssen.

Ebenso, und das finde ich auch sehr wichtig, gab es einen Konsens darüber, dass dieser Art von Menschenrechtsverletzung und Kriminalität nicht nur national, sondern auch international begegnet werden muss, und das auch auf Landesebene! Hier kann einiges unternommen werden, um diese Form der Kriminalität zu verhindern, nämlich den Schutz der Opfer, und zwar der Frauen, zu verbessern.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die Inhalte dieses vorgelegten Konzeptes eingehen! „Konzeption zur Verbesserung der Situation der Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution“, das ist die Überschrift der Mitteilung des Senats, über die wir hier debattieren. Diese Überschrift macht, denke ich, ganz deutlich, wo der Schwerpunkt liegen muss, nämlich bei der Verbesserung der Situation der betroffenen Frauen. Gebraucht wird also eine Konzeption, um diesen Prozess der Verbesserung einzuleiten.

Meine Damen und Herren, hier wird das vorliegende Konzept dem Arbeitsauftrag aus einem Grund nicht gerecht, und den werde ich Ihnen erklären. Wenn ich Sie zum Beispiel auf die Kleine Anfrage vom Bündnis 90/Die Grünen verweisen darf, die wir letztes Jahr gestellt haben! Wir haben einmal nachgefragt, wie weit das Konzept ist. Der Senat kündigte damals an, ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: „Das Konzept enthält auch Vorschläge, welche Betreuungs- und Informationsleistungen von Bremer Beratungsstellen übernommen werden sollen, wie Dolmetscherdienste für die Beratungsstellen und wie die Kooperation in den zuständigen Behörden geregelt werden sollen.“ Das fand ich auch sehr positiv und habe dann auch auf dieses Ergebnis gewartet. Guter Start, aber das Ziel wurde nicht erreicht!

Stellen wir uns hier nur einmal die Frage, wie die Situation der Festnahme bei Menschenhandel zu verbessern ist! Der Senat antwortet, dass ein Konzept vorgelegt werden soll, der Zeitpunkt ist natürlich unbekannt, das die Kooperation der verschiedenen Behörden wie Staatsanwaltschaft, Polizei, Ausländerbehörde et cetera regeln soll. Auch darauf hat der Innensenator Dr. Böse verwiesen. Das war die Stelle, an der mir, das muss ich hier einmal sagen, der Draht aus dem Hut gegangen ist. Hier wird ein Konzept im Konzept verlangt.

Unabhängige Beratungsstellen sollten einbezogen werden, „sollten“, meine Damen und Herren! Es ist

doch wohl eine Selbstverständlichkeit, dass diese Beratungsstellen einbezogen werden müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ebenfalls ist es sinnvoll, die Erfahrungen von bundesweit tätigen Beratungsstellen wie Phönix und Solwoldi in die praxisorientierte Konzeption einfließen zu lassen.

Ich möchte jetzt aber nicht noch mehr Vages und Unkonkretes aus dieser Senatsmitteilung zitieren, vielmehr möchte ich konkret darauf eingehen, wie hier im Lande Bremen damit umgegangen werden muss. Sie werden mir nachher wahrscheinlich erzählen, dass das auch alles darin stand. Tut es auch! Wie Fragmente und Puzzleteile ist das alles in diesem Antrag enthalten, aber wer macht was, wann, mit wem und womit?

(Abg. T e i s e r [CDU]: Und warum!)

Das bringen Sie nicht in Verbindung.

Wir benötigen in Bremen eine Fachberatungsstelle, die Frauen psychosozial betreut. Das haben Sie gesagt, aber wie die finanziert werden soll, beantworten Sie nicht! Das gilt besonders für die Frauen, die nicht in das polizeiliche Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden können. Für diese Frauen muss es ein Opferberatungsprogramm geben, das besonders auf ihre Situation eingeht. Daher finden wir es sehr wichtig, dass es eine klare Trennung zwischen den Bereichen Ermittlung und Betreuung gibt. Der Kontakt zu dieser Beratungsstelle wird dann von der Ermittlungsbehörde hergestellt.

Diese Beratungsstelle, denke ich, müsste drei wichtige Aufgaben wahrnehmen: die psychosoziale Betreuung der Opfer während der gesamten Dauer des Strafverfahrens und die Vermittlung rechtlicher Informationen, die Begleitung bei Ämter- und Behördengängen sowie die Arztbesuche und auch die Rückkehrhilfe. Diese Fachberatungsstelle muss auch, und das ist besonders wichtig, die Betreuung der Frauen in der Abschiebehaft übernehmen.

Die Realität in Bremen sieht zurzeit leider so aus: Die Frauen werden in den Bordellen und Wohnungen aufgegriffen und meistens direkt in die Abschiebehaft gebracht. Sie haben Angst, und deshalb wird das Angebot der Ermittlungsbehörden, gegen ihre Peiniger auszusagen, oft nicht angenommen. Die Unterbringung in der Abschiebehaft verstärkt Ängste und schafft auf keinen Fall das Vertrauensverhältnis, das eine Zusammenarbeit ermöglicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die meisten dieser Frauen haben psychische und physische Gewalt erfahren. So verbringen diese Frauen Wochen in der Abschiebehaft ohne indivi

duelle Betreuung. Oft können sie sich mit dem Aufsichtspersonal noch nicht einmal verständigen. Dann erfolgt die Abschiebung ohne Vorbereitung und meistens ohne finanzielle Mittel. Über diese Zustände haben wir Grünen nicht nur des Öfteren berichtet, sondern wir haben auch deren Veränderung gefordert. Würden sich hier nicht ehrenamtliche Helferinnen wie der Verein Grenzenlos um diese Frauen kümmern, wäre die Situation in der Abschiebehaft für die Frauen noch unmenschlicher.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir alle hier im Hause müssen dazu beitragen, dass die vom Menschenhandel Betroffenen trotz ihrer Verstöße gegen die Vorschriften des Ausländerrechts nicht vorrangig als Täterinnen, sondern als schutzbedürftige Opfer behandelt werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)