Protokoll der Sitzung vom 25.09.2001

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Fraktion verbindet mit diesem Antrag die Erwartung, dass der Senat auf der Grundlage dieses Antrages in Zukunft Europapolitik machen wird. Ich füge hinzu, dass wir erwarten, dass es eine bessere Europapolitik als bisher sein wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, ich möchte mit den Ereignissen der letzten Woche beginnen, die ins Zentrum der Europapolitik führen. Die große Triebkraft und Legitimation der europäischen Einigung, die Sicherung des Friedens, schien allmählich im Bewusstsein zu verblassen. Die letzten Wochen haben uns dramatisch vor Augen geführt, dass die Frage des äußeren wie des inneren Friedens nach wie vor ein entscheidender Existenzgrund der Europäischen Union ist.

Die Bedrohung dieses Friedens hat auch die europäischen Regierungen wieder zusammenrücken lassen. Wo sonst über nationale Kompetenzen sehr streng und eifersüchtig gewacht wurde, etwa in der Innen- und Justizpolitik, geht es jetzt wieder ein Stück weiter auf dem Weg in die „immer engere Union der Völker Europas“, wie die Verträge es vorsehen. Das liegt einfach daran, dass die Probleme unserer real zusammenwachsenden Welt anders nicht mehr zu lösen sind. Wir geben, und das ist die Kernidee der europäischen Einigung, Teile unserer Kompetenzen und unserer Macht ab, um überhaupt wieder in die Lage zu kommen, unser Leben gemeinsam zu gestalten. Dieser Antrag ist auch ein Appell, sich wieder auf diese Grundidee europäischer Politik zu besinnen.

Meine Damen und Herren, „Zukunft der Union“ heißt der Beschluss, den der europäische Gipfel von Nizza im vergangenen Jahr gefasst hat, spätestens im Jahr 2004 eine Konferenz abzuhalten und die Debatten um die Zukunft der europäischen Institutionen zusammenzufassen und zu einem Ergebnis zu bringen, zu einem „Verfassungsvertrag“, der auch eine erweiterte Union auf Dauer trägt.

Die deutschen Länder haben besonders auf diese Debatte gedrängt. Sie wollten vor allen Dingen, dass die Frage der Kompetenz erstens klarer geregelt und natürlich auch vor allen Dingen zu Gunsten der deutschen Länder verändert wird. Der Ihnen heute vorliegende Antrag nimmt ausführlich zu dem so genannten Post-Nizza-Prozess Stellung, zum Verfahren wie auch zu den Grundsätzen der Reform. Ich will die Kernpunkte nur knapp zusammenfassen.

Erstens: Die kommende Regierungskonferenz soll durch einen Konvent vorbereitet werden, in dem Parlamentarier sowohl der europäischen als auch der nationalen Ebene eine entscheidende Stimme haben und dessen Arbeitsweise offen und transparent

ist. Ich sehe, dass dieses Ziel eigentlich gegenwärtig eher Konsens wird.

Zweitens: Wir gehen nicht davon aus, dass die europäischen Institutionen die Verteilung der Macht untereinander ganz neu erfinden müssen. So interessant die visionären Debattenbeiträge sind – auch Spitzenpolitiker meiner Partei haben sich ja daran beteiligt –, ich bin doch eher für eine gewisse Skepsis gegenüber den so genannten großen Sprüngen nach vorn. Wir schlagen stattdessen eher eine beharrliche Weiterentwicklung vor in Richtung größere Transparenz der Arbeit des Europäischen Rates, Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen und vor allem und ganz entschieden mehr Rechte für das Europaparlament.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, Demokratisierung ist eben nach wie vor zuallererst Parlamentarisierung. Das bedeutet in unseren Augen nicht eine personelle Vermischung von Europaparlament und nationalen Parlamenten. Es bedeutet weitere Stärkung der Befugnisse des Europaparlaments und Stärkung der Macht der nationalen Parlamente zur Kontrolle der Mitgliedsstaatsregierung, und, das ist für uns ein Kernpunkt in dieser Debatte, es heißt auch Stärkung der deutschen Landesparlamente gegenüber den Landesregierungen, was die Formulierung und Kontrolle deren Europapolitik angeht.

Da gibt es, weiß Gott, noch eine Menge zu tun. Ich habe das gerade in der letzten Woche erlebt, als wir mit dem Ausschuss in Brüssel waren. Die Bürgerschaft wird immer erst über die Position des Senats informiert, wenn schon ein einstimmiger Beschluss der Europaministerkonferenz oder gar der Ministerpräsidentenkonferenz gefasst ist, an dem dann kaum noch zu rütteln ist. Wir wollten mit unserem Entwurf des Antrags der Bürgerschaft die Möglichkeit geben, sich vor Beschlussfassung der Ländergremien eine Meinung zu bilden und dem Senat auch zu sagen, in welcher Richtung er agieren soll. Das nimmt das nationale Parlament selbstverständlich für sich in Anspruch. Ich finde auch, ein Länderparlament muss das für sich in Anspruch nehmen, wenn es Europapolitik machen will. Ich bedauere, dass die Koalition diese Formulierung abgelehnt hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zu der von den deutschen Ländern in den Vordergrund gestellten Kompetenzverteilung gibt der Antrag nur eine Richtung an, da ja hier auch noch keine Vorschläge auf dem Tisch liegen. Wir wollen eine klare Kompetenzverteilung, ja, das ist auch notwendig. Eine solche Zuteilung darf aber kein starres Korsett schaffen, das es der EU erschweren oder unmöglich machen würde, flexibel auf neue Ent

wicklungen zu antworten. Sie darf auch kein Vorwand sein, und das zeichnet sich in der Frage der Strukturpolitik ab, sich aus der europäischen Solidarität davonzumachen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Insgesamt, meine Damen und Herren, relativiert der Antrag die Bedeutung der institutionellen Fragen, auch der Fragen, die den Ländern so an den Herzen liegen. Er wendet sich wieder mehr den Erwartungen und Hoffnungen der Menschen an die Inhalte europäischer Politik zu, denen wir uns stellen müssen, eben der Chance jedes Bürgers, in Freiheit zu leben, sich ausbilden lassen zu können, arbeiten zu können und das Recht auf gesunde Nahrung und eine intakte Umwelt. Das ist das, was wir von Europa erwarten. Der Formulierung solcher Politik auf europäischer Ebene müssen wir mehr Gewicht beimessen.

Sie kennen ja alle die sehr facettenreiche Kritik an der so genannten Globalisierung, die zum Teil ja auch die EU einschließt. Die EU muss in dieser Debatte, die viele Menschen, und zwar von verschiedenster Seite, bewegt, zeigen, dass die europäische Vereinigung nicht Teil des Problems ist, sondern dass sie Teil der Lösung ist, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bin davon überzeugt, auch in Fragen der Sozialpolitik, der Steuerpolitik, des lebenslangen Lernens und der Umweltpolitik stehen gemeinsame und koordinierte Anstrengungen der EU auf der Tagesordnung. Es ist nicht die Frage entscheidend, wo die Kompetenz formal liegt, am Ende ist entscheidend, wie wir gemeinsam Kompetenz in Europa mobilisieren, um diese Fragen zu lösen. Ich bin überzeugt, es gibt eine europäische Tradition, Gesellschaften so zu gestalten, dass sie Markt und den Schutz vor dem Markt, dass sie Freiheit und Solidarität verbinden. Wir müssen diese Tradition in Europa aber deutlicher sichtbar machen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, ich hatte eingangs gesagt, dass auf der Grundlage dieses Antrages nach unserer Auffassung eine bessere Europapolitik des Landes möglich ist. Ich kritisiere ausdrücklich nicht das Büro in Brüssel. Wir waren letzte Woche da und haben uns von deren Arbeit wieder überzeugen können. Ich begrüße an dieser Stelle auch ganz herzlich den Leiter des Brüsseler Büros, der hier anwesend ist. Ich kritisiere das politische Auftreten in den letzten Jahren, den Versuch, sich der weiteren europäischen Integration mit Hinweis auf unveräußerlichen Landesbesitz entgegenzustellen. Dieser Versuch ist schon gescheitert bei den Landesbanken und

bei dem Versuch, um die so genannte Daseinsvorsorge einen Zaun zu ziehen. Er wird auch bei der Kompetenzzuordnung scheitern, wenn die Länder den ernsthaften Versuch machen wollten, sich selbst das Recht wiederzuholen, ihre Strukturpolitik und damit auch die gesamte Frage der Subventionen wieder allein entscheiden und gestalten zu können. Das wird scheitern. Dafür gibt es keine Chance. Hier gibt es auch keine Resonanz in den anderen Ländern der Europäischen Union.

Verheerend aber, meine Damen und Herren, ist, und ich sage das immer wieder, der Ton, in dem dies vorgetragen worden ist. Damit Sie verstehen, was ich meine, darf ich aus dem „Spiegel“ vom März dieses Jahres den Bürgermeister Dr. Scherf zitieren, der dort gesagt hat, ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten: „Nichts gegen Europa, aber wir brauchen eine Kommission, die uns vor Ort nicht ständig mit bürokratischem Kleinkram erdrückt.“ Auf Nachfrage des Journalisten: „Die machen doch auch nur ihren Job!“ sagt Herr Scherf: „Ach was! Immer wenn wir in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen helfen wollen, damit unsere Wirtschaftsstruktur nicht zusammenbricht, kommt irgend so ein Bürokrat aus Brüssel, der von dem, was bei uns los ist, keine Ahnung hat, holt seine Chicago-Boys-Lehrbücher heraus und sagt, dass man das nicht darf. Dann werden wir in den Ländern komisch, alle.“

(Heiterkeit beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, es werden aber einige besonders komisch, dazu gehört in der Tat der Präsident des Senats.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Er kann ja mit dieser Rede nur den Bremer Vulkan meinen. Ich kann nur sagen, und das war das einmütige Ergebnis des Untersuchungsausschusses zu dieser Frage: Gut, dass die Europäische Kommission ihren Job gemacht hat, sonst hätte eine Landesregierung noch Hunderte Millionen Steuergelder in ein schwarzes Loch versenkt,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

weil sie zu feige war, den Menschen hier in dieser Stadt die Wahrheit zu sagen! Dafür gab es keinen anderen Grund.

Solche Äußerungen zu machen, meine Damen und Herren, und dann scheinheilig auf Europaskepsis hinzuweisen und sie zu beklagen, das nenne ich eine unverantwortliche Europapolitik. Eine solche Politik ist durch Beschlüsse dieses Hauses, Gott sei Dank, nicht gedeckt und wird nach diesem Antrag erst recht nicht gedeckt sein.

Meine Damen und Herren, gestattet Sie mir am Ende und sozusagen eigentlich außerhalb meines

Beitrages noch einige Sätze! Staatsrat de luxe Herr Bettermann wird ja gleich seine Jungfernrede hier in diesem Haus halten, die gleichzeitig seine Abschiedsrede sein wird.

(Abg. K l e e n [SPD]: Zwei Reden auf einmal!)

Ich gestehe, ich bedauere beides, dass er nicht schon früher hier zu Europa geredet hat, mancher schrille Ton wäre hier dann vermieden worden, ich bedauere auch, dass er heute geht.

Sehr geehrter Herr Bettermann, Sie werden sich in diesen Tagen noch viele Würdigungen, Sie nennen sie ja Grabesreden, anhören müssen. Ich möchte für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nur sagen, dass wir uns in Respekt von Ihnen verabschieden. Ich kann das ja heute sagen, ohne dass es Ihnen schadet.

(Heiterkeit beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie waren im besten Sinne ein bremischer Spitzenbeamter, ein bremischer Gesandter, immer loyal, aber immer auch fair gegenüber der Opposition. Ich jedenfalls konnte mich immer gut mit Ihnen streiten, denn Sie haben das Parlament geachtet, soweit das einem Staatsrat naturgemäß möglich ist. Sie hatten auch eine Idee und eine Überzeugung von Europa.

Unsere Fraktion und auch ich ganz persönlich, wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit und wünschen Ihnen sehr viel Erfolg bei Ihrer neuen Aufgabe! – Schönen Dank!

(Beifall)

Das Wort hat der Abgeordnete Nalazek.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist sehr erfreulich, dass die Fraktionen zu einer gemeinsamen Vorlage zum Thema „Zukunft der Union, Vorbereitung der Regierungskonferenz der EU 2004“ gekommen sind. Mit diesem Antrag bekunden alle drei Fraktionen, dass wir in Bremen ein gemeinsames Interesse zur Fortentwicklung der Europäischen Union haben.

Es geht uns nicht darum, die Bürokratie in Brüssel zu verstärken oder die Macht der Ministerialbürokratie der Mitgliedsstaaten zu verbreitern. Im Gegenteil, wir wollen uns dafür einsetzen, dass die Aufgabenverteilung in der Europäischen Union nach dem Prinzip der Subsidiarität vorangebracht wird. Konkret: Was die Gemeinschaft besser kann, sollte die Gemeinschaft tun. Was in den Mitgliedsstaaten in den Regionen und Kommunen besser selbst erledigt werden kann, sollte im Rahmen einer neuen

Kompetenzordnung der Europäischen Union stärker dem regionalen Einflussbereich zugeordnet werden. Damit würde sich eine klare und durchschaubare Abgrenzungsposition zwischen der europäischen Ebene, das heißt dem Europaparlament, Ministerrat und Kommission, sowie der nationalen Ebene, den nationalen Parlamenten und ihren jeweiligen Regierungen sowie den regionalen und kommunalen Vertretungskörperschaften, ergeben. Eine ganz besondere Rolle und gewichtige Bedeutung hat hierbei die starke Einbeziehung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger in die Entscheidungsvorbereitung und deren Umsetzung für gesamteuropäische Fragen und Probleme.

Meine Damen und Herren, Europa ist nach wie vor für viele Bürgerinnen und Bürger undurchsichtig. Wer was entscheidet, wer wo verantwortlich ist und wer welche Zuständigkeiten hat, können viele Bürgerinnen und Bürger einfach nicht nachvollziehen. Die Weiterentwicklung der Europäischen Union ist aber zu bedeutsam, um sie nur der großen Politik zu überlassen. Der Bürger muss die europäische Einigung als ein Gemeinschaftswerk empfinden, das sich um seine Anliegen kümmert und ihm konkrete Vorteile bringt.

(Beifall bei der SPD)

Wesentlich für eine erfolgreiche Politik der Bürgernähe ist, dass sich eine bürgernahe Europäische Union auf die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften stützt, die aktiv am Aufbau des Europas von morgen mitwirken möchten. Sie sind in der Lage, Netzwerke für Solidarität und den Austausch der Erfahrungen einzurichten, da sie in den Politikbereichen mit der größten Bürgernähe tätig sind und somit die Bedingungen für gutes Regieren gewährleisten. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass in der Präambel des Vertrages über die Europäische Union die unumgängliche Verpflichtung festgeschrieben ist, sich bei Entscheidungen um Bürgernähe zu kümmern.

Für den Bürger ist das Gefühl der Bürgernähe mit guter Politik gleichzusetzen, das heißt mit derjenigen, die den Bedürfnissen der Gesellschaft Rechnung trägt und für Solidarität unter ihren Mitgliedern sorgt.

(Beifall bei der SPD)

Dabei sind vier Aspekte von Bedeutung. Erstens, Effizienz! Das institutionelle Gefüge aus EU, Mitgliedsstaaten und Gebietskörperschaften muss gut funktionieren und positive Resultate hervorbringen. Zweitens, Klarheit! Die Politiken der EU müssen bürokratischen Aufwand vermeiden und in ihren Zielen, Mitteln und Ergebnissen vollkommen verständlich sein. Drittens, Nähe! Die Politiken und Beschlüsse der Europäischen Union müssen denen na

he sein, für die sie gedacht sind, so dass die Menschen sie akzeptieren und voll in ihr tägliches Leben aufnehmen. Viertens, Flexibilität! Die Bürger müssen über große Freiräume zur Mitwirkung an Beschlüssen, die für die Anwendung der Gemeinschaftspolitik bestimmend sind, verfügen.