Protokoll der Sitzung vom 14.03.2002

Das, meine Damen und Herren, ist der politische Alltag. Erst danach kommt – und man muss angesichts des Antrags der Grünen sagen, eigentlich, sie haben die Formulierung gebraucht – die schärfste Waffe des Parlamentarismus, der Untersuchungsausschuss. Nun darf ich mir erlauben, einmal auf den Hintergrund von Untersuchungsausschüssen als Einrichtung des Parlaments hinzuweisen. Durch einen Untersuchungsausschuss wird das Recht des Parlaments auf Autonomie und Selbstorganisation, mit dem bereits Ausschüsse zur Aufklärung von Sachverhalten eingesetzt werden könnten, durch ein parlamentarisches prozessuales Zwangsrecht erweitert. Aktenvorlagen können erzwungen werden, nicht nur von Behörden, sondern auch von Privaten.

Während in anderen Ausschüssen Gäste eingeladen werden, um die Arbeit des Parlaments zu ermöglichen oder zu unterstützen, haben Untersuchungsausschüsse das Recht, Zeugen zu laden mit den entsprechenden prozessualen Konsequenzen, wie sie die Anwendung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgeben. Zeugen müssen erscheinen und die Wahrheit sagen, sie dürfen nichts verschweigen, sie können zwangsweise vorgeführt, notfalls kann Zwangsgeld verordnet werden, ausgeschlossen ist nicht einmal die Verhängung von Ordnungshaft. Nicht zuletzt kann der Ausschuss Zeugen vereidigen, und auch wer vor dem Ausschuss falsch aussagt, ohne vereidigt worden zu sein, macht sich strafbar.

Ein Untersuchungsausschuss, Frau Linnert, darüber sollten Sie noch einmal nachdenken, wird eben nicht nur, und hier darf ich das Bundesverfassungsgericht zitieren, zur Sammlung und Prüfung von Materialien für die Gesetzgebung und zur Kontrolle der Gesetzmäßigkeit und Lauterkeit von Verwaltungsmaßnahmen eingesetzt. Untersuchungsausschüsse üben, so hat es das Bundesverfassungsgericht formuliert, öffentliche Gewalt aus. Gerade wenn die Privatwirtschaft, die Lebensverhältnisse und die Lebensumstände von Privatpersonen zum Gegenstand parlamentarischer Untersuchungen gemacht werden, muss ein erhebliches öffentliches Interesse die parlamentarische Beratung und Beschlussfassung rechtfertigen.

Meine Damen und Herren, deshalb – und es lohnt sich, diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einmal nachzulesen – werden ganz hohe Anforderungen an die Abwägung eines Aufklärungsinteresses und etwa dem grundrechtlichen Schutz

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bedürfnis auch Privater gestellt. Ich will darauf jetzt an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Ich will Ihnen nur sagen, dass nach meiner festen Überzeugung auch vor diesem verfassungsrechtlich geprägten Hintergrund der Auftrag eines Untersuchungsausschusses mehr hergeben muss, als es der vorliegende Antrag der Grünen macht. Nicht im Ansatz haben Sie sich bemüht, auch heute nicht – vielleicht bemüht, aber es ist Ihnen nicht gelungen –, konkrete Verdachtsgründe zu formulieren.

Der Vorwurf der Korruption, das wiederhole und unterstreiche ich, wird auf alle Bauvorhaben bezogen, die Sie in dem Antrag genannt haben. Sie haben da keine Einschränkung vorgenommen. Gleichwohl haben Sie keinen einzigen konkreten Sachverhalt benannt. Es entsteht der Eindruck, der Untersuchungsausschuss solle nach dem Motto installiert werden: „einmal sehen, was dabei herauskommt“, oder „irgendetwas wird schon hängen bleiben“. Das, meine Damen und Herren, ist der falsche und ein unangemessener parlamentarischer Stil.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es darf bei einem fairen Umgang, nicht nur unter uns oder mit der Verwaltung oder dem Senat, sondern erst recht mit Privaten, mit außerhalb unserer engeren politischen, verwaltungsmäßigen Beziehung Stehenden, nicht darum gehen, viele unter einen Generalverdacht zu stellen und mit einem öffentlichen Verfahren dann die Unschuldigen herauszufiltern und die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Es darf nicht darum gehen, die Unschuldsvermutung umzukehren. Das tun Sie aber mit Ihrem Antrag.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist absurd!)

Frau Linnert, ich glaube, Sie haben den Eindruck heute nicht ausräumen können, der allgemein besteht, jedenfalls außerhalb Ihrer Reihen, und ich höre, in Ihren Reihen war es ja auch nicht so ganz unumstritten, ob es diesen Untersuchungsausschuss nun geben sollte oder nicht, dass pünktlich zur Wahlkampfzeit ein öffentliches Verfahren losgetreten werden soll, für politische Ziele, das ist erlaubt, aber mit der ganzen Macht der Strafprozessordnung, und das ist nicht angebracht!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend und zusammenfassend sagen, die Skepsis gegenüber dem Untersuchungsausschussantrag der Bündnisgrünen ist bei der SPD-Fraktion seit der ersten Ankündigung seitens der Grünen nicht geringer geworden! Die SPD-Fraktion wird aber selbst

verständlich die Entscheidung dieses Hauses, selbst wenn sie mit der kleinsten denkbaren Mehrheit heute zustande kommt, akzeptieren und sich den parlamentarischen Pflichten stellen. Wir werden uns in den Dienst des Ausschusses stellen und aufgrund auch von den Koalitionsfraktionen zu entwickelnden Beweisbeschlüssen den Auftrag so verdichten, dass es dem Ausschuss gelingen kann, der Bürgerschaft einen fundierten Abschlussbericht zu präsentieren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Eckhoff.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich das sagen darf, Herr Kollege Böhrnsen, ich habe mir gerade überlegt, ob ich mich überhaupt noch zu Wort melde!

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir hatten hier ja schon unterschiedliche Auffassungen. Ich finde, das war eine sehr gute Rede. Sie haben viele Dinge hervorragend auf den Punkt gebracht.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Deshalb möchte ich von meinem Redemanuskript abweichen und mich eigentlich auf drei oder vier Stichworte konzentrieren, die in erster Linie auch von Frau Linnert angesprochen worden sind.

Frau Linnert, die Zweifel und die Skepsis, die gerade Herr Böhrnsen hier zum Ausdruck gebracht hat, bewegen genauso die CDU-Fraktion. Es gibt einen Unterschied zwischen diesem Untersuchungsausschuss und denen, die uns die letzten 15 oder 20 Jahre begleitet haben. Bei allen anderen Untersuchungsausschüssen, ich will nur erinnern an Vulkan, Stadtwerke, St.-Jürgen-Straße, aber auch Geiseldrama oder JVA, gab es ganz konkrete Hinweise auf Verfehlungen, auf Gelder, die abhanden gekommen sind, auf Sachen, die zweckentfremdet wurden. Daraufhin wurden Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Dies ist heute nicht der Fall! Das ist der Unterschied mit dem heutigen Beschluss, und das ist auch einer der Hauptgründe, warum sich die CDU-Fraktion enthalten wird, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Und die Durchsuchungsaktion der Staats- anwaltschaft ist gar nichts?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute geht es, Herr Böhrnsen hat das gesagt, um maßgeb

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liche Projekte, die insbesondere die Stadtentwicklung in den letzten Jahren in Bremen betroffen haben. Es handelt sich auch um Projekte, die in aller Regel einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung haben und insbesondere auch bei denjenigen, die von diesen Veränderungen entsprechend profitiert haben. All diese Projekte werden unter einen Generalverdacht gestellt.

Ich will das sagen, Frau Linnert, wenn man sich die Aufzählung Ihrer Projekte auf Seite zwei anschaut, so muss man doch feststellen, dass das Siemens-Hochhaus, das Polizeihaus Am Wall und das Polizeipräsidium in der Vahr über eine Ausschreibung gelaufen sind, für den Bahnhofsvorplatz gab es sogar zwei Ausschreibungen, das ContrescarpeCenter lief über eine Ausschreibung, und der Großmarktneubau lief über eine Ausschreibung der Gewerke. Das ist doch die Realität, und Sie machen den Leuten hier vor, wir lebten in einer Bananenrepublik! Das ist einfach einer Opposition nicht würdig, liebe Frau Linnert!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir müssen aber auch an dieser Stelle konstatieren, dass es natürlich, Herr Böhrnsen sagte es gerade, das Recht einer Opposition ist, eine Kontrolle auszuüben. Dafür hätte es ja auch Gelegenheiten gegeben, Fragen! Sie haben bis jetzt eine Menge Fragen hier formuliert, Frau Linnert. Dafür gibt es diverse Möglichkeiten. Es gibt die Deputationen, in denen das abgearbeitet werden kann,

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Darauf sind wir ja noch nie ge- kommen!)

es gibt Kleine Anfragen, Große Anfragen, Berichtsanträge und so weiter. Das ist die entsprechende Möglichkeit, parlamentarisch Fragen zu stellen, aber kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, Frau Linnert!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD – Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/Die Grünen]: Wenn Sie uns Antworten geben würden! – Zuruf des Abg. D r. G ü l d - n e r [Bündnis 90/Die Grünen])

Ich möchte aber auch an eines erinnern: Es gibt eine Verantwortung auch der Opposition, das will ich an dieser Stelle deutlich sagen, und zwar insbesondere für drei Dinge. Es gibt eine Verantwortung der Opposition auch für den Standort.

(Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/ Die Grünen]: Ja! – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, sehr wohl!)

Sehr geehrte Damen und Herren, dass der Standort in den letzten Jahren profitiert hat, bekommt doch jeder, nicht nur in Bremen, sondern auch außerhalb Bremens, mit.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind beim Wirtschaftswachstum mit in den Spitzenpositionen. Wir haben zusätzliche Arbeitsplätze in den letzten beiden Jahren im Netto geschaffen. Es ist uns im letzten Jahr das erste Mal gelungen, auch zusätzliche Einwohner in die Stadt Bremen zu locken. Das ist erfolgreiche Politik, und darum geht es Ihnen eigentlich: Sie wollen diese erfolgreiche Politik mit anderen Mitteln diskreditieren, weil Ihnen das bisher nicht gelungen ist, Frau Linnert!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD – Zuruf der Abg. Frau L i n n e r t [Bünd- nis 90/Die Grünen])

Sehr geehrte Frau Linnert, Sie haben aber auch eine Verantwortung als Opposition für die Partner Bremens. Da muss man sich fragen, heutzutage treffen Investoren doch Standortentscheidungen zumindest im nationalen, meistens sogar im europäischen Wettbewerb: Welcher Investor, liebe Frau Linnert, kommt gern an einen Standort, wenn die Gefahr besteht, dass er sich für seine Investitionen Jahre später vor einem Untersuchungsausschuss auch noch entschuldigen muss?

(Beifall bei der CDU und bei der SPD – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch genau umgedreht! – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Ge- nau umgekehrt!)

Sehr geehrte Damen und Herren, Frau Linnert, Sie haben natürlich auch eine Verantwortung für die Arbeitnehmer in den einzelnen Betrieben. Wenn Sie hier immer besonders einen Bauunternehmer erwähnen, so sprechen Sie auch über 600 Arbeitsplätze. Ich kann nur an Sie appellieren, dass Sie auch mit dieser Verantwortung im Untersuchungsausschuss entsprechend umgehen, liebe Frau Linnert!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das habe ich hier gerade angekündigt!)

Ich will das ganz deutlich sagen: Ich wünsche mir für den Standort Bremen eigentlich viel mehr Unternehmer, die hierher kommen, uns pfiffige Vorschläge unterbreiten, kreativ sind und tatsächlich auch Investitionen am Standort bewegen wollen. Das muss doch die Aufgabe des Parlaments sein. Mit diesem

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Untersuchungsausschuss konterkarieren Sie das genau!

(Beifall bei der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, da wir aus Ihrer Rede, Frau Linnert, keine konkreten Hinweise erhalten haben, wird sich auch die CDU-Fraktion komplett der Stimme enthalten. Dies ist möglich aufgrund einer Veränderung, die wir im Jahr 1994 hier vorgenommen haben. Bisher, liebe Frau Linnert, gibt es nur eine ganz konkrete Vorteilsnahme und -gewährung in diesem Prozess, und zwar die, dass wir Ihnen jeweils die Stimmen und die Unterschriften zur Verfügung gestellt haben, damit Sie überhaupt diesen Untersuchungsausschuss einsetzen können!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, die erfolgreiche Politik der großen Koalition wollen wir auch in den nächsten Jahren entsprechend fortsetzen. Sie hoffen, dass durch ein kräftiges Schlagen in den Matsch der eine oder andere in diesem Bereich seinen Dreck abbekommt. Ich bin mir sicher, dass Sie, liebe Frau Linnert, den einen oder anderen Punkt aufdecken werden, bei dem vielleicht ein Fehler gemacht wurde. Es ist selbstverständlich, dass auch Fehler gemacht werden, wenn gearbeitet wird und Projekte bewegt werden. Aber ich hoffe für Sie, dass dies nachher nicht die Annahme einer Flasche Sekt zu Weihnachten oder eines Christbaums zu Weihnachten ist, weil dies sicherlich nicht einen Untersuchungsausschuss rechtfertigen würde, der eine Million Euro kostet.

(Beifall bei der CDU)

Aber um das auch deutlich zu sagen, unsere Vertreter werden in dem Ausschuss mitarbeiten. Sollten schwere Fehler festgestellt werden, so müssen diese abgestellt und Veränderungen veranlasst werden. Sollten wir jedoch Recht behalten, Frau Linnert, so ist dieser den Standort schädigende Vorgang möglichst schnell zu Ende und zum Abschluss zu bringen. Ich hoffe, dass Sie dann nicht mit Ihrer Taktik Recht bekommen werden, dies möglichst noch bis kurz vor die nächsten Wahlen zu ziehen, weil Sie sich davon irgendwelche Wahlkampfeffekte erhoffen. Hier muss es wirklich um Sachaufklärung, aber nicht um politische Showeffekte gehen. – Vielen Dank!