Protokoll der Sitzung vom 19.09.2002

Zweitens: Die CDU-Fraktion wird nicht tatenlos zusehen, wie Arbeitsplätze im medizinischen und pflegerischen Bereich in den Häusern alternativlos abgebaut werden.

(Beifall bei der CDU)

Drittens, meine Damen und Herren, die CDU wird kein lineares Fortschreiten der Krankenhauspolitik der Gesundheitsbehörde mittragen, weil durch das neue Abrechnungssystem in den Kliniken ein Quantensprung zu leisten ist. Dieser neue Quantensprung braucht eine neue Vision, und diese Vision hat keinen Raum mehr für die Mangelverwaltung, die durch die Gesundheitsbehörde mit dem Entwurf des Landeskrankenhausplans dokumentiert worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Mit dieser Einführung, meine Damen und Herren, sind wir bereits mitten im Thema. Neue Abrechnung nach Fallpauschalen oder auch DRG hat die Bundesregierung beschlossen, und dies hat direkte Auswirkungen auf die Kliniken in Bremen sowie in Bremerhaven. Zwei Krankenhäuser haben an den szenarischen Fallpauschalenberechnungen mitgewirkt und sind zu den erwarteten Ergebnissen gekommen, die bereits in einer Fülle von vorliegenden Studien und Befragungen prognostiziert worden sind. Während ein Krankenhaus mit einem kardiologischen Schwerpunkt mit den Fallpauschalen wirtschaftlich dem bisherigen System gleichgestellt bleiben wird, wird ein anderes Krankenhaus mit einer großen Chirurgie und einer sehr gut ausgebauten Inneren Medizin es wirtschaftlich schwer bis dramatisch haben. Die bislang errechneten Szenarien machen erschreckend deutlich, wie stark der Finanzrahmen eingeschränkt werden wird. Wenn diese Klinik dann auch noch den Nachteil eines Krankenhauses in Pavillonbauweise zu kompensieren hat und über keine nennenswerten Rücklagen verfügt, wird deutlich, wie existenzbedrohend das neue Fallpauschalensystem sein wird.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, am Patienten wollen und können die Kliniken nicht sparen, denn sparen an der medizinischen Leistung heißt beim heute gut informierten, kritischen und gottlob selbstbewussten Patienten, da gehe ich nicht mehr hin, und das heißt neue Verluste. Was also bleibt, ist der Personalabbau, der sich rapide fortsetzen wird. So kündigt die Deutsche Krankenhausgesellschaft in ihrer Presseerklärung vom Montag dieser Woche den Ausstieg aus dem Bundesangestelltentarif an und fordert einen entsprechenden Spartentarifvertrag, in dem Kindergeldzuschläge, Ortszuschläge und Weihnachtsgeld nicht mehr vorkommen. Was dies für das Gehalt der Krankenschwester bedeutet, kann sich jeder in diesem Hause mühelos ausrechnen. Meine Damen und Herren, diese Gesundheitspolitik des Bundes und diese Auswirkungen auf das Land werden von der CDU nicht unterstützt, und zwar in keinem Punkt!

(Beifall bei der CDU)

Wir fordern die Bundesregierung auf, Fallpauschalen nicht ohne Differenzierung einzuführen, sondern die spezifischen Probleme der einzelnen Kliniken zu berücksichtigen und vor allen Dingen, und das ist wichtig, meine Damen und Herren, Übergangszeiten einzuräumen, die es dann ermöglichen, Schritt für Schritt zu neuen und für die Zukunft tragfähigen Lösungen zu kommen.

(Beifall bei der CDU)

Hier muss das Land Bremen, vertreten durch Frau Senatorin Röpke, auf der Gesundheitsministerkon

ferenz aktiv werden, und zwar sofort, und dazu fordert die CDU heute auf.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen aber nicht die Probleme ausschließlich auf die Bundesebene zurückverlagern, meine Damen und Herren, sondern die CDU-Fraktion erwartet gleichzeitig, dass die Gesundheitssenatorin endlich das immer wieder eingeforderte Konzept vorlegt, das dem Gesundheitsstandort Bremen und Bremerhaven eine tragfähige Zukunft eröffnet. Dafür fordern wir Visionen und keine Mangelverwaltung als lineare Fortschreibung im Krankenhausplan.

(Beifall bei der CDU)

Das ist bekannt, das haben wir immer wieder gefordert, und darauf werden wir auch drängen.

Die Einführung der Fallpauschalen im stationären Bereich hat aber noch ein weiteres völlig ungeklärtes Problem, meine Damen und Herren. Durch die von der Bundesregierung gewünschte Verkürzung der Aufenthaltszeiten der Patienten in den Kliniken werden die Patienten leider nicht schneller gesund. Sie werden einfach nur schneller entlassen und benötigen dann im ambulanten Bereich durch den niedergelassenen Arzt und durch die Pflegedienste die entsprechende weitere Behandlung. Doch hier hat die Bundesregierung leider überhaupt keine Regelung getroffen, wie diese Behandlung denn abgesichert werden soll. Die Fallpauschalen gelten nur für die Kliniken, meine Damen und Herren, beim niedergelassenen Arzt regiert weiter das gedeckelte Budget, und wenn dies aufgebraucht ist, gibt es keine Möglichkeiten für dringend nötige ärztliche Behandlung mehr.

Den Bereich der häuslichen Krankenpflege haben wir hier im Hause ausführlich diskutiert, meine Damen und Herren, und der Senat hat auf die damalige Anfrage der CDU die Mängel und die bestehenden Versorgungslücken deutlich dokumentiert. Diese Versorgungslücken bestehen fort, denn eine angekündigte Verhandlung des Gesundheitsressorts mit den Kassen hat bis zum heutigen Tage diese Versorgungslücke nicht geschlossen.

Meine Damen und Herren, der Patient wird also zukünftig aus der stationären Behandlung früher als bislang entlassen, findet aber im ambulanten Bereich kein Versorgungsnetz, das ihm eine adäquate Weiterbehandlung garantiert. Hier setzt die Bundesregierung sowie auch die Bremer Gesundheitssenatorin darauf, dass der steigende Bedarf an häuslicher Pflege sich aus der Pflegeversicherung finanziert, wohlwissend, meine Damen und Herren, dass die Pflegeversicherung dafür nicht zuständig ist und dass sich die Pflegeversicherung bereits jetzt in finanzieller Bedrängnis befindet.

Die Bundesregierung hat leider schon jetzt Kosten in die Pflegeversicherung verlagert, die im System nicht eingestellt worden sind. Das heißt kurzfristig, die Beiträge für die Pflegeversicherung werden steigen, oder der Mangel wird weiterhin hingenommen. Beide Möglichkeiten wird die CDU nicht akzeptieren. Auch darauf haben wir in mehreren Debatten hingewiesen, in der Deputation sowie hier im Hause. Eine Reaktion des Gesundheitsressorts ist bislang nicht erfolgt, und die Bundesregierung hat es bislang weiter versäumt, entweder die Fallpauschalen auf den ambulanten Bereich zu übertragen oder das gedeckelte System im niedergelassenen Bereich aufzuheben. Beides geht deutlich zu Lasten der Patienten, und beides findet nicht die Zustimmung der CDU.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, eine weitere Fragestellung kommt auf die Krankenhäuser zu, die von den Häusern nicht bewältigt werden kann und zu der die Gesundheitsbehörde noch keine Strategie entwickelt hat: das EuGH-Urteil und die damit verbundenen Bereitschaftsdienste, die in reguläre Arbeitszeiten umgewandelt werden sollen! Inzwischen haben deutsche Gerichte das Urteil des Europäischen Gerichtshofes bestätigt, das Landesarbeitsgericht Kiel hat bereits vor einigen Monaten erneut das EuGH angerufen mit der Fragestellung, ob das Urteil auch in Deutschland Rechtskraft besitzen soll. Alle Signale weisen darauf hin, dass es so sein wird. Das Urteil wird in Kürze vorliegen.

Meine Damen und Herren, die Frage, was das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Bremen bedeutet, wurde im Krankenhausausschuss durch die CDU mehrfach gestellt und blieb genauso häufig ohne Antwort. Eine der großen Kliniken in Bremen hat bereits gerechnet und kam zu folgendem vorläufigen Ergebnis: Beim Wegfall der Bereitschaftsdienste und der damit verbundenen Einführung eines Dreischichtensystems müssten in diesem Haus rund 70 neue Ärzte eingestellt werden. Das bedeutet ein Kostenvolumen von pro Jahr rund zwei Millionen Euro, ein Volumen, meine Damen und Herren, das außerhalb jeder wirtschaftlichen Möglichkeit der Kliniken steht und über das mit den Kostenträgern längst das Gespräch gesucht werden müsste.

Übrigens, meine Damen und Herren, bundesweit müssten 15 000 neue Ärzte eingestellt werden, die es aber völlig unabhängig von den Kosten gar nicht gibt. Es fehlen zurzeit 1800 Fachärzte und Fachärztinnen, und auch in Bremen und Bremerhaven ist das bereits deutlich zu spüren. In der kardiologischen Fachklinik sind über mehrere Monate freie Arztstellen unbesetzt geblieben, weil trotz intensiver Suche keine Bewerber am Markt zu finden waren. Der Mangel konnte in diesem Haus jetzt aktuell, Gott sei Dank, behoben werden, doch weitere Stellen in den unterschiedlichen Disziplinen sind ausgeschrie

ben und warten auf geeignete Bewerberinnen oder Bewerber, die es zurzeit am Markt nicht gibt.

Die Bundesregierung hält allerdings auch vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, an den Zugangsbeschränkungen im Studienbereich Medizin fest, weil sich ja rein rechnerisch keine Lücke ergibt. Das ist allerdings nur rechnerisch der Fall, weil faktisch jeder zweite ausgebildete Mediziner den Arztkittel an den Nagel hängt. Sie gehen in den medizinischen Dienst der Krankenkassen, in die Pharmaindustrie und in die medizintechnischen und -technologischen Bereiche, nicht nur, meine Damen und Herren, weil sie da gut verdienen, sondern vor allem deshalb, weil der Arzt und die Ärztin immer weniger das tun können, wofür sie sich eigentlich haben ausbilden lassen: für die Patienten eine gesicherte Diagnostik betreiben, eine entsprechende Therapie verordnen und diese verantwortungsbewusst begleiten.

Auch hier ist der Patient in den Hintergrund geschoben worden, und an die Stelle der bewährten Arzt-Patienten-Beziehung rückt jetzt die überbordende Bürokratie aus Leitlinien, ICD-Verschlüsselung, DRG-Kurzbehandlungsprogramm mit unvorhersehbaren Kostenfallen in den Häusern und den vorhersehbaren Versorgungslücken im ambulanten Bereich. Die Flucht der Ärzte aus ihrem Wunschberuf, für die lange Ausbildungszeiten eingebracht worden sind, ist eine deutliche Reaktion auf diese Bürokratisierung. Der Arzt im Praktikum ist der Leidtragende, meine Damen und Herren. Bei schlechter Bezahlung werden dort neben den Bereitschaftsdiensten noch jede Menge weiterer Überstunden geleistet, die ausschließlich in Bürokratie investiert werden.

Weil dies bekannt ist, sind auch die Gewerbeaufsichtsämter als staatliche Durchsetzungsmacht für die Einhaltung von gesetzlichen Arbeitszeiten in den Kliniken bislang noch nicht gesichtet worden. Was sollen sie dort auch ausrichten, meine Damen und Herren? Wenn es keine Mittel zur Änderung einer lange bekannten Situation gibt, dann kann auch das Gewerbeaufsichtsamt nicht wirklich etwas bewirken.

Die Marschrichtung für Kliniken hat der Staatsrat für Gesundheit auf der Delegiertenversammlung der Ärztekammer Bremen im März 2002 deutlich vorgegeben. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten Herrn Dr. Knigge: „Weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften haben für weitere Beitragserhöhungen Verständnis. Wenn mehr Geld zur Finanzierung der ärztlichen Leistung im Krankenhaus eingefordert wird, muss dies im System an anderer Stelle eingespart werden.“

(Abg. Frau H a m m e r s t r ö m [SPD]: Ge- nau!)

Wo im System, das lässt Dr. Knigge leider offen, Lösungsvorschläge werden den Häusern nicht unterbreitet.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung beschäftigt sich leider auch nicht mit dem Thema der europäischen Angleichung der Ausbildungszeiten für den Facharzt für Allgemeinmedizin. Die Verkürzung der Ausbildungs- und Weiterbildungszeiten wird hingenommen, um ein zugegeben schwieriges Verfahren auf EU-Ebene zu verhindern. Dass mit dieser Verkürzung auch die Qualitätsminderung in der ärztlichen Ausbildung hingenommen wird, wird leider nicht diskutiert und auf EU-Ebene auch nicht problematisiert.

Das ist besonders widersprüchlich deshalb, weil immer wieder die politische Forderung an die Ärzte gestellt wird, die Qualität zu verbessern, und zwar durch die Bundesregierung, aktuell hier die Leitliniendebatte, sowie in die Aus- und Fortbildung zu investieren. Das ist ja gerade gestern kraftvoll zum Thema ADHS in der Debatte von Frau Hoch von den Grünen gefordert worden. Auch dass extern kontrollierte Qualitätsstandards zu garantieren sind, wird am Beispiel Brustkrebsscreening von allen Parteien gefordert. Wenn man dann allerdings gleichzeitig die Ausbildungszeiten verkürzt, tun sich Fragen auf, die bis heute nicht beantwortet worden sind!

(Beifall bei der CDU)

Hier, meine Damen und Herren, ist also ein dringender Handlungsbedarf der Bundesregierung auf der EU-Ebene gefordert, der leider bislang nicht erkennbar ist. Stattdessen wird eine gigantische Geldverteilungsmaschinerie mit dem schönen Namen Risikostrukturausgleich angeworfen. Das ist der Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, in dem inzwischen mehr Geld umverteilt wird als im gesamten Länderfinanzausgleich zwischen allen Bundesländern.

Damit sich diese Umverteilungsmaschinerie auch begründen lässt, denn bei den Versicherungsbeiträgen ist es ja nicht mehr der Fall, die sind ja gestiegen und werden weiter steigen, wird jetzt das Disease-Management erfunden. Das ist die Behandlung von chronisch Erkrankten nach festgelegten Leitlinien, meine Damen und Herren. Diese Leitlinien sind inzwischen von der Bundeskassenärztlichen Vereinigung abgelehnt worden, weil erneut viele Dinge handwerklich unscharf und missverständlich von der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden sind.

Ich will mich nicht mit dem Eingriff in die garantierte Therapiefreiheit des Mediziners und der Medizinerin aufhalten, meine Damen und Herren, doch die Frage, was denn mit den persönlichen Daten der Patienten passiert, muss doch wohl vorher zweifelsfrei geklärt sein, ein Datenschutzkonzept fehlt aller

dings. Auch die Frage, was denn mit dem Patienten geschieht, der die vereinbarten Therapieziele nicht erreicht, ist an dieser Stelle mehr als angebracht. Auch hier ist eine notwendige Klarstellung bislang immer noch nicht erfolgt. Bei Teilnahme am Disease-Management gibt sich der Versicherte mit seinen gesamten persönlichen Daten und durch die festgelegten Therapieziele in vollem Umfang in die Hand seiner Krankenkasse.

(Abg. Frau H a m m e r s t r ö m [SPD]: Und jetzt seines Arztes!)

Ob dies richtig ist, mit dieser Frage wird der Versicherte allerdings allein gelassen. Beurteilen wird er das allerdings nicht können, meine Damen und Herren, dafür sorgt schon die Bezeichnung Disease-Management.

Meine Damen und Herren, für die erste Runde ziehe ich folgendes Fazit: Sämtliche Baustellen der Bundesregierung im Gesundheitssystem, die unter Schlagworten wie Positivlisten, aut-idem, Fallpauschalen, Disease-Management oder Internet-Apotheke laufen, sind heftig umstritten, und viele dieser Vorschläge werden sich als nicht haltbar erweisen.

(Beifall bei der CDU)

Das ständige Vor und Zurück in der Gesundheitspolitik hat inzwischen alle Leute zur Abwehr getrieben, und zwar fast alle Teilnehmer im System, die da sind Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser, private und gesetzliche Kassen, die Pharmaindustrie, vor allen Dingen die Beitragszahler und die Patienten. Mit dem von der Bundesregierung geschaffenen Sparschweinpatienten, meine Damen und Herren, ist in diesem System nichts zu holen.

(Beifall bei der CDU)

Noch ein letzter Satz zu den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, die in ihrem Redebeitrag wahrscheinlich gleich darauf hinweisen werden, die CDU hat eine Oppositionsrede gehalten. Dies bestätige ich schon einmal gern und vorab, und zwar deswegen, meine Damen und Herren, weil Sie als Opposition Bündnis 90/Die Grünen nicht nur bei der Gesundheitspolitik in diesem Parlament völlig ausfallen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb übernehmen wir an dieser Stelle gern Ihren Part.

(Lachen bei der SPD – Glocke)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident!

Ich denke, wir werden uns weiterhin kritisch mit der Gesundheitspolitik beschäftigen in der Deputation sowie hier auch im Hause, meine Damen und Herren. Ich bin mir aber sicher, dass auch unser Koalitionspartner vernünftige, tragfähige Lösungen mit uns gemeinsam im Sinne der Menschen unserer beiden Städte erarbeiten wird.

(Abg. Frau H a m m e r s t r ö m [SPD]: Nun nicht mehr!)