Protokoll der Sitzung vom 23.10.2002

Lassen Sie es mich salopp formulieren: Der Jäger schießt doch auch erst auf den Hasen, wenn er seine Konturen klar erkennen kann!

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wer ist denn der Hase?)

Die Konturen, also die klaren Rahmenbedingungen, werden nicht vor dem Treffen der Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung am 19. Dezember des Jahres absehbar sein. Wir halten es daher für nicht kompatibel mit bremischen Interessen, uns nun von Parlamentsseite auf eine der beiden Optionen festzulegen.

Wir dürfen nämlich, und das ist ein ganz wesentlicher Punkt, auch nicht aus dem Auge verlieren, dass die Frage der Zukunft der Strukturfördermittel ja nun nicht in einem luftleeren Raum hängt. Wenn es um die Verhandlung über die finanziellen Rahmenbedingungen mit dem Bund geht, spielt die Frage der Fördermittel unmittelbar in die Diskussion der Föderalismusreform und die Debatte zur Reform der Mischfinanzierung hinein. Wieder etwas salopp ausgedrückt: Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir der Möglichkeit späterer Gesamtpakete, die die Finanzverteilung im Verhältnis zwischen Bund und Ländern auf neue Füße stellen soll, hier und jetzt mit einer einseitigen Bindung an ein Modell den Raum nehmen.

So sehr wir die Stoßrichtung des Antrags des Kollegen Dr. Kuhn in der Forderung nach der jetzigen Entscheidung für das eine und gegen das andere Modell im Sinne einer künstlichen Einschränkung der Spielräume ablehnen, so sehr teilen wir doch die Auffassung zu vielen im Antrag angesprochenen Einzelelementen des Kollegen Dr. Kuhn. Wieder andere Elemente des Antrags finden wir diskussionswürdig. Daher plädieren wir dafür, den vorliegenden Antrag an den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten zu überweisen, um die umfangreichen Details dieser komplexen Materie dort zu diskutieren. Dort können wir dann einen Antrag erarbeiten, der die konsensualen Punkte bremischer Interessen mit Blick auf die zukünftigen Strukturfördermittel aufgreift. Dort können wir dann auch Position zu Einzelthemen beziehen, eben ohne die Länderposition gegenüber dem Bund von vornherein zu schwächen.

Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Natürlich haben wir das Recht und selbstredend auch die Pflicht, als Landesparlament Positionen zu beziehen, wenn es bremischen Interessen zuträglich ist. Aber parlamentarische Profilierung zur Unzeit, ohne zeitlichen Zwang und sachgerechte Wirksamkeit, das ist nun einmal nicht unser Interesse. Lassen Sie uns nicht den Fehler machen, mit sicherlich gut gemeintem, der europäischen Sache zugeneigtem Aktionismus unsere eigene Positionierung in diesem Prozess frühzeitig zu schwächen! Ja, auch wir wollen uns

zeitnah mit der Sicherung der Ziel-zwei-Förderung unseres Landes befassen. Hierfür scheint jedoch noch eine detaillierte Debatte nötig zu sein, damit wir den bremischen Interessen in allen Facetten der derzeitigen Verhandlungssituation sachgerecht und angemessen Rechnung tragen können. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, bevor ich dem Kollegen Neumeyer das Wort erteile, begrüße ich auf der Besuchertribüne Gäste des SPDOrtsvereins Oslebshausen.

Herzlich willkommen in unserem Hause!

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Neumeyer, Sie haben das Wort!

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Kollege Dr. Kuhn hat darauf hingewiesen, dass wir uns schon mehrfach in diesem Hause mit der Förderkulisse der Europäischen Union auseinander gesetzt, beschäftigt haben, zuletzt im Frühjahr. Wir haben auch im Mai des Jahres 2000, also etwas länger als zwei Jahre her, uns hier mit dieser Förderkulisse, also den so genannten Strukturfonds, beschäftigt, da waren nämlich die Ergebnisse für die jetzt gerade angelaufene Förderperiode bekannt.

Wir haben hier eine, wie ich finde, sehr fundierte, ordentliche Debatte geführt. Wir haben einvernehmlich festgestellt, dass der Senat gut verhandelt hat für Bremen, wir haben einvernehmlich festgestellt, dass Bremen wieder überproportional partizipieren kann an den Förderinstrumenten, und das ist auch gut so, weil es auch unserer Notlage entspricht, in der wir uns zum Teil nach wie vor befinden.

Der jetzt laufende Förderzeitraum, der im Jahr 2000 begann, läuft noch bis Ende 2006. Die Initiative der Grünen, hier jetzt Festlegungen für die Zeit nach 2006, also ab 2007, vorzunehmen, reicht weit in zukünftige Politikgestaltung hinein. Die Strukturfonds der Europäischen Union waren und sind eine wesentliche Grundlage, strukturelle Defizite zu beseitigen. Sie sind das aktive Instrument zur Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse. Dies soll auch selbstverständlich nach 2007 und gerade und insbesondere auch für die neuen Beitrittsländer gelten.

Der Anteil Bremens in der gegenwärtigen Förderperiode, also bis Ende 2006, beträgt übrigens 261 Millionen Euro und konnte damit gegenüber der vorhergehenden Förderperiode deutlich erhöht werden. Der Senat insgesamt, natürlich insbesondere Wirt––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

schaftssenator Josef Hattig, hat hiermit einen großartigen Erfolg erzielen können.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Stimmt nicht!)

61 Prozent unseres Bundeslandes sind als Ziel-zweiGebiet anerkannt, und das finde ich schon bemerkenswert, also genau das Gebiet, das als förderungswürdig zur Unterstützung der wirtschaftlichen und sozialen Umgestaltung der Gebiete mit Strukturproblemen in der Europäischen Union gesehen wird.

Nun fordern Sie von den Grünen schon heute eine Festlegung der Quoten für die einzelnen Ziele. Für Ziel zwei, also das, wovon gerade Bremen besonders partizipiert, wünschen Sie eine Festlegung für 13 Prozent,

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: So wie jetzt!)

für Ziel drei, ich sage einmal sehr verkürzt, das ist der Wissenschaftsteil, eine Festlegung von vier Prozent und einen Löwenanteil mit rund 70 Prozent für Ziel eins.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: So wie jetzt!)

Wir, meine Damen und Herren von den Grünen, bezweifeln, dass es sinnvoll ist, sich heute hier schon strikt festzulegen, lange bevor es überhaupt zu einer Evaluierung der gerade erst angelaufenen aktuellen Förderkulisse gekommen ist.

Wissen Sie denn eigentlich, welche Auswirkungen Ziel eins in den neuen Bundesländern schon hatte? Gibt es da schon Analysen? Gibt es da schon entsprechend belastbares Material? Haben Sie eigentlich berücksichtigt, dass wir eine Hochwasserkatastrophe hatten, die selbstverständlich auch negative Auswirkungen hat, um strukturelle Defizite zu beseitigen? Sind Sie eigentlich sicher, dass die Werften- und Stahlbaukrise im Lande Bremen bereits beseitigt ist? Oder glauben wir nicht gemeinsam, dass wir aufpassen müssen, was sind wirklich unsere Befindlichkeiten, was sind unsere berechtigten Interessen, und was sind unsere Belange, damit wir sie ent-sprechend in die Diskussion einbringen? Das heißt, erst einmal sagen, was wir wollen,

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Sehr gut!)

wo unsere Probleme sind, um sich dann auf Quoten festzulegen!

(Beifall bei der CDU)

Wir erwarten zunächst eine vorausschauende Betrachtung der Entwicklung Bremens und Bremerhavens ab dem Jahr 2007. Vor diesem fundierten Hintergrund sind dann, und zwar lange vorher, das gestehen wir Ihnen gern zu, Positionen für die anstehenden Verhandlungen aus bremischer Sicht zu formulieren.

Nun verstehen wir das Ansinnen der Grünen schon, auch jetzt sich aktiv in die Debatte einzumischen, sehen aber keine zeitliche Enge und Not, angesichts der bevorstehenden Ministerpräsidentenkonferenz sich nun hier hektisch festzulegen. Wir erwarten, dass der Senat in die Verhandlung geht. Wir erwarten, dass der Senat selbstverständlich sein Mandat und der Regierungschef sein Mandat zur Wahrnehmung bremischer Interessen entsprechend einbringt, und wir erwarten, dass wir uns im Parlamentsausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten ständig, wie wir das ja auch tun, hiermit auseinander setzen.

Dies bedeutet aber auch, dass alle betroffenen Ressorts, alle zuständigen Ressorts ihre berechtigten Interessen uns vortragen, einbringen, damit wir dann abwägen können und abwägen müssen, gemeinsam abwägen müssen, wie passen denn unsere berechtigten Ressortinteressen, Einzelinteressen zum Gesamtinteresse Bremens, und wie passt das eigentlich in eine Verhandlungssituation mit den anderen Bundesländern und mit dem Bund. Wenn wir heute uns vorschnell aufgrund hektischer Einzelmeinung festlegen würden schon auf Förderquoten, würde das bedeuten, dass wir uns eigentlich völlig unnötig der Koalitionsfähigkeit zur Durchsetzung bremischer Interessen im Konzert der Bundesländer berauben würden.

Wir erwarten, dass der Wirtschaftssenator als federführendes Ressort selbstverständlich sagt, was eigentlich unsere Themen sind und wie wir Ziel zwei in Zukunft ausleben wollen. Wir erwarten, dass das Arbeitsressort sich aktiv hier einbringt. Wir alle wissen, dass bei den Stahlwerken eine ganze Menge Unruhe besteht. Das gehört bei einer solchen Betrachtung dazu, und es wäre einfach falsch und fahrlässig, das einfach auszublenden in der Betrachtung.

(Beifall bei der CDU)

Selbstverständlich, Herr Dr. Kuhn, und da weiß ich, da sind wir wieder auch ganz eng beieinander, wollen wir auch schauen, wie wir Wissenschaftsförderung auch in Zukunft aktiv für unseren Standort hier gestalten können. Nun habe ich das relativ negativ dargestellt, wir haben in der Tat auch eine ganze Reihe von Übereinstimmungen. Vieles, was Sie in Ihrer Initiative schreiben, ist korrekt. Es gibt auch eine Reihe von Allgemeinplätzen, bei denen man nicht sagen kann, das wollen wir nicht, im Gegenteil, also, das ist einfach die bundeseinheitliche Sicht. Es gibt aber auch eine Reihe von Vorfestlegungen,

die wir zumindest zu diesem Zeitpunkt, ich glaube, dass ich das auch hinlänglich begründet habe, hier nicht vornehmen wollen.

Deswegen wollen wir Ihren Antrag nicht schlicht ablehnen, sondern wir möchten ihn überweisen an den Parlamentsausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, um dort die erforderliche Debatte zu führen mit allen zuständigen Ressorts, um dann auch gemeinsam im Diskurs, in der Diskussion, in der Debatte zu einer hoffentlich sinnvollen Abstimmung und Festlegung bremischer Interessen zu gelangen.

Sie haben ein paar Forderungen aufgestellt, die sich definitiv auch mit unseren Zielsetzungen, das will ich nicht verheimlichen, nicht decken. Es wird nicht das Ergebnis einer gemeinsamen Beratung im Bundes- und Europaausschuss sein, dass wir Ihren Antrag dann eins zu eins so annehmen, dann könnten wir das ja heute schon beschließen, sondern wir haben eine ganze Reihe von Funktionen und Positionen, bei denen wir anderer Auffassung sind. Ich erwähnte das Zeitproblem, das kann sich in der Zeitfolge auflösen.

Es gibt aber auch andere Festlegungen, wo wir anderer Auffassung sind. Hierzu gehört die aus unserer Sicht völlig falsche Forderung, die Obergrenze der Strukturfonds bei vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu bemessen und in Ausnahmefällen sogar noch eine Steigerung einzuräumen. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland als Nettozahler, und das sage ich nicht, um hier zu definieren, das ist doch einfach ein Fakt, kann kein Interesse daran haben, zu einer Ausweitung der Förderkulisse insgesamt zu gelangen. Ob die von Ihnen geforderte Konzentration der Mittel auf grenzüberschreitende Förderziele aus bremischer Sicht tatsächlich bremisches Interesse ist, das darf zumindest hinterfragt werden. Es ist in einer weitergehenden Diskussion gern im Europaausschuss auch dann neu zu beleuchten.

Ich denke, dass ich unser Abstimmungsverhalten hinlänglich erläutert habe. Ich füge hinzu, wenn Ihnen das nicht reichen sollte und Sie eine Entscheidung in der Sache fordern, fände ich das schade, weil wir Ihre Initiative dann heute ablehnen müssten.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster erhält das Wort Bürgermeister Dr. Scherf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich teile die Einschätzung von Herrn Nalazek und Herrn Neumeyer. Sie entspricht auch der Senatseinschätzung. Wir sind in einem Verfahrensstand, in dem es verfrüht ist, Festlegungen zu treffen.

Morgen und übermorgen findet in Hamburg die Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten statt. Da wollen wir einen Einstieg in die Verhandlungen beginnen und natürlich keinen Abschluss. Wir wollen versuchen, uns vorzubereiten auf die Verhandlungen mit der Bundesregierung, die auf den 19. Dezember terminiert sind. Es ist ganz wichtig, dass wir mit der Bundesregierung zusammen gemeinsame Auftritte in Europa organisieren.

Wer übersieht, dass wir da noch viel an Verständigung, viel an Klärung vor uns haben, der übersieht einfach den Verhandlungsstand. Wenn wir Interessen geleitet bremische Interessen dort gut vertreten wollen, müssen wir dieses Procedere nicht auf den Kopf stellen, sondern beachten, lieber Herr Kuhn. Wenn es gut geht, bekommen wir eine abgestimmte, gemeinsame Position hin mit der Bundesregierung, die dann in Europa verhandelt wird.

Ich finde nach wie vor richtig, dass wir Optionen offen lassen, dass wir Alternativen diskutieren. Ja, gut, Herr Kuhn hat so viel Regierungserfahrung, der rät uns anders. Unsere versammelte Regierungserfahrung ist die, dass wir im gegenwärtigen Stand die Option offen lassen und dass wir möglichst evaluieren, was vor- und was nachteilig ist von den unterschiedlichen Vorschlägen, und dass wir dann schrittweise hoffentlich immer mit dabei sind, wenn wir innerhalb der Bundesrepublik Konsense finden, die wir dann schrittweise in Europa versuchen wollen durchzusetzen.

Ich finde gut und hilfreich, dass wir das im Bundes- und Europaausschuss der Bürgerschaft weiter beraten. Ich will gern mit den paar Mitarbeitern, die der Senat hat, helfen, dass Sie auf dem Laufenden bleiben. Wir wollen Ihnen gegenüber keine Blackbox aufbauen, wir wollen das Parlament nicht ausgrenzen aus diesen Beratungen, aber wir wollen auch nicht den gegenteiligen Fehler machen, uns durch vorzeitige Festlegung auszuschließen von den tatsächlich erst beginnenden Verhandlungen. Ich teile die Einschätzung von Herrn Nalazek und von Herrn Neumeyer.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schade, Herr Scherf, dass Sie auf meinen Beitrag nicht eingehen konnten. Eines verstehe ich, Herr Kollege Neumeyer, wenn Sie sagen, es gibt unterschiedliche Auffassungen, und die sind erstens mit uns noch nicht einig, und zweitens vor allen Dingen in der Koalition sind wir uns noch nicht einig, dass Sie sagen, deswegen überweisen wir das. Das ist ein gängiges Verfahren, dagegen ist nichts zu sagen, darüber kann man offen reden. Das finde ich ein vernünftiges Ar

gument. Das finden wir vielleicht in der Sache nicht so klug, manchmal auch wegen zeitlicher Umstände, aber dagegen kann man nichts sagen.

Das andere ist eine grundsätzliche Argumentation. Da habe ich doch wieder viel gelernt. Ich möchte Sie alle bitten als Parlamentarier, darüber einfach noch einmal nachzudenken. Das bedeutet nämlich, die Ministerpräsidenten haben übermorgen einen Bericht mit zwei Varianten. Ich weiß ja nicht, wie es läuft, aber möglicherweise ist es ja so, dass die Ministerpräsidenten sich in der Sitzung auf eine Variante verständigen. Es ist ja möglich. Dem Parlament aber wird das Recht abgesprochen, Position zu beziehen, weil zu frühzeitig, zu vorschnell. Wenn das zwei Tage später die Ministerpräsidenten machen in nichtöffentlicher Sitzung, ohne Möglichkeit von öffentlicher Kontrolle, dann soll das klug, dann soll das weise sein?