Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Darum müssen wir ganz reell an diesen Markt. Das sind übrigens junge Leute, zum Beispiel DaimlerChrysler-Beschäftigte. Udo Richter, mein Freund und Betriebsratsvorsitzender von Daimler-Chrysler – –.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Mein Betriebsratsvorsitzen- der, das ist schön!)

Hören Sie den ruhig einmal an, das ist ein toller Typ! Der hat richtig Ahnung, was seine Kollegen, seine Leute im Kopf haben. Die nervt, dass sie wirklich jeden Tag mehrere Stunden mit dem Auto irgendwo im Stau stehen und hin- und herfahren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist nicht, diesen Arbeitsplatz aufzugeben, wo sollten sie denn sonst bleiben. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist, dass man denen in der Stadt die Möglichkeit gibt zu bauen. Dann haben wir neue Bremer. So ist das!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Darum bin ich für Osterholz-Tenever. Ich bin dafür, dass wir in diesem Markt handlungsfähig bleiben

und nicht sagen, mit Frau Krusche gibt es jetzt nur noch Altbauwohnungen, so wie ich das gemacht habe.

(Heiterkeit)

Man muss beides machen. Liebe Frau Krusche, wir beide sind Altbaufreaks, und hoffentlich gibt es ganz viele davon. Ich könnte auch eine ganze Reihe Projekte nennen, bei denen man sich dann auch niederlassen kann, das ist ganz in Ihrem Sinne. Das ist aber nicht alternativ, nicht entweder oder, sondern beides!

(Abg. Frau K r u s c h e [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber nicht in dem Umfang!)

Wir wollen Leute dafür gewinnen, ihre eigentumsbildenden Energien, Kräfte und Finanzmöglichkeiten hier bei uns zu entfalten. Das gilt für Bremerhaven natürlich allemal. Diese Vorstellung, die Sie vorhin beschrieben haben, dass Bremerhaven vom Hauptbahnhof an südlich leer ist, ist doch ein Alptraum. Ich habe immer gedacht, was schließt sie jetzt daraus. Schließt sie jetzt daraus, dass sie endlich ein richtiges Investitionssonderprogramm auflegt, das wir nun schon lange praktizieren und mit dem sie ihre Mühe hat? Wir brauchen doch Gründe, damit die Leute dorthin ziehen. Wir können doch noch nicht mit den Achseln zucken und sagen, dann ist Bremerhaven eben halb leer. Wir müssen Gründe schaffen, damit die Leute dorthin ziehen und dort bleiben.

(Beifall – Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Ja!)

Liebe Helga Trüpel, ich bin gespannt, was Sie gleich sagen. Es gibt keine Alternative zum Wirtschaftswachstum und zur Stärkung der Infrastruktur. Arbeitsplätze bekommt man nicht durch gutes Zureden, sondern dadurch, dass man die Bedingungen und die Rahmenbedingungen, unter denen hier investiert wird, optimiert in scharfer Konkurrenz zu allen anderen, die das Gleiche wollen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Diese Konkurrenz nehme ich an, und ich rate sehr dazu, sich nicht davor zu drücken. Ich möchte dann natürlich gern, dass die nicht in irgendwelchen langweiligen Gewoba-Siedlungen, in denen sonst nichts ist, landen. Das darf ich doch auch einmal sagen.

(Zurufe von der SPD: Na, na!)

Das muss ich doch selbstkritisch sagen. Wir haben in den sechziger und siebziger Jahren mit unserer Stadtentwicklung selbst Gründe dafür gesetzt, dass

die sagen, wir wollen lieber ein Eigenheim irgendwo in Uphusen bauen, als dass wir in einer GewobaSiedlung wohnen. Da muss man aufpassen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will natürlich nicht langweilige, tote und fantasielose Neubaugebiete, in denen gar nichts läuft. Ich möchte gern eine lebendige Stadt. Die Lebendigkeit der Stadt lebt nicht allein von der Innenstadt, sondern sie lebt überall davon, wo die Menschen leben. Klar, das ist gar kein Streit unter uns! Die Frage ist nur, in welcher Relation das kommt. Man muss das eine mit dem anderen verbinden. Man muss die Lokomotive unter Dampf halten, wenn sie die Züge und die Wagen, die daran angekoppelt sind, transportieren will. Man darf die Lokomotive nicht kalt werden lassen in der Hoffnung, dass sich die Wagen verselbstständigen.

(Beifall bei der CDU)

Wir wollen also über Wachstum, über Arbeitsplatzpolitik, über attraktives Wohnen und natürlich auch über attraktives Wohnumfeld, denn das gehört dazu, innerhalb unserer Stadtmauern und innerhalb Bremerhavens und Bremens dazu beitragen, dass wir den in Bremen begonnenen Trend, dass wir nämlich einen positiven Zuwanderersaldo haben, verstärken. Es ist ja toll, dass da endlich auch von der Zuwanderung her gesagt werden kann, es gibt im Saldo mehr Leute, die hierher ziehen als wegziehen. Das wollen wir natürlich verstärken. Das ist das, was ansteht, das ist das, was in den nächsten Jahren gemacht werden muss.

Ich glaube, egal, welches Parteibuch man vor sich herträgt, die Leute werden uns nach dem beurteilen, was wir gemacht haben. Sie werden uns nach dem beurteilen, ob wir zu dem stehen, was wir gemacht haben. Sie werden uns auch nach dem beurteilen, was wir bereit sind, den Leuten an Perspektive vor diesen positiven Erfahrungen zu sagen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Schlussbemerkung: Dieser Bericht ist exzellent. Ich danke denen, die daran gearbeitet haben. Er ist ein wunderbares Arbeitsmaterial für all diejenigen, die in den nächsten vier Jahren dazu beitragen wollen, dass wir vorankommen und Arbeitsplätze und Einwohnerzahlen in Bremen und Bremerhaven optimieren und steigern.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Trüpel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist richtig, dass bei dieser Debatte doch eine große Aufmerksamkeit in diesem Haus gegeben ist, weil, und die Vorredner haben dies deutlich gemacht, es in der Tat um die Frage geht, welchen Weg die Sanierungspolitik in den nächsten Jahren nimmt.

Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich erst einmal auf meine beiden direkten Vorredner eingehen. Das eine war die typische Onkel Pflugradts Märchenstunde, und das andere war die zwar demagogisch nicht schlechte und rhetorisch aufgeladene, aber trotzdem von einem gewissen politischen Autismus zeugende Rede unseres Bürgermeisters.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte erst einmal zu dem typischen Lamento, wie die tibetanische Gebetsmühle vorgetragen, vom Märchenonkel Pflugradt sprechen. Er hat zugegeben, Stadt am Fluss war eine Idee der Grünen, die damals konzipiert und zum Glück von Ihnen umgesetzt worden ist. Der Wohnungspolitik in Bremen, auch in Einfamilienhäusern, bauträgerfreiem Wohnen, haben wir zugestimmt.

Wir sind für die Innenstadtrevitalisierung gewesen. Wie Sie auf so eine Idee kommen, wir hätten Politik gegen die Innenstadt gemacht bei all den Debatten, die wir in der letzten Zeit dazu geführt haben, verstehe ich nicht. Gerade wir waren es, die immer von der Vitalisierung der Innenstädte, der City und der Stadtteilzentren gesprochen haben, sich nicht so sehr auf die grüne Wiese zu verlagern und nicht so einen Hybriden wie den Space-Park zu errichten. Wie kommen Sie auf so eine Idee, wir wären gegen die Innenstadt gewesen, Herr Pflugradt?

Wir sind für die Vitalisierung des Faulenquartiers. Wer hat denn gegen den Widerstand von Herrn Eckhoff dafür gesorgt, an dem Punkt allerdings einmal mit Herrn Scherf zusammen, dass es ein Medienzentrum gibt und dass dieser Stadtteil aufgebaut wird?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. P f l u g r a d t [CDU]: Sie wollten die In- nenstadt vom Autoverkehr abkoppeln!)

Seit vielen Jahren plädieren wir dafür, in der Überseestadt einen neuen Stadtteil zu errichten mit einer neuen Mischung von Wohnanteil, neuen Arbeitsplätzen und neuen Dienstleistungen. Darin erkennen wir einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Gesundung der Stadt. Allerdings, mit uns hätten Sie das Musical, das pleite ist, so nicht machen können. Es ist richtig, mit uns hätten Sie diesen Space-Park, der ja nun wirklich auf tönernen Füßen steht, nicht machen können. Sie hätten mit uns das, was Sie hier zum Glück selbst einpacken mussten, die überdi––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

mensionierte Variante des Ocean-Parks nicht machen können. Es ist richtig, dass wir diese drei Projekte scharf kritisiert haben.

Ich will Ihnen noch einmal ein Beispiel nennen, noch einmal zurück zum Musical! Wie wollen Sie eigentlich der Bevölkerung erklären, dass es da möglich war, für ein Projekt, das jetzt tot ist, schnell Rettungsbeihilfen zu bewilligen, die Nichtabiturientenkurse in Bremen aber nicht mehr finanziert werden können, die wirklich für viele Menschen eine Chance auf Qualifizierung sind, die wir dringend brauchen, wenn in dieser Stadt bei dem Weg in die Wissensgesellschaft die Menschen entsprechend qualifiziert werden sollen? Das ist für uns in einem kleinen Punkt eine falsche Schwerpunktsetzung. Da stehen wir für einen anderen, sozial- und bildungspolitisch verantwortlichen Kurs.

Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen. Wir sind für die IUB gewesen, ohne Wenn und Aber, nachdem diese Entscheidung gefallen war. Wir sind für das Universum gewesen, wir sind für das Visionarium, und wir sind auch für den Science-Park. Gerade aber vor dem Hintergrund der Debatte von gestern möchte ich noch einmal sagen, das Stichwort Diskurs und Kommunikation ist eben schon gefallen, wir sind, gerade wenn man sich für solche großen Projekte mit viel Geld entscheidet, dafür, dass man sie dann nicht vor die Wand fährt, indem man sich zu fein ist, mit den Menschen vor Ort, die viele Fragen haben, zu sprechen. Das ist ein deutlicher Kommunikationsfehler, den Sie zu verantworten haben. Wir möchten, dass eine solche Politik, in der man sich abschottet und glaubt, man hat es an vielen Punkten nicht mehr nötig, sich mit den Einwohnern ins Benehmen zu setzen, aufhört.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte jetzt noch einmal auf diese vorgelegte Studie kommen. Ich möchte bei der Rede von Herrn Böhrnsen anfangen. Mir ist ganz wichtig, dass betont worden ist, Herr Scherf hat das hinterher auch noch einmal gesagt, dass es um Arbeitsplätze und Einwohner geht. Es geht nicht um Arbeitsplätze oder Einwohner, sondern um Arbeitsplätze und Einwohner!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das ist unsere Grundhaltung. Ich werde mir heute und in den nächsten Monaten – und der Vorwahlkampf hat begonnen – von niemandem in dieser Stadt unterstellen lassen, dass wir eine solche Politik nicht machen würden und nicht an dem Ziel, Bremen wirtschaftlich gesunden zu lassen und für Bremen und Bremerhaven zu begeistern, arbeiten. Wir glauben, dass dieses Bundesland eine vitale Möglichkeit hat, die es zu nutzen gilt. Wir machen natür

lich keine Politik gegen das Bundesland, wir machen eine verantwortliche Politik für dieses Bundesland, in dem wir gern leben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Genauso richtig ist es aber, gerade im Umgang mit den Einwohnerinnen und Einwohnern unserer beiden Städte, nicht mit Illusionen vorzugehen. Deswegen ist ja dieses Papier, das vorgelegt worden ist, auch so wichtig, weil die Zahlen zeigen, wie die Trends wirklich waren. Wenn wir in den letzten beiden Jahren jetzt erfreulicherweise auch zusätzliche Einwohner in Bremen gewonnen haben, sind wir noch mit 3,3 Prozent seit dem Jahr 1994 Abwanderungsquote oberhalb des Bundesdurchschnitts vergleichbarer Städte, in denen die Zahl 2,1 Prozent war.

Sie haben hervorgehoben, Herr Böhrnsen, das ist keine schöne Zahl. Es gilt, dagegen anzuarbeiten. Für mich ist als Grundfeststellung wichtig, dass die Zahlen nicht so erfreulich sind, wie wir sie gern hätten. Man muss die Realität und auch den Trend, den wir im Moment noch haben, zur Kenntnis nehmen. Wenn der sozusagen fortgeschrieben würde, kämen wir zu dem, was meine Kollegin Krusche skizziert hat. Wenn man für diesen Realismus, die Zahlen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, plädiert, heißt das ja nicht, Herr Bürgermeister, dass man sich damit abfindet, ganz im Gegenteil! Wir machen eine gezielte Politik dagegen. Das bedeutet, bei allen Schwierigkeiten, die wir haben, versuchen wir natürlich, mit Konzeptionen, mit politischen Programmen und den dann entsprechenden Finanzierungen gegen diesen Trend anzuarbeiten, Arbeitsplätze zu sichern, neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen und Einwohner und Einwohnerinnen, gerade auch junge Familien, zu gewinnen.

Ich möchte Ihnen, nur damit Sie wissen, was sozusagen der Hintergrund der jetzigen Situation ist, einen Satz aus dem Bericht zitieren, auf Seite 16 oben steht: „Die Entwicklung dieser Schlüsselbranchen im Land Bremen liegt zwar aktuell leicht über der bundesweiten Entwicklung,“ – das wird also noch einmal konstatiert – „bleibt damit aber hinter den Beschäftigungs- und Wertschöpfungsanteilen in vergleichbaren Agglomerationsräumen insbesondere Hamburgs zurück. Eine Ursache ist die vergleichsweise geringe und durch aktuelle Unternehmensentscheidungen noch geschwächte Präsenz von Unternehmenszentralen am Standort, die die Entstehung von unternehmensbezogenen Dienstleistungen erschweren.“

Das ist einfach erst einmal die Feststellung des Status quo, gegen dieses große Gerede, zu dem man sagen kann, gut gebrüllt, Löwe! Mit einfachen Reden aber darüber hinwegzugehen hilft ja nicht. Das ist sozusagen, wie es hier noch einmal von den Staatsräten festgehalten worden ist, die Lage, gegen die es anzuarbeiten gilt.

Deswegen, und das ist mir jetzt wichtig, wenn es um die Philosophie des Sanierungsprogramms geht, kann es nicht um eine Linie gehen, die heißt Arbeitsplätze, nichts als Arbeitsplätze und Infrastruktur, und dann in vielen Jahren kommen sozusagen die weichen Standortfaktoren oder das kleine Gedöns, wie man ja manchmal in der politischen Debatte gehört hat. Nein, gerade umgekehrt! Bei allen Versuchen, dass das Schaffen von Arbeitsplätzen die erste Relevanz haben muss, ist richtig, dass man das auch an dem Punkt mit einem Und verbinden muss. Die weichen Standortfaktoren gehören unmittelbar zu der Sanierungsphilosophie des Bundeslandes.