Tatsächlich, Herr Bürger, ist es in Bremen heute so, dass 50 Prozent der Kinder in der Schule einmal sitzen bleiben – 50 Prozent, das können wir nicht bestreiten, wir haben das in der Bildungsdeputation vorgelegt bekommen –, dass über zehn Prozent der Kinder zurückgestuft werden in andere Schularten, und immer von oben nach unten, vom Gymnasium in die Realschule, von der Realschule in die Hauptschule, oder in der Grundschule erst einmal ein Jahr zurückgestellt werden oder da, weil es da keine Nichtversetzung im klassischen Sinne gibt, auch zurückgestuft werden. Das ist die Realität dieser Schule.
Was heißt denn das? Sind die Bremer Schülerinnen und Schüler dümmer als in anderen Bundesländern? Sind sie dümmer als in Schweden, Finnland, Großbritannien oder Frankreich, wo sehr viel mehr Kinder Abitur machen? Nein, das wird hier keiner behaupten wollen! Woran kann es denn dann liegen, dass die individuelle Förderung der Kinder in den einzelnen Schulen, egal ob in der Hauptschule, in der Realschule oder auf dem Gymnasium, nicht ausreichend stattfindet? Das wäre doch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass mehr Kinder höhere Abschlüsse machen, als sie jetzt durch Willen der Lehrer nach dem Notenbild herunterzustufen. Das verbessert nicht die Chancen, sondern verschlechtert sie.
Herr Rohmeyer hat gesagt, wir nehmen Rücksicht auf die Kinder! Sie mögen ja im Einzelfall völlig Recht haben, aber in Wirklichkeit versperren Sie den Kindern einen besseren Bildungsabschluss, denn Sie wissen, dass diese Schule in Bremen das unter den heutigen Bedingungen offensichtlich nicht leisten kann. Sie kann es deshalb nicht leisten, das ist mein einziger Bezug zu Pisa in dieser Debatte, weil, wie die Pisa-Studie ergeben hat, nicht nur Bremer Lehrer, sondern niedersächsische, nordrhein-westfälische, Berliner oder bayerische Lehrer überhaupt nicht darauf vorbereitet sind, mit Kindern umzugehen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten, unterschiedlichen ethnischen Bereichen kommen und auch verschiedene Vorbildungen haben. Die deutsche Schule kann damit nicht umgehen, und deshalb muss sie die Kinder sortieren. Die Sortierung ist, das haben alle Untersuchungen in Bremen gezeigt, die nach unten.
Wenn Sie das statt den Eltern der Schule übertragen, dann unterstützen Sie diejenigen, die sowieso die Homogenität, die Gleichheit, die Gleichmäßigkeit in der Klasse und im Unterricht lieben und die gerade nicht wollen, dass so viele unterschiedliche Kinder mit unterschiedlichen Problemen in ihrer Klasse sind. Das bewirken Sie hierdurch, und damit zementieren Sie die Kritik am Schulsystem, die ja richtig ist, auf längere Zeit zu Lasten der Kinder, denen Sie die Aufstiegschancen nehmen.
Allemal ist mir da ein falscher Elternwille lieber als ein falscher Lehrerwille, der nämlich so aussieht, dass die Chancen der Kinder verhindert werden.
Was machen denn die Kinder mit einer Hauptschulempfehlung durch, die aus bildungsfernen Schichten oder gar von Migranten kommen, die sich nicht
trauen, zur Schule zu gehen und zu sagen, mein Kind müsste aber auf die Realschule, oder mein Kind müsste auf das Gymnasium? Was machen die denn durch, Herr Bürger?
Von meinen beiden Kindern studiert heute eines, das andere ist in der gymnasialen Oberstufe, das eine hatte eine Realschulempfehlung, das andere eine Hauptschulempfehlung. Sie sind auch nicht dümmer als andere, aber sie haben Eltern, die sich gegen die Schule unter dem alten Recht, das wir hatten, durchgesetzt haben. Im neuen Recht werden wir es alle sehr viel schwerer haben, und wenn das nicht Eltern sind wie wir, die hier sitzen, vielen Dank für die Bildungschancen!
Das ist der Kerngrund, warum wir sagen, wir lehnen das hier heute ab. Es gibt viele weitere Gründe, meine Damen und Herren, der Zentralelternbeirat hat ja einige vorgetragen. Es ist Unsinn, so etwas hier zu beschließen, ehe die künftige Struktur der Schule klar ist, wie es weitergeht: Gibt es eine sechsjährige Grundschule, gibt es die Entscheidung nach Klasse vier? Es gibt keine Notwendigkeit, das heute für das nächste Schuljahr zu regeln, selbst wenn Sie meinen, dass einige Eltern eine Fehlentscheidung treffen. Die Fehlentscheidung der Lehrer wiegt so viel wie die der Eltern, habe ich gesagt.
Dann gibt es noch einen Kernpunkt, an den ich zumindest die Sozialdemokraten bei dieser Entscheidung erinnern möchte! Diese Gesetzesänderung ist in der Tat doch nur notwendig, weil wir ein dreigliedriges Schulsystem haben und hier auf der rechten Seite im Haus jemand sitzt, der dieses dreigliedrige Schulsystem wie in Hannover, und wie es jetzt auch in Hamburg geschieht, zementieren und festmauern möchte bis in alle Ewigkeit. Das ist doch nicht das Schulsystem der Zukunft, wir werden das heute noch an anderer Stelle diskutieren, meine Damen und Herren!
Das ist doch kein modernes Schulsystem! Diese ganze Frage der falschen Schulwahl gibt es nur, weil es dieses Schulsystem gibt. Wer das heute hier auch noch so beschließen will, dass dann den Eltern das
Recht genommen wird und die Lehrer das zementieren sollen, dann, sage ich Ihnen, treffen Sie wirklich im Kern eine Entscheidung gegen die Kinder, im Kern gegen eine Reform des Schulsystems und geben selbst zu, dass das, was Sie hier in Bremen in der bremischen Schule treiben, nicht die Zukunft vor sich hat, sondern dass es eigentlich schon die Zukunft hinter sich hat.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn Sie durch die Schulen gehen, werden Sie sehen, dass es einen großen Gesprächsbedarf über weiterführende Schulen nach der jetzt sechsten Klasse gibt. Es gibt nicht nur bei Eltern, sondern auch bei Lehrerinnen und Lehrern Bedenken darüber, ob die Einteilung im Rahmen des dreigliedrigen Schulsystems richtig ist. Dass diese Bedenken durchaus auch gespeist werden durch ernst zu nehmende Ursachen und Gründe, haben wir durch die Pisa-Studie gesehen.
Der Kernpunkt, und das haben meine beiden Vorredner gesagt, ist nicht das Einsortieren in Hauptschule, Realschule und Gymnasium, der Kernpunkt in der Schule muss die Qualität des Unterrichts sein. Wenn die Schulen Vergleichsarbeiten schreiben, und das wird ja auch immer mehr zur Schulkultur, dann sehen sie, wo die Schülerinnen und Schüler stehen und können durch Fördermaßnahmen die Kinder und Jugendlichen durch gezieltes Herausfordern von Begabungen so motivieren, dass sie den bestmöglichen Schulabschluss machen. Das ist unser Ziel, das muss es auch bleiben, und deshalb ist es richtig, dass wir den vorschulischen Bereich und den Grundschulbereich stärken.
Es ist gut, wir haben es hier gestern gehabt, dass die verlässlichen Grundschulen einen so großen Zuspruch haben. Da sind ja die Elemente des Förderns und Forderns mit enthalten, und es ist ebenso gut, dass wir die Zahl der Unterrichtsstunden in der Grundschule erhöhen und damit auch zu einer Verbesserung der Situation beitragen. Über Ganztagsschulen wurde gestern geredet, auch da haben wir Zeiten, in denen gefördert und gefordert werden kann.
Ich komme zur Schulgesetzänderung, die wir hier heute beschließen wollen! Ich erwarte, dass die Erhöhung und Verbesserung der Diagnosefähigkeit der Lehrerinnen und Lehrer durch hochwertige qualitative Fortbildungen stattfindet. Ich möchte nämlich nach zwei bis drei Jahren nicht feststellen müssen, dass wir die hier auch von meinem Kollegen Rohmeyer sehr beklagten Fehlentscheidungen der Eltern jetzt durch Fehlentscheidungen der Lehrerinnen und Lehrer ersetzt haben. Das zeigt Pisa, Herr Rohmeyer, ich bitte Sie doch herzlich, die Ergebnis
se von Pisa auch in diesem Fall nicht zu ignorieren: Die Diagnosefähigkeit der Lehrer muss spürbar verbessert werden.
Wir haben es hier doch viele Male gehört, und es ist doch belegt – ich komme jetzt wieder am liebsten natürlich mit bayerischen Zahlen, das ist doch klar! –, dass in Bayern zehn Prozent der Hauptschüler genauso gute Leistungen bringen wie schlechtere Gymnasiasten in Bayern, verehrter Herr Kollege, und das wissen Sie auch. Von daher haben wir eine hohe Verantwortung. Man kann sich nicht immer nur heraussuchen, was passt, ich kann Ihnen das gleich belegen und tue das gern.
Von daher muss man das ernst nehmen, und ich möchte auch, dass das in die Schuldebatte mit einfließt, denn ansonsten können wir hier regeln, was wir wollen, es wird sich in den Schulen selbst nichts verbessern.
Herr Mützelburg, ich nehme mir aber doch noch einmal das Recht, aus dem Gesetz die Stelle über die Letztentscheidung zu zitieren, wenn die Empfehlungen der Konferenzen nicht so sind, wie die Eltern es möchten! Mit Genehmigung des Präsidenten darf ich aus Paragraph 19 a zitieren: „Entscheiden sich die Erziehungsberechtigten entgegen der Empfehlung, ist die Zulassung zur gewählten Schulart vom Bestehen einer Prüfung abhängig, in der die Eignung für die gewählte Schulart festgestellt wird. Näheres über Inhalt und die Prüfung regelt eine Rechtsordnung.“ Das heißt also, dass es nicht so ist, dass man die Entscheidung der Lehrer als letztendlich gültig akzeptieren muss.
Nun komme ich zu dem Punkt des dreigliedrigen Schulsystems, dem weiche ich hier natürlich nicht aus! Das dreigliedrige Schulsystem, nach Ansicht von immer mehr Experten überholt, bringt die frühe Selektion mit sich. Das ist so in Deutschland, und wir werden hoffentlich an den Ergebnissen von Iglu sehen, die wir in den nächsten Wochen erwarten und näher analysieren können, dass das Problem möglicherweise nicht in der Grundschule liegt, sondern eher in der Sekundarstufe I, im gegliederten Schulsystem. Ich glaube, dass die schulische Selektion, die, wie wir ja wissen, die sozialen Ungerechtigkeiten verschärft, falsch ist.
Auf das, was wir bei Iglu hoffentlich erwarten können, habe ich schon hingewiesen, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, einen Punkt, der in der Stadt auch heftig diskutiert wird, hier ebenfalls öffentlich in Erinnerung zu rufen: Immer mehr Eltern wünschen sich für ihre Kinder einen Platz in integrierten
Stadtteilschulen. Leider haben wir nicht Angebot und Nachfrage auf einer Höhe, 250 Anmeldungen durch Eltern sind abgelehnt worden. Im Gymnasialbereich haben wir den Druck herausgenommen, das wissen Sie. Ich habe mir einmal die Anmeldezahlen für die durchgängigen Gymnasien geben lassen, da sind wir fast ausgewogen.
Ich sage deutlich, der Elternwille ist nicht einseitig, meine Damen und Herren, und er bezieht sich genauso auf die Eltern, die für ihre Kinder integrierte Stadtteilschulen wünschen. Es gibt Anträge von Schulen, die sich zu integrierten Stadtteilschulen weiterentwickeln wollen. Die SPD-Fraktion wird sich dafür einsetzen, wer auch immer nach der Wahl den Auftrag bekommt, bildungspolitisch den Schwerpunkt damit zu setzen, dass wir diesen Elternwillen akzeptieren und diesem Elternwillen ebenfalls stattgeben.
Vielleicht das noch einmal als leisen Ausklang meines Beitrags: Es ist ja so, ich darf daran erinnern, dass für Eltern, die in der glücklichen Lage sind, ihre Kinder an eine integrierte Stadtteilschule geschickt zu haben und dort einen Platz bekommen zu haben, unsere heutige Schulgesetzänderung übrigens überhaupt keine Rolle spielt. – Ich danke Ihnen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke der Kollegin Hövelmann für die allgemeinen Aussagen zur SPD-Wahlprogrammatik, vermisse allerdings den Bezug zur Debatte.
Ich will doch noch einmal zwei oder drei Punkte zu Dieter Mützelburg sagen, denn diese Angriffe, die er gegen die Lehrerinnen und Lehrer geritten hat, fallen natürlich auf ihn selbst zurück. Die neue Regelung lässt eben im letzten Schritt eine sachlich fundierte Aufnahmeprüfung zu.
Mit dieser Aufnahmeprüfung hat man keine Willkür, und ich unterstelle auch keinem Lehrer und keiner Lehrerin in Bremen Willkür, meine Damen und Herren. Von daher weiß ich nicht, was dieser Angriff sollte.
Ich will noch einmal deutlich sagen: Es hat eine Studie in Nordrhein-Westfalen gegeben nach Klas––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
se vier, und diese Schülerinnen und Schüler hat man zehn weitere Jahre verfolgt. Die Schullaufbahnempfehlung der Schule war in über 90 Prozent der Fälle zutreffend, meine Damen und Herren. Von daher kann von Willkür bei einer sachlich fundierten Entscheidung der Schule überhaupt nicht die Rede sein.
Von daher kann ich nur bitten, um eben diejenigen, die hier von Willkür und einseitiger Selektion sprechen, in Zukunft zu widerlegen, das Verfahren auf eine sachliche Grundlage zu stellen. Natürlich erhöhen wir die Diagnosefähigkeit der Lehrkräfte, natürlich fordern und fördern wir. Das ist auch schon längst beschlossen und auch bekannt, meine Damen und Herren. Die Schritte sind auch schon eingeleitet, aber dazu gehört auch, dass bei einem solchen Schulwechsel auch dieser Schulwechsel und die Schullaufbahnempfehlung auf eine sachliche Grundlage gestellt werden, und dass dies von der Opposition kritisiert wird, kann ich für meinen Teil nicht nachvollziehen.