Protokoll der Sitzung vom 04.06.2004

(Abg. P f l u g r a d t [CDU]: Dann muss ihm irgendwann das Wort entzogen wer- den! So geht das nicht!)

Jetzt fordere ich Sie nochmals auf, zur Sache zu sprechen!

Ich mäßige mich! Ich möchte aber nur daran erinnern, dass Herr Senator Röwekamp gestern für „Pappnasen“ keinen Ordnungsruf bekommen hat und Sie sich darüber nicht aufgeregt haben. Darüber haben Sie sogar noch gelacht!

(Zurufe von der CDU: Er hat Pappkame- raden gesagt!)

Er hat Pappnasen gesagt, na klar! Das können Sie im Protokoll nachschauen! Wo er Recht hat, hat er ja Recht, aber das ist ja egal.

Meine Damen und Herren, Sie sollten schnellstens dafür sorgen, dass solche kriminellen Typen wie Herr Kaplan aus Köln, und davon gibt es Hunderte in Deutschland, schnellstens, aber allerschnellstens in die Türkei abgeschoben werden. Das wäre sinnvoller und zweckmäßiger. Alles andere wäre gegen die Interessen und zum Schaden der Bundesrepublik Deutschland und seiner Bevölkerung. Ein Beitritt der Türkei in die EU, und das sage ich schon einmal jetzt in aller Deutlichkeit voraus, wäre das Ende Deutschlands. – Ich bedanke mich!

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Wedler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dem Redebeitrag eben haben Sie entnehmen können, wie wenig klug es war, einen solchen Antrag hier und heute einzubringen. Ich teile die Kritik, die Herr Jäger einleitend in seiner Rede geäußert hat. Der Antrag gibt leider Anlass zu fremdenfeindlichen und nationalistischen Äußerungen, wie wir eben gehört haben, und bei einem sehr sensiblen Thema, mit dem wir es hier zu tun haben. Ich bedauere das und finde es äußerst schade, dass dies zur Plattform für so etwas geworden ist.

(Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/ Die Grünen]: Das haben wir sonst hier noch nicht gehabt, oder?)

Am 1. Mai, also vor wenigen Wochen, ist die EU um zehn weitere Länder auf 25 Länder, die wir jetzt haben, erweitert worden. Die meisten Beitrittsländer sind ja osteuropäische Länder, so dass wir dann von einer EU-Osterweiterung sprechen können. In den Jahren 2005 bis 2007 werden weitere Länder hinzukommen, nämlich Rumänien und Bulgarien. Die Erweiterung der EU, und das, so kann man, glaube ich, mit Fug und Recht feststellen, ist der Beweis für die Attraktivität dieser Gemeinschaft, die einen wesentlichen Beitrag zu Frieden und Stabilität in Europa geleistet hat und weiterhin leisten wird und

die auch zu einem nennenswerten, zu einem großen Faktor für unsere wirtschaftliche Situation hier in Mitteleuropa geworden ist. Das, denke ich, können und müssen gerade wir Deutschen sehen und auch bedenken, wenn wir über weitere Schritte in diesem Bereich nachdenken.

Aus der EU-Osterweiterung ergeben sich viele Chancen. Das wissen wir aus früheren Erweiterungen, und das sollten wir auch realistischerweise so sehen, aber wir müssen natürlich auch sehen, dass es Risiken gibt, die mit einem solchen Beitritt verbunden sind, aber an diesen Risiken muss man arbeiten und haben wir auch in der Vergangenheit gearbeitet, denn das hat es auch in der Vergangenheit gegeben, als die südeuropäischen Länder beigetreten sind. Auch hat es zeitlich langwierige Anpassungsprobleme gegeben, aber jetzt, glaube ich, ist die Situation so, dass es eine einigermaßen geordnete, auch gleichgerichtete wirtschaftliche und politische Entwicklung gibt. Die EU-Erweiterung hat also, wie gesagt, viele Chancen, aber eben auch Risiken, und an diesen Dingen müssen wir arbeiten. Europa steht insoweit vor großen Herausforderungen.

Ein Europa ohne Menschenrechte und Demokratie, ohne Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit ist nicht denkbar. Das sind die Werte, auf denen diese Gemeinschaft beruht. Jedes EU-Mitglied muss diese Werte anerkennen, respektieren und offensiv vertreten. Europa ist eine Wertegemeinschaft. Es ist darüber hinaus auch eine politische und eine Wirtschaftsgemeinschaft. Insbesondere diese Wertegemeinschaft ist also im Zusammenhang mit dem Erweiterungsprozess, insbesondere in Richtung Türkei, von sehr großer Bedeutung. Diese Wertegemeinschaft und diese Werte, die die Europäische Gemeinschaft darstellt und für sich festmacht, müssen alle Länder, die der EU beitreten wollen, anerkennen, egal, ob sie angegliedert sind oder noch nicht, ob sie in Osteuropa oder Südosteuropa oder woanders liegen.

Diese europäische Wertegemeinschaft sollte grundsätzlich jedem Staat offen stehen, der an ihr teilhaben will. Kulturelle, ethnische oder gar religiöse Grenzen zählen hier nicht. In Bezug auf die Türkei muss man allerdings feststellen, dass nur ein sehr kleiner Teil geographisch gesehen in Europa liegt. Das sehen viele Menschen in diesem Land, und diese Auffassung und diese Sichtweise zieht sich durch alle Parteien, nicht nur bei uns, auch in allen anderen Parteien, das ist ja auch nichts Negatives. Der größte Teil des Landes liegt in Asien. Deshalb kann man natürlich Zweifel daran haben, ob die Türkei insoweit ein europäisches Land ist.

Daran sollte man arbeiten, und man sollte die Gesichtspunkte, die jetzt dazu angeführt werden, inwieweit man die Türkei in den europäischen Einigungsprozess einbezieht oder eben nicht einbezieht, bedenken. Zudem muss man auch dem Prozess und

dem Timing eines Prozesses große Bedeutung einräumen.

In der politischen Debatte um den Beitritt der Türkei zur EU muss nach Auffassung meiner Partei gelten, dass dieses Land nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden darf als jeder andere vorherige Beitrittskandidat. So elementar es sein mag, die Grundidee der Gleichbehandlung muss eingehalten werden. Die Kopenhagener Kriterien haben wesentliche Auflagen formuliert, die die Türkei erfüllen muss, um ebenfalls der Europäischen Union beitreten zu können. Dazu zählen als politisches Kriterium stabile Institutionen, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Garantie der Menschenrechte sowie der Schutz von Minderheiten.

Wirtschaftliches Kriterium ist eine stabile und funktionierende Marktwirtschaft. Außerdem muss die Türkei, wenn sie denn irgendwann einmal beitritt, die Fähigkeit haben, alle Pflichten, die sich aus der Mitgliedschaft ergeben, dazu zählt beispielsweise die Übernahme europäischen Rechts in nationales Recht, erfüllen können.

Bei der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien hat das Europäische Parlament kürzlich erhebliche Differenzen seitens der Türkei erkannt, insbesondere im Bereich der Menschenrechte, aber auch im wirtschaftlichen Bereich. Es ist deshalb unklar, ob es der Türkei gelingen wird, noch in diesem Jahr die Kriterien für Aufnahmeverhandlungen zu erfüllen. Insofern stellt sich angesichts dieser Unsicherheit die Frage, warum wir hier heute in der Bremischen Bürgerschaft einen solchen Antrag zu diskutieren haben. Ich glaube, da schließe ich mich an das an, was Herr Jäger eingangs festgestellt hat, das war im Grunde genommen ein überflüssiger Antrag.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Dass man hier Kollegen für über- flüssige Anträge kritisiert, das gehört nicht zur Kultur des Parlaments! Das kann ja nicht sein!)

Wir dürfen bei allem Drang zur Erweiterung einer erfolgreichen Gemeinschaft nicht den Fehler machen, überstürzt zu handeln. Wir müssen die Menschen mitnehmen. Europa muss zu einer Herzensangelegenheit der Menschen werden. Dazu zählt beispielsweise, dass die Bevölkerung über eine wichtige Frage wie die EU-Verfassung selbst entscheiden darf. Die Deutschen sollten, wie viele andere europäische Völker auch, in einem Referendum über den EU-Verfassungsentwurf abstimmen dürfen. Die Deutschen sind nicht weniger mündig als andere europäische Völker auch. Leider wurde der FDP-Vorstoß zur Einführung eines solchen Referendums gerade erst im Bundestag mit breiter Mehrheit, auch Teile der Grünen gehörten dazu, abgelehnt.

Auch in der Frage des EU-Beitritts der Türkei darf man die Menschen nicht vor vollendete Tatsachen

stellen. Wenn man die Menschen jetzt fragt, ob sie für den Beitritt der Türkei zur EU sind, dann dürfte die Antwort eindeutig sein. Wenn man einen solchen Schritt gehen will, dann braucht man eine ausgiebige gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema, und diese braucht Zeit. Affären wie die mit Hassprediger Kaplan sind für derartige Diskussionen nicht hilfreich. Sie zeigen im Übrigen nur, dass die Türkei derzeit nicht EU-tauglich ist, denn wie anders kann man sich erklären, dass in die Türkei nicht abgeschoben werden darf! Neben meinen gewissen Zweifeln am Beitritt der Türkei zur EU, jedenfalls, was den derzeitigen Zeitpunkt anbetrifft, ist das einer der Gründe, warum ich gegen den Antrag der Grünen votieren werde. Die Türkei erfüllt gegenwärtig nicht die Kriterien zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen.

(Abg. Frau S t a h m a n n (Bündnis 90/ Die Grünen): Das haben wir auch nie behauptet!)

Der zweite Grund ist, dass ich bezweifele, dass die EU selbst schon bereit und in der Lage ist, weitere Mitglieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Zunächst müssen die EU-Erweiterungen und die anderen absehbaren EU-Beitritte verkraftet werden, zudem muss endlich die Europäische Verfassung verabschiedet und mit Leben erfüllt werden. Das wird viel Kraft, viel Zeit und auch viel Geld kosten. Erst dann sollte man über den Beitritt weiterer Staaten zur Europäischen Union nachdenken. Der Türkei sollte, wenn man denn der Meinung ist, dass sie beitreten soll, eine Beitrittsperspektive gegeben werden, mehr jedenfalls derzeit nicht. – Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken!

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Trüpel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe eben schon zu Beginn meines ersten Redebeitrags mit großem Bedacht gesagt, dass es für mich einen Unterschied zwischen Missbrauch und Gebrauch einer Debatte und eines Themas gibt. Ich fühle mich auch nach dem, was ich jetzt gehört habe, darin bestätigt. Ich möchte erst einmal festhalten, auch wenn Sie, Herr Wedler, mir jetzt vorwerfen, ich würde dieses Thema missbrauchen, und sich hier anmaßen, Anträge von Kollegen zu beurteilen, ob sie überflüssig sind oder nicht: Das steht Ihnen einfach nicht zu!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jeder Kollege hat hier das Recht, Anträge zu stellen. Diese Art von Schulbenotung möchte ich zurück––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

weisen. Es ist ja in Ordnung, wenn Sie einen Antrag politisch nicht richtig finden, aber diese Art von Notenverteilung machen wir mit Ihren Anträgen auch nicht, Herr Kollege.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dann möchte ich weiterhin festhalten: Ob man ein Thema, weil es überall in der Gesellschaft diskutiert wird, auch hier im Hause für diskussionswürdig hält oder ob man ausländerfeindliche Kampagnen startet, ist für mich ein großer Unterschied. Jetzt zu dem Argument mit dem Wahlkampf! Der nächste Tagesordnungspunkt, ob wir unsere Verwaltung fit für Europa machen, ist extra so getimt für heute, hat gar nichts mit Wahlkampf zu tun, aber wenn wir über ein europäisches Thema reden wollen, dann stellen Sie sich hier pharisäerhaft hin und sagen, das darf man im Europawahlkampf nicht. Was ist das eigentlich für ein Unsinn? Mit welchen unterschiedlichen Maßstäben wird hier eigentlich je nach Interesse gemessen? Da geht mir wirklich der Hut hoch!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt noch einmal etwas zum Thema selbst, und jetzt fange ich einmal mit Herrn Jäger an! Wenn hier irgendetwas Wahlkampf gewesen ist, dann in dieser Debatte, dass Herr Jäger bei keinem meiner Argumente zugehört hat, sondern die Rede, die fertig war, verlesen hat.

(Zurufe von der CDU: Das ist Quatsch!)

Sie sagen, ich hätte überhaupt nichts zur wirtschaftlichen Entwicklung von Europa gesagt und wie zentral diese Frage des Strukturwandels ist, weil Sie immer mit Ihrem billigen Argument von Rotgrün und Bundesregierung kommen. Bevor ich zur Türkei gekommen bin, habe ich etwas zu der Frage der Zentralität der ökonomischen Entwicklung Europas gesagt. Dann war ein weiteres Argument, ich hätte nicht genug zu den Minderheiten und Kurden gesagt. Ich habe als Erste hier das Urteil gegen Leyla Zana kritisiert. Werfen Sie mir doch nicht vor, ich sei auf dem einen Auge blind! Ich kann doch ein politisches Interesse daran haben, dass sich die Türkei zu einem demokratischen Land entwickelt, und politisch daran arbeiten wollen. Was Sie machen, ist – Sie haben nämlich kein Interesse daran –, dass Sie diesen Prozess nicht unterstützen, sondern ihn offensichtlich wie dieser schreckliche Kollege von der DVU eher vereiteln wollen. Das finde ich politisch falsch.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn Herr Stoiber jetzt im Europawahlkampf und gesagt hat, wir müssen uns erst einmal festigen, und

wir müssen Europa vertiefen und können nicht erweitern, dann kommt er mit Russland, mit Marokko, mit Tunesien, mit Israel. Das nenne ich Panikmache im Europawahlkampf, aber nicht, wenn wir über einen Prozess reden, von dem Bundeskanzler Kohl vor Jahrzehnten schon gesprochen hat, der Türkei die Partnerschaft anzubieten. Da sollten Sie sich vielleicht einmal ein bisschen an seiner bedachten Art orientieren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Unruhe auf dem Besucherrang – Glocke)

Meine Damen und Herren, Beifallskundgebungen auf dem Besucherrang sind bei uns nicht erlaubt! – Bitte, Frau Dr. Trüpel!

Jetzt kommt das nächste Argument von Herrn Jäger! Ich freue mich immer besonders, wenn gerade die männlichen Kollegen der CDU so frauenfreundlich werden. Ich gehöre unter anderem deswegen zu den Grünen, weil das hier für uns Frauen von den Grünen immer ein zentrales Thema war, weil wir auch so einen besonderen Stellenwert innerhalb der Grünen und die Quotierung haben, die keine andere deutsche Partei hat. Erzählen Sie mir nichts von Frauenemanzipation und wie wichtig das ist! Da bin ich nun wirklich eine Kämpferin für die Rechte der Frauen, Emanzipation und Gleichberechtigung.

Ich gehöre wirklich nicht zu denen, die Frauenunterdrückung oder das, was Sie eben von türkischen Männern gesagt haben, rechtfertigen. Ich finde das zutiefst schrecklich. Ich wünsche mir sehr, dass in den nächsten Jahren da ein gesellschaftspolitischer Wandel auch bei diesen Männern in der Türkei greift. Aber gerade Sie, ich will Ihnen einmal ein Beispiel aus der innenpolitischen Debatte in Deutschland nennen! Es hat im Vorfeld der Wahl des Bundespräsidenten in allen Gazetten, vor allem in Ihrer Partei, eine Diskussion darüber gegeben, dass es in Deutschland undenkbar ist, dass man eine Kanzlerkandidatin und eine weibliche Person als Bundespräsident hat. Das sind die wahren Verhältnisse in Deutschland!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zu- rufe von der CDU – Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Jetzt kommt der wahre Kern der Debatte zum Vorschein! Ihr wahrer Kern!)

Meine Damen und Herren, Sie stellen sich hier hin und klopfen solche Sprüche! Ich finde, meine Damen und Herren, an dem Punkt könnten Sie ein bisschen demütig sein.

(Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Da muss- ten Sie aber weit in die Mottenkiste greifen!)

Ich bin wirklich eine Kämpferin für die Rechte der Frauen. An einem solchen Punkt kann die CDU wirklich zu Recht ein bisschen demütig sein. Solange solche Argumente aus der CDU kommen, müssen Sie sich hier nicht aufspielen.

(Unruhe bei der CDU und beim Bünd- nis 90/Die Grünen – Glocke)

Meine Damen, meine Herren, Rednerin ist ausschließlich Frau Dr. Trüpel, sonst niemand!

Ich sage ja, die getroffenen Schweine quieken. Das hatten wir gestern auch schon so.

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zurufe von der CDU – Abg. H e r d e r h o r s t [CDU]: Das muss auch zurückgewiesen werden, Herr Präsident! So etwas gehört sich nicht! Das muss ge- nauso zurückgewiesen werden! Sie brül- len immer, wenn der da hinten redet! So etwas gehört sich nicht! Das ist nicht ge- recht! Immer, wenn der da hinten redet, dann sagen Sie das Gleiche! Das ist eine Unverschämtheit! – Glocke)